Carrie Winter

Was davor war...

Sie stand am Fenster und starrte verzweifelt in die Dunkelheit davor. Schwach drang das Trommeln der Regentropfen zu ihr und ihr fiel ein, das er keine Jacke mitgenommen hatte.
Ihr Mann trat hinter sie und fragte leise: "Was ist denn heute Abend eigentlich passiert?"
Langsam drehte sie sich um und sah ihn mit Tränen in den Augen an.
"Er...er..." Sie schluchzte und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. "Er ist so spät von der Schule nach hause gekommen und ich habe ihn gefragt, wo er war. Er ist...Er hat geschrieen.
Er hat gesagt, das mich das nichts angeht, das ich mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern soll." Ihr Blick wurde stumpf und glitt dann zu seiner Zimmertür.
"Er ist sofort in sein Zimmer und hat diese schreckliche Musik wieder so laut aufgedreht.
Ich hab versucht mit ihm zu reden aber er wollte nicht. Später hat es dann an der Tür geklingelt. Ich bin hingegangen und da stand so ein...so ein Junge vor mir. Total in schwarz, das Gesicht ganz weiß geschminkt und um den Hals so ein Hundehalsband mit Stacheln.
Ich war total erschrocken und wollte sie schon wieder zu machen als er plötzlich sagte, das er zu John will. Kannst du dir das vorstellen? Das John mit so einem Kerl befreundet ist?"
Beruhigend strich er ihr über den Kopf und forderte sie auf, weiterzuerzählen.
"Sie waren die ganze Zeit in seinem Zimmer und haben Musik gehört. Irgendwann kam ich herein um mir den Stift zu holen, den er sich neulich geborgt hatte. Und da sah ich..."
Sie brach ab und schluchzte wieder. "Ganz ruhig, Schatz. Was hast du gesehen?"
"Sie...Sie hatten die Wände beschmiert!" Etwas verständnislos meinte er: "Wieso ist das denn so schlimm? Das kann man doch wieder übermalen. Wieso regst du dich deswegen so auf?"
"Du verstehst nicht...Nicht mit Farbe...Mit Blut..." Sie schüttelte sich vor Ekel.
"Blut? Woher hatten sie denn Blut?" fragt er vollkommen verwirrt.
"Sie hatten sich die Arme aufgeschnitten..." antwortete sie zitternd.
"Ich fasse es nicht! Sonst geht es denen aber schon noch ganz gut! Warum haben sie das getan? Das ist doch widerlich!" rief er empört. Sie hob schwach die Hand um ihn zu unterbrechen und sagte leise: "Sie waren betrunken. Auf dem Boden standen leere Flaschen.
Bier, Wein, Wodka...Alles mögliche. Dieser Kerl muss anscheinend etwas mitgebracht haben." Mit offenem Mund hörte er ihr zu. Das hätte er wirklich nicht erwartet!
"Ja, und dann?" "Ich bin ausgerastet...Ich habe mich aufgeregt. Ich habe ihn angebrüllt.
Aber er hat gar nicht richtig reagiert. Er war schon halb weg. Ich hab den Stecker von der Stereoanlage rausgerissen und dann... Dann hab ich ihm die CDs weggenommen."
"Hätte ich in deiner Situation vermutlich auch getan." Bemerkte er kopfschüttelnd.
"Ich war so fertig...Ich hab mich in die Küche gesetzt und mindestens eine halbe Stunde lang die Wand angestarrt. Ich hatte mich dann wieder beruhigt und wollte mich bei ihm entschuldigen. Aber er war nicht mehr da...Ich hab auf ihn gewartet und gewartet...Aber er ist nicht gekommen! Ich hab seine Freunde angerufen und die haben gesagt, das sie schon lange nichts mehr mit ihm zu tun haben und er immer mit solchen schwarzen Typen rumhängen würde." Er dachte eine Weile nach und frage etwas hilflos: "Meinst du ihre Hautfarbe?"
"Nein." Sie schüttelte den Kopf. "Die Typen sind angeblich schwarz angezogen."
Eine Weile schwiegen sie. Er musste erst mal diese Informationen verdauen und sie wandte sich wieder dem Fenster zu, in der Hoffnung, ihren Sohn zu sehen.
Irgendwann riss das Klingeln des Telefons die beiden aus ihren Gedanken. Sie rannte zu dem Apparat und riss den Hörer an sich. "Ja?" rief sie atemlos. "Spreche ich mit Frau Berger?"
Sie bejahte überrascht die Frage. "Frau Berger, hier spricht Herr Brandner von der Kriminalpolizei. Ihr Sohn sitzt hier bei uns in der Ausnüchterungszelle."
"Nein..." stöhnte sie fassungslos und sank auf einen Stuhl.
"Wenn sie vielleicht vorbeikommen könnten..." "Aber natürlich. Ich werde sofort kommen."
"Was ist los?" fragte ihr Mann, nachdem sie aufgelegt hatte. "Die Polizei...John...Er ist in der Ausnüchterungszelle..." stotterte sie und schlüpfte in ihren Mantel.

Eine Viertelstunde später waren sie auf dem Polizeirevier und ein junger Polizist fragte sie lächelnd, was sie brauchten. Sie erklärten weswegen sie hier waren. Sein Lächeln verschwand plötzlich und er murmelte etwas von, das er den Kommissar holen müsste. Ein paar Minuten darauf kam er mit einem älteren Mann, dessen Haare bereits ergrauten, zurück.
"Wo ist mein Sohn?" rief sie aufgeregt. "Beruhigen sie sich Frau Berger. Ihrem Sohn geht es soweit gut. Er ist immer noch in der Zelle und wird voraussichtlich die Nacht dort verbringen." Erklärte der Kommissar ruhig, als wäre das vollkommen normal.
"Aber wieso?" sagte er überrascht. Der Kommissar wechselte einen Blick mit seinem Kollegen und erklärte dann: "Er hat in seinem Rausch ein Verbrechen begangen."
"Was für ein Verbrechen?" Sie rang verzweifelt nach Atem und klammerte sich an dem Arm ihres Mannes fest, der sich nur mit Mühe beherrschen konnte.
"Er hat zusammen mit einem anderen Jungen, der jetzt ebenfalls hier ist, versucht eine Frau zu vergewaltigen." Sie griff sich an die Brust und sackte im gleichen Moment zusammen.
Vor ihren Augen begann es zu flimmern und sie hörte schwach wie jemand etwas von Krankenwagen sagte. Unter sich spürte sie den kalten Plastikboden, der Polizeistation.

Eine Woche später war die Beerdigung. Die Todesursache lautete Herzstillstand.
Sie erfuhr niemals, das ihr Sohn nicht an dem Verbrechen schuld war. Und sie erfuhr auch niemals, das er einer der bedeutendsten Stars von Amerika werden würde.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.09.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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