Peter Schultheis

Zwanzig Jahre

Zwanzig Jahre                                                         

Neulich hing ich in meiner alten Gegend ab.

Irgendwo in West-Berlin.

Ich war seit zwanzig Jahren nicht mehr hier.

Wenn ich seit zwanzig Jahren nicht mehr hier war dann wäre ich jetzt etwa.

Na ja, damals war ich etwa fünfundzwanzig Lenze alt.

Der Kreuzberg sah immer noch gleich aus.

Die Türken sind älter geworden und es schnupperte immer noch nach Döner.

Der Geruch ist ein Markenzeichen für die größte Dönerbude der Welt.

Wenn ich meine Augen schloss, hatte ich das Gefühl das ich nur zwanzig Minuten weggewesen sei.

 Aber als mich eine alte pummelige Nutte anrempelte wusste ich wieder in welcher Zeit ich mich befand.

Ich wackelte den Marktplatz runter und setzte mich in eines der zahlreichen Cafés am Rand des bunten Treibens.

Ein Azurblauer Himmel und ein laues Lüftchen luden mich ein.

Und da es schon elf Uhr war bestellte ich mir einen Kaffee und ein Pils.

Ich zog eine Zigarette aus meiner Packung und steckte mir eine an.

Zwanzig Jahre, Zwanzig Jahre-diese Worte sprangen wie ein scheues Reh durch mein Hirn.

War es Sommer 1981 oder so, ich kann mich nur noch vage daran erinnern..

Ich hing mit ein paar Freunden in unserer Stammkneipe ab.

Wir spielten Kicker und im Hintergrund liefen die Anfänge der neuen deutschen Welle.

Damals war West-Berlin noch das Eldorado für Spinner, Ausreißern und Kriegsdienstverweigerer.

Genau mein Pflaster.

Und da hatte ich Daniela kennengelernt.

Daniela.

Daniela arbeitete damals als Kellnerin in dem Schuppen.

Sie war etwa einundzwanzig Jahre alt und sah sehr gut aus. Wir verstanden uns auf Anhieb.

Ich überraschte mich selbst das sie eigentlich der Grund war das ich gerne hier Gast war.

Passierte mir nicht oft zu dieser Zeit aber sie hatte etwas. Und das faszinierte und fesselte mich.

War ich verliebt?

Dann kam die Zeit das ich mehr bei ihr an der Theke abhing als Kicker mit den Jungs zu spielen.

Ich spielte ehe schon gut genug. Was soll’s.

Und mit Daniela zu spielen wäre mal was Neues.

Zu jener Zeit hatten wir viel miteinander zu tun aber hey...keinen Sex, einfach nur so.

Wir fingen an uns auch privat zu treffen und konnten über alles quatschen.

Mir gefällt es immer wieder gut, Menschen zu treffen und über alles labern zu können.

Wem nicht ?

Gibt es leider viel zu selten auf dieser Erde.

Wir tranken Tee bei ihr, und rauchten die Tüten bei mir.

Wir marschierten auf Demos und gingen auf fette Konzerte.

Eigentlich war es ein Verhältnis, halt ohne Sex.

Ein sehr vertrautes Verhältnis.

Das hört sich jetzt vielleicht ganz schön bescheuert an, aber das hätte nicht dazu gehört.

Noch nicht.

Ich hatte einen Freund gefunden.

Einen mit Busen und einer Muschi.

Und wenn an ihr noch ein Flaschenöffner gewachsen wäre, ich hätte sie geheiratet.

ich war quasi wunschlos glücklich. Es war eine sehr schöne Zeit. vier schöne Monate.  

Das Pils war leer und ich bestellte mir ein neues.

Der Ober ließ sich Zeit, aber ich hatte auch genug davon.

Zwanzig Jahre, zwanzig Jahre !

Scheiße, was ist passiert.

Selbst meine Haare sind zwanzig-mal weniger geworden.

Aber das ist eine andere haarige Story.

Ich hatte damals verschiedene Hobbys.

Bier trinken, Kicker spielen und nebenbei Fluchthelfer.

Ich verdiente nebenbei Geld um Ostberliner nach Westberlin zu bringen.

Ein gewagtes Unternehmen.

Es gab schlimmeres, andere arbeiteten bei der Post.

Ich arbeitete dafür dass zwei getrennte Völker wieder zusammen fanden harte gegen D-Mark, versteht sich.

Wie dem auch sei.

Bei einer solchen Transaktion wurde ich von der Volkspolizei geschnappt

und sicherheitshalber für sechs Wochen in ,,Schutzhaft“ genommen worden.

Berufsrisiko.

Nach sechs Wochen kam ich endlich wieder zurück nach Westberlin.

Ich hatte schon gedacht dass ich in diesem Leben keine echte Banane mehr zu sehen bekomme.

Nachdem ich wieder im goldenen Westen war, spazierte ich direkt in meine Kneipe um mich mit Daniela zu treffen.

Sie war nicht da.

Ich befragte einen Kollegen von ihr und er erklärte mir dass sie hier nicht mehr arbeitete.

Sie hätte vor einer Woche gekündigt und ist seit dem auch nicht mehr gesehen worden.

Sie hatte keine Ahnung gehabt wo ich steckte.

Sie wusste nicht dass ich sechs Wochen in Ostberlin festgehalten worden war.

Sie hatte gedacht ich hätte sie einfach verlassen.

Einfach so.

Daniela war weg und keiner wusste wo. Das tat weh.

Das tat richtig weh.

Es war wie ein kleiner Tot.

Ich bestellte mir noch ein Pils denn der Kellner stand gerade günstig in meiner Umlaufbahn.

Zwanzig Jahre, Zwanzig verdammte Jahre...!

Was hatte ich mir damals dabei nur gedacht.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.07.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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