Evelyn Goßmann

Der Feind - ein Stück von mir!

Draußen in der Welt lauern sicher viele Feinde unterschiedlichster Arten, mal sind es Menschen die uns nicht wohlgesonnen sind, mal Tiere die allerdings kaum jemals aus Bösartigkeit handeln, Katastrophen, Unglücke oder Bedrohungen anderer Arten. In der heutigen Zeit können Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Nöte ebenso große Feinde sein.
Zwischen diesen Möglichkeiten gibt es auch Feinde ganz anderer Art, ebenso wie eine Krankheit die zu unserem Feind wird oder als solcher betrachtet wird und mit der man sich auseinander setzen muss.
Es war im Sommer 1982, als ich in der Nacht von heftigen Herzschmerzen beunruhigt wurde, und nach der ersten Versorgung der herbeigerufene Notarzt den Transport ins Krankenhaus veranlasste.
Dort wurde ich stationär aufgenommen, behandelt und es schien langsam wieder bergauf zu gehen. Die Herzrhythmusstörungen bekamen sie in der Klinik gut in den Griff und ich blickte frohgemut meiner baldigen Entlassung entgegen.
Bei einer abschließenden Untersuchung hatte ich unerklärliche Schmerzen im Fuß und der Wade, konnte täglich schlechter laufen, und die ganze Umgebung war dick und rot und schwoll täglich mehr an. Bald war das gesamte Bein nur noch ein monströses Gebilde und hatte keine Ähnlichkeit mehr mit dem was es war.
Tja, statt heimwärts zu marschieren wie ich es mir ausgemalt hatte wurde ich nun echt in die Mangel genommen, um den Feind aufzuspüren der sich da Hals über Kopf bei mir eingenistet hatte. Ein echt schwierges Unterfangen das sich über Monate hinwegzog, ohne dass ein Erfolg zu verzeichnen gewesen wäre, denn niemand schien den Eindringling zu erkennen, geschweige zu wissen wie man ihm zu Leibe rücken könnte.
Inzwischen war mir mein Bein so fremd geworden dass es wirklich eher zu meinem ganz persönlichen Feind wurde, mit dem was ich  alles zu ertragen und auszuhalten hatte. Acht lange Monate legte mir der Fremdling immer neue Torturen auf die ich zu ertragen hatte. Immer neue Erscheinungsbilder zeigte er wie ein Teufel, der sich in immer andere Formen zu verwandeln schien, ohne dass man ihn je hätte beim Schopf packen und ausrotten können.
Mein Bein war nicht mehr länger mein Bein das zu mir gehörte, mich alle Wege getragen hatte und mich nun einfach im Stich zu lassen schien. Es gehörte doch zu mir, war ein Stück von mir und verhielt sich nun wie mein ärgster Feind, der sich immer neue böse Schikanen auszudenken schien, wie er mich so richtig fertig machen könnte. Jedenfalls war nichts normal was diese ganze Geschichte anging, so sahen es auch die Fachleute die alle hinzugezogen wurden und deren Rat man gerne hören wollte. Ich sah jedoch täglich nur in ratlose Gesichter, wurden neuen qualvolen Tests ausgesetzt aber nichts brachte ein Ergebnis mit dem man den Feind hätte ausrottten können. Er schien sich recht wohlzufühlen im Gegensatz zu mir denn er breitete sich lustig aus, nahm mal diese mal jene Farbe an, ärgerte inzwischen Nerven, Knochen und Gelenke, machte alles steif und unbeweglich, und traktierte mich mit immer stärker werdenden Schmerzen. Ich fühlte mich dem sehr hilflos ausgeliefert, und manche Bemerkungen des Professors ließ meine Stimmung eher auf den Nullpunkt sinken. "Kaufen sich einfach ein neues Bein bei C&A," war so ein Spruch den er gerne nach der Visite zurückließ, wenn das Dinge wieder mal so gar keine Ähnlichkeit  mit einem menschlichen Körperteil aufwies. Das alles ohne ein weiteres Wort war dazu angetan das Bein bald als meinen persönlichen, ganz speziellen Feind zu betrachten, es schien mir nicht mehr zu gehören - und so wollte ich es auch nicht, denn es versagte mir jeden Dienst inzwischen und quälte mich täglich mehr mit furchtbaren Schmerzen - was ich aber niemals zugegeben hätte.
Wie aber bekämpft man einen Feind, der sich so deutlich und unerbittlich zeigt aber den man nicht kennt, wie kann man ihm seine giftige, bösartige Maske entreißen und damit bekämpfen und am Ende besiegen?  Ja genau so erschien es mir manchmal: wie ein Feind mit grässlicher Fratze,  und ständig wechselnden Masken, der sich diebisch darüber freut, einen so ungehindert piesacken, quälen und an der Nase rumführen zu können, und dabei alle Register seiner sadistischen Quälerei richtig austoben zu können, ohne das ihm einer hätte Einhalt gebieten können. Manchmal hatte ich bei der Visite das Gefühl das das Bein nur deshalb die Farbe und sein penetrantes abscheulichew Aussehen noch wechselte, um ihnen allen so richtig zu zeigen, wie machtlos und hilflos sie diesem unbekannten Feind gegenüber doch waren - aber auch wie unbesiegbar er doch schien.
"Warte, dich kriegt man schon noch", begann ich oftmals mit ihm zu reden, als könne er mich verstehen - fand es selbst lächerlich mit seinem Bein zu reden aber wer weiß, wir waren doch mal gute Freunde gewesen - und da wir doch schon lange Jahre durch dick und dünn gegangen waren musste es doch auch ein wenig Mitleid haben mit mir und einfach mal wieder aufhören mit dem teuflischen Spiel."
Unweigerlich drängten sich mir in manch schlafloser Nacht Erinnerungen auf, was wir gemeinsam alles gemacht und geschafft hatten. Hatte ich dich etwas unwissentlich geärgert, überfordert auf irgendwelche Weise? Ich war mir keiner Schuld bewusst, nicht mal mit Stöckelschuhen hatte ich dich länger als notwendig gequält, immer war ich eher sportlich unterwegs. Getanzt hattest du wohl ebenso gerne wie ich, was also solltest du mir da übelgenommen haben, was nun solche Folgen und Ausmaße annahm? Schon hatten mich diese Rückblicke fest im Griff und einmal mehr verwünschte ich diesen Feind der es meisterlich verstand sich ständig neue Tarnkappen aufzusetzen, damit man ihn nicht fangen könnte.
Ab und zu wurden diese Gedanken unterbrochen vom freundlichen Besuch der Nachtschwester, die bei ihrem Rundgang schon in gewohnter Manier zu sagen pflegte: "Ach, ich dachte schon, wenn ich heute komme ist das Bein geplatzt." Erst als Scherz aufgefasst machte es mir zunehmend Angst, wenn ich das unförmige Ding betrachtete, mir wurde klar dass es wirklich aussah wie ein Melone die gleich platzen müsste. Nach außen aber war ich nicht bereit mir diese Vorstellungen anmerken zu lassen, glaubte immer noch an ein Wunder.
Doch ich musste mich trennen - der Teil von mir wurde zu einem tödlichen Feind.
Erst in der allerletzten Sekunde, da ich den Tod schon spürte, rang mich dazu durch da mir bewusst wurde jetzt entscheide dich für das Leben - oder gib auf. Ich opferte den Feind für mein Leben!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.07.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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