„Drachen
sollen Legenden sein?“, rief ein braunhaariger Junge empört und erhob sich
dabei von seinem Hocker. „Das ist das Dümmste, was ich je in meinem bisher
kurzen Leben gehört habe!“
„Aber,
Drake, wenn ich es dir doch sage.“, entgegnete ein älterer Mann. „Niemand hat
je einen Drachen gesehen. Das sind alles nur Märchen, die man euch kleinen
Kindern erzählt.“
„Pah!“,
protestierte der Junge namens Drake erneut. „Das ich nicht lache. Drachen
sollen nicht existieren? Wenn das wahr ist, dann will ich nicht länger mehr
hier leben!“
Der
alte Mann stand auf, blickte ihm jedoch noch einmal tief in die Augen.
„Drake,
du jagst Fantasiegebilden nach. So etwas wie Drachen und Elfen gibt es nicht.
Nicht in dieser Welt. Doch wenn du mir je beweisen kannst, dass ich mich geirrt
habe, dann glaube mir, erfülle ich dir jeden Wunsch!“
Drakes
Augen verengten sich. Schließlich folgte ein schelmisches Lächeln.
„Jeden
Wunsch?“, wiederholte er noch einmal. „Wahrhaftig jeden?“
„Alles,
was in meiner Macht steht, mein Junge.“, bestätigte der Alte noch einmal und
lachte kurz auf. „Wenn mich mein altes Auge nicht trügt, dann sehe ich in
deinem 17-jährigen Gesicht noch immer den Jungen, den ich dort schon vor 10
Jahren gesehen habe!“
„Ach,
sei still!“, grummelte Drake und schob den Hocker näher an den Tresen, an dem
sie beide gesessen hatten. „Ich bin viel männlicher, als du es dir vorstellen
kannst.“
„Oh,
ja. Sogar das glaube ich dir. Aber die Sache mit den Drachen“, er wedelte
drohend mit seinem Finger, „da lasse ich mich nicht beirren. Ich bleibe dabei:
Es hat sie nie gegeben, es gibt sie nicht und es wird sie auch niemals geben!“
Drake
wartete, bis der alte Mann das Lokal verlassen hatte, erst dann setzte er seine
siegessichere Miene auf und murmelte leise vor sich hin: „Und es gibt sie doch!
Es muss sie einfach geben!“
„Wenn
du dich da mal nicht irrst!?“, ertönte kurz darauf eine tiefe Stimme hinter
ihm, so dass er herumfuhr.
Der
Wirt stand hinter ihm, mit seiner typischen Sorgenfalte auf der Stirn.
„Stürz
dich nicht immer in Sachen hinein, wo du mit keiner Genauigkeit sagen kannst
ob, oder ob nicht. Denn fallen kann man überall. Vergiss das nicht.“
„Ja,
ja, Jenks.“, entgegnete Drake abwimmelnd. „Es macht aber Spaß sich mit dem
alten Mann zu messen. Ich kenne ihn nun schon seit ich Denken kann und niemals
lag er falsch. Irgendetwas muss es geben, das er nicht weiß. Und vielleicht
kriege ich ja mit der „Drachen-Geschichte“ das, was ich will.“
„Kinder.“,
grummelte Jenks kopfschüttelnd und schlenderte um den Tresen herum. „Müsst ihr
denn immer das letzte Wort -“
Er
brach ab und blickte an Drake vorbei. Irgendetwas schien Jenks zu beunruhigen,
denn er stellte das Glas ab und seine Sorgenfalte kehrte wieder. Drake, der erst
verwundert auf das Glas und dann auf die tiefe Furche auf Jenks’ Stirn sah,
ging letztlich den Blick des Wirtes nach.
Er
entdeckte eine Gestalt in der hinteren Ecke des Lokals, in der vor kurzem noch
niemand gesessen hatte.
„Drake,
hast du gesehen, wie du Tür aufging?“, fragte Jenks leise, doch Drake antwortete
kopfschüttelnd.
Nein,
das hatte er wirklich nicht gesehen. Er hatte noch nicht einmal einen kühlen
Windhauch gespürt, obwohl es draußen schon merklich Herbst wurde.
„Warte
hier. Ich bin gleich zurück!“, versicherte Jenks ihm kurz und näherte sich dann
dem neuen Besucher.
Drake
beobachtete die beiden aus dem Augenwinkel.
Der
Fremde trug einen Hut mit langer Krempe, die er sich bis ins Gesicht gezogen
hatte. Leider konnte man dadurch noch nicht einmal erahnen, wie er aussah.
Nicht zu vergessen seine schmutzigen Stiefel, die eine lange Spur von Moder bis
zu seinem Platz hinterlassen hatten. Oder sein zerschlissener Mantel, der
sicher auch schon einmal sonnigere Zeiten gesehen hatte. Ja, allem in allem
konnte man sagen, sah er aus, wie ein alter Wanderer. Ein mysteriöser, alter
Wanderer, wie Drake es empfand.
Plötzlich
zuckte Drake zusammen: Der Wanderer hatte kurz zu ihm geblickt, auch wenn es
sich dabei um nicht einmal eine Sekunde gehandelt hatte. Und auch Jenks blickte
kurz darauf zu Drake. Dann schien er knapp zu nicken und näherte sich letztlich
wieder dem Tresen.
Drakes
nicht vorhandene Muskeln waren plötzlich bis ans Äußerste angespannt. Er konnte
sich nur schwer gegen den Drang einfach wegzulaufen wehren. Gedanken begannen
in seinem Kopf zu kreisen und ließen ihn ein leichtes Schwindelgefühl
empfinden, das jedoch sofort zur Übelkeit wurde, als er Jenks’ schwere Hand auf
seiner Schulter spürte.
„Drake.“,
fing dieser leise an. „Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat, aber der Fremde
verlangt nach dir.“
Noch
immer gegen seine Übelkeit ankämpfend, kniff Drake die Augen zusammen und
atmete einmal tief ein.
„Mich?“,
fragte er schließlich ruhig und blickte an Jenks vorbei, zu dem hinteren Tisch,
an dem der Fremde noch immer regungslos saß. „Was will er?“
Jenks
schüttelte mit dem Kopf und legte einen Finger an die Lippen.
„Ruhig!“,
bat er den Jungen und kam ein Stück dichter. „Seine Gründe wollte er nicht
nennen, aber er konnte mir deinen Namen nennen. Und gleichzeitig behauptete er,
noch nie in diesem Dorf gewesen zu sein.“ Er machte eine kurze Pause und senkte
seine Stimme dann weiter. „Wenn du mich fragst, dann hat das einen Haken. Geh
am besten nicht zu ihm. Geh nach Haus. Ich werde ihm sagen, dass deine Eltern
nach dir verlangt haben.“
Drake
schwieg und blickte tief in Jenks’ Augen. Wieder einmal konnte man seine Sorge
spüren. Sein Händedruck wurde ebenfalls mit jeder Sekunde stärker, so dass er
sich letzten Endes geschlagen gab.
„Gut,
richte ihm aus, dass es spät ist.“, murmelte er halb enttäuscht, halb erleichtert.
„Ich gehe jetzt nach Haus.“
„Guter
Junge. Geh!“
Jenks
klopfte ihm unmerklich auf die Schultern und versetzte ihm damit einen leichten
Stoß in Richtung Tür. Ohne den Fremden noch einmal zu begutachten, marschierte
Drake hinaus auf die Straße.
Drake
selbst spürte nicht, wie er mit jedem weiteren Schritt schneller wurde, bis er
irgendwann in einen Laufschritt verfiel. Erschöpft hielt er kurz inne und
schaute noch einmal zurück.
Es
waren gerade einmal zwei Minuten vergangen, seit die Tür hinter ihm zugefallen
war, doch ihm kam es bereits vor, wie eine halbe Ewigkeit.
Sicher
nur ein Missverständnis, dachte er sich wortlos, konnte sich jedoch nicht von
dem Anblick der Lokalfenster lösen, in denen noch immer das schummrige Licht
erkennbar war.
Es
waren vielleicht weitere zwei Minuten, die er so verharrte, bis ein leises
Rascheln ihn zusammenfahren ließ.
„Du
wolltest also nicht meine Gegenwart genießen?“, ertönte eine Stimme hinter ihm,
die so bedrohlich und markerschütternd war, wie nie eine zuvor. „Dabei bat ich
den Wirt doch, dich zu mir zu bringen!“
Drake
wandte sich auf dem Absatz um und erblickte den Mann aus dem Lokal nur wenige
Meter hinter sich, an eine Steinmauer gelehnt. Er hatte die Arme verschränkt
und sah zu Boden.
„Was
hat dich aufgehalten? Haben deine Eltern nicht nach dir gerufen?“, fragte der
Fremde weiter. „Solltest du nicht schnell nach Hause laufen? Oder hattest du
einfach nur Angst?“
Drake
fühlte sich ertappt und setzte einen Schritt zurück.
„Wer
sind Sie?“, fragte er schließlich ängstlich, wenn auch laut genug, um mutig zu
klingen.
„Lykan.“,
antwortete der Fremde und schob die Krempe seines Hutes hinauf. „So nennen mich
jedenfalls meine Gefährten.“
„Lykan?“,
wiederholte Drake. „Ich kenne keinen Lykan.“
„Richtig.
Aber das heißt nicht, dass ich dich nicht kenne.“, entgegnete Lykan und trat
nun ins Licht der Straßenlaternen. „Also, hast du vielleicht wenige Minuten
Zeit?“
Drake
antwortete nicht. Eher war er damit beschäftigt sein Gegenüber zu mustern. Im
Schein der Laternen war eine lange Narbe sichtbar, die sich über sein linkes
Auge erstreckte. Auch konnte Drake nun seine dunkle Haut erkennen. Oder sein
tiefbraunes Haar, das ihm locker ins Gesicht hing. Seine ebenfalls braunen
Augen hatten ihn fixiert, wie ein Raubtier seine Beute. Er wartete.
„Nun
gut.“, gab Drake plötzlich nach. „Wenige Minuten.“
„Fein.“,
rief Lykan und kam weiterhin näher, worauf Drake zurückwich. „Keine Angst, mein
Junge. Stell dir vor, ich bin ein alter Landstreicher. Was soll ich dir also
bitte tun wollen?“
„Das“,
sagte Drake mit hochgezogenen Augenbrauen, „kann ich mir bei besten Willen
nicht vorstellen!“
„Auch
gut. Dann nicht, aber ein wenig Vertrauen musst du mir entgegenbringen,
ansonsten funktioniert das alles nicht.“, bat Lykan erneut.
Drake
nickte widerwillig.
„Lass
uns in die Seitengasse gehen. Dort sind wir vor ungewünschten Gästen sicher.“,
schlug er und deutete auf eine nicht beleuchtete Gasse, die sich zwischen den
zwei kleinen Hauptwegen lag.
Abermals
gab Drake sein Einverständnis und folgte ihm, als er sich in Bewegung setzte.
In
vollkommener Dunkelheit bereitete ihm die Anwesenheit seines Gegenübers noch
mehr Unbehagen, als er schon im Laternenschein verspürt hatte. Und doch riss
Drake sich zusammen.
„Also,
was will ein „Landstreicher“ von einem 17-jährigen Jungen, wie mir?“, brachte
Drake das Gespräch in Gang. Lykan jedoch räusperte sich nur. Seine ganze
Präsenz schien sich zu verändern. Zwar konnte Drake seine Augen nicht sehen,
dennoch spürte er die Ernsthaftigkeit, die plötzlich die Umgebung erfüllte.
„Das
Tribunal schickt mich.“, begann Lykan nach wenigen Sekunden des Schweigens.
„Vor einst drei Monaten begann ich meine Reise, um den zu finden, der die Welt
vor dem Dunkel retten könnte!“
Drake
zog seine Augenbrauen erneut hinauf und legte seine Stirn in Falten. Trotz
dessen wagte er nicht Lykan zu unterbrechen. Er fuhr fort:
„Vor
genau einem halben Jahr begann der vielleicht unvermeidliche Krieg. Noch hat er
nicht ernsthaft begonnen, aber das Dunkel rüstet sich bereits. Bevor es jedoch zu
einem Gefecht kommt, entschied das Tribunal, muss etwas geschehen! Etwas von
Größe. Etwas, was uns alle bewahrt. Jemand, der alle Fertigkeiten eines guten
Kriegers vereint, musste her, so verlangt es das Tribunal.“
Erneut
schwieg Lykan kurz. Dann ein leises Räuspern.
„Also,
Gefährte, bist du so weit?“, fragte er dann und beinahe wären Drake die Knie
weggesackt.
„Ich?“,
entfuhr es ihm überrascht. „Soll das ein Scherz sein? Wenn ja, dann finde ich
das wahrlich nicht witzig.“
„Krieg
ist auch nicht witzig.“, knurrte Lykan und griff nach Drakes Hand. „Es ist
keine Frage, eher ein Befehl. Wenn das Tribunal nach dir verlangt, dann hast du
dich zu beugen.“
„Nu,
warte doch mal!“, presste Drake atemlos hervor und versuchte seine Hand aus dem
eisernen Griff Lykans zu befreien. „Es ist nur so… ich bin in meinem 18.
Lebensjahr, habe noch nie ernsthaft über das Wort „Krieg“ nachgedacht, besitze
keine Kraft und außerdem frage ich mich, was
für ein Tribunal?“
Lykans
Griff löste sich leicht, auch wenn er ihn noch immer festhielt.
„Das
Tribunal der Geflügelten.“, murmelte er schließlich. „Die Vier Großen, die
diesen Teil im Westen bewachen, als auch die Teile im Norden, Osten und Süden.
Aber das ist nicht von Wichtigkeit.“
„Wenn
ich für etwas kämpfen soll, dann will ich auch wissen, wofür.“, sprudelte es
beleidigt aus Drake heraus. „Ich habe kein Kriegerblut in den Adern, das mich
dazu bringt, mein Leben einfach wegzuwerfen. Ich bin ein Junge. Ein ganz
normaler Junge, der noch sein ganzes Leben vor sich hat.“
„Drake!“,
rief Lykan ein wenig energischer. „Es geht um die Zukunft der Erde. Willst du
wirklich so egoistisch handeln? Vielleicht bleiben dir noch 2 Jahre, um
friedlich zu leben, dann wirst du mit ansehen müssen, wie alle deine Lieben
hingeschlachtet werden. Willst du das wirklich?“ Lykan machte eine kurze Pause
und beobachtete Drake, wie er zu Boden blickte. „Sicher, es ist viel verlangt.
Und hätte ich einen anderen Jungen gefragt, würde dieser sicher genauso
reagieren. Aber, ich bitte dich, denk darüber nach. Es bleibt uns nicht mehr viel
Zeit. Zu lange schon habe ich nach dir gesucht. Vergiss das nicht.“
„Ja,
ich verstehe.“, sprach Drake erschüttert, dennoch wusste er nicht wirklich, was
er dazu sagen sollte.
„Okay.“,
gab Lykan schließlich auf. „Es bleibt noch viel zutun. Ich gewähre dir ein
wenig Zeit, in der du über alles nachdenken kannst. Komme mit dir ins Reine.
Wenn du so weit bist, werden wir dich holen.“
Lykan
hatte sich erhoben.
„Woher
willst du wissen, wann ich mir sicher bin?“
„Das,
mein Junge, lass mal meine Sorge sein.“
Bevor
er sich in Bewegung setzte, umschloss er noch einmal Drakes Hand und von einer
Sekunde zur nächsten jagte ein Schmerzstoß den nächsten.
Drake
zuckte zusammen und ging schließlich in die Knie.
„Was
tust du?“, fragte er stotternd, doch Lykan antwortete nicht.
Das
Gefühl von Übelkeit kehrte wieder, dann der Schwindel und schließlich wurde ihm
schwarz vor Augen, wo sie sich doch gerade an die Finsternis gewöhnt hatten.
Er
spürte noch, wie Lykan ihn sanft zu Boden gleiten ließ. Dann war seine Hand
wieder frei, wenn auch der Schmerz noch immer in seinen Adern pulsierte.
Und
schließlich nichts mehr…
„Wieder
und wieder derselbe Traum!“, brummte Drake, als er in der Küche auf- und
abging.
Seine
Mutter hörte ihm angeregt zu, auch wenn sie gerade dabei war, dass Geschirr vom
Mittag zu spülen.
„Ich
frage mich langsam, ob ich nicht verrückt werde?“, platzte es schockiert aus
Drake heraus.
„Schatz,
beruhige dich! Es ist nur ein Traum, wie du selbst schon sagst.“, versuchte
seine Mutter ihn zu besänftigen. „Menschen haben öfter so etwas. Es ist kein
Grund verrückt zu werden. Glaube mir!“
„Ja,
aber dann ist da immer wieder dieser Schmerz, Mutter. Immer wieder und er hört
nicht auf. Selbst jetzt noch spüre ich ihn, als würde er in meiner Handfläche
sitzen und darauf warten, dass ich zu einer Entscheidung komme. Vielleicht soll
er mich wirklich daran erinnern, dass ich mich entscheiden soll.“
„Aber
warum denn? Es ist ein Traum, Drake. Träume sind Träume. Deshalb nennt man sie
so. Sie entstehen im Kopf und sind lediglich Produkte deiner Fantasie. Lass die
Geschichten ruhen. Vielleicht hört der Traum bald von allein wieder auf.“
„Mutter,
das sagst du so leicht.“, murrte Drake und ließ sich wieder auf einen der
Stühle plumpsen. „Das ist so deprimierend. Was würdest du sagen, wenn man dich
fragt, ob du an einem Krieg teilnehmen willst?“
„Nach
deinem Traum würde ich dem zustimmen. Ich könnte nicht mit ansehen, wie man
meine Liebsten hinrichtet. Auch wenn ich keine Kriegerin wäre, ich würde für
mein Land kämpfen.“
„Also
bin ich ein Verräter? Ich konnte mich in dem Traum einfach nicht entscheiden.
Einerseits wollte ich helfen, aber andererseits bin ich noch nicht bereit zu
sterben.“
„Niemand
ist bereit zu sterben. Besonders nicht Kinder in deinem Alter. Ihr solltet noch
nicht kämpfen. Aber, sieh doch mal, wenn du nicht sterben willst, wer sagt,
dass du es musst? So wie du es mir nun schon einige Male berichtet hast, hat
der Krieg noch nicht begonnen. Vielleicht wärst du in der Lage, die Situation
auch ohne Kampf zu retten?“
„Das
ist alles so ungewiss.“, verzweifelte Drake schließlich erneut und knallte
seinen Kopf auf die Tischplatte. „Ich weiß nicht, was ich tun soll. Vielleicht
hätte ich mich für den Krieg entscheiden sollen. Zu helfen ist immer noch
besser, als dumm herumzusitzen und darauf zu warten, dass man stirbt. So hätte
ich einmal mein Leben allein in der Hand.“
„Vielleicht.“,
gestand seine Mutter und setzte sich zu ihm. „Man kann einiges bewirken, wenn
man nur will. Nur muss man wissen wie!“
„Ja,
und genau das weiß ich nicht. Sollte ich, sollte ich nicht?“
„Schatz,
das ist deine Entscheidung. Ich unterstütze dich bei allem was du tust!“
Lächelnd
strich sie ihm durchs Haar und erhob sich. Gerade, als sie die Küche verlassen
wollte, stand auch Drake auf. Sie wandte sich noch einmal um und bemerkte seine
geballte Faust.
„Wenn
du an mich glaubst, dann kann ja nichts passieren. Es ist zwar nur ein Traum,
aber wenn ich ihn das nächste Mal träume, werde ich mich für den Krieg
entscheiden. Vielleicht werde ich dann sehen, wie die Geschichte ausgeht.
Immerhin erinnert sie mich genau an so etwas! Und vielleicht erfahre ich dann ja
auch, wer die vier Geflügelten sind?“
Drake
hatte gerade seinen Stuhl an den Tisch gerückt, als plötzlich von draußen laute
Rufe zu hören waren. Er und seine Mutter sahen sich erschrocken an und stürmten
schließlich zu den Fenstern.
Draußen
rannten Kinder, Frauen, Männer und sogar die Alten aus ihren Häusern. Niemand
wusste wohin er zuerst rennen sollte, denn überall drängelten sich die
Umstehenden.
„Was
ist das?“, fragte auf einmal Drakes Mutter und deutete auf etwas, das am Himmel
zu sehen war.
Sechs
dunkle Punkte waren zu erkennen, die mit beständiger Geschwindigkeit immer
größer wurden. Sie hielten direkt auf Hokston zu.
Schnell
war klar, dass diese Punkte der Grund des Chaos war, das langsam auszubrechen
drohte.
Ein
letztes Mal sahen Drake und seine Mutter sich an, dann stürmten auch sie
hinaus, um sich der Menge der Umstehenden anzuschließen.
„Seit
zwei Minuten sind dort diese Punkte am Himmel!“, berichtete die Tochter von
Drakes Nachbarn und deutete mit ihrem Finger auf die Schatten, die langsam an
Umrissen gewannen.
„Sind
das Vögel?“, hörte Drake jemanden aus der Menge rufen und alle Blicke richtete
sich auf das Ankommende.
Dann
herrschte Stille, bis schließlich klar war…
„Nein,
das sind keine Vögel!“, schrie jemand panisch. „Das sind geflügelte Monster.
Verstecke sich, wer kann!“
Wie
auf Kommando begannen alle Menschen auf den Straßen loszulaufen. Niemand
achtete mehr auf die Umgebung. Kleine Kinder wurden umgelaufen und gingen fast
in der Menge unter. Das Chaos war da!
Drake
sah ein kleines Mädchen, das weinend nach ihrer Mutter schrie. Sofort waren die
Wesen am Himmel vergessen, denn eine Gruppe hielt auf das Kind zu, die Blicke
noch immer zum Himmel gerichtet.
Drake
sprintete los.
Kurz
bevor die Gruppe das Mädchen erreicht hatte, riss er sie zu Boden und warf sich
schützend über sie.
Die
Menschen überrannten Drake förmlich, wie eine Horde wilder Pferde.
Dann
spürte er nur noch einen starken Windstoß, der die Bäume zum Biegen brachte.
Und schließlich Stille…
Drake
wagte es nicht, aufzublicken und doch wollte er es. In seinen Adern hatte das
Blut unerwartet zu kochen begonnen. Vielleicht vor Aufregung, vielleicht vor
Angst, vielleicht aber auch vor Neugier!?
Das
Mädchen stieß sich von Drake los und rannte in Richtung Haus, in dem sie
wohnte. Erst dann bemerkte Drake, dass er allein war.
Der
plötzliche Andrang, der auf den Straßen kurzzeitig herrschte, hatte sich
aufgelöst. Die Straßen waren so verlassen, wie seit langem nicht mehr.
Nur
Drake und…
Er
wandte sich langsam um und sah sich plötzlich 6 riesigen Wesen gegenüber, die
wie Vögel auf den Dächern der Häuser thronten.
„Was
–“, brachte Drake nur heraus und blickte sich zu allen Seiten um.
Alle
schienen ihn zu beobachten, auch wenn er die Menschen nicht sehen konnte. Von
sämtlichen Fenstern und Türen spürte er ihre Blicke, wie sie ihn prüfend
durchbohrten.
„Drake!“,
ertönte plötzlich eine tiefe Stimme, wie Drake sie schon zu oft gehört hatte.
„Lykan?“,
fragte er und widmete sich wieder den eben angekommenen Geschöpfen.
„Richtig,
mein Junge. Ich freue mich, dass du uns nicht vergessen hast!“
Lykan,
gekleidet in einem schwarzen, langen Mantel, erhob sich aus dem Sattel seines Wesens
und sprang vom Dach des Hauses, auf dem es sich niedergelassen hatte, als wären
die fünf Meter, die zwischen ihm und dem Boden lagen, nur ein kleiner Absatz!
Er
kam mit schnellen Schritten näher und hielt nur wenige Schritte vor Drake.
„Du
hast dich für den Krieg entschieden, damit für das Tribunal und gegen das
Dunkel. Du kannst nicht ahnen, wie stolz die Vier Großen auf dich sind.“,
murmelte er und wandte sich dann zu den vier größten, majestätischsten Wesen
um, die stolz und graziös zu ihn hinab sahen.
Drake
blickte ehrfürchtig zu ihnen hinauf. Er wusste nicht, was er zuerst empfinden
sollte: Stolz, Angst oder doch einfach nur Dankbarkeit?
Alle
vier ließen ihre kräftigen, mit Stacheln übersäten Schwänze durch die Luft
kreisen. Ihre Flügel hatten sie dicht an ihren Körper angelegt. Die Köpfe
hatten sie alle leicht gehoben, wie es sich für Könige oder Herrscher gehörte,
doch bei ihnen wirkte es noch nicht einmal arrogant. Nicht zu vergessen ihre
Pranken mit den schärfsten Krallen, die Drake je gesehen hatte. Oder ihre
weißen, messerscharfen Zähne.
Ja,
sie waren genau das, was Drake sich unter Drachen vorstellte.
„Ich
sagte doch, nur weil man es nicht sieht, heißt es nicht, dass es nicht da sein
muss.“, wiederholte Lykan seine einst gesagten Worte und klopfte Drake auf den
Rücken.
„Ja.“,
sprach Drake noch immer überwältigt. „Du hattest mit allem Recht.“
„Ich
sagte doch, du sollst mir glauben.“, sagte Lykan noch einmal beleidigt. „Aber
auch Misstrauen ist eine gute Eigenschaft. Sie kann dir im Krieg nur helfen.“
„Ja,
der Krieg.“, fiel es Drake erneut ein und er wandte sich um.
Er
sah seine Mutter in der Tür des Hauses stehen. Sie hatte Tränen in den Augen,
auch wenn sie lächelte.
„Lykan?“,
wandte er sich noch einmal an diesen. „Muss ich wirklich fort?“
„Drake.
Du weißt, dass wir dich nicht zwingen, aber entschieden ist entschieden.
Oder willst du deine Entscheidung rückgängig machen?“
Drake
schwieg.
Er
hörte die Schritte und Stimmen, die langsam wieder lauter wurden. Mit jeder
Sekunde kamen mehr Menschen auf die Straße, um die riesigen Drachenwesen zu
betrachten.
„Mein
Junge, geh!“, vernahm er dann auch die Worte seiner Mutter. „Du bist alt genug,
um mich zu verlassen. Versprich mir nur, dass du wiederkommen wirst, in welchen
Krieg du auch ziehen magst!“
Drake
wusste nicht, wie er reagieren sollte. Ohne Worte nahm er seine Mutter in den
Arm.
„Und
ich muss dir wohl einen Wunsch erfüllen?“
Drake
fuhr herum und sah den alten Mann, mit dem er gewettet und den er nun endlich
geschlagen hatte. Ein siegessicheres Lächeln konnte er sich nicht verkneifen.
„Kümmere
dich um meine Mutter.“, waren seine einzigen Worte, bis er wieder zu Lykan
ging. „Das ist mein einziger Wunsch, den ich habe. Pass auf sie auf.“
„Das,
Bürschchen, werde ich mit Freuden tun!“
Einen
kurzen Moment herrschte Stille.
Drake
besah sich noch mal jedes einzelne Gesicht, jeden einzelnen Grashalm und jeden
einzelnen Baum.
Dann
nickte er Lykan zu.
„Wenn
ich nicht packen muss, dann können wir los, wo auch immer die Reise hingehen
mag.“, sagte er widerwillig.
„In
ein Land, das du dir noch nicht einmal erträumen könntest.“, antwortete Lykan
lächelnd und ging mit ihm zu den sechs geflügelten Wesen zurück.
Fast
mit unmenschlicher Kraft sprang Lykan die fünf Meter wieder hinauf.
Dann
ertönte ein Wort in einer alten Sprache, von der Drake noch nicht einmal etwas
gehört hatte und plötzlich entfaltete einer der kleineren Drachen seine Flügel
und ließ einen nieder, damit er sich an ihm festhalten konnte.
Schwerfällig
hielt er sich an dem feinen Stoff fest, immer in der Angst ihn einzureißen und
fand sich irgendwann auf dem Sattel des Drachens wieder.
Es
war ein merkwürdiges Gefühl, einen so harten Sattel unter sich zu spüren.
Geblendet
von dem Licht, das sich in den Schuppen des Drachens reflektierte, blickte er
noch einmal zu den Menschen, die er kannte und liebte.
Viele
winkten ihm zu, bis er und die anderen sich schließlich in die Luft erhoben.
Wind
peitschte um seine Ohren, bis er nicht mal mehr die Worte Lykans verstehen
konnte, der direkt neben ihm flog. „Schön festhalten.“, war das einzige, was er
von seinen Lippen ablesen konnte.
Drake
wusste nicht, was ihn erwartete, aber etwas ließ ihn befürchten, dass er als
ein anderer wieder in das Dorf Hokston zurückkehren würde. Als ein ganz anderer
Mensch!