Germaine Adelt

Nancy

            Versonnen stand er da und betrachtete die Felder, die einst ihm gehörten. Die Hände in den Hosentaschen sah es so aus, als wolle er ewig stehen bleiben. Dann schloss er für einen Moment die Augen und sog den Duft der Wiese gleich neben ihm ein. Auch sie hatte er längst verkauft. Es war alles so ewig lange her und gleichzeitig war ihm klar, dass er sein Zeitgefühl längst verloren hatte.

            Fast lautlos trat sie hinter ihn und blieb schweigend stehen. Für eine Sekunde drehte er sich zu ihr um, um zu sehen, ob sie es wirklich war. Dann versank sein Blick wieder im Horizont und im wogenden Gelb des Rapses.

            Er wollte sie so gern berühren. Doch seine Hände hatten schon wieder angefangen zu zittern. Und so war es sicherlich besser, wenn er es bei den Hosentaschen beließ.

            Sie schwieg noch immer und sah ihn fragend an. Er musste lächeln und gleichzeitig trieb es ihm die Tränen in die Augen. Trotzig wischte er sich das Gesicht trocken. Dann ließ er sich wie ein plumper Sack auf den Boden fallen und blieb einfach sitzen. Sie tat es ihm nach. Natürlich weitaus eleganter. Nun berührte er sie doch und es war einer der Momente, die er so unendlich genoss. Einer, von dem er glaubte, dass ihm nichts weiter im Leben geblieben war, als diese Minuten.

 

            Das Händezittern nahm immer mehr zu und die Gleichgewichtsstörungen fingen an. Er konnte spüren, wie sich in seiner linken Kopfhälfte ein Vakuum ausbreitete und eben jenes Vakuum ihn nach links zog, ins Taumeln brachte. Es wurde Zeit, er musste los. Er musste nach Hause.

            Mühsam erhob er sich. Die Koordination seiner Beine war schon lange unwiederbringlich gestört und so stützte er sich vorn über auf seine Hände, um sich aufrichten zu können. Wie ein kleines Kind im Sandkasten, das gerade laufen gelernt hatte.

            Sie wartete geduldig auf ihn, so wie immer. Endlich stand er wieder aufrecht, um, so hoffte er, die fünfzig Meter bis in seine Kellerwohnung bewältigen zu können.

            „Komm, Nancy“, sagte er leise. „Komm, meine Kleine. Ich hab dir süße Sahne besorgt und sogar eine Scheibe Lachs.“

            Er hatte dafür den billigeren Fusel kaufen müssen. Aber das war sie ihm wert. Seit Jahren konnte er nicht mehr aufhören zu trinken. Er hatte alles verloren und alle hatten sich im Laufe der Zeit von ihm abgewandt.

            Nur diese kleine, schwarze, alte Katzendame nicht. Und dabei gehörte selbst sie nicht ihm, sondern der Nachbarin zwei Häuser weiter, deren Namen er schon lange vergessen hatte.

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