Evelyn Goßmann

Eine besondere Klassenfahrt

                   
Wir waren wohl so 12 bis 13 Jahre alt als sich – so ungefähr 48 Mädchen unserer Klasse, aufgeregt und fröhlich durcheinander schnatternd am Bus vor der Schule einfanden, um zu einer lang herbeigesehnten Klassenfahrt zu starten. Der Klassenlehrer und die zweite begleitende Lehrperson hatten alle Hände voll zu tun, das quirlige Völkchen im Bus auf die Plätze zu verweisen, und sich Gehör zu verschaffen. Das alles ist viele Jahre her, und man hatte den Anweisungen einfach Folge zu leisten. Es wurde durchgezählt ob auch alle anwesend waren, jeder seinen Nachbarn in dem Getümmele wiederfand und das Gepäck gut und sicher verstaut war. Als sich dann nach einer Weile jeder und alles am rechten Platz befand, und aus dem Ameisenhaufen eine sittsame Mädchenklasse einer höheren Schule zu erkennen war, durfte der Busfahrer auf gnädiges Geheiß des Lehrer endlich losfahren.
Gleich wurden fröhliche Liedchen angestimmt, die ob der guten Stimmung eher laut als schön waren. Aber wir hatten uns so lange auf die 5 Tage- Fahrt gefreut, dass man da auch der Freude einfach mal freien Lauf lassen musste. So ging die Fahrt für uns zügig und flott in Richtung Mosel ins Schullandheim.
Wir waren gleich begeistert, als wir das schloßähnliche Gebäude betraten und der Sturm auf die Zimmer und die wichtige Frage wer zu wem kam oder durfte, ließen keine Langeweile aufkommen. Natürlich wurde gleich die Umgebung erkundet, die wirklich wunderschön, sogar ein wenig verwunschen erschien mit allen den Weinbergen und dem geheimnisumwitterten bewaldeten Umfeld.
Im Vorfeld hatten wir uns schon ausgemalt was wir alles auf den Zimmern anstellen könnten, was ja meist nur am Abend geschehen konnte, da tagsüber meist irgendeine vorgegebene Sache laut Schulplan angegangen und erfüllt werden musste. Ist ja klar, dass wir uns darauf besonders freuten, da wir dann unter uns und mal endlich ohne Lehreraufsicht bzw. strenge Kontollen waren.
Am nächsten Tag erwartete uns dann eine große Überraschung als wir von einer ausgedehnten Wanderung in unsere Unterkunft zurückkamen. Es war eine zweite Schulklasse dort eingezogen, was ja nicht eigentlich etwas Besonderes ist, wohl aber in diesem Falle.
Irgend etwas war hier gleich anders, das spürten wir deutlich. Das war nicht so ein aufgescheuchter, laut singender, kichernder oder lärmender Haufen Mädchen, die immer etwas aushecken oder entdecken wollten. Sie erschienen uns zu sehr wohlerzogen und still, dass uns erst einmal ziemlich mulmig und unbehaglich wurde ob solcher Sittsamkeit.
Dann erfuhren wir aber das Geheimnis durch den Herbergsvater und den Klassenlehrer - warum hier alles so anders war als bei uns. Alle Mädchen waren taubstumm. Wir wechselten erst einmal alle ratlose und hilflose Blicke, und da wir auch eine Klasse waren, die immer fest zusammenhielt wenn es darum ging jemand zu helfen überlegten wir, wie und auf welche Weise  wir trotzdem miteinander kommunizieren könnten. Wir versuchten es mit freundlichen Blicken, Zeichensprache, richtungsweisenden Fingern, einfach alles was möglich war, um zu signalisieren dass wir sie willkommen heißen und auch gerne etwas miteinander machen wollten. Wir dachten es geht evtl. einfacher in Form von Spielen, und stellten nach Absprache mit unseren und deren Lehrpersonen die hören du auch sprechen konnten erst einmal eine große Stuhlrunde auf. Da uns einer der Lehrer verraten hatte dass diese Mädchen Musik besonders mögen, was wir gar nicht glauben und erst recht nicht begreifen konnten, haben wir einfach mal wie es unsere Art war, ein Liedchen geträllert. Sicher hat sich eine jede bei uns sich selbst gefragt wie das denn ankommen würde - und ob das der richtige Weg sei. Jedem war ein wenig beklommen zumute – wir zweifelten  und waren gespannt auf die Reaktion.
Eine seltsame Verwandlung ging in den Gesichtern der Mädchen vor. Fast verklärt erschienen uns die Blicke, mit denen sie an unseren Lippen hingen. Unfassbar war für uns, als nach dem letzten Ton ein tosender Beifall losging, der gar kein Ende mehr nehmen wollte. Ungläubig schauten wir in die große Runde - und in lauter strahlende, glückliche Augen, lachende Gesichter, und Handzeichen doch weiter fortzufahren mit Gesang. Wir aber waren so  fassungslos wegen des nicht enden wollenden Applauses, dass wir erst einmal die Frage an die Lehrer stellten, wie man denn so begeistert sein könne, wenn man den Gesang nicht hören kann.
Sie versuchen uns dann zu erklären, dass sich die Schwingungen  irgendwie übertragen sodass diese Riesenfreude dann ausgelöst werden konnte. Auf ihre Weise hatten sie das Lied „ gehört“. Der Bann war gebrochen, obwohl wir es nicht begreifen konnte wie so etwas geschehen und funktionieren konnte.
Im Überschwang unserer Freude, die natürlich auf uns zurückschwappte, kam eine Freundin auf die Idee dass ich alleine singen sollte. In der Schule machte ich das dauernd mit großer Freude, auch bei allen möglichen Feiern.Ich wußte nicht so recht, ob das angebracht sei und wir versuchten uns mit Zeichensprache und Hilfe der Lehrer die Meinung der andere Klasse zu erfahren. Die strahlenden Gesichter waren Antwort genug, und so sang ich  - allerdings auf speziellen Wunsch meiner Klasse - die Forelle von Schubert. Aufmerksame Augen hingen wie gebannt an meinen Lippen – ein Wahnsinnserfahrung für mich, die aber gleichzeitig ein großes Glücks  - und Dankbarkeitsgefühl in mir auslöste. Ein andächtige Stille begleitete mich, und niemals wieder habe ich solches Gefühl und solche Andacht empfunden die sich in dem ganzen Raum auszubreiten schien. Wahnsinn  - sie klatschten und klatschen und trampelten mit den Füßen , um zu sagen dass sie mehr hören wollten. Seit diesem für uns alle sehr glücklichen Abend hatten wir alle neue und wertvolle Erfahrungen gemacht. Wir hatten diese Mädchen bedauert und großes Mitgefühl gehabt als wir wussten welches Leid sie tragen mussten, und uns gefragt wie es sein würde wenn wir so auf die Welt gekommen wären, und wie anders wir wohl leben müssten. Sie aber hatten uns gezeigt wie glücklich auch sie sein konnten - und dass wir mit einem kleinen Liedchen eine große Brücke hatten bauen können.
Nun gab es keine Hemmschwellen mehr, die Verständigung klappte mit Händen und Füßen oder kleinen Mitteilungen die auf Zettelchen geschrieben wurden, sogar Freundschaften entwickelten sich, und lange Briefe wurden gewechselt.
Bei unserer Abreise wünschten sie sich - ein Lied.......und unsere Lehrer hatten auf der Rückfahrt eine sehr gesittete, nachdenkliche Klasse!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.07.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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