Silvia Pree

Höhere Ineressen

Nimm’s nicht so schwer!
Margots mitfühlende Stimme tönte an Ewalds Ohr.
Komm.
Machen wir uns einfach einen schönen Abend.
Denken wir nicht an das Ganze.
Zumindest ein paar Stunden.
Lass uns ein paar alte Jazz- und Swingplatten hervorkramen.
Und dann holst du uns den Wein herauf.
Du weißt schon.
Der, den Hubert neulich mitgebracht hat.
Vom Spanienurlaub…
Margot streichelte über sein Gesicht.
Küsste ihn auf die Wange.
Ärgere dich nicht mehr.
Die alten Scheiben und der Wein…
Und morgen sieht die Welt anders aus…
Seine Margot!
Ewald blickte etwas unwillig.
Aber dem Schwung seiner Frau konnte er sich nicht entziehen.
Und hatte sie nicht Recht?
Er konnte es nicht ändern.
Nicht mehr.
Er würde Schmidt weiter ertragen müssen.
Auch wenn ihm das nicht leicht fiel…

Nach Mitternacht saß er noch immer auf der Couch.
Margot war eng an ihn gekuschelt.
Ihre Arme hatte sie um seine Schultern gelegt.
Sie war eingeschlafen…
Ewald seufzte.
Die beschwingte Musik hatte ihm gut getan.
Ihnen beiden…
Er schloss die Augen.
Glenn Miller’s Orchestra spielte Moonlight Serenade an…
Ewald ließ den Tag kapitulieren.
Den Tag, auf den er so viele Hoffnungen gesetzt hatte…
Seit fast zwanzig Jahren war die Firma sein zweites Zuhause.
Als junger Spund hatte er angefangen.
Viele Überstunden.
Aber auch viel Idealismus.
Ja, das war er!
Immer mit Herz bei der Sache.
Und der Job hatte ihm Freude gemacht.
Selbst als er Margot kennen und lieben gelernt hatte.
Und sie schließlich geheiratet hatten…
Ewald nickte in Gedanken.
Ein gutes Team.
Eine tolle Zeit.
Eine wirklich tolle Zeit…

Vor etwa sechs Jahren war ein neuer Chef gekommen.
Horst Kapfinger.
Kapfinger hatte frischen Wind in die kleine Firma gebracht.
Nicht allen war das Recht gewesen.
Mancher Kollege hatte lamentiert.
Um schließlich das Handtuch zu werfen.
Ihm, Ewald, hatten die Neuerungen nichts ausgemacht.
Er war flexibel.
Er konnte sich anpassen.
Und im Grunde musste man dem neuen Boss Zeit geben.
Sich zu manifestieren.
Seine Ideen und Pläne umzusetzen.
An ihm, Ewald, sollte das nicht scheitern…
Davon war er lange überzeugt gewesen.
Das hätte er jederzeit unterschrieben.
Zumindest…
Bis Kapfinger schließlich Schmidt angestellt hatte.
Anstelle eines Kollegen, der gekündigt hatte.
Schmidt…

Ewald spürte Margots Atem auf der Haut.
Ganz gleichmäßig atmete sie.
Sie fühlte sich so weich an…
Schmidt war ein Schleimer.
Ein unangenehmer Kollege.
Falsch und nicht immer ehrlich.
Und er verfügte über eine spitze Zunge.
Sehr spitz…
Von Anfang an war er, Ewald, das Opfer von Schmidt gewesen.
Musste dessen beißenden Spott ertragen.
Sei es nun über seinen leichten Bauch.
Oder die lichter gewordene Haarpracht.
Aber auch über seine Arbeitsleistung.
Wenn du weiter so herumschusselst, wird die Statistik nie fertig!
Spitze Worte.
Sie schmerzten.
Jedes Mal mehr.
Nach und nach hatte er, Ewald, die Freude am Job verloren.
Es hatte ihn angeödet, morgens aufzustehen.
Sein Schwung war ihm verloren gegangen.
Und er rauchte bald eine Zigarette nach der anderen…

Schmidt war ihm nicht sympathisch.
Überhaupt nicht.
Andere ignorierten den Kollegen einfach.
Oder bellten zurück, wenn er zu frech wurde.
Oder zu bissig.
Dann zog Schmidt gleich den Schwanz ein.
Aber ihm, Ewald, lag das nicht.
Er schluckte jede Frechheit.
Und ertrug Schmidts süffisantes Lächeln.
Weil er keinen Verdruss wollte.
Weil er wusste.
Der Chef stand hinter Schmidt.
Er war überzeugt von ihm.
Eine Beschwerde hätte er nicht gelten lassen.
Vermutlich hätte Kapfinger nur den Kopf geschüttelt.
Geht einmal auf ein Bier miteinander.
Redet miteinander.
Abseits der Firma.
Das wird schon!

Ewald schreckte auf.
Die Musik war zu Ende.
Glenn Miller hatte ausgespielt…
Sachte löste sich Ewald von Margot.
Sie wurde nicht einmal wach dabei.
Ewald schaltete den Plattenspieler ab.
Steckte die alte Platte in die Hülle.
Er hatte sie von seinem Vater bekommen.
Wie so manchen anderen Jazz- und Swingklassiker.
Juwelen der Musik…
Auch wenn der Klang nicht mehr glasklar war.
Verloren starrte er durch den Raum.
Das Licht war gedämpft…
Es war ihm wie ein Wink des Schicksals erschienen.
Der Boss hatte vor Monaten mit einer anderen Firma Kontakte geknüpft.
Man wollte in Zukunft enger zusammenarbeiten.
Sich gegenseitig ergänzen…
Nach einer Besprechung war die Frage im Raum gestanden.
Unmittelbar.
Wir machen einen Mitarbeiteraustausch.
Damit wir uns besser kennen lernen.
Uns besser aufeinander abstimmen können.
Wer da Interesse hat, meldet sich bei mir.

Vor Aufregung hatte er lange nicht einschlafen können.
Welch ein Gedanke!
Weg von der Firma!
Weg von Schmidt!!!!!
Für ein halbes Jahr oder länger!
Das fühlte sich an wie Weihnachten und Ostern!
An einem Tag!
Ein paar Tage später war er in das Büro des Chefs gegangen.
Ich stelle mich gerne für den Austausch zur Verfügung.
Ich kenne unsere Firma in- und auswendig.
Und ich bin anpassungsfähig…
Ich mache mir keine Gedanken wegen der Umstellung
Das schaffe ich sicher…
Der Boss hatte ihn scharf angesehen.
Dann hatte begonnen seinen Bart zu kraulen.
Er, Ewald, war unsicher geworden…
Warum zögerte Kapfinger?
Er, Ewald, war doch der beste Mann für diesen Austausch!
Nur er kam dafür in Frage…
Schließlich hatte der Chef den Kopf geschüttelt.
Nein.
Nicht, dass das nicht alles stimmt, was Sie sagen.
Aber gerade darum kann ich nicht auf Sie verzichten.
Ich brauche Sie hier viel notwendiger.
Im Interesse der Firma.
Verstehen Sie?
Ich kann Sie nicht gehen lassen.
Wir werden wohl Müller schicken…

Ewald hatte eine Stunde gebraucht sich zu beruhigen.
Drei Kaffees besser gesagt.
Den Kollegen war nichts aufgefallen.
Schmidts süffisante Äußerungen hatten ihn umso mehr getroffen…
Sein Kopf hatte zu schmerzen begonnen.
War das fair?
Am Nachmittag hatte er dann Margot angerufen.
Er hatte sich kurz gehalten.
Fast emotionslos.
Weil er nicht allein im Büro gewesen war.
Aber Margot hatte seinen Kummer sofort gespürt.
Es tut mir Leid für dich…
Aber du weißt, wie das ist.
Höhere Interessen…
Für dich wäre es das Beste gewesen.
Das wissen wir beide.
Aber das ist deinem Boss nicht bewusst.
Vielleicht wäre es ihm auch egal…
Machen wir uns nichts vor!
Lass dich nicht unterkriegen, ja?
Ich liebe dich.
Ewald räumte die Weingläser weg.
Drehte die angebrochene Flasche Wein in der Hand.
Verschloss sie wieder.
Und stellte sie in den Kühlschrank.
Langsam drehte er sich um.
Beobachtete seine Frau auf der Couch.
Ihr Kopf war leicht nach vorne gesunken.
Seine Margot…
Was würde er ohne sie tun!
Ewald gab sich einen Ruck.
Er musste Margot wecken.
Sie sollten schlafen gehen.
Und Margot hatte sicher Recht.
Morgen war ein anderer Tag.
Es wurde nicht besser, wenn er sich selber Leid tat…

Vivienne
www.aus-den-tiefen-meiner-seele.com 


 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.07.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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