Karl Bednarik

Rochen und Seepferdchen

 
(Die vierte Schlacht um Ganymed)
 
Raumschiffe und U-Boote haben einige Gemeinsamkeiten,
obwohl es zwischen ihnen auch einige Unterschiede gibt,
vor allem, was ihre direkte Umgebung betrifft.
(Ausspruch modifiziert und geklaut von Hans Kneifel.)
 
Obwohl die Erde das erklärte Ziel von außerirdischen Invasoren
ist, finden die meisten Schlachten um die Herrschaft über unser
Sonnensystem bei den äußeren Planeten statt. Das ist zu mehr oder
wenigen gleichen Teilen der terranischen Raumüberwachung,
und dem Vorhandensein des Planetoidengürtels zu verdanken.
 
Space Commander Graf Frederik von Hombug befand sich mit seinem
Shuttle gerade im erdnahen Orbit (LEO), als ein Funkspruch eintraf:
"Irgend ein durchgedrehter Killersatellit eliminiert gerade unsere
Kommunikationssatelliten im geosynchronen Orbit (GEO). Fliegen sie
hin, und schalten sie ihn aus."
 
Space Commander Graf Frederik von Hombug war ein Spezialist im
Ausschalten von Dingen, und man konnte fast glauben, daß ihm das
Ausschalten von Dingen Spaß machte.
 
Als Graf Hombugs Shuttle im geosynchronen Orbit ankam, stellte er
zuerst einmal fest, daß die fehlenden Kommunikationssatelliten nicht
nur beschädigt oder kleine in Stücke zerlegt waren, sondern sie
waren ohne jede Überreste einfach verschwunden.
 
Wie Graf Hombug bereits befürchtet hatte, war keine Spur eines
Killersatelliten zu sehen, mit dem Radar zu orten, oder auf dem
Infrarotbildschirm zu erkennen.
 
"Unsichtbare Dinge verdecken aber immer noch ihren Hintergrund",
dachte sich Graf Hombug, und er steuerte deshalb sein Shuttle auf
eine Umlaufbahn oberhalb oder außerhalb des geosynchronen Orbits.
 
Dann musterte er das Bild der Erde, und nach etwa acht Stunden
zog ein schwarzer, rochenförmiger Schatten über das Bild der Erde.
"Das war ja fast zu einfach" murmelte Graf Hombug, und flog langsam
auf dieses seltsame Objekt zu. Das hätte er lieber nicht machen sollen.
 
Das Objekt schwenkte blitzartig zu Hombugs Shuttle herum, zeigte zwei
Reihen von Haifischzähnen aus Diamant, und verschluckte das Schiff von
Graf Hombug glücklicher weise in einem Stück. Schlagartig wurde es
finster um Graf Hombugs Shuttle.
 
Graf Hombug schaltete die Außenscheinwerfer ein, und bemerkte, daß einige
robotische Greifzangen an der Außenhülle seines Shuttles herum zwackten.
Weil Space Commander Graf Frederik von Hombug ein Spezialist im Ausschalten
von Dingen war, zerschmolz er erst ein mal diese Greifzangen mit seinem Laser.
 
"Jetzt wäre es schön, wenn wir die Steuerzentrale dieses seltsamen Objektes
ausschalten könnten", dachte sich Graf Hombug, und er überlegte weiter:
"Auf Oberflächen bewegliche Objekte sind deshalb bilateral symmetrisch, weil
es oben und unten, sowie vorne und hinten gibt. Auf Oberflächen ruhende
Objekte sind deshalb rotationssymmetrisch, weil es oben und unten gibt.
Im Weltraum bewegliche Objekte sind deshalb rotationssymmetrisch, weil es
vorne und hinten gibt. Die bilateral symmetrische Rochenform deutet darauf
hin, daß dieses Objekt auch innerhalb einer Atmosphäre fliegen kann."
 
Graf Hombug brannte mit seinem Laser ein tiefes Loch durch jene Stelle des
Weltraumrochens, an der er die Steuerzentrale vermutete. Sofort hörten alle
mechanischen Aktivitäten des Objektes auf.
 
Graf Hombug watete im Raumanzug durch die Überreste der
Kommunikationssatelliten, und sammelte deren Mikroprozessoren ein, denn
diese würden ihm eine hohe Bergungsprämie einbringen.
 
Dann kletterte er aus dem Maul mit den vielen spitzen Diamantzähnen hinaus,
auf die Vorderseite des Weltraumrochens, wo er ein riesiges Auge vorfand.
Graf Hombug leuchtete mit der Taschenlampe in die Pupille hinein, und sah
ein seltsames Abbild des Sternenhimmels.
 
Die weiter entfernten Sterne waren als kleine Punkte abgebildet, die näher
liegenden Sterne waren als dünne, radial verlaufende Linien zu sehen, und
unsere Sonne hatte sich genau in der Bildmitte als dicker Lichtfleck eingebrannt.
Graf Hombug machte eine Fotografie, um später den Herkunftsort dieser seltsamen
Lebensform bestimmen zu können.
 
Dazu würde er aber noch längere Zeit nicht kommen, denn ein weiterer Funkspruch
traf ein: "Gehen sie sofort in den erdnahen Orbit, und übernehmen sie ein anderes
Raumschiff. Ein Wruksches Schlachtschiff hat die Flottenbasis auf Ganymed
bombardiert. Die Besatzung der Flottenbasis hat sich in ihre Bunker zurück gezogen,
und wartet nun auf unser Eingreifen."
 
Graf Hombug staunte nicht wenig, als er sein neues Raumschiff zum ersten mal sah.
Offenbar hatte jemand einen Autoreifen, eine dickbauchige Chiantiflasche, und zwei
Regenschirme irgendwie zusammen geklebt. Graf Hombug taufte sein neues Schiff auf
den Namen Seepferdchen, obwohl die Bezeichnung Schrotthaufen eher gepaßt hätte.
Durch das Wechselspiel von Licht und Schatten sah dieses Schiff gelegentlich wie
ein Seepferdchen aus, und Namen wie Hellfire oder Thunderstorm wären noch viel
weniger geeignet gewesen.
 
Der Autoreifen enthielt das Lebenserhaltungssystem und die Kommandozentrale.
Er war entlang seines großen Umfanges von parallelen Supraleitkabeln umgeben,
die außerhalb des Reifens ein riesiges Magnetfeld aufbauen konnten, während
im Inneren dieses stromführenden Rohres kein Magnetfeld entstehen konnte.
Das diente nicht nur zum Schutz vor dem Sonnenwind, sondern funktionierte auch
als M2P2-Triebwerk (Mini-Magnetospheric Plasma Propulsion). Weil sich parallele
Ströme gegenseitig anziehen, kompensierte das Magnetfeld auch teilweise den
Luftdruck im Inneren des Reifens, aber darauf hatte man sich glücklicherweise
nicht verlassen.
 
Die Regenschirme waren aufblasbare, gekrümmte Solarsegel, die neben dem von ihnen
erzeugten Lichtdruck auch einen heißen Sonnenfokus erzeugen konnten. In letzterem
befand sich die Graphitdüse des SOTV-Triebwerks (Solar Orbit Transfer Vehicle).
Einer dieser Schirme war so montiert, daß er seinen Schatten immer auf die
Supraleiter des Reifens, und auf die Chiantiflasche mit dem flüssigem Helium
warf, um beides immer kühl zu halten. Die riesige Chiantiflasche mit flüssigem
Helium steckte in der Mitte des Autoreifens, und wurde sowohl für das M2P2- als
auch für das SOTV-Triebwerk benötigt.
 
Die Weltraumtechniker hatten noch hastig einen zusammen gefalteten
Quarzglasfaserballon für die atmosphärische Bremsung, eine Gaußkanone,
und ein Führungsrohr mit einem 4FN4-Waffensystem eingebaut, was dem Seepferdchen
endgültig die Eleganz eines wahllos vollgestopften Kellerregals verlieh.
 
Graf Hombug freute sich zwar über das 4F, eine vierstufige Fission-Fusion-
Fission-Fusion-Nuklearwaffe mit rund fünfhundert Megatonnen Trinitrotoluol
Standardsprengkraft, aber das N4-Trägersystem dieser Waffe war bei der Raumflotte
nicht besonders beliebt. N4 war die Abkürzung für NERVA Version 4 (Nuclear Engine
for Rocket Vehicle Application), die das alte Timberwind-Programm abgelöst hatte.
NERVA war nichts anderes als ein weißglühender, nicht abgeschirmter Plutoniumreaktor,
der notdürftig mit flüssigem Wasserstoff gekühlt wurde. Auf Grund der austretenden
Strahlung, und der radioaktiven, weißglühenden Abgase wurde das N4-Trägersystem
von den Raumfahrern gerne als langsam explodierende Wasserstoffbombe bezeichnet.
 
Für Space Commander Graf Frederik von Hombug waren aber immer noch die Befehle
verbindlich, und ein Gegner war zu vernichten. Er drehte das Seepferdchen mit dem
Lichtdruck der Sonnensegel in die richtige Position, und leitete dann das flüssige
Helium in die glühende Graphitdüse des SOTV-Triebwerks, was das Schiff zügig aus
der Magnetosphäre der Erde hinaus brachte. Draußen, im Sonnenwind, flutete er das
Magnetfeld des Schiffes mit Heliumplasma, was eine hundert Kilometer durchmessende,
glühende Plasmakugel ergab, die vom Sonnenwind ziemlich schnell in die Richtung zum
Jupiter katapultiert wurde.
 
Das Ultraschlachtschiff der Wruks sah den Tod auf sich zu rasen, denn die hundert
Kilometer durchmessende, glühende Plasmakugel des M2P2-Triebwerks hätte noch ein
halb blinder Wruk ohne Brille erkennen können. Sofort feuerten sämtliche Laserkanonen
des Ultraschlachtschiffes auf diese Plasmakugel. Es ist natürlich nahezu unmöglich,
ein nur fünfzig Meter kleines Raumschiff in einer hundert Kilometer großen Plasmakugel
zu treffen, denn dieses Plasma ist für Radar und Licht völlig undurchlässig, vom
Infrarot ganz zu schweigen, denn die Wruks heizten das Plasma nur zusätzlich auf.
 
Graf Hombug schaltete nun das M2P2-Triebwerk aus, und das SOTV-Triebwerk ein, das
auf Grund der großen Sonnenentfernung nur sehr träge ansprach. Die Plasmawolke des
M2P2-Triebwerks löste sich schnell auf, und Graf Hombug feuerte das 4FN4-Waffensystem
auf das nun deutlich sichtbare Ultraschlachtschiff der Wruks ab, wobei er das
SOTV-Triebwerk verwendete, um möglichst schnell aus dem radioaktiven, weißglühenden
Abgasstrahl des N4-Trägersystems heraus zu kommen. Leider schützen Magnetfelder nicht
vor Neutronen und Gammastrahlung.
 
Das Ultraschlachtschiff der Wruks hatte gegen ein zielsuchendes Waffensystem vom
Typ des 4FN4, das mit hundert g beschleunigen konnte, nicht die geringste Chance.
Ein gigantischer Feuerball erhellte die Oberfläche des Ganymed, und Graf Hombugs
Körper wurde schon wieder von zahlreichen Neutronen, Gammaquanten, und Neutrinos
durchquert. "Die Neutrinos sehe ich am liebsten", dachte er sich, während er das
Knistern seiner DNA zu hören vermeinte.
 
Leider hatte das Ultraschlachtschiff der Wruks noch die Gelegenheit gehabt, vor
seiner Vernichtung einige Raumjäger auszuschleusen. "Die geben wohl nie auf",
dachte Graf Hombug. Er ging in einen retrograden (gegenläufigen) Orbit, und
schaltete die Gaußkanone auf Dauerfeuer, bis das Magazin leer war. Die nahezu
unsichtbaren Stahlkugeln der Gaußkanone würden den Ganymed wie heimtückische,
kleine Monde beschützen, und jedes ahnungslose Raumschiff, das den Fehler machte
in eine Standardumlaufbahn einzutreten, würde von ihnen in Stücke gerissen werden.
"Das ist der Tod, den man nicht kommen sieht", murmelte Graf Hombug.
Tatsächlich war das einzige nicht gefährdete Raumschiff über Ganymed das
Seepferdchen, denn es flog in die gleiche Richtung wie seine Stahlkugeln.
 
Graf Hombug funkte die Überlebenden der Flottenbasis Ganymed an:
"Ihr könnt jetzt aus den Bunkern heraus kommen, und die Landungstruppen der
Wruks eliminieren. Ich komme jetzt ungesteuert, und mit einer heftigen
Überschallschockwelle hinunter. Haltet mir die Landezone frei".
 
Graf Hombug blies den Quarzglasfaserballon für die atmosphärische Bremsung mit
dem letzten Helium auf, das er noch hatte, und knallte damit in die Atmosphäre
des Ganymed hinein. Ohne seine mit Salzwasser gefüllte Gummiluftmatratze hätte
er die dabei auftretenden g-Werte wohl kaum lebend überstanden.
 
Die Überlebenden der Flottenbasis Ganymed trugen Graf Hombug vor Begeisterung
johlend aus dem Wrack des Seepferdchens, und verliehen ihm sofort die goldene
Kniescheibe, den Ehrenorden der Todeslegion. "Nachdem mein Seepferdchen nie
wieder fliegen wird, schenke ich es der Flottenbasis Ganymed als Material für
den Wiederaufbau", revanchierte sich Graf Hombug umgehend.
 
Literatur:
 
Vereinfachtes Funktionsschema des Seepferdchens:
http://members.chello.at/karl.bednarik/TORUS-R.PNG
 
Dashing and Coasting to the Interstellar Finish Line:
http://science.nasa.gov/newhome/headlines/prop19aug99_1.htm
 
Per Anhalter unterwegs in einer magnetischen Blase:
http://www-users.rwth-aachen.de/matthias.paetzold/ssj/technik041000.html
 
Pneumatic Photo-concentrator for Space Applications:
http://teamster.usc.edu/~dteam/SpaceMirror/index.html
 
Solar Thermal Propulsion (STP):
http://www.stg.srs.com/atd/advpolymers.htm
 
NERVA (heute ganz ohne MI):
http://de.wikipedia.org/wiki/NERVA
 
Timberwind:
http://de.wikipedia.org/wiki/Timberwind
 
Zar-Bombe:
http://de.wikipedia.org/wiki/Zar-Bombe
 
 


Im kalten Krieg diskutierte man unter anderem das folgende Szenario:

Die UDSSR startet eine scheinbar friedliche Mondsonde.

Diese Sonde fliegt hinter dem Mond vorbei, und wird in die allgemeine Richtung zur Erde hin umgelenkt.

Diese Sonde tritt retrograd (gegenläufig) in den geosynchronen Orbit ein, und setzt eine Wolke von Kunststoffperlen frei.

Diese Kunststoffperlen zerstören sämtliche geosynchronen Nachrichtensatelliten innerhalb eines halben Tages, und werden dann nach einigen Wochen von der UV-Strahlung der Sonne zu Staub und Gas zersetzt.

Karl Bednarik, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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