Germaine Adelt
Vielleicht sogar noch heute
Das Rauschen des Ventilators war das Einzige, was zu hören war. Der PC Monitor beleuchtete das dunkle Zimmer und gebannt starrte er auf den Bildschirm. Ihr Bild schien vom Monitor herab und obwohl es genau das gleiche Bild war, wie in dem Rahmen auf dem Schreitisch vor ihm, schien es als lächele sie ihn direkt an. Vielleicht lag es an dem Geräusch des Ventilators, vielleicht flackerte der Bildschirm unmerklich und hauchte so allem Leben ein. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass er sie so unendlich vermisste.
Immer wieder nachts hörte er ihre Stimme und glaubte ihren Duft zu vernehmen. Aber es konnte nicht sein, so sagte ihm sein Verstand. Seine Seele sah das anders.
Das Letzte an das er sich erinnerte war der Duft von Kaffee und ihr Lächeln. Alles verschwommen, da er noch nicht richtig wach war. Abgelöst wurde diese Szenerie durch ein grelles, gleißendes Licht in das er sah. Es hatte nichts mystisches, sondern war von der OP Lampe in der Notaufnahme. Kurz bevor sie ihn wiederbelebten und dann in ein künstliches Koma schickten.
Nie würde er es den Verantwortlichen verzeihen können, dass er keinen Abschied nehmen konnte von ihr. Nie könnte er vergeben, dass er sie nicht mehr sehen durfte, egal wie furchtbar sie ausgesehen haben soll.
Er hasste dieses Wort: Amnesie, welches die Ärzte immer wieder als Ursache nannten. Noch mehr hasste er es, wenn sie es immer wieder als Segen für ihn hinstellten.
Und während er sich tagsüber in medizinischer Literatur vergrub, hoffte er nachts auf ein Wunder. Darauf, dass die Erinnerung im Traum erschien oder dass der Alkohol ihm dazu verhalf, sich an ihre letzten Worte zu erinnern.
Es musste sie gegeben haben, diese letzten Worte. Dessen war er sicher. Die Erinnerung an jenen letzten Tag zurückzuerlangen, war ihm nicht so wichtig. Wie ein Kriminologe hatte er alles minutiös rekonstruieren können. Auch wenn es ihm unwirklich vorkam, dass ihm ein ganzer Tag in der Erinnerung fehlte und ihm die Leute erzählten, was er getan haben soll.
Aber in seinem Auto waren sie dann allein. Bis der LKW ungebremst hinten rein raste, und das Auto auf die Hälfe zusammenschob.
Verträumt streichelte er über ihre Lippen.
„Bald,“ murmelte er. „bald werde ich es geschafft haben und mich erinnern können. Ich bin mir sicher.“
Dann goss er den Wodka in den Zahnputzbecher und trank ihn gierig.
„Bald,“ schluchzte er, “vielleicht sogar noch heute.“
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.08.2007.
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