Brigitte Hanisch

Das Haus der Sphinx

Als wir in diesem Jahr durch die südliche Toskana reisten, standen wir plötzlich vor einer festungsartigen Mauer aus hellbraunen Steinen. In der Mitte befand sich eine große ovale Eingangstür. Als ich durch diese Tür ging, wurde mir schlagartig bewusst, dass ich die reale Welt hinter mir gelassen hatte. Umgeben von bunten, rätselhaften Gestalten, befand ich mich in einer fremden, mysteriösen Traumwelt und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Wir befanden uns im Tarot-Garten der Künstlerin, Niki de Saint Phalle, in Garavicchio.

Im Garten stehen 22 teilweise begeh - und bewohnbare Monumentalskulpturen, die uns die einzelnen Figuren der Tarot-Karten zeigen.
Ich starre auf die großen Augen der schwarzen Göttin. Ein blauer Schleier umhüllt ihre schwarzen Haare und fällt an ihrem massigen Körper herunter. Auf dem Kopf trägt sie eine orangenfarbene Krone. Ihr Kleid aus rosa und weißen Mosaiksteinchen in Blütenform zusammengesetzt umhüllen ihren dicken Leib. Verziert mit roten Herzen ragen üppige Brüste heraus. Wie ein großes Wunder steht sie geschmückt mit einer Kette um den Hals im Zentrum des großen Parks.
Sie ist die Kaiserin, die Himmelskönigin und wurde als Sphinx gestaltet. Eine geschwungene Treppe führt in ihren Leib. In dieser beschützenden Mutter befindet sich die größte Wohnung.
In der Wohnküche glitzert es von vielen kleinen Spiegelchen und hellen Steinchen. Sie verzieren mosaikartig den ganzen Raum, hoch bis zu einer gewölbeartigen Decke.
Ich muss schon genau hinschauen, um eine funktionell eingerichtete Küche zu entdecken, denn der Herd und die Spüle in Edelstahl bilden eine farbliche Einheit. In einer Ecke des Raumes befindet sich: Der Wagen!
Er bedeutet Sieg und Triumph über die Feinde. Der Krieger, in einem blauen Gewand mit einer Krone auf dem Haupt, lenkt den Wagen. Er muss wachsam sein, denn eine Unachtsamkeit von ihm kann den Wagen zum Kippen bringen.
An der anderen Seite der Küche steht:
Der Stern!
Groß, wohlgeformt und übersät mit gelben Sternen, steht die Figur auf einem mit vielen Spiegeln geschmückten, Podest. Der weiße Körper glänzt wie Marmor. In jeder Hand trägt er einen goldenen Krug und gießt Wasser in ein blaues Becken, dass einen Fluss darstellt. Das Gewässer der Erneuerung. Der Stern bedeutet die geistige und physische Gesundheit.
Eine dritte Figur steht unmittelbar neben dem Essbereich auf einer kleinen Anhöhe:
Die Auferstehung!
Ein großer bunter Engel mit ausgebreiteten Flügeln schwebt über drei Menschen, die aus einem Grab steigen. Einem Kind, einer Frau und einem Mann. Sie stellen die Teile unser selbst dar, die wir vereinen müssen. Die Figur übt eine Anziehungskraft auf mich aus, die ich mir nicht erklären kann. Mystisch, fremdartig, aber auch faszinierend. Ich bin ihr schutzlos ausgeliefert.
Ich setze mich an den Tisch, an dem die Künstlerin gegessen hat und schaue mich in der Küche um. In Gedanken bin ich bei ihr und ihren Mitarbeitern, mit denen sie hier viele schöne Stunden verlebt hat.
Heute ist es ein Museum.
Durch eine mit Glitzersteinchen umkleidete Öffnung gehe ich in einen anderen Raum. Von dort führt eine Wendeltreppe hinauf in das Schlafzimmer. Als ich in das Zimmer trete, bin ich überrascht. Erst langsam gewöhne ich mich an die Dunkelheit. Die Wände und die Decke dieses Zimmers sind übersät von kleinen blauen Mosaiksteinchen in allen Schattierungen. Licht dringt durch große, runde Fenster in den Raum und lässt Sterne an den Wänden funkeln, die ich vorher nicht wahr genommen habe. Sie verleihen dem Zimmer einen gewissen Charme. Durch die Bullaugen sehe ich in den Park, in dem die übrigen Figuren bewundert werden können.
Als ich aus dem Haus trete, schaue ich völlig überrascht auf eingeritzte Schriftzüge auf dem Betonweg. Sie führen mich zur nächsten Figur.
Die Gerechtigkeit!
Eine imposante Erscheinung. Groß, massig mit dicken Brüsten steht sie in ihrem blau-weiß gestreiftem Kleid im Sonnenlicht. In ihrem Leib befindet sich eine Maschine, welche die Ungerechtigkeit darstellt. Eine Tür mit dicken Eisenstangen und einem schweren Vorhängeschloss ist an ihrem Körper angebracht. So wird der Ungerechtigkeit der Weg nach außen versperrt.
Staunend schaue ich auf die wuchtige Skulptur mit ihrem Geheimnis. Ich muss mich regelrecht losreißen, denn es gibt noch so viel anzuschauen.
Ich gehe auf beschriebenen Betonwegen von einer Figur zur anderen. Ab und zu verschnaufe ich und rieche an den Pflanzen, an den ich vorbeikomme. Süße, würzige Gerüche umnebeln meine Sinne und ich habe das Gefühl in einer Traumwelt zu sein.
Die Stärke!
Eine zierliche Frau in einem hellblauen Kleid und feuerroten Haaren steht auf einem erhöhten Hügel. An einer unsichtbaren Leine führt sie einen wilden Drachen, den sie zähmen soll. Zähne fletschend steht er mit ausgebreiteten, bunten Flügeln vor ihr. Das Knochengerüst ist sichtbar und ich sehe seine Anspannung. Sie muss ihre eigenen Dämonen bezwingen, um durch diese schwere Prüfung ihre eigene Stärke zu entdecken. Wird sie siegen?
Die Figuren wollen uns durch die Tarot-Karten wichtige Botschaften übermitteln. Viele Geheimnisse und Lehrreiches ist in ihnen enthalten. Sie stehen in dem riesigen Park so um die Sphinx verteilt, die in der Mitte steht, als müssten sie die Dämonen und Teufel von der großen Göttin fernhalten.

Durch die Mauer, die den gesamten Park umschließt, fühle ich mich eingefangen. Die Hexen und die Magier in dem Märchenland wollen mich nicht gehen lassen. Ich muss mich dieser Zauberwelt entziehen und zum Ausgang gehen, sonst bin ich verloren.
Alle zweiundzwanzig Monumente in diesem Park zu beschreiben wäre mein Ziel, aber dazu müsste ich nochmals in die Toskana reisen.

Viel Freude an meiner Urlaubsgeschichte wünsche ich allen Lesern. Brigitte Hanisch
Homepage: www.hanisch-illingen.de

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Buch von Brigitte Hanisch:

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Das Mädchen aus Oberschlesien von Brigitte Hanisch



Das kleine Mädchen Brigitte wächst wohlbehütet in einer Großfamilie im katholischen Oberschlesien auf. 1938 siedeln die Eltern mit Brigitte nach Kiel um. Dort wird Ihre Schwester Eva-Maria geboren. 1939 beginnt der Krieg und Kiel wird besonders gebeutelt. Entsetzliche Jahre für das kleine Mädchen. Tag und Nacht Bombenangriffe. Hungersnot und immer die Angst um den Vater. Das Mädchen ist seelisch in einem so schlechtem Zustand, dass die Eltern Brigitte nach Oberschlesien zur Schwester der Mutter schicken. Dort wird sie eingeschult und geht auch in Schomberg zur ersten heiligen Kommunion. In den nächsten Jahren pendelt sie hin und her. Kinderlandverschickung nach Bayern, Kriegserlebnisse in Kiel, danach wieder zurück nach Oberschlesien zur Erholung. Dort aber hat sie große Sehnsucht nach ihrer Schwester und den Eltern und fährt deshalb Weihnachten 1944 nach Kiel zurück. Das ist ihr Glück, denn im Januar 1945 marschieren die Russen in Beuthen ein.
Die Nachkriegsjahre und der Aufbau der jungen Bundesrepublik prägen Brigitte. Sie lernt einen Flüchtling aus Pommern kennen und lieben. Sie heiratet ihn nach vielen Hindernissen 1954. Ein Jahr später ziehen sie nach Stuttgart. Dort endet das Buch.

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