Samuel Hammer

Traum vom Glück

Seine Augen blinzelten in die helle Sonne. Es war ein schöner Morgen. Die Temperaturen bewegten sich seit einigen Minuten knapp über 20 Grad. Der hellblaue Himmel wurde nur von einigen wenigen weißen Wolkenfetzen getrübt. Einfach schön.
Er lehnte sich zurück. Und seine Gedanken holten ihn ein. Er schloß die Augen und begann zu weinen. Wie schön könnte dieser Morgen sein, wenn nicht …. Doch er konnte diesen Gedanken nicht zu Ende bringen, ohne seine Fassung völlig zu verlieren. Mühsam wischte er sein Gesicht mit dem Handrücken trocken und versuchte wieder klare Sicht zu erlangen.
Was war das für eine Welt? Er stand von der Parkbank auf, auf der er die Nacht verbracht hatte und ging heimwärts. Wieso tat er das? Er hatte gefroren. Sein Hemd war noch immer etwas klamm, aber warm – von der Sonne, die ihn wie ein heller Gedanke erwärmte. Da war noch eine Sonne, am Horizont, so nah und doch unerreichbar. Sie bewirkte dasselbe. Ein Gedanke an sie – und ihm wurde heiß. Unfaßbar. Seine Gedanken drehten sich nur um sie, und er hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und zu schweben über einer Savanne voller Leben und Liebe. Doch dann erschlug ihn das wahre Leben, holte ihn unsanft aus seinen Träumen und warf ihn auf den harten, trockenen Savannenboden – und seine Seele begann auszutrocknen.
Alles nur wegen dieser – Sonne. Sie war meteoritengleich in sein Leben gestürzt. Direkt hinein, Durchmarsch tief in sein Herz. Sie war einfach da und sah ihn an mit ihren goldbraunen, großen, wundervoll tiefen Augen. Wie war es möglich, daß sie ihn so faszinierten? Sie lächelten kaum, sie waren nicht traurig – sie sahen ihn einfach an und hypnotisierten ihn. Er hatte alles um sich vergessen, einfach alles. Nur sie und sonst nichts mehr. War es das? War es das, was man Liebe nennt? Bei diesem Gedanken schossen ihm neuerlich Tränen aus den Augen. Das Taschentuch konnte schlimmeres verhindern.
Ja, er hatte sich verliebt – unsterblich für alle Zeit verliebt! Da war sie, und nun hatte er das Gefühl nach Atem ringen zu müssen, wenn er sie sah und nicht mehr leben zu können, wenn sie nicht da war. Und dabei konnte es gar nicht sein, daß er sie liebte. Denn war er nicht verliebt? Hatte er nicht eine Freundin seit einiger Zeit. Freilich, sie war weit weg, Fernbeziehung eben - und das Zusammenziehen schien in weiter Ferne, doch wieso verliebte er sich in SIE? Sie, die seit einigen Wochen einen Freund hat – ausgerechnet ins sie. Es tat so weh.
Plötzlich stockte sein Herz. DA – da saß sie, und neben ihr … ihr Freund. Er begann zu zittern. Sollte er hingehen und sie begrüßen. Schließlich waren sie gute Freunde. Doch etwas in ihm sperrte sich dagegen. Nicht einmal den Blick zu ihr hielt er aus. Schnell drehte er sich um, lief zum entgegengesetzten Ausgang des Parks, hinein in eine Menschenmenge und blieb stehen. Anonymität – das tat gut. Keiner kannte ihn, keiner sprach ihn auf sein Verhalten, auf seine tränenroten Augen an. Einfach Frieden.
So schön – und so grausam, denn wer würde ihm helfen, wenn er hier und jetzt dem Druck nicht mehr standhalten und in einem Krampf zusammenbrechen würde? Die Kraft fehlte, um sich dieses Szenario auszumalen. Er holte tief Luft und wandte seine Schritte nach Hause.
 
 „Du bist wie ein Wirbelsturm – schnell da und schnell wieder weg, aufgewirbelte und gebrochene Herzen zurücklassend. Du bist über mich hinweggebraust, hast mich verletzt und hilflos zurückgelassen, obwohl das nicht deine Absicht war. Dein engelsgleiches Antlitz fasziniert und elektrisiert mich bis in die letzte Faser meines Körpers– doch kommt man dir zu nah, verbrennt man unweigerlich.“ - Wieder rinnen Tränen über seine Wangen, während er aus dem Wohnzimmerfenster in die blutroten Wolkenwirbel des Sonnenuntergangs blickte. Er haßte sich - wie kann man nur wegen einer Frau so wehleidig sein, wie kann man sich so selbst vergessen und sie auf eine Empore heben, so daß man selbst nicht mehr heranreicht? Wie dumm kann man eigentlich sein? Und dabei ist es doch so natürlich. Ist es nicht normal, sich zu verlieben? Aber kann denn nicht wenigstens eine Liebe im Glück enden? Das wäre so schön, so märchennah und so unwirklich, daß er nicht glauben konnte, das je erleben zu können. Die trostspendende Sonne verschwand hinter dem Horizont und ließ ihn zurück in einer dunklen einsamen Nacht von vielen.
 
Dunkle Träume durchströmten seine Welt. Ein heller Punkt manifestierte sich am Rande seines Sichtfeldes. Er konzentrierte sich darauf. Doch der Traum schien ihn wegreißen zu wollen. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen diese Kraft. Er kämpfte. Dann stand er im Licht. Eine duftende Wiese umgab ihn. Die Wiese vor seinem Haus. Er betrat das Treppenhaus und stieg schwer atmend nach oben, seiner Wohnung im obersten Stock entgegen. Ein Schluchzen empfing ihn. Seine Stirn legte sich vor Erstaunen in Falten. SIE!
Da saß sie vor seiner Wohnungstür. Eingerollt in einen roten Pullover. Sie wischte sich die Tränen mit einem Ärmel aus dem Gesicht und sah ihn an. Und er ergab sich in unbändiger Liebe. Vorsichtig hob er sie auf und umarmte sie. Ihre Stimme brach bei dem Versuch zu sprechen. Doch er legte ihr den Finger auf den Mund, lächelte sie sanft an, und sie legte ihren Kopf gegen seine Schulter. Dann gingen sie in seine Wohnung und genossen die stille Zweisamkeit. Endlich Frieden, endlich Ruhe, das Ende aller Rastlosigkeit – konnte sich so der Himmel anfühlen?
Ein Traum – nur ein Traum, einer von vielen. So zerbrechlich wie die Liebe selbst. Doch für einen Moment war es, als wäre das echt. So echt, wie es vielleicht nie wirklich sein würde.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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