Rudolf F.J. Härle

Herr, wie sollen wir beten?


Herr, wie sollen wir beten ?

 

Wie dereinst die Jünger des Herrn gefragt haben, so fragten die Menschen zu aller

Zeit den Weisen auf dem Berge und er sprach zu ihnen gestern, heute und wird

es morgen tun:

 

Hast Du Kinder ? Wenn ja, stell`Dir vor, Deine Kinder leben in einer nicht allzu entfernten Stadt und Du weißt nichts von ihnen.

Natürlich sie haben ihr eigenes Leben, ihre eigenen Sorgen, ihre eigenen Freuden.

Aber wenn Du nicht einmal weißt, ob sie glücklich, traurig, gesund oder krank,

wohlsituiert  sind oder es eher knapp zugeht, dann stimmt doch etwas nicht.

Keiner erzählt Dir, dass Du Enkel hast, keiner gönnt Dir das Glück Großvater zu sein.

Nichts weißt Du,  und von den Deinen will Dich offensichtlich niemand an seinem Leben teilhaben lassen.

Für einen liebenden Vater ist dies doch eine schreckliche Vorstellung.

Plötzlich  scheint alles schiefzulaufen, ob es Krankheiten sind oder wirtschaftliche

Schwierigkeiten, plötzlich besinnt man sich Deiner, steht jeden Tag vor Deiner Türe,

bittet bettelt, zündet hunderte von Kerzen an.

Keine Frage, Du hilfst wo Du kannst und bist ein liebender, guter Vater. Kannst Du aber behaupten gute Kinder zu haben?

 

Aber,……der Wermutstropfen bleibt und die Frage, warum will man nur meine Hilfe,

lässt mich aber an der Freude, am Glück nicht teilhaben.

 

Das ist die Situation unseres göttlichen Vaters, genauso muß er uns empfinden.

 

Daraus ergeben  sich die grundsätzlichen Fragen : „Wie sollen wir beten ?;

Was soll mein Gebet sein ? Wer lehrt uns beten ?

 

Auch schon die Jünger Jesu beschäftigte diese Frage, denn jeder Rabbiner behauptete

etwas anderes.

Jesus verstand diese Frage als Frage nach dem kollektiven Gebet einer Gemeinde und er

zitierte ein altes jüdisches Gebet aus dem Talmud, dem Gebetsteil der Thora, das „Kaddisch“.

Er modifizierte das Gebet mit den Nöten der Zeit und sprach das Vaterunser

„Abwun d`bwashmaja“, das sich von unserem Vaterunser nur dadurch unterschied, dass es hieß „Führe uns in der Versuchung“.

 Aber neben diesem kollektiven Hauptgebet gibt es die intime Art jedes Einzelnen mit

Gott zu sprechen.

Jeder von uns muß seine Antworten selbst finden, keiner kann den anderen lehren.

Aber wenn ich gefragt werde, kann ich mich erklären, das mag dem einen liegen, dem anderen eben nicht. Ich persönlich beziehe mich auf Gedanken, die ein christlicher

Libanese namens Khalil Gibran in den 30-er Jahren des letzten Jahrhundert angedeutet hat.

Mein Gebet soll sein, die völlige, wortlose Entfaltung meiner selbst, die mich öffnet,erhebt und mich mit allen Menschen, die zu selben Stunde beten, in stummem

Lobpreis vereinigt.

Schweigen will ich und warten, bis Gott durch meine Lippen, mit meiner Stimme zu mir spricht.         

Schweigend will ich auf den Unsichtbaren sehen und spüren, wie er mich ansieht.

Das ist mein Tempel, in dem ich bete. Und diesen Tempel will ich nur betreten, um Gott die Fülle meiner Freude, das Füllhorn meines Glücks zu zeigen, ihn daran teilhaben zu lassen.

Diesen Tempel will ich nie betreten als Klagemauer und nicht als Bittsteller, denn ich bin kein Bettler, ich bin Gottes Sohn und will es wert sein. Gott weiß selbst, was ich nötig habe und entscheidet für mich.

So denkt daran, wenn ihr diesen Tempel nur betretet, um zu bitten, um viele Kerzen anzuzünden, ihr werdet nicht empfangen.

Ich hätte auch Angst, denn ich weiß, dass Gott oft hilft, aber ganz anders, als man sich es vorgestellt hat.

Und sollte es sich nicht vermeiden lassen zu bitten :“Laß diesen Kelch an mir vorüber-gehen“, dann muß zwangsläufig folgen, „Dein Wille geschehe, nicht der meine!“

Das ist sicher der schwerste Satz, den ein Mensch sprechen kann.

Wenn ich aber einmal nur weinen kann, so will ich meine Seele bitten, mich solange

zum Gebet zu  drängen, bis ich wieder lachen kann  -  dann will ich meinen Tempel lachend aufsuchen und Gott von meiner Freude berichten.

 

Niemand kann dich lehren zu beten. Alle beten. Es beten die Meere, die Berge, die Wiesen, die Wälder. Aber da Du aus Bergen, Meeren und Wäldern geboren bist,

kannst Du ihre Gebete in Deinem Herzen finden.

 

Wenn Du hineinhörst in die Stille der Nacht, wirst Du sie schweigend sagen hören:

„Du, unser großer Gott, der du bist unsere geflügelte Quelle, es ist dein Wille in uns, der will – es ist dein Wunsch in uns, der wünscht, es ist dein Drängen in uns, das unsere Nächte, die dein sind, in Tage verwandelt, die auch dein sind.

Um nichts wollen wir dich bitten, denn du kennst unsere Bedürfnisse, ehe sie in uns geboren werden.

 

Dich brauchen wir und indem du uns mehr von dir gibst, gibst du uns alles.

 

Darum, lasset uns beten.

 

Rudolf F.J Härle nach einer Idee von Khalil Gibran  + 1933

 

 

 

 

 

 

 

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