Juergen Bambach

Jäger und Katzen

Hellgrün leuchtet die Digitalanzeige im Laserentfernungsmesser von Hauptmann a. D. Franz Karnauer auf. Einhundertfünfundfünzig Meter sind es bis zum Waldrand. Hauptmann Karnauers Herzschlag beschleunigt sich etwas, als er am Waldrand, hinter Bromberranken verborgen, ein Stück rotbrauner Rehdecke erkennt. Sofort tauscht er Entfernungmesser mit seinem Zeiss Fernglas 8x56.
Richtig, er erkennt den Träger (Hals) eines Rehes. Bei weiterem Beobachten glaubt er, auch das zugehörige Haupt (Kopf) des Rehes, erkennen zu können. Er stutzt, irgend etwas stört den ehemaligen Gebirgsjäger, am Aussehen und der Lages des Rehkörpers.
Hauptmann Karnauer wäre nicht Hauptmann Karnauer, wenn er nicht beschlöße der Sache auf den Grund zu gehen.
Den Stutzen aus der Hochsitzecke geangelt und runter vom Hochsitz sind für Hauptmann Karnauer fast ein Vorgang. Vorsichtig pirscht er sich mit “halbem Wind“, unter Ausnutzung jeder Deckung, näher an das Stück Rehwild heran.

Mit gutem Wind gelangt er bis zehn Meter zum Stück hin.- keine Bewegung des Tieres. Hauptmann Karnauer beschließt alles auf eine Karte zu setzen. Langsam zieht er das rechte Bein unter den Bauch, nimmt den Stutzen in den Voranschlang und drückt sich mit Hilfe seines linken Knie’s langsam aus seiner Deckung heraus. Das Adrenalin beginnt in seinem Körper zu kreisen. Manche würden zu diesem Vorgang auch Jagdfieber sagen

– Während seiner langen Dienstzeit, kurz vor dem bevorstehenden Einsatz hatte dieses Gefühl mehr als einmal. –

Da. ganz deutlich ist das Haupt des Stückes im Absehen vier. Knack, Hauptmann Karnauer ist auf einen trockenen Ast getreten. Kein Wild dieser Welt würde diesen Faux Pas entschuldigen. Umso erstaunlicher war, daß dieses Stück Wild sich nicht rührte. Mit einem Sprung war Hauptmann Karnauer am Stück.

Der Anblick traf ihn wie ein Hammerschlag. Das Stück Rehwild, ein kapitaler Bock war elend in einer Wildererschlinge zugrunde gegangen. Am Trägeransatz, dort wo die Schlinge sich zuzog, waren keine Haare mehr vorhanden und die Schlinge schnitt sich tief ins Fleisch. Der Lecker (Zunge) hing blau und aufgequollen aus dem Äser. Der Boden unter den Hinterläufen war aufgewühlt. Dort hatte die bedauernswerte Kreatur im Todeskampf versucht hochzukommen.

Hauptmann Karnauer bückte sich , sein Gesicht war eine steinerne Maske. Mit mechanischen Bewegungen befreite er das Haupt von der Schlinge, zog den schon aufgedunsenen Wildkörper ein Stück zurück und schärfte mit seinem Fallschirmmesser das Haupt des Bockes ab. Anschließend verbarg er den Wildkörper weitab vom Fundort in einer kleinen Fichtendickung.

Mit dem abgeschärften Haupt und der Drahtschlinge kehrte er zu seiem Hochsitz zurück, um Mantel, Rucksack und Fernglas zuholen.
Als er das Haupt in den Rucksack stecken wollte, fiel ihm auf, daß an der oberen Geweihsprosse ein Stück Decke(Hautfetzen) hing. Vorhin war ihm das, in der ersten Aufregung, gar nicht aufgefallen.
Das Deckenstück war ca. zehn auf zehn Zentimeter groß und die Fellunterseite war noch blutverschmiert, also frisch. Die Haare auf der Gegenseite waren schwarz. – Ein Stück Katzenfell – schoß es ihm durch den Kopf. Schulterzuckend machte er sich auf den Heimweg.

Als er über den schmalen Gebirgssteig Richtung Moosauer Alpe heimwärts schritt, und er die Pracht der Alpenwelt um sich sah, wanderten seine Gedanken weit zurück. Er sah sich, als hochgewachsenen, schlaksigen jungen Mann, beim Einzug in die Mittenwalder Edelweiß Kaserne. Sicher die ersten Wochen als Gebirgsjäger waren hart. Es dauerte aber nicht lange und er hatte die Unteroffiziersanwärter-Streifen auf seinen Achselklappen.
Dann folgte die Ernennung zum Unteroffizier. Da er sehr gute Leistungen im Schießen zeigte, ging es zur Seetaleralpe auf einen Scharfschützenlehrgang. Es folgten viele Jahre der Bewährung in seiner Einheit. Und so war es auch nicht weiter erstaunlich, daß Franz Karnauer mit fünfunddreißig der jüngste Kommandeur des 144ten Gebirgsjägerregiments der 3. Gebirgsjägerdivison wurde.

Franz schien diese Führerrolle, wie auf den Leib geschnitten zu sein. Jedes Jahr kamen neuen Rekruten. Nach Beendigung ihrer Ausbildung, die sicherlich nicht leicht war, waren sie entweder „richtige“ Gebirgsjäger, oder sie wollten nie mehr etwas von Bundeswehr und Soldaten wissen.
Vor seinem inneren Augen ließ er nocheinmal alle seine früheren Rekruten Revue passieren...

Doch halt, da fiel ihm ein unschöner Zwischenfall, gegen Ende seiner Dienstzeit als Regimentskommandeur ein:

Es war kurz vor Dienstschluß an einem herrlichen Hochsommertag im August. Hauptmann Karnauer kam gerade müde und verschwitzt von einer Militärpatroullie, die er angefürht hatte, zurück. Von weitem hörte er schon die gewaltige Stimme seines Spießes, Stabsfeldwebel Krummenauer. Was an und für sich nichts unübliches war, in anbedracht dessen, daß man sich in einer Kaseren befand, wo ohnehin schon viel geschrien wird.
Als er die Tür zum Regimentsgebäude öffnete, war der lange, blank gewienerte Gang wie leergefegt. Nur ganz hinten, an der Waschraumtür bemerkte er Stabsfeldwebel Krummenauer der aus Leibeskräften brüllte.:

„Wenn I die Sau derwischt, die meinem ormen Kader Mikesch des angetuen hoat, den bring i um“

Man muß wissen, Kater Mikesch war, seit seiner Ehescheidung, Stabsfeldwebel Krummenauers Ein und Alles. Vielleicht hielt ihn die Liebe zu dieser Katze davon ab, völlig dem Suff und der Selbstbemitleidung anheim zufallen. Hauptmann Karnauer mußte, mehr als einmal beide Augen zudrücken, wenn sein Spieß mal wieder, nicht gerade nüchtern zum Dienst erschien.

Mit ein paar Sätzen war Hauptmann Karnauer bei Stabsfeldwebel Krummenauer und sah den Grund seiner Aufregung.

Auf der Tür des Waschraumes war ein schwarzes Katzenfell mit Nägeln gespannt, darunter hing ein Zettel, auf dem mit krakeliger Handschrift geschrieben stand:

- BIN BADEN, KOMME GLEICH ZURÜCK –

Wortlos nahm Hauptmann Karnauer sein Leatherman Tool(Werkzeugsatz) aus seiner Uniformtasche, zog die Nägel aus dem Fell und riß den Zettel von der Tür.

Dann stellte er sich neben den ganz verdatterten Stabsfeldwebel Krummenauer und brüllte aus Leibeskräften:

„Gebirgsjäger ACHTUNG! Alle Mann angetreten“

Sofort öffneten sich alle Stubentüren und seine Rekruten stürmten zu dem gelben Streifen, der vor ihren Stuben auf dem Boden aufgemalt war.

„Richt euch“ donnerte er weiter. Sofort drehten sich alle Gesichter der fünfzehn Rekruten, wie wenn ein Puppenspieler an einer Schnur gezogen hätte, in seine Richtung

Sie waren alle schon lange genung in der Ausbildung, um zu wissen, wenn der Alte mal persönlich schreit, daß ein Ungewitter auf sie herabprasselt.

„Ich erwarte alle nacheinander in meinem Büro SOFORT“ brüllte er, drehte sich auf dem Absatz um und verschwand, dreckig und müde wie er war in seinem Büro.

Die Befragung dauert geschlagene zwei Stunden. Karnauer kannte seiner Männer und wußte, sie würden niemanden verraten. Diese Sache jedoch schrie nach einer Strafe. Das einzige, was Karnauer immer wieder zu hören bekam war, “ich bin doch kein Metzger“. Richtig es gab einen Mann in seiner Einheit Toni Mittnauer mit Namen, welcher Meztger war. Ein großer, grobschlächtiger Kerl mit kurzgeschorenen Haaren, einer fliehenden Stirne und groben Benehmen, aber sonst konnte er nichts negatives über ihn sagen. Er machte seinen Dienst und damit Basta. Bei seiner Vernehmung grinste der Kerl nur unverschämt und meinte nur „da schauen’s Herr Hauptmann...“

„Ich werde dich schon kriegen“ dachte Hauptmann Karnauer!

Es war schon dunkel, als er mit der Vernehmung fertig war. Er teilte das unbefriedigte Ergebnis seinem Spieß mit und sagte „Nun lassen’s den Kopf nicht hängen Krummenauer, I find den schieachen Kerl scho“

Wie das Leben und der Zufall so spielt, Hauptmann Karnauer wollte gerade die Kaserne verlassen, allerdings nicht durch den Haupteingang, sondern durch den Lieferanteneingag im Offizierskasino. Da sah er jehnen besagten Toni Mittennauer mit einer dunklen Plastiktasche unter dem Arm, die er gerade unter dem Fenster von Oberfeldwebel Krummenauers Stube, deponieren wollte. Zu spät bemerkte er Hauptmann Karnauer, der einem Schatten gleich, auf ihn zu sprang!

„Was ist in der Tasche?“ herrschte Hauptmann Karnauer Mittenauer an!

„Das müssen’s schon selbst herausfinden Herr Hauptmann!“ war die bissige Antwort.

Aber wie am Anfang unserer Geschichte schon erwähnt, Hauptmann Karnauer wäre nicht Hauptmann Karnauer gewesen wenn er nicht unverzüglich gehandelt hätte. – Eine schnelle Drehung um die eigne Achse brachte seinen Körper vor den Körper von Mittenauer, in der Drehbewegung faßte er dessen rechten Arm und zog ihn unter seinen rechten Arm, und drückte mit aller Gewalt Mittenauers rechte Hand senkrecht nach unten. Fast augenblicklich sackte Mittenauer, vor lauter Schmerzen in seinem rechten Handgelenk, auf die Knie. Hauptmann Karnauer zischte zwischen zusammengepreßten Lippen „Streck das Kinn hoch !“ Kaum hatte Mittenauer das Kinn nach vorne gebracht, als auch die sehnige Hand des Hauptmanns an seiner Kinnspitze explodierte. Mittenauer fiel wie ein Sack nach vorne über und blieb bewegungslos liegen. Da lag der zweihundert Pfund schwere Hühne nun gefällt vor ihm. Langsam stand Karnauer auf und öffnete die Plastiktüte. Dort befand sich, wie er bereits vermutet hatte, der noch blutige Kadaver von Kater Mikesch.

Durch den Lärm alamiert, öffnete nun auch Stabsfeldwebel Krummenauer, mit vor Alkohol vernebelten Augen, das Fenster. Inzwischen war auch Toni Mittenauer wieder erwacht. Aus dem sonst so hochmütigen und kampflustigen Burschen, war ein Häuflein Elend geworden. Stabsfeldwebel Krummenauer erfaßte, trotz seines stark alkohlisierten Zustandes, sofort die Situation.

„Wünschen Herr Feldwebel eine Anzeige zu machen ?“ fragte Hauptmann Karnauer. Mit einem haßerfüllten Blick auf Toni Mittenauer, schüttelte er nur verneinend den Kopf. Hauptmann Karnauer verstand.

„Jäger Mittenauer die nächsten zehn Wochenenden gehören Ihnen, sind Sie damit einverstanden?“ herrschte er Mittenauer an. Dieser bestätigte mit einem kleinlauten „ja“ Hauptmann Karnauers Befehl, für zehn wochen Wochenenddienste in der Kaserne.

Nein das konnte einfach nicht sein, sagte er laut, als er den Schlüssel in seinen Jeep steckte, um die Türe aufzusprerren. Er befestigte seinen Stutzen in der, eigens dafür vorgesehenen Gewehrhalterung, und öffnete nochmals seinen Rucksack, um sich das Haupt des Bockes anzusehen. Es gab keinen Zweifel, es war ein Stück Kaztenfell, welches auf das Gehörn gespießt war. Das kann eigendlich nicht sein, sprach Karnauer zu sich selber, daß der Mittenauer noch nach meiner Pensionierung so nachtragend ist!

Hautpmann Franz Karnauer schaltete keine Polizei ein, ja er teilte diese Vorgänge noch nichteinmal seiner Frau mit. Durch seine Ausbildung zum Scharfschützen, Einzelkämpfer und Regimentskommandeur, war er es gewohnt die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Hauptmann Karnauer war groß und hager. Seinen Körperbau könnte man sehnig, fast grobknöchig nennen. Zu seinem, von der Sonne gegerbten Gesicht, mit der imposant geschwungenen Nase, passte der grau melierte Bürstenschnitt. Unter seiner hohen Stirne blicken, unter buschigen Augenbrauen, zwei grau-grüne Jägeraugen scharf in die Welt. Sein Schritt ist federnd und fest zugleich. Ist es nicht eigenartig, manche Menschen scheinen für gewisse Tätigkeiten besser geschaffen zu sein, als andere. So verhielt es sich auch bei Hauptmann Karnauer. Sah man ihn in seiner grünen Uniformhose mit den aufgesetzten Taschen und dem olivfarbenen Hemd mit den verblichenen Rangabzeichen am Kragenspiegel bzw. Schulterklappen, so wußte man dieser Mann war zum Soldaten, Kämpfer und Jäger geboren. Er war 1995 einer von 20 Gebirgsjägern aus Mittenwald, die in Bosnien eingesetzt wurden.



Nachwievor trug er mit Stolz seine grüne Dienstmütze mit dem Edelweiß der Gebirgsjäger auf der Linken Seite. Natürlich befanden sich auch alle anderen Ausrüstungsgegenstände des Gebirgsjägers in seinem Besitz.

Fortan wurde sein ganzes Denken und Handeln von einem Gedanken beherrscht:

“Wie kann ich diesem schändlichen Halunken habhaft werden, der mir meine Jagd vergällt!“

Franz Karnauer war schon zu seiner Dienstzeit so. Hatte er sich einmal an etwas festgebissen, ließ er nicht mehr eher locker, bis er das Problem gelöst hatte.

Franz Karnauer ging nun von folgender Überlegung aus:
Ich muß die aufgestellten Schlingen des Wilderers rechtzeitig finden, bevor der Wilderer zu seiner Beute tritt und das verräterische Fellstück dazulegt. Nur so ist es mir möglich, im Hinterhalt zu liegen und den Übeltäter Dingfest zu machen. Bei jeder verendeten Kreatur, die ich mit einem Stück Katzenfell vorfinde, geht der Punkt an den Wilderer!

So kam es, daß Hauptmann Karnauer schon lange vor Sonnenaufgang in die Eistalrinne einstieg, der hohe Kogel ihn um die Mittagszeit sah, und Abends wenn die Nebel aus den Tälern aufstiegen, lag er unter einer gewaltigen Fichte und hatte die Moosauer Alpe vor sich. Hierbei kamen ihm sein eiserene Wille und die jahrelange Übung im Tarnen zu gute. Mit Hilfe seines “Tarnanzuges“ gelang es Hauptmann Karnauer, förmlich mit seiner Umgebung zu verschmelzen. Die Tage vergingen, nirgends konnte er eine Wildererschlinge, geschweige denn ein gemeucheltes Stück Wild ausmachen. Systematisch suchte er alle Wildwechsel in seinem Revier ab. Meistens stand in hundert bis hunderfünfzig Meter entfernt davon ein Hochsitz.

Eines Tages stieg er frühmorgens von der Moosauer Alpe, wo er genächtigt hatte, auf zum Hochkogel.
Die Moosauer Alpe war eine typische „Touristenalm“. Man hatte vom Tal aus nur ca. 2 Stunden Aufstieg und das schafften die meisten Flachland Tiroler gerade noch so. Früher saß er oft oben auf der Terrasse und beobachtete, wie sie dann mit hochrotem Kopf, völlig verschwitzt, mit letzter Kraft auf die Veranda vor der Alpe stolperten. Hierbei handelte es sich um jene Kulturmenschen mit Turnschuhen, Plastiktüten und Sonnenbrillen bepackt, die das „Alpenpanorama“ bewundern wollten. Die richtige Alpenwelt begann erst gut tausend Höhenmeter oberhalb, an der Hochkogel. Stieg man dorthinauf, traf man ganz andere Menschen. Fast alle waren mit Rucksack und festem Schuhwerk unterwegs. Hier oben hin kam ein ganz anderer Menschenschlag. Hager im Körperbau, schweigsam, braungebrannt. Menschen die bereit waren, genau wie Hauptmann Karnauer, sich die Bergwelt zu erarbeiten. Aber zurück zur Moosauer Alpe, wo Hauptmann Karnauer gerade seinen Rucksack schulterte und sich Richtung Hochkogel auf den Weg machte.

Der Weg war ein schmaler, steiniger Gebirgspfad und führte stetig bergauf. Etwa fünfhunder Meter führte der Weg über einen Steg unterdem lustig die Wasgau plätscherte, ein kleiner, kristallklarer Gebirgsbach. Etwa in der Höhe des Steges machte die Wasgau einen sanften Knick nach links, um dann in einem sanften Bogen um einige große Findlinge zu fließen. Genau an diesem Bogen befand sich ein Wildwechsel und etwa achzig Meter oberhalb in einer Fichtenschneise stand auch ein kleiner Hochsitz. Hauptmann Karnauer hatte diesen Sitz nie oft bentutzt. „Er ist zu dicht bei den Touristen“ wie er sich dann auszudrücken pflegte.

Nun just an diesem Morgen überkam ihn nach Überquerung des kleinen Steges ein allzu menschliches Bedürfnis, welches ihn von seinem, Weg weg zwang und hin zu den großen Findlingen in der Nähe des Baches. Als er sein Geschäft verrichtet hatte, schaute er routinegemäß zu dem Wildwechsel am Rand der Wasgau und siehe da er schien stark angenommen zu sein. Ein Sprung über den Bach und Hauptmann Karnauer glaubte seinen Augen nicht zutrauen. Er fiel fas auf den Rehbock, welcher sich elendiglich in der Wildererfalle gefangen hatte. Er sah sofort, daß das arme Tier noch lebte und sich unsäglich quälte. Es war ihm, als ob sich eine Eisenklammer um sein Herz legte und ganz langsam zuzog. Mechanisch und ohne nachzudenken zog er sein Fallschirmmesser und erlöste das arme Tier von seinen Schmerzen. In seinem Kopf flüsterten Generationen von Jäger-Kriegern und empörten sich wegen dieses Wildfrevels. Einen Gams oder einen Hirschen mit einer Kugel sauber zu strecken ist die eine Sache, hinterrücks und meuchlings zu quälen eine andere. Es war gut, daß der Haderlump nicht in der Nähe ist, noch nicht, sonst würde ich ihn umbringen, dachte Hauptmann Karnauer. Trotz allem, ein Glücksfall für mich – dieser Fund

Bedächtig wählt er sich einen Platz etwa acht Meter von dem gemeuchelten Bock entfernt in einer kleinen Mulde. Da das Gelände zur Moosauer Alp gänzlich offen ist, nur mit ein paar Findlingen durchsetzt, mußte er besonderen Wert auf Tarnung legen. Bedächtig nimmt er seinen Tarnmantel aus dem Rucksack, scheidet mit seinem Fallschirmmesser überall etwas von dem lohfarbenen Gras ab und steckt es in die eigens dafür vorgesehenen Gummischlaufen aussen an seinem Mantel. Mit der Zeit entsteht ein richtiger Grasteppich. Seine Gebirgsjägermütze vertauscht er mit einem tarnfarbenen Knautschhut. Seinen Rucksack verstaut er hinter einem Findling. Er nimmt nur seine Wasserflasche und einpaar Trockenkekse und natürlich sein Gewehr mit in die Mulde.



Als er den Mantel anzieht und sich ausgestreckt in seine Mulde verkriecht verschmiltzt er perfekt mit der Landschaft. Da Hauptmann Karnauer Profi in diesen Dingen ist, hat er es auch nicht versäumt, etwas Toilettenpapier um den Lauf seines Gewehres zu wickeln, um die Konturen des Laufes aufzulösen. Da er aus Erfahrung weiß, daß solch eine „Jagd“ länger dauern kann, gräbt er sich etwa zwanzig Zentimeter neben sich eine kleine Kuhle, in die er seine Notdurft verrichten kann.
Nun beginnt das stundenlange Warten, vor dem jeder Soldat, Angst hat. Die Gedanken kommen und gehen, man kann nichts dagegen machen, um ihnen auszuweichen.
Natürlich lag der Fall hier anders. Erstens befinde ich mich nicht im Krieg und zweitens kann ich auch nicht getötet werden, aber die Sache ist auch so schon schlimm genug, dachte er.

Die Stunden verrinnen, die Sonne geht ihren gewohnten Gang. Schon kommen die ersten Touristen vom Berg zurück. Sie laufen keine fünfzig Meter an Hauptmann Karnauers Mulde vorbei, doch entdecken kann ihn niemand. Zäh verrinnenen die Minuten, reihen sich zu Stunden aneinander. Der Gaumen wird trocken, die Luft unerträglich heiß, aber Hauptmann Karnauer hält durch. Gegen Abend kommt ein Trupp Bergwanderer an ihm vorbei. Als sie auf der Höhe des Steges über die Wasgau sind, schert ein Wanderer aus. „Ah“ denkt Hauptmann Karnauer, „dem geht es so, wie mir am morgen.“
Eigenartig ist nur, daß die anderen Wanderer keine Notiz von ihrem Kameraden nehmen, sonderen einfach weiter Richtung Moostaler Alpe marschieren.

– Doch weit gefehlt, der Wanderer verrichtet nicht seine Notdurft, sondern springt mit einem Satz genau am Wildwechsel über den Bach.

Hauptmann Karnauer spannt alle Muskeln an, er fühlt, daß gleich die Stunde der Entscheidung naht. Richtig! Der Mann ist am Bock angekommen, streift seinen Rucksack ab, bückt sich, um etwas aus seiner Tasche zu nehmen. Karnauer hat ihn längst im Visier. Einen Moment ist er versucht, verdammt versucht den Finger krumm zu machen, doch dann gewinnt der Verstand die Oberhand über seine Gefühle. Er legt das Gewehr zur Seite und ist mit zwei, drei gewaltigen Sprüngen bei seinem Widersacher. Der ist völlig überrascht, als er von Karnauers Gewicht regelrecht erdrückt wird. Hauptmann Karnauer nimmt einen leichten Akohlgeruch war, hat jedoch keine Zeit sich darüber Gedanken zu machen. Sein Widersacher hat sich mit einer schnellen Körperdrehung unter ihm herausgewunden, kommt auf die Beine und plötzlich blinkt ein Kampfmesser in seiner Hand auf.

Doch weniger das Kampfmesser, als das Gesicht seines Angreifers läßt Hauptmann Karnauer einen sekundenbruchteil lang mit seiner Gegenwehr zögern. Sein Gegenüber nutzt dies blitzschnell aus. Ein schneller, von untern geführter Stich mit dem Kampfmesser, schlitzt Hauptmann Karnauers Tarnmantel bis auf die Haut auf. Es fühlt sich an als, ob der Stich mit einem glühenden Stahl geführt worden wäre. Aber Hauptmann Karnauer verfügt über jahrelanges Training und gute Reflexe. Dies macht er sich nun zu Nutze. Er bekommt die Messerhand seines Gegners zu packen, dreht sich in seinen Gegner hinein, ein leichtes Abfedern in den Oberschenkeln und er spürt, wie der Gegner seinen Stand verliert. Ein Zug am Messerarm nach vorne und ein plötzliches Hochschnellen seiner Hüfte lassen den Angreifer im hohen Bogen über seiner Schulter zu boden krachen. Karnauer hat die Messerhand seines Angreifers immer noch in seinen beiden Händen. Er gleitet ebenfalls zu boden und führt die Messerhand, einer Schere gleich zwichen seinen Beinen hindurch. So kommt er quasi rechtwinkling zu seinem Gegner zu liegen. Sein Becken hebt sich hoch und gleichzeitig biegt er die Messerhand des anderen nach unten. Hierbei entsteht eine ungeheure Hebelwirkung. Das Messer fällt klirrend zu Boden, der Arm des Gegners bricht im Unterarmgelenk und gleichzeitig klingt ein unmenschlicher Schmerzensschrei an sein Ohr.

Das Adrenalin rauscht in seinem Körper, er hat sich aber soweit unter Kontrolle, daß er seinen Griff lockert, sich hin kniet um in das schmezverzerrte Gesicht seines Gegenübers zu blicken.

Doch er blickte nicht in das rohe Gesicht von seinem ehemaligen Rekruten Toni Mittenauer, wie er zuerst annahm – nein es war das von Alkohl gerötete Gesicht seines ehemaligen Spießes, Stabsfeldwebel Krummenauer. Hauptmann Karnauer konnte es nicht faßen! Warum ausgerechtnet der Mann, dem er bei der Katzengeschichte helfen wollte, sich so schändlich benahm.

„Warum?“ fragte er. Stabsfeldwebel Krummernauer schluchste, vor lauter Schmerzen: „Sie hoaben den Kerl damals nit genuag gestroafft, seitdem hasse I Ehna.
Wortlos half er Krummenauer hoch, schiente ihm notdürftig den gebrochenen Arm und brachte ihn, von der Moosauer Alpe an, wo er seinen Jeep stehen hatte, schnurstracks zur Polizei. Hauptmann Karnauer gab alles mit knappen Worten zu Protokoll, legte als Beweismaterial die beiden Schlingen auf den Tisch und gab den genauen Fundort des Bockes an. Dann verarbschiedete er sich und fuhr schnurstracks nach Hause. Dort angenkommen schlief er einen vollen Tag und eine volle Nacht. Danach fühlte er sich besser und konnte seiner Frau von seiner Jagd und Katzengeschichte erzählen...


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.09.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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