Helmut Hafner

Alles halb so wild

Eine vierwöchige Reise in den Südwesten der Vereinigten Staaten von Amerika. Davon träumten wir seit Jahren. Außerdem wollte unsere Tochter Katrin schon immer einmal die Pinguine in Sea World und die Universal Studios in Los Angeles sehen. Was spielte es da schon für eine Rolle, dass meine Englisch-Kenntnisse eher mangelhaft und die Flugängste meiner Frau Sonja groß sind?
 
Alle Zweifel über Bord werfend, buchten wir endlich unseren Abenteuer-Urlaub. Schließlich hatten wir etliche Reiseführer gewälzt und waren gut gewappnet. Dachten wir! Ein erstes mulmiges Gefühl überkam uns, als wir die Tickets in den Händen hielten. ‚From Munich to London Heathrow. From Los Angeles to San Diego and to London Gatwick’ las ich in den Unterlagen. Aber es ist alles halb so wild, wenn man bedenkt, dass der Flughafen Heathrow allenfalls so groß ist wie eine mittlere deutsche Stadt.
Endlich war es so weit. Unser Jumbo-Jet hob ab und mit ihm die Hoffnung auf einen unvergesslichen Urlaub. Nach kaum dreizehn Stunden, die wir drei schadlos überstanden, landeten wir in der bedrohlichsten Stadt, die ich gesehen habe: Los Angeles.
 
Die Einreiseformalitäten waren schnell erledigt, aber dann türmte sich das nächste Problem auf: Wo war unser Mietwagen? „Please can you help us?“, schleuderte ich jeder an uns vorbei hastenden Person mit unverkennbar bayerischem Akzent entgegen. Irgendwie schafften wir es dann tatsächlich zu einem dieser unzähligen Shuttlebusse, die ständig zwischen dem Flughafen und den Mietwagenstationen verkehren. Es war bereits nach Mitternacht, wir waren müde und ein Hotelbett nicht in Sicht.  Immerhin klappte die Wagenübergabe überraschend problemlos. Um diese nachtschlafende Zeit verirrten sich nämlich kaum noch Touristen auf das Gelände. Nach Erhalt des Schlüssels ließen wir uns noch die „Driving Directions“ in deutscher Sprache auf dem Computer ausdrucken. So sollte es doch ein Kinderspiel sein, das Hollywood Metropolitan Hotel zu finden, das nur lächerliche 40 Kilometer von uns entfernt war. Zunächst machten wir uns aber auf die Suche nach unserem roten Ford Taurus. Er befand sich auf einem Parkplatz, der so groß war wie zehn Fußballfelder. Da die Felder jedoch übersichtlich nummeriert waren, gestaltete sich die Suche nach unserem fahrbaren Untersatz kürzer als erwartet. Das Gepäck war in weniger als einer Minute verstaut und Sonja warf unter Aufbietung der letzten Kräfte einen Blick auf den deutschsprachigen Routenplan: „Den Pfeilen zur Hauptausfahrt folgen und an der Wache den Umschlag mit den Mietwagenpapieren vorzeigen. Dann nach rechts auf Arbor Vitae Street abbiegen,“ las sie vor. Das musste doch zu bewerkstelligen sein. Und tatsächlich, der Wachtposten winkte uns bereits zu sich heran. Wir zeigten ihm die Papiere und der verabschiedete uns mit einem „Have a nice trip!“. Ein reizendes Volk, diese Amis!
 
Es wäre alles wunderbar gewesen, leider fand sich nirgends auch nur die Andeutung der „Arbor Vitae Street“. Sicher, da waren jede Menge Straßen, so wie ich sie aus den amerikanischen Fernsehserien kannte. Das hielt ich früher immer für eine Computeranimation. Aber jetzt stand ich mittendrin im alltäglichen Verkehrschaos von Los Angeles. Trucks donnerten links und rechts an uns vorüber, es war einfach furchterregend. Vor lauter Autos sahen wir keine Hinweisschilder mehr.  Was auch nichts genützt hätte, die lagen ohnehin im Dunkeln.  Mittlerweile waren waren wir schon länger als eine Stunde unterwegs. Der zweite Versuch, die Arbor Vitae Street zu finden, scheiterte ebenfalls kläglich. Katrin bekam von unserer verzweifelten Suche gottseidank nichts mit, die Müdigkeit hatte sie längst übermannt. Das Hollywood Metropolitan Hotel und der Sunset Boulevard schienen weiter entfernt denn je. Stattdessen irrten wir irgendwo zwischen Wilshire und Venice Boulevard und wussten gar nicht, wie nahe wir unserer Unterkunft eigentlich waren. „Fahr mal ran, den Polizisten dort fragen wir jetzt“, schlug Sonja schließlich vor. Ich lenkte den Ford auf die Seite und schaltete den Motor aus. Dann beobachteten wir beide die Szenerie, die sich vielleicht zwanzig Meter vor uns abspielte. Ein Cop näherte sich mit einer Taschenlampe einem Fahrzeug, in dem zwei Gestalten zu erkennen waren. „Da können wir jetzt nicht hin, vielleicht gibt’s gleich eine Schießerei“, wandte ich ein. Wir warteten, bis der Cop die Personenkontrolle durchgeführt hatte. Dann wagten wir eine vorsichtige Anfrage, die in einem Desaster endete.
„Sunset Boulevard? I’m sorry“, knödelte der Mann mit dem imposanten Abzeichen auf der linken Brustseite. Der Alptraum setzte sich fort.
 
Wir überquerten zum x-ten male den Wilshire Boulevard und fuhren schließlich in unserer Verzweiflung zu einer Tankstelle. Der Tankwart saß in einer Art Käfig, der von einem Maschendrahtzaun geschützt wurde. Eine Verständigung war nur über ein schmales Guckfensterchen möglich. Ich kramte umständlich den Stadtplan hervor, vielleicht konnte uns der Mann wenigstens erklären, wo wir uns befanden. Als Antwort bekam ich allerdings nur ein unverständliches, ich  vermute, spanisches, Gemurmel. Sonja ging zurück zum Wagen und schlug die Hände vors Gesicht, Katrin schlummerte immer noch und ich war ebenfalls kurz davor, im Stehen einzuschlafen.
 
„Sir, follow me“, sagte plötzlich eine weibliche Stimme hinter mir. Ich konnte kaum glauben, was ich da hörte. Wie in Trance klemmte ich mich hinters Steuer und versuchte, den Kontakt nicht abreißen zu lassen. Plötzlich schrie mir Sonja ins Ohr: „Sunset Boulevard, da ist er! Wir sind da, wir sind da!“ Und tatsächlich, es war kein Traum, nein, wir fuhren auf dem Sunset Boulevard. Ein kurzes Hupen unseres Scouts machte uns noch einmal klar, dass wir nicht mehr weit von unserem Hotel entfernt sein konnten. Nach fast dreistündiger Odyssee, gegen kurz vor drei Uhr in der Nacht erreichten wir Hausnummer 5825 am Sunset Boulevard. Der Urlaub konnte endlich beginnen!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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„Krachen, Scheppern und dann gewaltiger Lärm, als ein schwerer Gegenstand an die Wand geworfen wurde. Oh verdammt, die Verrückte spielte drüben in der Küche schon wieder ihr absolutes Lieblingsspiel – Geister vertreiben. Gleich würde sie hierher ins Wohnzimmer stürzen, wo ich versuchte, in Ruhe meine Hausaufgaben zu machen. Und dann würde sie mir wieder lang und breit erklären, welches Gespenst gerade versucht hatte, durch die Wand zu gehen und sie anzugreifen. Ich hasste sie! Ich hasste dieses Weib aus ganzem Herzen!“ Die 13-jährige Eva lebt in einer nach außen hin heilen, kleinbürgerlichen Familie. Hinter der geschlossenen Tür herrscht Tag für Tag eine Hölle aus psychischer und physischer Gewalt durch die psychopathische Mutter und den egomanischen Vater. Verzweifelt versucht sie, sich daraus zu befreien. Vergebens - bis ihr ein altes Buch in die Hände fällt. Als letzten Ausweg beschwört sie daraus einen Teufel. Er bietet ihr seine Hilfe an. Aber sein Preis ist hoch...

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