Eckert Hebel

Die SMS und die Sitzung nach der Frau, die alles wollte

Es regnete wieder in Bärlin, und das mitten im Sommer. Das letzte Stück der Travis-CD war gerade zu Ende und ich grübelte, was nun zu tun wäre.

Ich kam einfach nicht über diese SMS hinweg. "Lieber Peter", stand da. "Ich hoffe du hattest ein schönes Wochenende. Sei mir bitte nicht böse, aber ich glaube, wir sollten uns lieber nicht mehr sehen. Ich glaube, ich will das nicht. Ich wünsche dir alles Gute."

Hatten wir nicht zwei traumhaft schöne Monate ? Ok, ich geb‘ zu, sie war vielleicht etwas jung gewesen, eine Dreißigjährige für einen Vierundvierzigjährigen. Vierzehn Jahre kann man eben nicht so einfach rückgängig machen. Das mit dem Salsa hätte ich bestimmt noch auf die Reihe gekriegt und auch den Tangokurs hätte ich mit ihr gemacht. Aber ich war eigentlich auch davon überzeugt, so einzigartig zu sein, das man mich einfach lieben müsse.

Der verheiratete arabische Salsatanzkünstler, der sie immer anrief, und mit dem sie tanzen ging, sah allerdings schon verdammt gut aus. Aber in meinem ganzen Leben war ich noch nie eifersüchtig gewesen. So ein Gefühl kannte ich gar nicht. Ab und zu kochte auch ein Bundestagsangestellter für sie, und das bei ihm zu Hause. Den fand sie unwahrscheinlich interessant, sagte sie einmal, weil er immer so tolle Anzüge tragen würde. "Na und ?", sagte ich. "Anzüge hab ich auch einige im Schrank. Die trag ich nur nie. Warum auch. Hab ich das nötig ? Der muss die doch tragen, wegen seines Jobs. Das musste ich als Ingenieur früher auch." Dann der Typ aus Rio. Das war auch schon ein ziemlich cooler Typ. Was sie mit dem immer machte, wusste ich gar nicht so genau, vielleicht brasilianisch lernen. Das wollte ich auch eigentlich gar nicht wissen.

Ich meine, alles in allem hatten wir doch eine sehr harmonische Beziehung. Und nun diese SMS. Wenn ich so überlege, klingelte ihr Handy allerdings ungefähr alle zehn Minuten und es war in der Regel einer ihrer Ex-Freunde dran. Sie meinte einmal, ich mach‘ für dich jetzt schon viel, viel weniger mit meinen Freunden. Was für ein Liebesbeweis, dachte ich. Und sie war immer total ehrlich zu mir. Einmal meinte sie, sie hätte sich von dem Typen aus Rio was weggeholt. Das fand ich dann schon ziemlich daneben. Dachte aber, egal, wir machen es eh immer mit Kondom. Auch das ihr Karate-Trainer immer noch unsterblich in sie verliebt war, sie zwar mal mit ihm zusammen war, aber sich nun nur noch bei ihm ausweinen würde, tangierte mich nur am Rande. Dachte ich zumindest. Sie bräuchte eben so viele Männer. Das müsse ich verstehen. Ich sagte: "Aber du kannst doch nicht alles haben." Trocken erwiderte sie: "doch." Dabei blickte sie mir mitleidsvoll in die Augen und sagte: "Immerhin hab ich in den zwei Monaten, während wir zusammen waren, nur mit zwei Männern geschlafen. Für mich waren es allerdings gefühlte zwanzig. Das hatte sie wohl auch gespürt und schrieb diese SMS.

Da saß ich also nun mit dieser SMS. Ein Freund von mir, den ich am nächsten Tag traf, meinte: "Also Peter, das klingt schon ziemlich hart. Manchmal hilft eine Professionelle." "Wie, eine Professionelle ?", fragte ich. "Nein, nicht, was du jetzt denkst. Ich meine, professionelle Hilfe, eine Psychologin. Ich könnte das zwar nicht, aber wenn man sich darauf einlassen kann, dann soll es durchaus helfen."

Am nächsten Morgen durchstöberte ich das Branchenbuch von Friedrichshain-Kreuzberg nach Psychologen. Mein Zeigefinger blieb stehen bei Dipl Psych Rüdiger Dankwart-Holtkötter. Ich dachte, mit dem Namen muss man vermutlich auch Psychologie studieren. Ich rief an. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine freundliche Damenstimme:
"Diplom Psychologe Dankwart-Holtkötter, Kammreiter, guten Tag ?"
"Spätkauf, guten Tag, ich hätte gerne einen Termin bei Herrn Dankwart-Holtkötter".

Herr Dankwart-Holtkötter praktizierte, oder sagen wir, er residierte, in einer prachtvollen Jugenstilvilla auf der Halbinsel Stralau. Die Vorderansicht des Altbaus war mit reichlich Stuck verziert. Die Balkone, mit reichlich Blumenkästen daran, sahen wirklich prächtig aus. Ich stieß die mit geschnitzten Ornamenten verzierte antike Eingangstür des Hauses auf und trat in das Treppenhaus ein, welches ebenfalls reich an Stuckverzierungen war. Die Treppe hoch zu Herrn Dankwart-Holtkötter war mir einem roten Teppich ausgelegt. An der Haustür empfing mich ein etwa fünfundfünfzigjähriger Mann mit Vollbart und Brille. "Mein Name ist Dankwart-Holtkötter. Kommen sie doch herein. Sie sind sicher Herr Spätkauf. Hier entlang bitte. Setzen Sie sich doch bitte." Ich setzte mich auf einen roten Sessel der sehr gemütlich aussah, und wie sich herausstellte, dieses auch war. Dankwart-Holtkötter, eine ernst zunehmende seriöse Erscheinung, die Souveränität ausstrahlte, nahm mir gegenüber Platz, schlug das rechte Bein über das linke, und griff sich einen kleinen Schreibblock samt Bleistift.

"Nun, Herr Spätkauf, was kann ich für Sie tun ?"
Ich zögerte einen Moment und dann fing ich an.
"Nun ja, wissen Sie, ich glaub‘ ich habe ein Problem mit Frauen, ne, eigentlich eher mit mir, naja, wissen Sie, ich bin gestern mal wieder verlassen worden und, wie soll ich sagen. Ich glaube, man kann sich nicht in mich verlieben."
"Und warum glauben sie das ?"
"Nun, ich habe mittlerweile schon so viel schlechte Erfahrungen gemacht, dass ich das glaube."
"Und ?"
"Vielleicht liegt da ja was in meiner Kindheit, wissen Sie, irgendwas, was mich irgendwie hemmt oder so, oder irgendwas, Verlustängste oder so."
"Und ?"
Ich war fasziniert davon, wie gut Herr Dankwart-Holtkötter die Kunst des aktiven Zuhörens beherrschte.
"Naja, vielleicht auch eine Art Ödipuskomplex. Das merken die Frauen ja dann immer auch gleich, wissen Sie ?
"Und ?"
Wissen Sie, ich bin ja manchmal ohne Vater aufgewachsen, vielleicht kann das ja auch irgend etwas verursachen, was man heute unbewusst nicht mehr, ja genau, unbewusst kommt da mal manchmal was hoch, und ich träum‘ auch manchmal so komisches Zeug."
"Was denn ?"
Also ich träum‘ von so Schluchten in die es mich herab zieht und manchmal von Hunden, die mich verfolgen."
"Mh."
"Ja, Hunde, ne, ich glaub, es sind gar keine Hunde, es sind eher Löwen, oder so. Manchmal denk‘ ich, mir fehlt so eine archaische Aggressivität, die andere Männer haben, ich aber nicht, und dann denk ich, die Frauen, die spürn das ja."
"Ja ?"
"Und dann hab‘ ich auch so Phasen, wo ich denke, ich müsste jetzt unbedingt Sex haben."
"Ist ihr Sexualleben in Ordnung ? Erzählen Sie doch mal."
"Mh."
"Sie müssen nicht, wenn Sie nicht wollen."
"Also das mit den Frauen fängt eigentlich immer recht vielversprechend an. Dann verändere ich mich aber immer und fühl‘ mich plötzlich so klein, so minderwertig."
"Und ?"
"Ja, ich bekomme dann immer Minderwertigkeitskomplexe, weil ich die Frauen so vergöttere. Also ich fühl mich dann so beschissen. Ich projezier‘ da vielleicht auch viel."
"Aha ?"

In dem Moment fiel mir auf, dass ich das rechte Bein über das linke geschlagen hatte, was sich dann sofort änderte.
"Ich glaub‘ in meiner Verwandtschaft gab es Borderline. Das hat mich mal total fasziniert, als ich das gelesen hab, was das ist. Vielleicht kommt das ein Stück weit auch daher ?"
"Ich will ihnen ja nicht zu Nahe treten, aber ich möchte ihnen keine Ratschläge geben. Sie sollen ihr Leben ja selber wieder in den Griff bekommen. Aber Borderline hat damit nichts zu tun. Also wo waren wir stehengeblieben?"
"Bordeline"
"Und ?"
"Manchmal denke ich, mein Über-Ich funktioniert vielleicht nicht so richtig. Da ist soviel Schrott, der müsste doch längst schon weg sein. Es ist aber nicht so, dass, also wissen Sie, als Student hab ich mal an einem Seminar teilgenommen, da sind wir mit einem Pappkarton über dem Kopf in die U-Bahn eingestiegen und andere im Seminar haben beobachtet, wie die Leute reagieren, wenn jemand mit Pappkarton überm Kopf in die U-Bahn."
"Sie lenken ab."
"Also wissen Sie, Herr Holtkötter."
"Dankwart-Holtkötter."

Ich spürte plötzlich, wie die Wut über die gestrige SMS langsam in mir hoch kroch.
"Wissen Sie, diese ganzen egozentrischen, narzistischen Tussen gehen mir langsam so was von auf den Keks, und ich, ich geh‘ mir sowieso auch schon lange auf den Keks, und überhaupt kotzt mich das alles total an hier. Sie sitzen hier fett und bräsig und schauen den ganzen Tag von ihrem fetten Balkon über die Spree und meinen, Sie könnten hier irgend jemandem helfen ?"
Ich brüllte mir die Seele aus dem Leib.
"Herr Dankwart-Bräsig, die ganze Welt kotzt mich an, verstehen Sie ?"
Ich sprang aus dem Sessel und griff den nächst greifbaren Gegenstand, einen goldenen Briefbeschwerer, der auf Holtkötters Schreibtisch lag und warf ihn mit voller Wucht in den zwei mal drei Meter großen Spiegel links an der Wand. Durch den Lärm des zerbrechenden Spiegels aufgeschreckt stürmte nun Frau Kammreiter wie eine Furie den Raum und schrie:
"Rüdiger, Rüdiger, Mein Gott, Rüdiger."

Mir wiederum entfuhr es leise: "Oh, Entschuldigung."

Rüdiger Dankwart-Holtkötter nahm, souverän wie er war, in einem eleganten Bogen den Weg zum Balkon, genoss einen kurzen Blick über die Spree, als wolle er ausdrücken, da hatten wir hier schon viel schlimmere Fälle, um sich dann wieder mir zuzuwenden. Dann sagte er:
"Nun ja, sie hören dann von mir."
Ich sagte schüchtern:
"Irgendwie fühl ich mich jetzt auch schon viel besser. Ich verabschiedete mich auch von Frau Kammreiter und dachte, das ist ja cool. Mir geht es schon viel besser, obwohl ich mich hier kaum öffnen konnte.

In meinen Kurzgeschichten, die in Friedrichshain-Kreuzberg angesiedelt sind, erspürt mein Protagonist Peter Spätkauf die Hauptstadtstimmung und bewegt sich dabei von einer peinlichen Situation in die nächste. Mutig stellt er sich den Herausforderungen, die da kommen und agiert dabei naiv bis dämlich. Am Ende lässt er sich jedoch nie ganz aus der Bahn werfen.Eckert Hebel, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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