Norbert Schimmelpfennig

Neues vom Teufel mit den drei Plutoniumhaaren

Die Forschungs- und Lehranstalt liegt zwei runden, gleich hohen Hügeln gegenüber, welche ähnlich wie ein weiblicher Busen aussehen, woraus sich der vollständige Name dieser Einrichtung herleitet, nämlich „Uni-versus-Titten“. Dort lehrt unter anderem der Dozent Dr. Uncool. Diesem Dozenten verrutscht bei seinen Vorträgen immer wieder die Brille, und zudem hat er dabei immer einen Wust an Zetteln vor sich liegen. So auch an diesem Tag, an dem der Hörsaal recht gut gefüllt ist; die Luft ist etwas drückend. So beginnt der Dozent seine Lesung mit den Worten:
Wer als erster einschläft, den bestimme ich dann zum Zettel Halten!
Heute nun geht es um die Funktion der Buchstaben E und N im Wort „Jenseits“.
Diese könnten einmal stehen für „Ewigkeit“ und „Nirwana“, außerdem für „Ende“ und „Neuanfang“, aber auch für „Empor“ und „Nieder“. Dazu ist in einem erst neu entdeckten Schriftstück folgende Begebenheit zu lesen:
 
Ein schmaler Grat führt die Seelen der Toten vom letzten Lichttunnel hin zu der Stelle, an der die erste Vorentscheidung getroffen wird, wer in die Hölle und wer in den Himmel darf.
 
Heimlich haben ein Engel und der Teufel unterhalb dieses Grates einen runden, schwarzen Spiegel aufgestellt, aus dem immer ein Spruch ertönt, wenn eine Seele vor ihm steht. Hiermit wollten sie ausprobieren, ob sie es schaffen könnten, dass, entsprechend dem Empor und Nieder, bei einer guten Seele tatsächlich das letzte Wort des Spruches mit einem E anfängt und bei einer bösen Seele mit einem N.
Weiter oben wäre ihnen dies nicht erlaubt worden; und so musste noch ein Weg gefunden werden, die Seelen dort hinunter gelangen zu lassen...
So war einem Robert zur letzten Aufgabe gemacht worden, diesen Grat zu wischen. Dieser Robert musste nach der Währungsumstellung geboren sein, denn er hieß mit Nachnamen Rappencent; und ihm konnte der Teufel heimlich ein spezielles Reinigungsmittel unterjubeln, welches den Weg auf lange Zeit ganz glatt bleiben ließ, so dass die feinstofflichen Körper der Verstorbenen hinunter rutschen mussten. Zwar hatte dieser Robert unbemerkt noch ein Schild aufgestellt mit dem Hinweis „VORSICHT – FRISCH GEROBERT!“ Aber es hilft nichts – schon rutscht die erste Seele hinunter – ein schmächtiger Mann mit Namen Emil, der zu Unrecht lange Zeit im Gefängnis gesessen hatte. Fälschlich war er von den Medien beschuldigt worden, der berüchtigte Schnürsenkel-Dieb zu sein, also ein Kaufhausdieb, der bei jedem Diebstahl einen Zettel, beschwert mit einem Schnürsenkel, hinterlassen hatte, auf dem er sein Diebesgut angegeben hatte.
 
 
Und als Emil nahe eines Kaufhaus-Einganges ein Schnürsenkel gerissen war und er diesen einfach wegwarf, wurde er zu Unrecht inhaftiert, bis sich seine Unschuld schließlich doch herausstellte. Hier unten sind ebenfalls alle Mächte von seiner Unbescholtenheit überzeugt, und so erscheint in dem schwarzen Spiegel der Spruch:
 
Ins Gefängnis gekommen
+ freigeschwommen
= Paradies erklommen
 
Da das letzte Wort mit einem E anfängt, darf Emil nun tatsächlich ins Paradies.
Dann aber kommen zwei Reporter, die damals Nachrichten über Emils angebliche Schuld verbreitet hatten: Zenobia vom Bayerischen Rundfunk und Abraham von TRP1. Zunächst sehen beide einen Kopf vor sich, von dem nur graue Haare zu erkennen sind, und beide tuscheln erst einmal, was das sein könnte, und fassen mit den Händen zunächst sanft, dann etwas kräftiger in die Haare hinein, um zu sehen, was passiert – da steigt aus den Haaren ein leichter Dampf auf, der aber die Stimmen von beiden undeutlich macht, als sie sich weiter unterhalten wollen – und nun ertönt aus dem Spiegel eine Abwandlung eines alten Spruches von einer gewissen Hermine, nämlich:
 
Tuscheln
+ wuscheln
= nuscheln.
 
Da nun das letzte Wort mit einem N beginnt, rutschen beide eine Ebene tiefer, in der es zunächst nach Nektar riecht, und beide erblicken einen hohen, vorspringenden Felsen, dessen oberste Klippen wie menschliche Lippen aussehen, der Mittelteil wie ein Bauch und der vorspringende Teil wie ein menschlicher Po. An den Lippen krabbeln Herpesviren, die an dem Nektar nippen, der dort klebt; im Bauch tummeln sich Schmetterlinge, und unter dem Po fliegen Hummeln umher. Zeitgleich mit dem Sturz der beiden aber regnet es Essig von oben, an dem zwar die Herpesviren ebenfalls nippen; die Schmetterlinge und die Hummeln aber fliegen, irritiert von dem Essiggeruch, verstört umher. Und vor sich erkennen die zwei Reporter eine weitere Ebene, auf der eine unüberschaubare Herde schwarzer Pferde mit roten Augen herum galoppiert, kein Durchkommen scheint möglich!
Abraham von TRP1 murmelt vor sich hin, in niederbayerischer Mundart, die nur der Dr. Uncool an der fernen Uni-versus-Titten nicht unbedingt ganz richtig wiedergibt, nämlich:
 
Jetzt, da so eine  Ebene zum Vorschein kimmt,
Sind wir beide ganz verstimmt,
Die Herpesviren an den Klippen,
die geformt san wie menschliche Lippen,
an dem heruntergeregneten Essig nippen,
aber gerade dieser Essig
verhält sich beim Verdunsten nur sehr lässig,
daher san im Bauch die Schmetterlinge
erst einmal net mehr guter Dinge,
und die Hummeln unterm Po
san ihres Daseins net mehr froh.
 
Dort unten finden die zwei eine Tastatur mit Bildschirm und werden von einem Lautsprecher aufgefordert, ihre frühere Arbeitsstelle in vier Kästchen einzugeben. Zenobia vom Bayerischen Rundfunk gibt zunächst das Kürzel BR für Bayerischer Rundfunk ein; dies reicht aber noch nicht ganz, es müssen vier Buchstaben sein, und so tippt sie einfach noch zwei weitere Rs ein – und nun spricht eine automatische Ansage diese Eingabe aus, sagt also: „BRRR!“
Die Pferde bleiben augenblicklich stehen und lassen Zenobia passieren, in Richtung der gegenüber liegenden Berge. Abraham von TRP1 jedoch wird von einer unsichtbaren Macht zurückgehalten, muss selber eine Eingabe machen, tippt daher TRP1 ein – da ertönt eine Fehlermeldung, dass keine Zahlen eingegeben werden dürfen. Nun setzt er einfach zwischen das R und das P den Anfangsbuchstaben seines Namens, und eine Stimme spricht daraufhin „Trap“, was die Pferde so verstehen, dass sie sich in Trab setzen sollen. Jetzt ist die Ebene wieder unpassierbar; aber irgendeine andere Macht versteht die Eingabe als das englische „trap“ für „Falle“; und so tut sich auch hier der Boden auf, und die zwei Reporter rutschen eine Ebene tiefer, aus der es kräftig nach Schwefel riecht – und hier stehen sie dem Teufel mit den drei Plutoniumhaaren gegenüber. Diese Plutoniumhaare hatte er sich Ende des 21. Jahrhunderts zugelegt, weil er die damals vollständig still gelegten Atomkraftwerke genauso vermisste wie die drei goldenen Haare, die ihm ein Kind einst gestohlen hatte. Und der Teufel spricht zu den beiden:
„So, jetzt seid ihr zwei bei mir gelandet; nun kann euch nur noch eines retten – wenn Emil, den ihr damals zu Unrecht beschuldigt habt, euch verzeiht!“
Doch da ertönt von weit oben Emils Stimme:
„Im Kittchen habe ich meinen geliebten Dietrich kennen gelernt, mit dem ich dann ein Leben lang zusammen geblieben bin – ohne die falsche Beschuldigung wären wir uns niemals begegnet! Daher vergebe ich den beiden!“
„Also, ihr zwei“, sagt nun der Teufel, „durch die Tür dort hinten geht es ins Paradies!
Aber wen haben wir denn da als Nächsten? Das ist ja Niels, der wahre Schnürsenkel-Dieb! So ein kräftiger Mann, den könnte ich hier gut gebrauchen. Auch braucht es für den Felsen neuen Essig von oben, jetzt riecht es dort schon wieder nach Nektar! Und die Chancen stehen auch gut für mich, ihr Engel dort oben, dessen Leben bestand ja fast nur aus schlechten Taten. Jetzt ist auch er vor den Spiegel gerutscht; und nur wenn das letzte Wort seines Spruches mit einem E anfängt, verspreche ich, ihn euch zu überlassen! Aber dies wird nicht geschehen, er hat ja immer sein Geld schnell wieder verschleudert, so dass er kaum jemals seine Miete bezahlen konnte, und so wird sein Spruch etwa so aussehen:
Nichts biete
+ keine Miete
= Niete
Also, sehen wir einmal! Hmmm...“
 
Als Niels nun vor dem schwarzen Spiegel steht, kommt ihm ein Ereignis in den Sinn, als er mit ein paar Kumpels im Wirtshaus gezecht hatte und schon ziemlich hinüber war, und da hatten sich die Kumpels heimlich verdrückt und ihn mit dem Geld, das er an dem Tag gerade beisammen hatte, allein zurück gelassen – so hatte er für alle blechen müssen, und anschließend wurde ihm so übel, dass er sich übergeben musste. Und so erscheint jetzt in dem schwarzen Spiegel der Spruch:
 
Zechen
+ blechen
= erbrechen
 
So ertönt es jetzt von oben: Mensch freue dich!
Während der Teufel flucht: Da hol mich doch ich!
Mein Versprechen werd‘ ich halten,
muss nun halt noch auf den Nächsten warten!
Die Herpesviren an den Klippen,
die geformt sind wie menschliche Lippen,
weiter an ihrem Nektar nippen,
und im Bauch die Schmetterlinge
sind alle wieder guter Dinge,
ja, und die Hummeln unterm Po
sind ihres Daseins wieder froh!
 
Nun schließt Dr. Uncool von der Uni-versus-Titten seinen Vortrag, hält immer noch alle Zettel selber, hat anscheinend im Hörsaal doch nicht auf das Geräusch geachtet, welches sich auf „Arche“ reimt und mit „Schn“ anfängt.

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