Anke Ritter

Diese Nacht war anders

Ich ging schnell die Straße hinunter, schlug den Kragen hoch und versuchte mich in meinem Mantel zu verstecken. Was war bloß passiert? Der Nieselregen fing an mich zu durchnässen. Ich tapste in mehrere Pfützen, meine Füße waren eiskalt und ich zitterte. Ob ich vor Kälte zitterte oder ob das zittern noch die Nachwirkung dieser grässlichen Zigarette war die ich mit den anderen geraucht habe – ich wusste es nicht.

Warum musste ich unbedingt zu dieser Party gehen? Warum musste ich unbedingt dazugehören? Dora und ihre Freunde aus der neuen Gesellschaft waren mir doch eh zu hochnäsig, zu materiell und zu gefühllos. Ich schimpfte mit mir selbst, nannte mich einen dusseligen Backfisch, der mit 30 Jahren noch von privatem Glück, von Ehemann und Kindern träumt. Der Krieg hatte viele junge Männer getötet, für mich war keiner mehr übrig und schließlich war ich auch nur ein uneheliches Kind, dessen Vater sich mit dem Ersparten meiner Mutter aus dem Staub gemacht hat.

Es war noch ein ganzes Stück bis nach Hause. Die Altstadt mit ihren Partykellern hatte ich fast hinter mir, von einer Seite hörte ich Bill Haley, der seinen Aligator später sehen wollte und aus einer Dachkammer säuselte mir die Valente ins Ohr, dass ganz Paris von der Liebe träumt. Ich war übermüdet und wütend. Noch kurz an der Leine entlang, hinterm alten Rathaus vorbei und dann war ich zuhause.

Ich träumte auch gerade von der Liebe, als ich Schritte hinter mir hörte. Mein Magen zog sich zusammen. Die Gänsehaut die ich hatte war jetzt Angst. So oft bin ich schon nachts aus der Altstadt nach Hause gegangen, aber diese Nacht war anders, seltsam, unwirklich, ich hatte Angst. Mit eingezogenem Kopf schaute ich rechts und links, ob irgendwo Menschen waren, nichts, ich beschleunigte meinen Schritt. Die Häuserwände warfen das klacken meiner Schuhe als Echo zurück. Was war mein Schritt? Gab es noch einen anderen? Ich lauschte angespannt, meine Muskeln verkrampften sich, mein Herz schlug bis zum Hals – da fasste jemand an meine Schulter. Ich schrie auf, drehte mich, und stolperte.

„Aber Gerda“ hörte ich „was ist denn los?. Hast Du mich nicht rufen gehört?“
„Horst!“ ich rappelte mich auf, konnte kaum sprechen „Horst . . . mach das nie wieder. Du hast mich zu Tode erschreckt, was soll das, warum tust Du das, wo kommst Du überhaupt her?“ Ich klopfte den Dreck von meinem Mantel, um meinen Händen was zu tun zu geben, am liebsten hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst.

Er grinste mich spitzbübisch an. „Nun stell Dich nicht so an“, sagte er und zwinkerte mir zu, „ich begleite Dich nach Hause“.
„Wenn´s sein muß“ blaffte ich ihn an, aber insgeheim war ich ganz froh, dass er mitkam. Ich mochte ihn, er war heute in der Clique aufgetaucht und keiner wusste so genau, wo er herkam. Und eine freche Begleitung ist besser als gar keine. Also drehte ich mich um, grinste ihn schief an und nickte.

Wir gingen schnell weiter, unterhielten uns noch über die Party und plötzlich als wir hinterm neuen Rathaus waren, blieb Horst abrupt stehen.
„Hee“, ich drehte mich um und schaute ihn an „bleib nicht stehen, ich möchte nach Hause“. Er schaute mich an ohne ein Wort zu sagen und hob den Kopf kurz an, um auf etwas hinter mir zu deuten.

Ich schaute ihn fragend an, mein Nacken kribbelte, ich bekam Angst aber ich musste wissen, was hinter mir war. Ich drehte mich um und sah einen Mann auf dem Weg, breitbeinig stehend, mit einem langen Mantel bekleidet und einer Mütze, die sein halbes Gesicht verdeckte. Das war schon erschreckend genug, aber was mir richtig Angst machte, war das Messer in seiner Hand.

„Na was haben wir denn da“, er grinste uns an und ließ das Messer von einer Hand in die andere wandern.
„Ihr habt doch sicherlich noch ein paar Zigaretten übrig, oder? Vielleicht auch noch etwas Geld und eine Uhr?“

Ich spurtete hinter Horst und hielt mich an ihm fest.
„Nein“, sagte Horst, „wir haben nichts übrig“, ich merkte, wie angespannt er war und dachte noch, dass er doch wohl kein Risiko eingehen würde, als ich von hinten hörte:
„Doch bestimmt habt ihr was und wie wir es bekommen, ist uns völlig egal . . . „

Oh nein, dachte ich, bitte nicht, mir wurde übel, ich möchte noch nicht sterben. Ich keuchte, gleich würde ich schreien, ich holte zischend Luft, da schubste Horst mich zur Seite und lief auf den Ersten zu. Ich sah noch, wie der Zweite von hinten losspurtete bevor ich im Dreck landete.

Das Handgemenge war kurz. Ich hörte Faustschläge, ein aufheulen und dann nur noch das trappeln von weglaufenden Füßen.


Jemand bewegte sich aus der Dunkelheit auf mich zu. Ich hielt den Atem an, und dann, mein Herz klopfte wie wild, erkannte ich ihn. Horst kam zu mir und sagte: „alles klar?“

Ich zitterte immer noch und schaute in die Dunkelheit, in die Richtung der davoneilenden Schritte, alle Laternen waren aus, die Stille war gespenstisch.
„Du hast . . . aaaaah . .. . . „ ich erschrak. Meine ausgestreckte Hand fiel zurück. „Was soll das?“

Horst schaute an sich herunter, „oh nein“, er breitete die Arme aus „bitte noch einen Augenblick“ rief er in den schwarzen Nachthimmel.

„Was passiert mit Dir?“ ich schrie ihn fast an, „Du wirst immer durchsichtiger“, ich hatte jetzt Angst vor IHM und ich zweifelte an meinem Verstand.

Er schaute mich eindringlich an und sagte:
„Es tut mir leid, ich kann nicht länger bleiben. Sag Deiner Mutter, dass ich sie nicht bestehlen wollte, ich bin nach Hannover gefahren, um dort Arbeit zu finden und wollte sie dann aus Schneverdingen nachholen. Ich wusste nichts von Dir, ich wusste nicht, dass Du unterwegs warst.“

Während er das sagte wurde er immer durchscheinender. Ich sass im Dreck, eine Hand vor dem Mund die andere hielt den Mantel zu. Ich traute nicht mich zu bewegen, was ging hier vor? Seine Stimme wurde immer leiser und ich konnte noch hören: „Aber leider“ er flüsterte nur noch „kam es nicht mehr dazu.“ Ich war jetzt ganz auf seine Stimme konzentriert. „Auf dem Hauptbahnhof lief ich Haarmann in die Arme“. Mir lief ein Schauder den Rücken hinunter, „oh nein“, ich schluchzte, ich versuchte aufzustehen und streckte ihm die Hand entgegen, doch er löste sich auf, als ich ein letztes Flüstern vernahm: „du bist eine wunderbare Tochter, ich liebe Dich. . . . “

Ich fing an zu weinen, laut, schluchzend, ein Pärchen wurde auf mich aufmerksam.

Die Nacht veränderte sich, die Laternen brannten wieder, überall war Leben und manches Leben hat einen Schutzengel . . .

 

Diese Geschichte hat lange gebraucht, bis sie entstand. Der Anfang war schnell gefunden und auch, dass Haarmann, der Massenmörder von Hannover, darin vorkommen sollte. Aber das mittendrin? Nun, machmal kommt die Eingebung über Nacht ;-)
Ich hoffe, sie gefällt euch.

Grüße,
Anke
Anke Ritter, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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