Angelika Sakowski

Nachts, wenn alles schläft

KINDERZIMMER                                                                                       INNEN/NACHT                   Im Zimmer brennt bis auf ein kleines Nachtspiel, das kleine Fantasiefiguren an die Decke wirft, kein Licht. Das Schlüsselloch der Zimmertür hebt sich leuchtend von der sonst schwarzen Wand ab. Zwei kleine Mädchen schlafen in ihren Betten. Ein Knallen außerhalb des Zimmers, lässt das ältere Kind NINA aus ihrem Schlaf hochschrecken. Sofort versucht sie ihre Beine und Arme unter der Decke zu verstecken. Sie hat Angst, bleibt aber nur für einen kurzen Moment an die Wand gekauert in ihrem Bett liegen. Langsam streckt sie ihre Beine vor und stellt sie auf den Boden. Still und vorsichtig erhebt sie sich von ihrem Bett und geht auf Zehenspitzen, immer die Tür im Auge behaltend zum Bett ihrer Schwester LENI. Leni schläft ruhig und fest. Nina setzt sich auf die Bettkante und hört auf das Atmen des Mädchens. Ninas Füße sind kalt und sie versucht sie durch aneinander reiben zu wärmen. Es hilft aber nichts und so zieht sie ihre Beine unter das Nachthemd und verschränkt Ihre Arme um die Knie. Sanft beginnt sie vor und zurück zu wippen, immer darauf bedacht Leni nicht aufzuwecken. Langsam wird sie schläfrig, immer wieder fallen ihr die Augen zu und sie muss sich am Bettrand festhalten um nicht umzukippen. Nina beobachtet weiter die Tür und sieht, dass das Licht im Schlüsselloch flackert. Sie hält die Luft an und knipst die Kinderlampe, die sich am Kopfende von Lenis Bett befindet, aus. Nun sitzt sie ganz im Dunkeln. Durch das Fenster dringt jedoch genug Licht, dass sie sich im Zimmer orientieren kann. Sie steht auf und geht stockend Schritt für Schritt auf die Tür zu. Dort lässt sie sich am Türrahmen auf den Boden sinken und hält ihre Hand in das Licht das durch das Schlüsselloch ins Zimmer fällt. Sie friert und zittert und die Hand vibriert im Licht. Sie presst ihren Kopf an die Tür und lauscht nach draußen. Nichts. Nur Leni bewegt sich im Schlaf. Nina kniet sich vor das Schlüsselloch und sieht hindurch. Zuerst ist sie geblendet und muss sich an das Licht gewöhnen. Ihrem Zimmer gegenüber befindet sich die Küche, deren Tür offen steht. Im Türrahmen steht Ninas VATER und versperrt die Sicht auf das Innere des Raumes. Er raucht und lässt dabei die Asche auf den Boden fallen. Er macht einen Schritt nach vor und Nina kann nun an seinen Beinen vorbei in die Küche sehen. Ihre MUTTER sitzt am Ende des Zimmers am Boden. Ihre Nase blutet und sie versucht mit einem Geschirrtuch die Blutung zu stoppen. Auf dem Boden unter ihren Beinen ist alles verschmiert, Nudeln und Sauce kleben an ihr und an den Küchenmöbeln. Nina atmet schwer und schreckt von der Tür zurück. Sie beginnt leise zu weinen und rollt sich am Boden liegend  zusammen. Eine Hand, Leni, berührt sie an der Schulter. Nina erschrickt, gibt aber keinen Laut von sich. Leni kniet sich vor Nina hin und streichelt ihr Gesicht. Nina kommt hoch und nimmt ihre Schwester in den Arm. Gemeinsam setzen sie sich mit dem Rücken an die Tür und halten ihre Hände. Leni spricht nicht und sieht Nina nur unentwegt an. Plötzlich ein klirrendes Geräusch aus der Küche und ein dumpfer Schlag, gefolgt von einem Aufstöhnen der Mutter. Die Mädchen schmiegen sich aneinander und Leni beginnt zu weinen. Nina hält Lenis Kopf an ihre Brust und die Hand über ihren Mund. Mit der anderen Hand streichelt sie ihr sanft über den Kopf und versucht sie zu beruhigen. 
Es ist wieder still und Nina dreht sich erneut zum Schlüsselloch. Leni ist hinter ihr und lehnt sich an ihren Rücken. Nina sieht den Rücken ihres Vaters, der jetzt ebenfalls auf dem Boden, jedoch auf dem Schoss ihrer Mutter sitzt.  Er hat das blutige Geschirrtuch von vorhin, um den Hals ihrer Mutter gelegt und würgt sie. Die Beine ihrer Mutter strampeln auf und ab und sie versucht die Hände ihres Mannes von ihrem Hals weg zu drücken. Niemand spricht oder schreit, nur das panische Stöhnen und verzweifelte Luftholen der Mutter ist zu hören. Nina wimmert an der Tür und hält sich krampfhaft an der Türklinke fest, hört aber nicht auf durch das Schlüsselloch zu schauen. Leni weint nun heftig und will die Hand ihrer Schwester festhalten. Sie zerrt an ihr und beide Mädchen stürzen nach hinten. Dabei drückt Nina die Türklinke nach unten und zieht die Tür mit sich in den Raum. Der Vater dreht sich um, lässt das Tuch los und springt auf die Beine. Er läuft auf die Mädchen zu, packt aber nur die Küchentür und wirft sie mit einem lauten Knall zu. Die Mädchen bleiben hinter der Tür liegen und warten. Leni ist genauso erschrocken wie Nina und hat aufgehört zu weinen. Nina sieht sich im Zimmer um und öffnet den Kleiderschrank der sich neben der Tür befindet. Sie nimmt Leni an der Hand und schiebt sie hinein. Sie deutet ihr mit dem Finger still zu sein und macht die Schranktür zu. Auf den Knien rutsch sie aus dem Zimmer und hält vor der nun geschlossenen Küchentür an.
 
KÜCHE                                                                                                         INNNEN/NACHT
Nina richtet sich auf, stellt sich auf die Zehenspitzen und versucht durch das im oberen Teil der Tür eingesetzte Glas in die Küche zu schauen. Ninas Mutter liegt inzwischen auf der Eckbank und der Vater drückt sie mit einem Arm nach unten, während er mit der andere Hand aus der Besteckschublade des Esstisches ein Messer heraus holt. Die Mutter versucht sich wieder zu befreien und tritt mit ihren Beinen gegen den Vater. Er ist stärker und schwenkt das Messer nun bedrohlich über ihr. Nina stößt einen langen Schrei aus und schlägt mit der Faust auf das Glas. Vater und Mutter starren Nina an.
 
NINA schreit
Mama! Aufhören! Mama!
 
Nina reißt die Tür auf und kommt in die Küche. Sie läuft zum Tisch und tritt dabei in die Sauce und Nudeln die immer noch am Boden liegen. Sie ist barfuss, rutsch dadurch auf dem ganzen Zeug aus und fällt hin. Sie weint nun hysterisch und versucht sich die Sachen aus dem Gesicht und den Haaren zu wischen. Ihre Eltern bewegen sich nicht und schauen ihr nur weiter zu. Der Vater hält die Mutter immer noch auf der Bank fest, hat aber das Messer inzwischen auf den Tisch gelegt.
 
MUTTER
Nina, geh ins Bett! Ist schon gut!        
 
VATER drohend
Los hau ab! Ich sag es dir nur einmal!  
 
Nina beruhigt sich nicht. Sie heult und schreit, steht vom Boden auf und fängt an auf den Arm ihres Vaters einzuschlagen. Der hat nun Mühe die Mutter festzuhalten und Nina abzuwehren. Aber Nina ist wie von Sinnen und schlägt immer weiter zu. Der Vater dreht sich nun ganz zu Nina um, lässt die Mutter los und ohrfeigt Nina. Sie ist nicht überrascht und schlägt weiter auf ihren Vater ein.
 
NINA
Hau du ab! Hau du endlich ab!
 
Die Mutter sitzt inzwischen aufrecht am Tisch und sieht zu wie der Vater versucht Ninas Arme festzuhalten. Er fasst sie grob an und Nina weint nun auch vor Schmerz. Sie versucht sich zu befreien und schaut immer wieder in die Richtung ihrer Mutter. Nina streckt ihr einen Arm entgegen, aber die Mutter schüttelt nur den Kopf und fängt an zu weinen. Der Vater hebt Nina hoch und wirft sie sich über die Schulter, dabei fängt er an, ihr hart auf den Hintern zu schlagen, dass Nina bei jedem Schlag aufheult. Sie strampelt und schlägt auf seinen Rücken ein.
 
NINA schreit
Mama, hilf mir! Mama bitte!
 
Die Mutter bewegt sich nicht. Sie nimmt ihren Kopf in beide Hände und macht die Augen zu. Der Vater dreht sich mit Nina Richtung Tür und bleibt plötzlich stehen. Er hört auf Nina zu schlagen und starrt nach vorne. Nina weint immer noch und versucht sich wieder zu befreien. Er lässt sie auf den Boden gleiten und Nina läuft zu ihrer Mutter, die sie in den Arm nimmt. Nina und ihre Mutter schauen zuerst auf den Vater und dann ebenfalls in Richtung Küchentür. Dort steht Leni. Sie ist angezogen, trägt Jacke und Schuhe und hat um ihren Hals eine Kindergarten-tasche hängen. Die Tasche ist vollgestopft mit Kleidung, die an beiden Seiten herausquillt. In einer Hand hält sie ein Stofftier und in der anderen einen Rucksack, der ebenfalls bis oben voller Kleidung ist. Sie weint nicht, steht nur ganz ruhig da. Der Vater geht einen Schritt auf Leni zu und Leni weicht einen Schritt zurück. Er bleibt stehen und dreht sich zu Nina und ihrer Mutter um.
 
VATER
Was soll der Blödsinn jetzt wieder?
 
Leni kommt wieder einen Schritt weiter in die Küche und schaut zu ihre Mutter und Nina. Sie hält den Rucksack in die Höhe und streckt den Arm nach vorne. Nina springt auf und läuft zu ihrer Schwester. Sie nimmt ihr den Rucksack ab und nimmt ihn auf die Schultern. Die Mutter rührt sich immer noch nicht. Der Vater zieht einen Stuhl vor und setzt sich. Nina nimmt Leni an der Hand und beide warten.  
 
NINA bittend
Mama? Kommst du?
 
MUTTER kopfschüttelnd
Wohin denn Nina?
 
NINA
Weg! Kommst du?
 
MUTTER ärgerlich
Hör auf damit Nina! Bring Leni ins Bett!
 
Nina und Leni bleiben weiter stehen. Leni streckt ihre Hände in die Richtung ihrer Mutter und beginnt zu weinen. Der Vater beugt sich zur Mutter und fährt ihr mit der Hand über den Kopf. Es sieht so aus, als würde er sie streicheln wollen, greift dann aber ins Haar und zieht daran.
 
VATER 
Siehst du? Das ist deine Erziehung! Die beiden Bälger folgen einen Scheiß!
 
MUTTER schreit
Nina! Ab ins Bett jetzt, sofort!
 
 
Beide Kinder schrecken zurück und nun fängt auch Nina wieder an zu weinen. Sie umfasst Leni bei den Schultern und führt sie aus der Küche. Im Flur zieht sie Leni die Sachen aus, geht mit ihr ins Kinderzimmer und schließt die Tür.  
 
KINDERZIMMER                                                                                       INNEN/NACHT
Es ist nun wieder stockdunkel und Nina tastet sich zum Bett von Leni vor. Dort schaltet sie das Nachtlicht wieder ein. Leni steht immer noch an der Tür und  weint. Nina nimmt sie an der Hand und legt sie ins Bett. Sie deckt sie zu, streichelt sie beruhigend und Leni schläft ein. Nina holt sich frische Sachen aus dem Rucksack und räumt die restlichen Kleidungsstücke wieder in den Schrank. Sie lauscht noch mal an der Zimmertür und legt sich dann auch ins Bett. Es ist wieder ganz still im Zimmer und Nina schläft gerade ein. Die Tür geht auf und jemand kommt herein. Man sieht aber nur eine Silhouette, da inzwischen auch in der Küche kein Licht mehr brennt. Nina ist sofort wieder hell wach und setzt sich im Bett auf. Die Person kommt zu Lenis Bett und legt sich hinein. Nina springt auf und rennt zu Leni. Es ist die Mutter, die Leni jetzt im Arm hält.      
 
MUTTER sanft
Leg dich schlafen Nina. Es ist alles gut!
 
NINA
Mama? Warum gehen wir nicht weg?
 
MUTTER
Ach Nina! Wir können nicht weg gehen. Der Papa braucht uns doch.
 
Nina schaut sich ihre Arme an, die jetzt voller roter Flecken und den deutlichen Handabdrücken ihres Vaters sind. Sie streckt ihrer Mutter die Arme hin und sieht dabei die Striemen am Hals der Mutter. Nina dreht sich um und legt sich wieder in ihr Bett. Die Mutter schaltet das Nachtlicht aus.        
 
ENDE

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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