Jennifer McCann

Narziss und Felicitas


"Du kannst dein Leben erst dann völlig dein eigenes
nennen, wenn du dich selbst mit Dingenumgibst, die dir Freude bereiten", sagte er während
er das Weinglas vom Tisch nahm und sich lässig auf der Ledercouch zurücklehnte, sieh her,
genau diese Dinge meine ich, undführte dann seinen Monolog fort, "und solange das
nicht so ist, musst du hart dafür arbeiten.
Du darfst den Zustand der Unvollkommenheit nicht tatenlos
hinnehmen, Felicitas. In eindimensionalen Realitäten musst du deine 3D-Brille
aufsetzen." Er lachte, sich der lächerlichen Simpelheit seiner Aufforderung bewusst. "Du bist ein
Niemand, aber tu so, als gehörte dir die Welt. Kleide dich in das Gewand der Lüge, wenn die
Wahrheit bloß nackt und hässlich ist wie eine alte Hure. Verstehst du, was ich meine?",
fragte er, erwartete aber keine Antwort von ihr und nahm einen großen Schluck von seinem
Chardonnay. Sie verstand sehr gut und teilte auch die meisten seiner Ansichten, jedoch
verabscheute sie die Sicherheit, die er ausstrahlte, als könne ihn nichts auf der Welt erschüttern.
Kleide dich in das Gewand der Lüge.
Das würde letztendlich bedeuten, dass die beiden sich belügen
würden wenn die Wahrheit hässlich würde. Und macht das Sündigen es einem
selbst nicht unmöglich, den anderen
für seine Sünden zu verurteilen? Was passiert, wenn zwei
Diebe sich gegenseitig bestehlen
und erfahren, was der jeweils andere getan hat?
Sie stellte ihr Glas ab. Es gab keine Bilder in seinem
Wohnzimmer; lediglich Spiegel. Er
selbst sollte das prunkvolle Porträt an seiner Wand sein.
"Glaubst du an Wiedergeburt?",
fragte sie ihn plötzlich und unverblümt. "Nein",
gab er ohne langes Überlegen zurück, "ich
glaube, Glauben ist ein Haufen Scheiße." Er lachte.
In einem früheren Leben hätte er nur ein
einziger sein können: der junge Narziss, der sich
unsterblich in sein Spiegelbild verliebt, mit
jedoch einem Unterschied: Er hätte Echo, die lediglich
Narziss' sich selbst gewidmeten
sehnsüchtigen Worte wiederholen konnte, nicht über seiner
Schönheit ignoriert, sondern er
hätte sie ein, zwei Mal genommen, und sich dann wieder in
seiner unerfüllten Liebe verloren.
Vielleicht war er in einem früheren Leben auch ein Dandy,
mit verschiedenen Friseuren, zuständig für verschiedene Partien seiner Kopfbehaarung, mit
verschiedenen Schneidern,
zuständig für die einzelnen Finger seiner Handschuhe, ein
Schein von Mensch, der das
männliche Geschlecht bevorzugte und seine sexuelle
Erfüllung in Analverkehr und Fellatio fand? Nein. Er liebte die Frauen. Er liebte es, sie mit
Materiellem zu beeindrucken, er liebte ihre Beine, ihre Brüste, vor allem ihre Brüste. Ein
gewöhnlicher Mann, der sich für außergewöhnlich hielt. Mittlerweile hielt er zu einem
nachdenklichen Gesichtsausdruck den Wein gegen das Licht. Ich kenne mich aus. Zu diesem hatte er
sie eingeladen, nachdem die beiden bei einem Nobelitaliener zu Abend gegessen hatten. Zuerst
Essen, dann Wein, dann Sex? War das nicht alles, worauf es hinauslief? Ein Mann und
eine Frau, allein in einem großen Haus, mittelmäßig alkoholisiert? Es war so simpel, ein
Klischeé. Vielleicht brauchte sie etwas einfaches, etwas, das sie nicht erschütterte, ja
genau in diesem Moment.

 
Zwischen zwei Küssen, mit denen er sie fast erstickt
hätte, schaute er in den Spiegel, der als Rückenlehne seines Bettes diente und lächelte. Sie nahm
ihre Beine hoch, legte sie auf seine Schultern und drehte ihren Kopf zur Seite, um seiner
Zunge zu entkommen. Mit jedem seiner Stöße kam sie dem Höhepunkt ihrer Ekstase näher,
doch sie konnte ihn nicht genau bestimmen. Tränen liefen ihre Wangen herunter, fast
lautlos. Es waren bloß zwei Körper, die
sich in verschiedenen Stellungen umeinander und ineinander
wanden, ein bedeutungsloses Spiel. Erschöpft ließ er sich neben sie fallen und schlief
prompt ein, und das war der Zeitpunkt als dem Supermann das Kostüm, das er
immer ängstlich festgehalten hatte, vom Körper rutschte und nur noch ein
einfacher Mann mit Hühnerbrust übrig blieb. Um das Klischeé zu perfektionieren zündete
sie sich eine Zigarette an und blies den Rauch in die von seinem   Schnarchen
erfüllte Nacht. 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Jennifer McCann).
Der Beitrag wurde von Jennifer McCann auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Jennifer McCann als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Yoga - Übungen Praktischer Leitfaden von Ernst Gerhard Seidner



Aus einer 3o.- jähringen Erfahrung mit Yogaübungen an Volkshochschulen, sowie im Sportunterricht, wurden Übungen (Asanas) ausgewählt die den Wert von Heilgymnastik haben, und keinerlei Verletzungsgefahr darstellen, wenn man sich nach meinen Anleitungen hält. Es ist alles so erklärt, dass man als Autodidakt alle Übungen ausführen kann, vom Kindergarten bis zum Rentner zu empfehlen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Einfach so zum Lesen und Nachdenken" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Jennifer McCann

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Danke Rocky...danke dir mein Freund... von Rüdiger Nazar (Einfach so zum Lesen und Nachdenken)
Die Oberschwester von der Schwarzwaldklinik von Margit Kvarda (Humor)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen