Pierre Heinen
Das Tausend-Lichter-Feld
"Ich muß aber dringend zur Königin!", beharrte S7-John, etwas
lauter als bei seinen zwei bisherigen Versuchen und ließ seine vier
Flügel in dem viel zu heißen Vorraum weiterhin schwirren.
Die beiden schwer bewaffneten Türwächter blickten sich erneut an. Ein
Zögern huschte über die Hauptaugen der beiden Soldaten der königlichen
Garde.
Der Vorhang wurde beiseite geschoben und der mächtige Sektor-Lord
Budastra kam auf den plötzlich kleiner gewordenen Sektor-7-Kundschafter
John mit großen Schritten zu.
"Was gibt es?", fragte er in einem leicht verärgerten Ton und ließ
seinen Blick über die Abzeichen, die John an seiner Uniform hängen
hatte, gleiten.
"... die Prophezeiung, Mylord ... das Feld ...", stotterte John jetzt.
"Soldat! Raus mit der Sprache oder ich lasse Sie sämtliche neue Waben
des Nestes mit ihrem Stachel putzen!", brüllte der Sektor-Lord, wobei
seine Orden wild durcheinander gewirbelt wurden.
"Das Tausend-Lichter-Feld! Es ist da!", platzte es aus der Kundschafter-Wespe heraus.
"Wiederholen, Soldat!", befahl Budastra neugierig und starrte John an.
"Das Tausend-Lichter-Feld?", fragte eine zierliche Stimme hinter dem Sektor-Lord.
Budastra drehte sich um. Die beiden Wächter standen blitzschnell stramm und ihre Speere und Schilde hatten Haltung angenommen.
"Prinzessin, ihr solltet doch bei eurer Mutter bleiben", sprach der gewaltige Budastra
mit einer süßlichen Stimme zu der wunderschönen Prinzessin mit der knackigsten Wespentaille die John je gesehen hatte.
Sie ignorierte den Sektor-Lord und bahnte sich einen Weg zu John. Sie musterte ihn , wie John es eben mit ihr getan hatte.
"Erzählt mir, tapferer Kundschafter", bat sie ihn und blickte ihm tief in seine fein facettierten Augen.
John wurde plötzlich heißer und seine Flügel summten noch schneller. Er
streckte kurz die Einzelsegmenten seiner beiden Antennen von sich und
erzählte sogleich was er erlebt hatte.
"Ich war schon auf dem Rückflug von einer Mission, als ich aus Neugier einer neuen Fährte folgte."
John holte tief Luft. Die Prinzessin beobachtete ihn noch immer intensiv und wißbegierig.
"Und dann?", fragte einer der Wächter aufgeregt.
Budastra's finsterer Blick brachte ihn zum Schweigen.
"Unendliche viele kleine Sonnen die die Nacht vertreiben, süße Düfte
und einen unendlich scheinenden Vorrat an Nahrung, wir sind gerettet!",
sprudelte John hervor.
Die Prinzessin drehte sich um und stürmte an den Wachen vorbei. John
hörte sie nur noch "Mutter, wir haben das Tausend-Lichter-Feld
gefunden!" rufen.
Als der Vorhang von alleine zufiel, drehte sich Budastra sofort um und starrte John mißtrauisch an.
"Sie haben Befehle nicht befolgt, Soldat", raunte Budastra John zu und näherte sich bedrohlich.
"... Eigentlich ...", wollte John den Vorfall erörtern, als ein schwerfälliges und lautes Summen, ihn zum Schweigen brachte.
Gebannt starrten sie alle auf den Eingang zum Thronsaal. Der
federleichte, rote Vorhang aus Seide bewegte sich leicht hin und her.
"Budastra!", schrie eine kraftvolle Stimme im Saal, die jeden im Vorraum zusammenzucken ließ.
Die Königin höchstpersönlich hatte gesprochen. Der Sektor-Lord eilte so
schnell er konnte in den königlichen Raum. John blieb stehen und
schaute die beiden Soldaten an. Drinnen wurde aufs heftigtse gestritten.
"Ist es wahr?", forschte der eine Wächter nach und beugte sich etwas nach vorn.
John bejahte und die beiden Soldaten lächelten. Der wochenlange Regen
hatte die Suche nach Nektar und Pollen erheblich erschwert und war an
manchen Tagen unmöglich gewesen. Der Vorrat der Kolonie war arg
strapaziert und die Mahlzeiten so rationiert worden, daß manch einer
hungrig zu Bett ging. Das Tausend-Lichter-Feld könnte die letzte
Rettung vor dem Untergang ihres Volkes sein, das waren sich alle
bewusst.
"Bringt den Kundschafter!", befahl Budastra von drinnen.
Die Wächter sahen sich an und gingen auf John zu. Dieser folgte seiner
Eskorte wortlos, mit offenen Oberkiefern, nach drinnen. Welches
Privileg John doch jetzt genießen durfte. Er, der kleine unbedeutende
Kundschafter aus dem Sektor 7, durfte vor die Königin und den gesamten
Hofstaat treten. Sein Blut zirkulierte immer heftiger in seinem Körper.
Der nierenförmig angelegte Thronsaal, vom Leuchtkäferstaub erhellt, war
prachtvoll ausgestattet und John hatte noch nie zuvor in seinem Leben
so viel Macht gegenüber gestanden. Er schluckte und blickte zur
riesigen Königin hoch. Die beiden Wächter an seiner Seite knieten
nieder und verbeugten sich tief. John tat dasselbe.
"Erhebt euch!", befahl die königliche Sirrette die Achte und blickte auf den Kundschafter hernieder.
John tat was man ihm sagte und blickte in die tiefschwarzen Augen der Majestät. Alle Lords des Nestes starrten ihn an.
"Er spricht die Wahrheit Mutter, ich kann es fühlen!", beteuerte die
Prinzessin sofort, ehe ihre Mutter auch nur etwas sagen konnte.
Die Königin blickte zu ihrer einzigen Tochter hinüber und nickte. Nur
das Surren und Summen aller Flügel erfüllte den Raum, als die Königin
mit einem Befehl das Schweigen brach.
"Alle Sektor-Lords sollen ihre Kundschafter ausschicken und den Befehl
erteilen, dem hier vor uns stehenden zu folgen. Er wird sie führen."
Der Befehl war erteilt worden, die Lords verließen mit schnellen
Schritten den Saal und der Tumult breitete sich im ganzen Nest aus.
John begab sich hastig in seinen Sektor. Die Königin lehnte sich auf
ihrem gepolsterten Thron zurück und erlaubte sogar ihrer Tochter die
Kundschafter zu begleiten.
John setzte sich an die Spitze der Truppe und flog wieder instinktiv zu
dem Tausend-Lichter-Feld. Sie fanden das Paradies auf Erden.
Das Riesenrad drehte sich unablässig und schaufelte grüppchenweise
Besucher nach ganz oben. Musik dröhnte aus jeder Bude und Unmengen von
Menschen hatten die warme Sommernacht ausgenutzt um eine Runde auf dem
Schobermessplatz zu drehen. Lichter in allen Farben des Regenbogens
glänzten. Der Duft, der zum Verkauf angebotenen, Leckereien schwängerte
die Luft und verführte mehr als einen Nasenbesitzer zum Kauf. Schreie,
ausgestoßen von Besuchern eines der zahlreichen bunten Fahrgeschäfte,
schwebten durch die Luft und trugen zur ausgelassenen Stimmung bei.
Schueberfouer!
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.08.2007.
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