Eckert Hebel

Die Herrentour

Gestern rief Hans an. Hans, den ich kenne, seit ich in Bärlin bin, ist der absolute Fahrradfreak. Früher arbeitete er als Fahrradkurier. Sein Fahrrad ist eines von der Sorte mit denen man fast locker auf der Autobahn mithalten könnte. Es ist eigentlich eher eine Geldanlage, als ein Fahrrad.

Hans pflegt sein Fahrrad natürlich auch vorbildlich, tägliches Putzen und alle paar Tage etwas Öl seien das Mindeste, meinte er einmal. Er ist natürlich auch in der Lage, alle Teile selbst auszutauschen, das Ding komplett zu zerlegen, und es anschließend so wieder zusammenzubauen, dass nicht eine Schraube übrig bleibt. Das ist bei seinem Fahrrad gar nicht so einfach, wenn man sich alleine die Gangschaltung einmal anschaut, die so faszinierend aussieht, dass man denkt, es handele sich nicht um eine Gangschaltung, sondern eher um ein Bild von M.C. Escher.

Abends nimmt er sein Fahrrad immer mit in seine Wohnung und schließt es mit drei Schlössern im achtzehnten Stock auf dem Balkon an. Die Gefahr, jemand könne sich, etwa von einem Hubschrauber aus, auf seinen Balkon abseilen, um das Fahrrad mitzunehmen, scheint eher gering. Auch würde bestimmt niemand mit einer Abrißbirne das Haus abreißen, nur um an sein Fahrrad zu kommen.

"Horst kommt auch mit", sagte Hans am Telefon, als er versuchte mich zu überzeugen am nächsten Sonntag mit auf die Herrentour zu kommen. Da wäre nämlich Herrentag. Hans würde mir auch sein Zweitrad ausleihen für den Tag. "Ok, sagte ich, aber du darfst nicht so schnell fahr’n, sonst komm‘ ich nicht hinterher." "Kein Problem", erwiderte Hans, "Horst ist auch nicht so schnell. Außerdem lagere ich ja auch die Getränke. Wir treffen uns gegen neun vor meiner Haustür. Wir fahr‘n ein Stück mit der Regionalbahn bis Friedrichsfelde und ab da nehmen wir die Fahrräder."

Horst hieß eigentlich Tchechen-Horst. Da ich in Bärlin aber zwei Horsts kannte, mussten diese beiden irgendwie namenstechnisch unterscheidbar gemacht werden. Glücklicherweise hatte Horst eine Tschechin geheiratet, die er über das Internet kennengelernt hatte. Seitdem nannte ich ihn Tschechen-Horst, was er durchaus gut fand, da er Tschechien, das tschechische Essen, das dortige Bier und eben letztendlich seine Frau sehr gern mochte.

Das Fahrrad, das Hans mir zugedacht hatte, war bequemer, als ich dachte. Auch, weil Hans mir den Sattel noch einstellte. Er selbst schleppte dann ein Fahrrad vor die Haustür, an dem an jeder Seite des Hinterrades eine große Seitentasche montiert war. Hans, Horst und ich fuhren dann zum nächsten Getränkestützpunkt, um den Tagesflüssigkeitsbedarf abzudecken. Hans verstaute in jeder der beiden Hinterradtaschen je einen Kasten Bier. Ich war erstaunt, das so etwas überhaupt möglich war. Er meinte, wichtig wäre nur, dass auf beiden Seiten des Fahrrades das gleiche Gewicht sei, sonst bekäme man Schlagseite. Bei Betrachtung des Umfangs seiner Beine würde auch jedem sofort klar werden, dass er kaum Probleme haben würde, ein Fahrrad und zwei Bierkästen fortzubewegen, was auch den Tatsachen entsprach.

Während der Bahnfahrt grinsten sich immer wieder einmal fremde Leute gegenseitig an, nachdem sie uns sahen. Es lag entweder an der grüngelbkarierten Shorts von Hans, oder dem ledernen Boxbeutel, den Hans um den Hals trug. Auch die dunkle Sonnenbrille Marke "Palermo" von Tchechen-Horst war nicht von schlechten Eltern, obwohl mir nicht ganz. klar war, ob man dadurch überhaupt etwas sehen konnte. Cool sah sie allemal aus. Wir lächelten immer nett zurück.

Dann fuhren wir durch Wälder, auf endlosen Landstraßen und immer wieder durch Dörfer in Brandenburg. Die Hitze war kaum zu ertragen und die Sonne brannte uns auf die Köpfe. So circa alle halbe Stunde machten wir daher immer irgendwo im Wald Rast und tranken ein paar Flaschen Bier. Ab und zu kamen uns auch andere Fahrradfahrer oder Herren mit Bollerwagen auf ihren Herrentouren entgegen. Die freuten sich dann immer und grölten oder lallten in der Regel irgend etwas Unverständliches.

Plötzlich schien Hans irgendein interessantes Schild entdeckt zu haben. "Gasthaus zum Ochsen – heute Obenohnebedienung". "Boa, super, da müssen wir hin", sagte er mit feuchten Augen. Horst war, wie ich, eher skeptisch, ließ sich aber auch überreden. Ich hatte das Schild allerdings gar nicht geseh’n und scherzte, vermutlich hätte drauf gestanden, heute oben ohne Bedienung.

Nach etwa einer Stunde tauchte auf der rechten Straßenseite tatsächlich ein Gasthaus zum Ochsen mit einem Biergarten auf. Wie stiegen von unseren Fahrrädern ab und setzten uns an einen Tisch. Erstaunlicherweise waren wir die einzigen Gäste.

Hans erzählte alte Fahrradgeschichten, zum Beispiel wie er einmal nachts angetrunken mit seinem Fahrrad in die Tramgleise geraten sei, und ihm beim Sturz kaum etwas passiert sei, oder wie er einmal gar eine Tram gerammt hätte, weil er meinte, er hätte Vorfahrt gehabt, oder wie er einmal nachts auf dem Fahrrad eingeschlafen sei und trotzdem den Weg nach Hause gefunden hätte. Man wusste oft nicht so genau, ob es stimmte oder nicht. Das war in diesem Augenblick auch egal. Der Spaß stand im Vordergrund.

Auf einmal machte mein Kreislauf vom Bier und der Hitze arge Probleme. Schlapp legte ich meinen Kopf quer über den Tisch, fing an verschwommen und doppelt zu sehn. Plötzlich sah ich vor dem Ochsen zwei dickbäuchige Kellner, die wegen der Hitze jeweils nur eine Shorts trugen und einen ledernen Geldbeutel zwischen ihren Beinen.

In meinen Kurzgeschichten, die in Friedrichshain-Kreuzberg angesiedelt sind, erspürt mein Protagonist Peter Spätkauf die Hauptstadtstimmung und bewegt sich dabei von einer peinlichen Situation in die nächste. Mutig stellt er sich den Herausforderungen, die da kommen und agiert dabei naiv bis dämlich. Am Ende lässt er sich jedoch nie ganz aus der Bahn werfen.Eckert Hebel, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.08.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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