Hans Pürstner
Berlin, wir fahren nach Berlin!
Nach langer Zeit habe ich es mal wieder geschafft, zur Funkausstellung nach Berlin zu fahren.
Während ich gemütlich im ICE sitze und die „blühenden Landschaften des Helmut Kohl“ an mir vorüberrasen lasse, gehen mir noch mal die Bilder durch den Kopf von meinem ersten Besuch der IFA Anfang der achtziger Jahre.
Ein Inserat in der Morgenpost hatte es mir angetan:
Busunternehmen XYZ, Fahrt zur Intern. Funkausstellung in Berlin
Abfahrt 8 Uhr Hamburg ZOB. Preis DM 28.-
Das war´s doch, dieses Schnäppchen konnte ich mir nicht entgehen lassen! Sofort rief ich noch meinen alten Kumpel Andre an, dem würde das bestimmt auch gefallen.
Er war sofort Feuer und Flamme und ich bestellte die Tickets. Nur für uns beide, Karin, seine Frau hatte nämlich dankend abgelehnt.
Ihre Reaktion hätte uns eigentlich zu denken geben müssen, eine letzte Warnung vor dem, was auf uns zukommen könnte.
Aber was sollte schon passieren?
Pünktlich um sieben versammelten wir uns vor dem Bus. Der Fahrer und eine Angestellte kontrollierten die Fahrkarten, schrieben Namen und Adressen penibel auf.
Schließlich mussten wir ja die Zonengrenze passieren.
Aber was sollte schon passieren?
Schlaftrunken dösten wir vor uns hin, während der Bus näher und näher an die Grenze zur DDR kam. Bald stoppte der Fahrer und mehr oder weniger interessiert schauten wir der Zeremonie zu wie zwei korrekt uniformierte Grenzsoldaten in den Bus stiegen und ihre Kontrolle begannen. Reisepass für Reisepass wurde in die Hand genommen, Seite für Seite durchgeblättert, nicht ohne zwischendurch einen gestrengen prüfenden Blick zum Fahrgast zu richten, ob er auch wohl ganz bestimmt die Person auf dem Passbild sei. Die Beamten ließen sich durch nichts von der gemächlichen Durchführung ihrer Kontrolle abbringen. Weder flapsige Sprüche einiger Mutiger, noch der ungeduldige Blick von den anderen, die in Gedanken längst die neuesten Videorekorder und Stereoanlagen begutachteten.
Der unpersönliche Blick der Grenzer ist mir heute noch gegenwärtig. Kein persönliches Wort, kein freundliches Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. Erst nach der Wende habe ich gelesen, dass all dies in den Dienstanweisungen für Grenzbeamte stand. Für mich war es einfach nur unfassbare Unfreundlichkeit bis hin zur Unverschämtheit.
Der Minderwertigkeitskomplex stand ihnen ins Gesicht geschrieben. Vielleicht auch Neid.
„Die fahren zur Luxusausstellung und wir müssen zurück zu unseren Volksfernsehern“
Nachdem sie nun endlich alle kontrolliert hatten, die Ausweise wie auch die Liste der Fahrgäste, die der Busfahrer ja wohlweislich angelegt hatte, durften wir gnädigerweise weiterfahren.
Anfangs auf dem Lande konnte man ja noch nicht viele Unterschiede feststellen, aber je näher die damals noch heimliche Hauptstadt rückte, desto trister wurde alles. Graue Häuser, graue Autos, graue Gesichter der wenigen Menschen, die wir zu Gesicht bekamen.
Schon kam sie näher, die Grenzabfertigungsanlage zur Wiedereinreise nach Berlin (West).
Voller Vorfreude warteten wir auf all die Grundigs, Panasonics und Telefunken. Endlich waren wir da.
Na ja, fast.
Aber was sollte jetzt noch passieren?
Die vorhin erlebte Prozedur wiederholte sich. Mann für Mann, Ausweis für Ausweis.
Unfreundlich wie gehabt. Man hatte den Eindruck, dass diese Leute zum Lachen in den Keller gehen mussten.
Plötzlich, schon im hinausgehen verfinsterte sich der Blick des einen Grenzsoldaten noch mehr als ohnehin schon. Er hielt triumphierend die Passagierliste hoch, zählte zum zweiundzwanzigsten Mal nach und brüllte:
„Da fehlen zwei Personen, die auf der Liste stehen!“
Eher belustigt nahmen wir das zur Kenntnis. Wären wir zwei zuviel gewesen, hätten wir das ja gut verstehen können.
Aber zwei weniger? Wer würde schon freiwillig hier bleiben, anstatt mit uns zur IFA zu fahren?
Dies laut auszusprechen wagten wir dann aber doch nicht mehr. Leise dämmerte es uns nun, dass all die Schauermärchen über die DDR Grenze wohl doch keine Hirngespinste einiger Stockkonservativer waren.
Die Beamten dachten auch gar nicht daran, sich auf irgendwelche Diskussionen einzulassen. Der verzweifelte Versuch der Reiseleiterin und des Busfahrers die Differenz zwischen Liste und tatsächlicher Passagierzahl zu erklären wurden brüsk abgelehnt. Es würde mich heute noch interessieren, ob in den Dienstanweisungen auch etwas von unverschämtem Benehmen drin stand oder so.
Sie verließen den Bus, schlossen die Tür ab und verschwanden mit dem Schlüssel und unseren Ausweisen in ihrer Dienstbaracke.
Da saßen wir nun. Keine Ahnung, wie es weitergehen würde. Wie lange wir warten müssten.
Ich schickte Stoßgebete zum Himmel, dass mich meine bekannt ungeduldige Blase dieses eine mal in Ruhe lassen würde. Wenigstens dieser Wunsch wurde mir erfüllt. Zu dieser Zeit des Tages zumindest.
Nach einer halben Ewigkeit, an die zwei Stunden bestimmt, erschien einer der beiden und gab kommentarlos den Autoschlüssel und die Ausweise zurück und winkte uns ungeduldig zu, weiter zu fahren.
Das ließ sich der Busfahrer nicht zweimal sagen und so trudelten wir letztendlich doch noch am Messegelände ein. Um vier Uhr nachmittags wohlgemerkt. Statt drei Stunden waren wir
an die acht Stunden unterwegs gewesen. Das wollten Andre und ich nicht noch mal erleben. Bevor wir endlich in die Ausstellung gingen, riefen wir noch schnell die Fluggesellschaft an und buchten die letzen zwei freien Plätze spätabends nach Hamburg.
Unsere Begeisterung für die IFA war naturgemäß etwas abgekühlt und so rannten wir beinahe im Schnelldurchgang durch die Messehallen.
Unsere leeren Mägen mussten schließlich auch noch gefüllt werden. Nicht ohne ein paar Berliner Bierchen zum Runterspülen. Und so meldete sich dann doch noch meine Blase, die am Morgen noch so brav geblieben war zu Wort. Während wir im Flughafenbus saßen auf dem Weg nach Tegel, konnte mich selbst mein besorgter Mitfahrer Andre nicht davon abhalten, mitten in der Fahrt auszusteigen und das nächste Restaurant aufzusuchen, um mein dringendes Bedürfnis zu stillen. Fassungslos, mit weit aufgerissenen Augen sah er mir nach, während er im Bus davonfuhr.
Aber dank eines superschnellen Taxifahrers erreichte auch ich noch rechtzeitig den Flughafen und wir kamen heil zurück nach Hamburg.
Diese Fahrt werde ich mit Sicherheit nie vergessen, sie ist meine ganz persönliche, völlig unpolitische Erinnerung an die Ex DDR!
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.08.2007.
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