Daniela Rabenstein

Es geschieht in einem Augenblick

Dicke, graue Wolken bedecken den Himmel an diesem kühlen Herbsttag. Ich sehe dich an, wie du dort in Jeans und Pulli stehst; ganz vertieft in deine Gedanken und mit liebevollem Blick. Ein Lächeln umspielt zärtlich deine Lippen. Ich wüsste gern, woran du genau in diesem Augenblick denkst. Wenn ich dich aber danach frage, wirst du wissen, dass ich dich lange angesehen habe. Und vielleicht ziehst du dich dann wieder zurück. Es ist schwer, zu dir vorzudringen und dein Vertrauen zu gewinnen.

Als ich dich gefragt habe, ob du mich begleitest, hatte ich nicht damit gerechnet, dass du zustimmen würdest. Dennoch stehen wir hier; auf dem offenen Feld, traurige Wolken um uns herum. Mit dir hier sein zu können, macht diesen Tag zu einem besonderen.

Der Wind weht durch dein Haar, das dein Gesicht mit einigen Strähnen verdeckt. Fast bin ich versucht, dir diese Strähnen aus dem Gesicht zu streichen, dich in die Arme zu schließen und in deinen Augen zu versinken. Aus Angst, die Kontrolle zu verlieren, bleibe ich jedoch stehen, als wären meine Füße mit dem Erdboden verwachsen, und versuche, mich auf den kleinen, in meiner Hand liegenden Ball zu konzentrieren. Und doch wandert mein Blick immer wieder zu dir zurück. Deine Bewegungen sind so leicht, so elegant. Ich bin gefangen in deiner Erscheinung.

Dein Lachen hallt in meinen Ohren. Auch lange, nachdem es für einen Moment verstummt ist.
Ich erinnere mich an Zeiten, in denen es mich wie ein dunkler Schatten verfolgt hat; sich nicht abschütteln ließ, so sehr ich es auch versuchte. Ebenso dein Gesicht, das ich auch jetzt noch vor mir sehe; selbst wenn meine Augen nicht geschlossen sind. Dein Lachen bringt mir dein Gesicht, wenn ich schlafen will und lässt meine Nächte ruhelos werden.

Ich habe versucht, dir aus dem Weg zu gehen; habe versucht, dein Umfeld mit fadenscheinigen Ausreden zu verlassen, wenn eine Begegnung unumgänglich war.
Ich weiß, welche Folgen diese kleinen Wiedersehen für mich haben. Sie wühlen meine Seele auf; kehren die Innenseite nach außen und stellen alles auf den Kopf. Mein ganzes Leben verändert sich, wenn ich dich sehe. Es ist ein Widerspruch in sich. Ich habe Angst vor den Erinnerungen, die du in mir weckst. Ich will dich nicht sehen, und doch fehlt mir etwas, wenn du fort bist.

Dein Lachen reisst mich aus meinen Gedanken und holt mich an diesen Ort zurück; mit dir zusammen an einem kühlen Herbsttag. Unsere Finger berühren sich kurz; es ist noch einer dieser Momente, die ich für lange Zeit nicht vergessen werde.

In mir wachsen die bekannten Gefühle und ich verfluche sie. Kann es so etwas wie Liebe sein? Ich kenne die Liebe nur anders. Dieses Gefühl ist mächtiger. Es ist Verlangen und gleichzeitig nicht. Es ist eine tiefe Verbundenheit, die ich nach jeder Begegnung stärker spüre und die das Verlangen in den Hintergrund stellt. Und zur selben Zeit sind es Verletzungen, die du meiner Seele zufügst, ohne etwas davon zu bemerken.

Manchmal glaube ich, ich müsste dich lieben. Ich stelle mir oft vor, wie es ist, dich zu küssen. Manchmal wünsche ich, ich wäre dir nie begegnet. Du bringst zuviel Chaos in mein Leben.
Manchmal weiß ich, dass ich mit diesen Empfindungen nicht umgehen kann.


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.10.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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