Claude Peiffer

Sinnlose Vermehrung

Der Tatort setzte sogar dem alten Kommissar Bockmann zu. Beim Anblick der beiden Kinderleichen war ihm sein Frühstück hochgekommen und es hatte ihn seine ganze Willenskraft gekostet, nicht auf die Kinder zu kotzen.

„Wer tut so etwas?“

Er wollte die Frage gar nicht stellen, wollte gar keine Antwort darauf erhalten. Doch der junge Gerichtsmediziner – dessen Namen er nicht einmal kannte – der sich um die kleinen verstümmelten Körper kümmerte, antwortete prompt:

„Meistens die Mütter!“

„Und hier war es ebenso“, teilte Bockmanns Kollegin Schuster dem Kommissar mit. Sie blätterte in ihrem Notizblock herum und gab weitere Details des Familiendramas wieder.

„Die Frau ist 31. Die Kinder waren 2 und 3 Jahre alt. Der Mann – 38 – kam gerade in dem Moment nach Hause, als seine Frau ihrer jüngsten Tochter die Kehle durchschnitt.“

„Von woher kam der Mann?“, unterbrach Bockmann seine Kollegin.

„Aus seinem Atelier! Das befindet sich im Nachbarort. Er ist Bildhauer und arbeitete dort an einer Steinskulptur. Er sagte mir, dass er nur selten bei seiner Familie sei. Sie würden ihm nur auf den Geist gehen. Vor allem seine fette Frau ging im ständig auf die Nerven. Sie verlangte immer von ihm, dass er sie unterstützen oder irgendwelche Hausarbeit machen sollte.

Seine Worte, nicht die meinen“, erklärte Schuster dem Kommissar. „Er ist Künstler, verstehen Sie. Er kann mit einer Familie nichts anfangen.“

„Seine Frau anscheinend auch nicht“, kommentierte der Kommissar angewiedert von diesen Familienverhältnissen. „Wo befindet der Kerl sich jetzt?“

„Ging zurück in sein Atelier. Konnte hier ja nichts mehr ausrichten.“

„Toll!“ Kommissar Bockmann hätte den Mann am liebsten verprügelt. Wie konnte man nur so gefühllos sein. „Und die Mutter? Ist sie vernehmungsfähig?“

„Sie ist die Ruhe selbst“, behauptete Schuster. „Sie gibt zu, die Kinder getötet zu haben, um endlich wieder frei zu sein und wieder ein normales Leben führen zu können. Sie hatte – wie sie selbst sagte – keinen Bock mehr auf diese ganze Scheiße.“

„Spinnt die?“, fuhr Bockmann auf. „Zuerst Kinder in die Welt setzen und wenn einem dann die Arbeit mit den Kleinen zu viel wird, bringt man sie einfach um. Wer hat eigentlich die Tat gemeldet?“

„Ein Kunde des Mannes. Er hatte den Künstler nach Hause begleitet, um sich einige seiner Arbeiten anzusehen, die hier herumstehen. Er erlitt einen Schock und wurde ins Krankenhaus gebracht.“

„Hast du schon die Nachbarn befragt? Kann uns von denen jemand erklären, was hier eigentlich vorgefallen ist?“, wollte Bockmann wissen.

„Natürlich!“, antwortete Schuster sofort. Der Kommissar bewunderte den Einsatz, den seine junge Kollegin zeigte. Ihm fiel es schwer, bei solch einem Fall die notwendige Motivation zu finden. Er machte diesen ganzen Kram schon zu lange.

„Die Nachbarn sagten alle ziemlich das Gleiche aus. Vor vier Jahren zog ein junges, sehr zurückgezogen lebendes Paar in dieses alte Bauernhaus ein. Hin und wieder wurden laute Partys veranstaltet, an denen merkwürdige Leute teilnahmen. Das hörte aber nach der Geburt des ersten Kindes auf. Darauf folgten laute Streitgespräche zwischen dem Mann und der Frau, wobei hauptsächlich die Frau redete oder besser gesagt herumschrie. Außerdem behaupteten alle Nachbarn, dass die Kinder stets in einem verwahrlosten Zustand herumgelaufen sind. Nur wenn jemand zu Besuch kam, wurden sie herausgeputzt und zur Schau gestellt, als Modepüppchen vorgeführt. Nach solchen Besuchen waren die Streitereien immer am heftigsten.“

„Und keiner der Nachbarn kam auf die Idee unseren Kollegen von der Streife zu kontaktieren?“

„Habe ich auch gefragt. Aber ich bekam nur die übliche Antwort. Man möchte nicht in Schwierigkeiten kommen, durch Dinge, die einen nichts angehen.“

„Dafür haben wir jetzt hier zwei blutüberströmte Kinderleichen liegen“, ärgerte sich der Kommissar. „Ich würde diese gesamte Nachbarschaft am liebsten hierherzitieren und ihnen das Resultat ihrer feigen Zurückhaltung vor Augen führen.“

„Das würde auch nichts mehr ändern“, behauptete Schuster.

Bockmann blickte sie finster an. Natürlich hatte seine Kollegin recht. Aber er würde sich danach vielleicht ein wenig besser fühlen.

„Ach ja!“, meinte Schuster dann noch nach einem Blick in ihren Notizblock. „Der Mann hatte noch etwas ausgesagt.“

„Und was?“

„Es war sowieso nur eine sinnlose Vermehrung!“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.09.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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