Claude Peiffer

Der Kartenspieler

Das kleine verschlafene Dorf Snaketown lag mitten im Herzen der Sonara-Wüste, am Rande zur mexikanischen Grenze. Es wunderte Joe Dancer, dass die Postkutsche von Wells Fargo auf ihrer Fahrt nach Kalifornien ausgerechnet hier Station machte, doch wahrscheinlich war dies das einzige Nest, im Umkreis von 100 Meilen, in dem es frische Pferde für die Kutsche gab .

„Sie können sich zwei Stunden lang die Beine vertreten, Mr Dancer“, riet ihm der bewaffnete Begleiter der Postkutsche und spuckte dabei auf den staubigen Boden. „Aber seien Sie vorsichtig. Hier treibt sich eine Menge Gesindel herum.“

Joe dankte dem Mann mit einem kurzen Nicken und legte seine Hand auf den Peacemaker, der in einem teuren Halfter an seiner Hüfte hing.

„Ich habe einen guten Freund bei mir“, versuchte er dem Mann zu erklären, doch der winkte nur lächelnd und kopfschüttelnd ab und kehrte ihm den Rücken zu. Wahrscheinlich hielt er ihn nur für ein weiteres Greenhorn aus dem Osten.

Joe schaute sich um und entdeckte schräg gegenüber einen Saloon. Ein kühles Bier wäre jetzt genau das Richtige. Mit breitem Schritt bewegte er sich auf das hölzerne Gebäude zu.

Plötzlich flog die Saloontür auf und ein Mann mittleren Alters stolperte auf die staubige Straße. Ihm folgte ein stämmiger und schmutziger Mexikaner.

„Steh auf, Gringo!“, schrie der Mexikaner. „Ich schieße nicht auf Leute, die auf dem Boden liegen.“

Der Gesetzeshüter von Snaketown erhob sich und taumelte einige Schritte zurück.

„Zieh!“, forderte der Mexikaner ihn auf.

Joe hatte von dieser unzivilisierten Art die Probleme zu lösen des sogenannten Wilden Westens gehört. Und sich auch darauf vorbereitet. Er konnte ziemlich schnell ziehen und war auch sehr treffsicher. Doch was er nun zu sehen bekam, erschreckte ihn doch.

Der Sheriff zog seinen Colt als erster und er zog verdammt schnell. Doch der Mexikaner war schneller und die Kugel aus seiner Waffe hinterließ ein fingergroßes Loch im Kopf des Sheriffs.

„Nun gehört diese Stadt mir“, verkündete der Mexikaner den wenigen Zuschauern, die dem Duell beigewohnt hatten. Die meisten von ihnen zogen sich ängstlich zurück. „Und dabei dachte ich, diese Stadt würde von einem richtigen Revolverheld beschützt.“

Der Blick des Mexikaners richtete sich kurz auf Joe. Er spuckte ihm vor die Füße. „Auch Lust auf eine Kugel?“

Joe verschlug es die Sprache. Er dachte nicht einmal daran, sich mit dem Mexikaner zu messen. Er würde auf jeden Fall den Kürzeren ziehen.

„Das war nicht gerade eine Meisterleistung, Hector“, hörte Joe plötzlich jemanden sagen.

Erst jetzt bemerkte er den alten Mann, der an einem kleinen Tisch auf der Veranda vor dem Saloon saß und dort in aller Ruhe ein Kartenhaus aufbaute. Er schaute nicht einmal auf, als Hector wild auf ihn zustürmte und sich drohend vor ihm aufrichtete.

„Alter, wenn du mir etwas zu sagen hast, dann können wir das auf der Stelle austragen.“

Der Kartenspieler drückte mit dem Zeigefinger den tief in der Stirn sitzenden Hut hoch. Seine grauen harten Augen blickten den Mexikaner furchtlos an.

„Es wäre gesünder für dich, die Stadt zu verlassen, Hector“, meinte der Alte, was den Mexikaner nur noch zorniger machte.

Hector stampfte von der Veranda herunter auf die Straße und rief:

„Entweder kommst du jetzt zu mir runter und stellst dich mir wie ein Mann oder ich puste dir den Kopf weg.“

Wieso überraschte es Joe nicht, dass der alte Mann sich langsam aus seinem Stuhl erhob, einen Stapel Karten sorgfältig zur Seite legte und sich auf die Straße begab.

Die beiden Männer stellten sich auf, Hector zog augenblicklich seine Waffe und fiel tot um.

Joe hatte nicht einmal gesehen, wie der Alte seine Waffe gezogen hatte. Er sah nur noch, wie er sie wieder einsteckte.

Ohne Kommentar zog sich der Alte an seinen Tisch zurück, nahm seine Karten wieder auf und baute weiter an seinem Kartenhaus.

Auf die Straße kehrte das Leben zurück. Man kümmerte sich um die Leichen und einige Leute bedankten sich bei dem Kartenspieler.

Joe trat an den Mann heran und fragte ihn, wie man lernen konnte, so schnell zu ziehen.

Der Alte bewegte eine Karte so schnell zwischen seinen Fingern hin und her, dass Joe seinem Tun kaum folgen konnte.

„Karten!“, erklärte der alte Mann. „Sie verschaffen einem eine ruhige Hand und schnelle Finger.“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.09.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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