Heike Clarissa Conundrum

Irgendeine Chatgeschichte - Teil 1

 

Hinweis!

Es gibt keinen Zusammenhang mit einer wirklich wahren Geschichte, jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder nie gegebenen Personen, kann nur Zufall oder eine Laune der Natur sein. Logisch betrachtet einfach nur eine von vielen möglichen Geschichten, die es  so oder so ähnlich millionenfach geben wird.
Ich fasse zusammen: alles erstunken und erlogen und ausgedacht!
 



            1. Der Einstieg und Anfang

An meinem Computer saß ich, seit ich arbeitslos war immer öfter. Irgendwie gab es ständig etwas Neues, womit man sich stundenlang beschäftigen konnte. Oder aber auch Bekannte oder Verwandte wollten etwas computertechnisches erledigt bekommen. Ich hatte festgestellt, dass man mit einigen Bildbearbeitungsprogrammen lustige Fotos von sich und seinen Lieben basteln konnte. Von weniger Lieben natürlich auch. So verbrachte ich unter Umständen mehrere Stunden am Tag am Computer.
Mein Mann dagegen beschlagnahmte die Wohnzimmercouch und sah fern. Keine Ahnung was, aber seit auch er zu Hause war, kamen ständig hochinteressante Sendungen im TV, Wiederholungen nicht ausgeschlossen. Ich befürchtete schon, die Fernbedienung wird eines Tag gänzlich mit seiner Hand verschmelzen. Er fing an immer mehr Bier zu trinken und ich futterte ständig in mich rein. Aß ich was Herzhaftes, so brauchte ich danach was Süßes und umgekehrt. Ja, so konnte man den Tag auch verbringen.
Unsere Tochter ging zur Schule. Wenigstes einer in der Familie muss ja was normal Geregeltem nachgehen. Ein fleißiges, liebes Mäuschen. Ob sie mit ihren gerade gewordenen fünfzehn Jahren noch Mäuschen genannt werden mag, sei allerdings dahingestellt.
Nach der Schule traf sie sich mit Freunden, machte ab und an mal Hausaufgaben, alles wie eh und je.
Nur bei uns war der Wurm drin.
 
An einem regnerischen Tag sagte sie zu mir, dass sie auch mal an den Computer möchte, andere aus der Klasse haben sich im Chat angemeldet und das möchte sie nun auch tun.
Sie an meinem Computer? Was mache ich denn dann?
„Na gut, wenn du möchtest, aber bitte nicht übertreiben mit dem Internet, denk dran wir zahlen Internetgebühren nach Minuten“, so meine Worte. Gesagt, getan.
Ich konnte in der  Zeit mal schauen was der Kühlschrank so her gab oder für nächsten Tag das Essen vorbereiten. Gut erzogen, wie mein Kind ist und das kann ich voller Stolz behaupten, gab sie nach zwei Stunden meinen Computer wieder für mich frei. Mein Küchendienst war derweil auch erledigt..
 
Und so war wieder alles im gewohnten Trott. Mann Wohnzimmer Couch, Tochter Kinderzimmer Hausaufgaben machen und ich Schlafzimmer PC.
Nächsten Tag, es war warmes Wetter und schönster Sonnenschein. Meine Tochter macht mir Angst, sie wolle an den Computer um zu chatten. Schon wieder?
Nun wurde es wohl Zeit für gänzlich neue Regelungen, so konnte das nicht weitergehen. 
Während ich an geregelten PC- und Internetzeiten für beide Parteien gedanklich arbeitete, schaute ich ihr ab und an über die Schulter. Ich musste grinsen, als ich sah, wie sie da saß und sehr flink mit ihren Fingern über die Tastatur hämmerte. Hat es sich ja doch gelohnt, dass ich ihr vor einigen Jahren schon das  "blind" schreiben beibrachte.
Sie hieß „rotes Hexxlein“ und ich grinste weiter vor mich hin, welch gute Wahl, da hatte sie recht. Als nächstes sah ich dort in blau geschriebener Schrift immer wieder etwas von Küssen und Knutschflecken.
Was tun die denn da?
Töchterchen meinte das sei alles harmlos und nur Befehle die man eingeben kann. So, Befehle zum Küssen also, das war mir neu. Der Fall musste beobachtet werden. 
Wir einigten uns darauf, dass sie dreimal die Woche für etwa zwei Stunden chatten darf, was sie auch geregelt tat.
Über ihre Schulter schauen hatte sich auch erledigt, sobald ich in die Nähe kam, wurde das Fenster geschlossen. Wie sollte ich denn nun den Fall beobachten? Sehr verdächtig alles. 
Dieses Problem erledigte sich fast von alleine. Kaum hatten die Ferien begonnen, bekam ich vom Arbeitsamt einen Brief, dass ich die auserwählte Person für einen 1-Euro-Job sei. Na Klasse, ich war  hell auf begeistert.
Und dennoch hatte ich Glück. Ich wurde in ein Büro gesetzt, die Leute waren alle sehr nett und obendrein machte die Arbeit auch noch Spaß. Viel zu tun gab es nicht wirklich, das was zu erledigen war, war schnell getan. Und dieses kleine Büro hatte sogar einen Computer. Brauchbare Programme für Spielerchen waren allerdings nicht drauf. Aber, es gab einen Internetanschluss.
Surfen? Nein. Ebay gucken? Auch nicht. Ich könnte ja was haben wollen, darauf bieten und es unter Umständen auch noch bekommen. Nein, dafür fehle mir wiederum das Geld.
 
Na gut, dann halt auf Spionagetour in den Chat meiner Tochter.
 
Sollte ich wirklich meiner Tochter hinterher spionieren? Macht man bzw. Mutter das? 
Allerdings.
Java war schnell installiert, in den Chat zur Registration ging´s dann noch schneller. Und wie nun weiter?
Daten angeben und e-mail Adresse war ein Klacks.
Der Hammer kam dann. Ich brauchte einen Nick-Namen.
Wie sollte ich mich nur nennen?  „Mama rotes Hexxlein“? Wohl kaum.
Ein Chat mit lauter jungen Leuten im Alter meiner Tochter. Ja, gute Wahl, ich wurde ein 16 jähriger Junge aus Solingen und mein Nick war „süßer Bub“. Etwas albern, aber dennoch zweckdienlich. 
 
Gut, also dann mal rein in die Höhle des Löwen, ich hatte ja noch ein bisschen Zeit.
Es war vormittags, kurz nach 10 Uhr. Ich stürmte mit Volldampf in den Solingen Channel.
Solingen war voll, ich wurde auf Solingen 2 verwiesen. Na gut, was soll´s Solingen ist Solingen.
Diesmal klappte es auch und ich war drin. Bevor ich überhaupt richtig schauen konnte, sah ich in fetter Schrift meinen Nick. Aha, ich hatte meinen ersten Knutschfleck erhalten. Brauchte ich den wirklich? Wo kam er her?
Ein vierzehnjähriges jähriges Mädchen gab ihn mir. Sagt man nun danke oder nicht?
Zeit zum Nachdenken blieb mir nicht. Ein klein wenig über mir las ich etwas. „Rotes Hexxlein“ stand dort geschrieben. Mein „rotes Hexxlein“ etwa?
Allerdings. Ich war leicht geknickt. Was war mit unseren vereinbarten Internet-Zeiten? Noch nicht mal richtig die Augen auf in den Ferien und schon ab in den Chat.
Meine Betrübtheit ließ nicht nach, als mein zwanzig-jähriger Kollege plötzlich neben mir stand, mich etwas grinsend mit einem Fragezeichen im Gesicht anschaute und ich nun auch noch eine Erklärung abgeben musste.
Aber wie schon erwähnt, alle Kollegen waren sehr nett und er ganz besonders. Wir kamen trotzt Altersunterschied von fünfzehn Jahren gut klar und hatten sogar eine  ganze Menge Spaß bei der Arbeit.
 
Der Chat hatte sich erst einmal erledigt.
Als ich gegen Mittag zu Hause ankam konnte ich nur schwer an mich halten, meine Aktion nicht zu verraten. Auf die Frage, was sie so getan hätte, sagte meine Tochter, dass sie gelesen habe.
Und das war genau genommen nicht mal gelogen.
Aber Morgen  würde auch noch ein Tag sein.
Diesmal war es gegen elf Uhr als ich den Solinger Chatraum betrat. „rotes Hexxlein“ war wie durch ein Wunder natürlich auch anwesend. Ich fasste meinen Mut zusammen und begrüßte sie höflich. Sie grüßte ebenso höflich zurück und verpasste mir meinen zweiten Knutscher. Sie schien schnell mit dem Küssen zu sein.

Und wie ging das überhaupt??? Der normale Text war schwarz, die Küsse blau. Na das  würde ich irgendwann schon noch rauskriegen.
Ich unterhielt mich kurz mit ihr über belanglose Dinge und stellte fest, dass sie doch ganz mein braves Mädchen ist.
 
Zu weiteren Fragen kam ich nicht, fast gleichzeitig sprachen mich zwei andere Mädchen an. Eins war dreizehn Jahre alt, das andere vierzehn.
Sie wollten wissen was ich für Musik höre und in welche Schule ich gehe.
Gab es meine Schule überhaupt noch? Ich überlegte, wie lange meine Schulzeit zurücklag.
Und sollte ich sagen, dass ich totaler Neil Young Fan bin? Von dem haben die wenigsten Teenis je was gehört.
Was sollte ich nun tun?
Ich entschied mich für Rückzug und drückte das kleine, mir im Moment sehr willkommene kleine x oben rechts. Geschafft, ich war raus..
 
Aber nein, so ging das nicht.
Ich brauchte einen neuen Schlachtplan.
Eine Woche war um, ich hatte nun schon mittlerweile vierunddreißig Knutschflecken, hin und wieder ein paar Worte mit „rotes Hexxlein“; gewechselt und nur dreimal die Flucht ergriffen. 
Irgendwelchen Leuten Märchen erzählen, das wollte ich nicht.
 
Zu Hause, nach dem Mittagessen ging meine Tochter an meinen Computer um zu chatten. Ich fragte sie etwas und sie erklärte sich freiwillig bereit mir einiges zu zeigen. Wow, dann mal los. Neugierig genug war ich ja.
Ich verstand ab und an kein Wort, was sie belustigte. Daraufhin meinte sie, selbst Katrins Mama stellt sich nicht so dumm im Chat an.
„Wie, Katrins Mama?“ schoss es mir durch den Kopf.
Ich bekam auch sogleich die Antwort, dass auch alte Leute wie ich in diesem Chat sind.
 
Und genau das war mein Stichwort.
„Süßer Bub“ war sogleich gedanklich auf Eis gelegt und ich beschloss als absolutes Ich von nun an zu chatten.
Nun ging die Prozedur von vorne los. Daten, e-mail und natürlich ein Nick-Name.
Aber diesmal war es eine Frau von fünfunddreißig Jahren. Ich.
 
                 2. Meine ersten Chatstunden 
 
Mein erster offizieller Chattag war der Erste August und von nun an war ich Haifischlein. Die Wahl einen passenden Nick-Namen zu finden war gar nicht so leicht. Was heißt passend…eben einen Nick. Und einen, den nicht schon jeder hatte, mit einer x-beliebigen Zahl dahinter.
Ich hatte zwar nur wenig Chaterfahrung, aber einen Nick, den jeder hat, den wollte ich nicht.
 
Mein Profil war gnadenlos ehrlich: weiblich,  fünfunddreißig Jahre, verheiratet, Wohnort und und und.
Beim Rest, wie Beruf,  Hobby und Motto schrieb ich auch etwas rein, irgendwas halt, was ich lustig fand, dennoch aber nicht gelogen war.
Meine Tochter half mir mit einigen Tricks und Befehlen. Als erstes lernte ich natürlich Küsse  verteilen, keine Frage.
Ich fand das ganze hochgradig albern und doof.
Es gab solche Befehle ohne Ende, die ich mit der Zeit auch noch lernen würde.
Spielerchen halt.
Da mein Stadt-Channel Solingen ausschließlich mit Teenis überfüllt war, hatte ich die Kategorie Over20 gewählt. Dort ging ich dann in den Channel 35 +, meinem Alter eben passgerecht.
Kaum angekommen, wurde ich super freundlich begrüßt und mir wurde viel Spaß gewünscht, Küsse gab es natürlich auch raue Mengen.
Ich nahm meinen Mut zusammen und tippte ein klägliches “Hallo zusammen“ ein.
Obwohl ich wusste, ich bin ich und nur ich es auch wusste, fühlte ich mich etwas, sagen wir mal,  ungut.
Wer mich Nick-namentlich begrüßte, den grüsste ich ebenso zurück. Küsse habe ich auch zurückgegeben, das konnte ich ja  mittlerweile.
Ansonsten fand ich das ganz doch eher quarkig und lahm.
 
Die ersten Wochen verbrachte ich überwiegend nur mit gucken, habe mich also zum spannen herabgelassen. Mal ein Hallo und ein Küsschen und dann wieder nur gucken.
Brav arbeitete ich in der Zeit die vierzig Lektionen, die man erlernen musste ab. Dumm wie ich war, wusste ich nicht, dass ich die auch überspringen kann, aber, was macht man nicht alles. So konnte ich wenigstens ein paar Chat-Tipps mit auf den Weg nehmen und lernen.
Den richtigen Sinn erkannte ich nach wie vor jedoch nicht.
Immerhin bin ich nach kurzer Zeit vom Hallo sagen  und Kuss geben schon zu kompletten Sätzen aufgestiegen und machte von mindestens zehn Befehlen wie z. B. knuffen, Torte werfen, Blumen verschenken und anderen gebrauch.
 
Das schrie förmlich nach einer Beförderung, die auch nicht lange auf sich warten ließ.
Ich wurde nach keinen zwei Monaten Family-Mitglied.
Nun durfte ich ein Foto einsetzen und eine eigene Chat-Hompage errichten.
Ich machte mich auch sofort ans Werk. Mehr schlecht als recht, aber ich tat es.
Ich erwähnte namentlich und sogar mit Bildern meine Familie und habe mich durch den ganzen Wirrwarr super prächtig geschlagen.
 
 
               3. Die Sucht beginnt
 
Mit der Zeit wurde meine Tochter zum Problem.
Sie war schon recht gut im Chat-Fieber und wollte natürlich mehr als ich ihr zugestehen wollte, meinen Computer beanspruchen.
Es musste also eine Lösung her.
Die Lösung kam erstaunlicher Weise auch recht schnell, eigentlich sogar eine Doppel-Lösung.
Einen zweiten Computer und eine Internet-Flatrate.
Nun konnte uns Nichts mehr aufhalten.
 
Der liebevolle Ehealltag nahm seinen geregelten Lauf. Mein Mann war froh, wenn ich ihn in „seinem“ Wohnzimmer nicht belästigte, und er sich nicht versehentlich mal mit seiner Familie unterhalten musste.
Mich ihm aufzudrängen hatte ich lange aufgegeben und auch gar nicht nötig. Ich hatte lange genug  versucht etwas zu ändern. Ihm war es egal, mir seit nun mehr einem Jahr auch. Wir waren nur noch eine routinierte-Zweck-Gemeinschaft, welche langsam aber sicher in Feindschaft übergeht.
Das Wohnzimmer wurde mehr oder weniger zu meiner persönliche Tabuzone. Kein Wohnzimmer, also was soll´s, ab in den Chat.
 
 Im Private-Channel war ich noch nie. Dort konnte man nicht offiziell, sondern nur privat, in trauter Zweisamkeit miteinander schwatzen. 
Ich sollte die Initiative ergreifen und jemanden ansprechen, stand dort geschrieben.
Na das wohl ganz sicher nicht. Nein nie und nimmer. 
War auch gar nicht nötig, denn in roter Schrift konnte ich lesen, dass ich schon angesprochen wurde.
Der Mann, der mich angeschrieben hat, begrüßte mich freundlich.
Da ich mich bis zu diesem Punkt auch noch für nett hielt, antwortete ich ihm prompt. Wespe42, so lautete sein Nick, war ganz und gar nicht stachelig. Wir haben uns eine ganze Weile unterhalten und stellten fest, dass wir in der gleichen Stadt wohnten.
Im Laufe der Zeit schrieben wir immer häufiger und ich denke wir wurden zu guten Chat-Freunden.
Die Zeit verging und ich wurde in diesem Chat richtig heimisch. Ab und an warf ich mal einen Blick ins Wohnzimmer, mein Mann war auch noch da. Bier schmeckte, TV lief, also alles Bestens.
Ich bin die Karriereleiter inzwischen noch höher gekrabbelt, bin nun  sogar Stammi gworden. Ein Viel-chatter sozusagen.
Ich bekam schon ein paar Rosen geschenkt und geknuddelt wurde ich auch.

Ab und an spielte ich mit Tropple91 Billiard, welches ich ihm beigebracht hatte. Er wurde so gut, dass ich nicht annähernd mehr eine Chance zu gewinnen hatte. Er war einfach zu gut. Dennoch machte es nach wie vor Spaß und ab und an schwatzten wir über Gott und die Welt. Eher nur über die Welt.
Der 30+ und 35+ Channel war derweil noch langweiliger geworden, nur Küsschen und nix weiter. So viele Küsse braucht kein Mensch.
Ich war immer öfter im Private-channel. Ab und an kriegte ich Zustände und neigte fast dazu nicht mehr höflich zu sein.
Ich wurde angemacht. Es war nicht die Tatsache dass ich angemacht wurde, sondern wie. Banal, plump, verschleimt und auch dämlich.
Es war alles vertreten, was möglich ist an Unmöglichkeitsfaktoren.
Die ganzen CS, TS – und sonstigen Sex-wörtchen-Abkürzungen  erwähne ich mal gar nicht erst.
„Bussi“. Super, dieses Wort habe ich vor dem Chat  nicht vermisst und hier bekam ich es ständig zu hören. Genau, wie „lieb frag“.  Furchtbar, waren das die sonst so taffen Kerle?
Das war absolutes Weichgehabe wie ich fand  und meine Augen wurden immer kleiner und waren kurz davor mit kleinen Blitzen um sich zu werfen.
Wer Schleimerei mag, brauchte nur auf die Fotoseiten sämtlicher Leute zu gehen. So ein Schmarrn was dort geschrieben wurde, ging gar nicht. Ich hätte es  lustig gefunden, wenn es mich nicht so aufgeregt hätte. Soviel Fantasie hatte ich nicht mal in meinen schlimmsten Lügen.
 
Ich z. B.  habe  wunderschöne Augen, dabei schaute ich auf meinem Foto nach unten und von meinen Augen war nichts zu sehen.
Was soll das denn???
Oder ein Gesprächsanfang…“Hi, wie geht’s“?  und das von einem, mit dem ich noch nie zu tun hatte. Ich fragte mich ob er wirklich meine derzeitige Krankengeschichte hören wollte oder ob ich ihm einfach mit einem genau so blöden „ Mir geht’s gut und dir?“ antworten sollte.
Ich entscheide mich probehalber für letzteres und nach seiner Antwort „Mir geht’s auch gut“, wusste ich,  dieses Gespräch war beendet.
 
Ein weiterer Aufregungsfaktor war, wenn ich mit jemandem gerade mal zwei Sätze wechselte und er meinte, dass ich  klug sei oder witzig. (Das waren aber nur seltene Ausnahmen, viele behaupteten oft das Gegelteil)
Woher wollte er das denn wissen? 

Ich fühlte mich dadurch jedenfalls nicht geschmeichelt und erklärte dieses Gespräch bald auf höfliche Art und Weise für beendet. Pures Gift war fünf Mal die Bemerkung „aha“ nach etwa zwei Sätzen. War ihm langweilig, verstand er nicht, was ich ausagte oder wusste er einfach keine Antwort mehr?? Irgendwann erklärte ich ihm, dass „aha“ auf  Dauer einfach nur nichtssagend ist und er zog beleidigt ohne ein weiteres Wort von dannen.
„Ist dir auch langweilig“ dann die Frage des nächsten.

Wie kam er nur auf diese Idee?

Ab und an wurde ich gefragt, was ich im Chat suche und was mich dort hin treibt.
Ich bin ich total glücklich verheiratet, was sollte ich also suchen? Pah, und vor allem was sollte mich treiben??

Nicht zu fassen, es gab immer Leute, die das nicht glauben und denken, einen analysieren zu müssen oder meinen einschätzen zu können, was einem anderen durch den Kopf geht. Das ich total glücklich verheiratet bin, das sagte ich so nicht, aber ich ließ es so aussehen, als ob es so sei. 
Aber im Grunde war es sowieso egal was man von sich gibt.
Bei Einhundert Chattern gibt es Einhundert Bilder und Meinungen.
Und nur die wenigsten liegen eine Winzigkeit darin richtig.
Aber es ist hochinteressant was man von sich dort erfahren kann. Fremde Leute wissen einfach alles über einen. Mehr als man bisher selbst von sich wusste.
 
Und nach dreitausendfünfhunderteinundzwanzig Gesprächen wusste ich, es wurde Zeit für Profiländerung. 
In diesem teilte ich nun mit, dass ich keinen Kaffee trinke (soviel Zeit um all die Einladungen anzunehmen, hätte ich im Leben nicht) und ich betonte jetzt noch einmal, dass ich verheiratet und sogar treu bin.
 
Ich ging zu unterschiedlichen Tageszeiten, nun wieder überwiegend  in den 35+ Channel, wunderte mich, dass egal wann, immer wieder die gleichen Leute dort waren, nahm die Küsse in Kauf und fand ab und an Gelegenheit zu einem netten Gespräch.
So auch mit „Liederhannes“.
Er fragte mich ganz dreist, warum ich auf seiner Freundschaftsliste stehe. Zum Kuckuck, warum, was weiß ich denn? Ich wusste, dass wir uns nicht kannten. Ich fand das sehr plump und auch frech. Aber frech mag ich.

Und ich antwortete vorsichtshalber.
 
Erwähnte ich zwischenzeitlich, dass ich derweilen noch einen zweite Nick besaß? „Stierblütig“. Mit ihm war ich  auch schon Stammi,  jedoch nicht mehr ganz so lieb und nett. Denn auch ich wurde schlauer. Das Foto durfte nicht mehr kommentiert werden und meine Familie ließ ich ganz raus.
Was das Anlegen eines Neuen Nicks anging, war ich nun schon mächtig geübt und wusste, es war längst nicht der Letzte.
„Süsser Bub“ diente nur noch als Spionage-Nick, um zu schauen ob Feind oder Freund im Chat war.
 
Zurück zu „Liederhannes“. Er erzählte mir im Laufe des Gespräches, dass er auf dem falschen Fleckchen in Deutschland wohnt. Im Osten. Ich fragte mich wer ihn gezwungen hat dort zu wohnen, fand seine Art etwas ungehobelt. Dennoch reizvoll genug, für ein eventuelles Streitgespräch. Natürlich nur auf höflicher Basis. Ein Langweiler schien er jedenfalls nicht zu sein. Das Streitgespräch ist normal verlaufen, es war dann irgendwie doch keins. Es war ok.
Wir  schrieben dann noch öfter.
 
             4. Chat-Zombie 
 
Die Zeit meines 1-Euro-Jobs war vorbei. Es war so gut wie Weihnachten und ich saß nicht mit meiner Familie im Tabu-Zimmer. Wenn, dann nur kurzfristig. Es war mehr oder minder alles wie gehabt, jeder ging seiner ganz individuellen Beschäftigung nach.
Tochter war mit Freunden unterwegs, der Mann…naja, auch wie gehabt. Sein Bierpegel schien ein Übermaß anzunehmen und ich war froh wenn er einen Pegel erreichte, der ihn bald auf der Couch einschlafen ließ.
Pünktlich zum Feiertag verkrachten wir uns heftig. Ich wollt heulen, plärren und auch weinen.
Und er… schlief.
 
Und ich, ich beschloss einfach mal an den Pc zu gehen. Vielleicht auch in den Chat.
Im Chat waren, genau wie ich, immer die gleichen Chaoten.
Um das ganze etwas abwechslungsreicher zu gestalten, meldete ich mich mal in einem ganz anderen Chat an.
 Registrierung wie gehabt, alles ganz easy, da war ich. Diesmal war ich als „Braunauge“ unterwegs. Die Wahl des Nick-Namen wurde mit der Menge nicht leichter. Der Chat war nicht wirklich umwerfender als der Erste und ich schaue nur ab und an mal rein und kehrte schnell zu Chat Eins zurück.Kurz nach Weihnachten unterhielt ich mit total witzig und lustig mit „Mido114“. Ich war von seiner  Schreibweise angetan und fand ihn irgendwie Klasse.
Er war, genau wie ich, (was natürlich nichts heißen mag) verheiratet.
Wir schrieben uns von nun an fast jeden Tag.
 
 
 
Mein Mann wurde langsam zickig und er fand es gar nicht schön, dass ich soviel am Computer sitze und chatte. Er fing an sich darüber aufzuregen.
„Reg ich mich über deine Fernsehguckerei auf?“ fragte ich ihn und bekam zur Antwort, dass das was anderes sei.
Nein war es nicht. Und Basta.
Er war doch derjenige, der vergessen hat, dass er eine Familie hat, nicht ich.
Lange regte er sich aber nicht auf, denn es kam etwas Spannendes im Fernsehen.

Im anderen Chat lernte ich irgendwann „;Espresso“ kennen. Ich mochte ihn. Wir verabreden uns immer öfter zu bestimmten Zeiten im Chat. So chattete ich aktuell mit ihm und auch mit „Mido114“.
 
Mit „Liederhannes“ fing ich an meine Prinzipien zu brechen. Diese bestanden im Eigentlichen  darin, ausschließlich über den Chat Kontakte zu pflegen, also kein Telefon, kein Treffen, kein Nix.
Das hätte mir schon zu denken geben sollen.
Mit ihm  schrieb ich inzwischen über MSN und sah nun auch schon ein Foto von ihm. Und immer wenn er online war, dann war ich aufgeregt. Ich hatte Angst mein Puls würde sich überschlagen.
Wir fingen irgendwann an zu telefonieren. Er hatte eine tolle Stimme, aber ich fand sie ein wenig zu ordentlich. Ich war froh, dass es nun ein Manko gab. Ich war mir sicher, er ist ein Spießer. Er war der Erste, mit dem ich über meinen Mann und meine Ehe sprach. Ich fing an aus dem Nähkästchen zu plaudern, ich erzählte ihm, dass nicht alles ganz so rosig war, wie ich es oftmals darstellte.
Er fragte ab und an mal nach einem Treffen, ein harmloses Kaffeetrinken, wo wir in Ruhe reden könnten. Ich glaubte es ihm sogar.
Ich wollte nicht, vielleicht ja ein wenig schon, aber im Grunde dann doch nicht. Ich dachte ein Treffen würde einiges ändern, vielleicht sogar kaputt machen. Das wollte ich nicht, denn ich mochte ihn sehr. Damals war es nur eine Befürchtung, heute weiß ich, dass es so ist. Und er kann nicht einmal etwas dafür. (Etwas schon, ungefähr neunzig Prozent, also ganz gering)
 
Als MSN-Kontakte kamen dann auch “Espresso“ und „Mido114“ hinzu.
Und auch mit denen telefonierte ich dann und wann.
„Espresso“ habe ich sogar in Chat EINS locken können. Nein falsch, ich habe ihn gekonnt überzeugt.
Ich konnte meine zwei Nicks nun wechseln wie ich wollte, der eine genauso wie der andere, beide waren nunmehr gelangweilt. Es war immer und immer ewig wiederholend das Gleiche. Es machte keinen Spaß mehr und ich war für eine Pause.
Mein Stolz war ungebrochen, ich chattete ganze elf Tage nicht.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
               5. Das erste Treffen 
 
Entgegen meinen Prinzipien hat er es geschafft, dass ich mich mit ihm treffe. Ich hatte kaum Zeit um aufgeregt zu sein. Es war genau an Himmelfahrt, er sagte er sei unterwegs und wir könnten danach, so gegen vierundzwanzig Uhr einen Spaziergang machen. Ich dachte, wir würden telefonieren, wenn jeder mit seinem Hund Gassi ginge, so wie schon öfter.
Irrglaube!
 „Liederhannes“ kam zu mir, wir haben uns richtig und in echt getroffen. Nach fast neun Monaten doch ein Treffen.
Ich, verheiratet und voll mit Prinzipien. Mitten in der Nacht mit einem fremden Mann, nein das war schier unmöglich.
Zumindest für mich.
Als ich draußen auf ihn wartete, wurde meine Aufregung doch ziemlich groß, gleichzeitig wusste ich,  ich würde ihn fortan nicht mehr leiden könne.
Und dann war er da.
Wir sind nebeneinander her gelaufen, haben erzählt und auch rumgealbert, uns geneckt. Ich habe ihn ständig irgendwie geknufft, herje, ich war total nervös.
Er trug eine Jacke mit Kapuze. Ich musste ständig an den dazugehörigen Strippen rumzuppeln. Wie  peinlich.
Am frühen Morgen ist jeder Richtung nach Hause, ich sieben Meter bis zum Hauseingang und er hatte eine vierzig minütige Autofahrt in den Morgen vor sich.
Ich konnte kaum schlafen. Ich konnte ihn noch immer und sogar noch mehr leiden. Und er war alles andere als ein Spießer.
Ich mochte seine Nähe und auch seinen Geruch, den leichten Hauch eines winzigen Kusses.
Und nun, was jetzt?
Abwarten und Tee trinken. Oder doch gleich besser Wein?
Egal, in dieser Reihenfolge, erst das eine, dann das andere.
Oder versuchen zu schlafen, in drei Stunden ging es wieder raus, zur Fachausbildung.
Stimmt ja, ich war seit kurzer Zeit dabei eine andere Richtung einzuschlagen.

              6. Nicks und Freunde... und auch Feinde
 
Ich hatte inzwischen reichlich Nicks und nicht jeder von meinen „Chatfreunden“ kannte jeden. Ein kleines Hintertürchen sollte immer offen bleiben. Wobei ich auch nicht hinterm Berg halten würde, würde einer versehentlich als meiner erkannt werden. Da wäre ich dann ehrlich und trickse auch nicht rum.
Hauptnicks hatte ich jedoch nach wie vor nur die ersten beiden, wobei „süßer Bub“ nicht zählte. Er starb sowieso eines Tages.
 
Hier eine kurze Chatfreunde-Erklärung.
Ich muss betonen, noch hatte ich welche…
Nicht umwerfend viele, aber dennoch ein paar. Es kam nicht auf eine Zahl an, sondern doch nur auf jeden Einzelnen.
Da waren die, die ich hier schon erwähnte.
Dazu kam „Das Schäfchen“ meine so ziemlich einzigste „Chatfreundin“.
Sie war ab und an mein Kummerkasten, sowie ich ihrer und wir telefonieren gelegentlich die Nacht durch.
„Tommy2-3“, „ungezähmter Kater“, "Isolda" „brilliant“, „Wasser-mann“, „the oblaigatus“ und „the man“ gehörten auch zu den GUTEN „Chattern“.

Und dann waren da noch einige, mit denen man nur ab und an mal schreibt oder selten. Mit vielen schrieb ich jedoch nur einmalig. Besser wäre nie gewesen.

Und wie im richtigen Leben auch,  Feinde gibt`s immer und überall.  

                  7. Kopfverwirrung 
 
Bei „Espresso“ dachte ich eine Zeit, es ist alles anders, weil auch er verheiratet ist. Unglücklich war er nicht, aber irgendwas fehlte ihm. Er meinte sogar, ich gebe ihm das Gefühl, dass er noch lebt.
Wir schrieben viel oder telefonieren schon mal stundenlang. Ab und an fragte ich mich ob er auch mal zu Wort kam, denn ich schnatterte gelegentlich ohne Luft zu holen.
Ich mochte seine Art und Weise. Auch seine Stimme. Ich glaub ich mochte und mag noch immer viel an ihm. Er ist sinnlich, charmant, witzig, nett und romantisch…optimal. Manchmal ein wenig zu sensibel. 
Von einem gemütlichen Treffen sprach auch er. Er drängelt nicht, er erwähnte es ab und an nur.
Einige Male fragte ich mich, warum eigentlich nicht.
 
Dann fiel mir wieder „Liederhannes“ ein. Bei ihm blieb es nicht bei einem Treffen.
Es waren nicht viele, keine sonst wie außergewöhnlichen. Aber mir gefielen sie.
Er gefiel mir. Und das machte es Besonders.
 
          8.   Die Gefühle und das dritte Treffen 
 
Gefühle im oder durch den Chat??
Völlig ausgeschlossen.
Aber nicht ausgeschlossen genug.
Vielleicht waren es ja auch gar keine. Das waren keine Gefühle, sondern unvorhergesehene, unplanmäßige Emotionen.
Wow, dieser Satz begeistert mich vollauf, kaum zu glauben dass er von mir ist. Ich liebe ihn… diesen Satz.
 
 „Liederhannes“ jedenfalls war an allem Schuld, er musste weg.
Auf Biegen und Brechen, Verderb und Gedeih, Rütteln und Schütteln,  alles seine Schuld.
Es war ein Fluch. Nein, er war mein Fluch. 
 
Ich hatte sie zugelassen, die Gefühle. Nicht zu fassen. Selbstverständlich nur ganz minimal. Und beim dritten Treffen einen kleinen Tick mehr. Ich fürchtete fast, dass er es bemerkte. Noch mehr fürchtete ich, dass, wenn ich es nicht stoppe, er zu sehr wichtig für mich werden würde.
Darum hatte ich keine andere Wahl als Zickenterror zu veranstalten.
Nach jedem Treffen wurde ich ihm gegenüber launischer. Ich mochte ihn zu sehr und das war nicht richtig. Ich wurde unausstehlich.
Hatte ich ihn soweit, dass er sauer war, dann kamen die Zweifel, ob ich wirklich das richtige tat.
Er sprach, nach meinem dritten Versuch ihn unsanft zu entsorgen, noch immer mit mir und machte es mir somit nur noch schwerer. Und ich tat mir, mit meiner Art ihm gegenüber selbst mehr weh, als ihm.
 
Und irgendwann dann wusste ich, dass ich die ganze Zeit Recht hatte, was ihn anging. Er war genau das, was ich immer in ihm sehen wollte und nun wohl auch konnte.
Ein Ochsenfrosch.
 
Er fing immer öfter mit einem erneuten Treffen an, ER wars, nicht ich. Gut, einzuwenden hatte ich wohl auch nichts.
Er machte eventuell, vielleicht und wäre möglich Termine aus, weil ihm so unheimlich viel daran lag, er mich vermisste und und und.
Es blieb dann jedoch nur bei eventuell-Terminen, irgendwas kam immer wieder dazwischen. Manchmal glaubwürdig, andermal wieder überhaupt nicht. 
Und welche Frau liebt nicht die Aussage, "Ich war so kaputt, hab mich hingelegt und verschlafen"!?
War das eine doofe Ausrede oder die peinliche Wahrheit? Leider bleibt nur zu hoffen, dass es gelogen war. Zumindest war es eindeutig ein Zeichen, wie sehr ihm an einem Treffen lag.
Ich war genau so sauer wie enttäuscht und konnte einfach nicht still leiden, da ich solche Treffen verheirateter Weise immer irgendwie arrangieren musste. Es handelte sich dabei um Präzisionsarbeit bis ins kleinste Detail.
Aber es war ja eh nur ein vielleicht, eventuell und wäre möglich Termin.
Typisch, hätte er doch einfach nur den Mund gehalten.... 



Wir zofften irgendwann nur noch, ich verstrickte mich in dumme Aussagen und er hielt mich schließlich schlichtweg für ne blöde Kuh mit einem Riesenknall. Und das mit Recht.
Durfte  ich ihn dafür nun endlich hassen? Endlich am unfreiwilligen Ziel angekommen zu sein?
 
              9.   Der Chat-Irrsinn geht weiter  
 
In einen Flirt-channel ging ich nahezu nie. Kann man flirten  erzwingen oder beschließen? Flirt-channel, alleine schon, wie sich das anhört. Total gedrungen.
Nichts für mich.




Ich blieb bei meinen Favoriten. 70er, 30 und 35+ und, ja auch Private. Ab und an mal der Billiard-channel. Das war schon mehr als genug. 
Mittlerweile machte ich auch schon mal eine ganze Nacht durch. Nicht oft, aber es kam doch schon mal vor.
Und keiner der heimlichen F(reundschaft)-Listen-Spione, der dann sah, wie lange ich nach drei- bis achtmaligem Gute Nacht sagen, doch noch  online war, glaubte, dass immer wieder ein Gespräch dazwischen kam. Meist solche, denen man Schlaf besser hätte vorziehen sollen.
Wie zum Beispiel einer, der mich anmotzte nur aufgrund meines Profils. Das von „Stierblütig“ änderte ich kurz davor erst. Etwas barsch vielleicht, dennoch längst kein Grund, sich dadurch persönlich angesprochen zu fühlen. Er meinte ich sei arrogant und voreingenommen. Ich meinte, dass er auf Grund dieser Aussage keinesfalls besser sein kann, da wir noch nie ein Wort wechselten und er das daher überhaupt nicht wirklich beurteilen kann. Zudem teilte ich ihm höflich mit, dass mir sein Profil auch nicht unbedingt gefällt und ich deswegen nicht gleich anfing ihn zu beleidigen. (Wenngleich  mir dazu auch sofort siebzig unschöne Worte einfielen).
Wow, er gab mir recht, wurde nett und wünschte mir einen schönen Abend.
Das war eine gut gelungene, sich rettende Flucht seinerseits.
Ich wollte ihm fast noch gratulieren.

Ansonsten wurde ich mit diesem Nick von „Fremden“ deutlich weniger belästigt. Die, die mich jedoch wagen anzusprechen waren entweder schlimmere Anstandswauwaus als ich es je sein könnte, totale Langweiler oder extrem Mutige. Die letzteren bevorzugte ich in diesem Fall.
 
Nur mal kurz erwähnen muss ich  nebenbei noch:
Irgendwann zwischenzeitlich schaffte ich es, meinen Nachbarn „Mouse malloy“ auch in diesen Chat zu kriegen. Aber wegen fehlendem Kitsch-verständniss hat er sehr schnell einen Rückzug getätigt. Tschuldigung, ich hätte es wissen müssen. Aber dieser Fehltritt hat ihm immerhin einen Satz hier eingebracht.
...Schließlich drohte ich ihm liebevoll damit, ihn hier keinesfalls auszulassen.
 
Ich tummelte mich  überwiegend nur noch im 70er Channel rum. Warum, keine Ahnung. Dort wurde auch nur geküsst, und mit Torten geworfen. Virtuell natürlich. Welch Lebensmittelverschwendung wäre das sonst. Bedingt fand ich es recht lustig, aber  nach der dreiundsiebzigsten Torte und einem fünfundsechzigsten Standard-Befehl-Unterhaltungssatz, ohne jeglichen Unterhaltungswert, fand ich das ganze dann sehr schnell mittelprächtig öde.
Ich ging raus, schaue mal kurz ins Tabu-Zimmer zu meinem Mann und stelle die gleiche Ödheit fest.
Es lief die eintausenddreihundertachtundsechzigste Wiederholung von "King of Queens" und ich war keine fünf Minuten später wieder im Chat. Diesmal ging ich zu den "Mamas und Papas". Dort wurde gerade über rosarote Kondome diskutiert. Ich war hellauf begeistert und gingdirekt in den Privat-channel. Ließ mich von sechzehn-jährigen Milchreisbubis anmachen oder Männern, die meinen, eine Länge von 37,24 cm ihrer Herrlichkeit könnten mich begeistern.
 
Fein. Nun sah ich meine noch vorhandene Rest-Höflichkeit gänzlich flöten gehen. Ich guckte traurig, schrieb eine bissige Antwort und hoffte, dass sich doch noch jemand von den „Guten“ blicken lassen würde.


           10. erneute und endgültige Radikaltour 

Nein, dem war nicht so, ich setzte mich hin, feile mir die Fingernägel und sogar vor Verzweiflung die Fussnägel und hoffte, dass  „Espresso“ gegen zwanzig Uhr den Weg in die Weiten dieses irrsinnigen Chats finde würde.
Sogar über einen eventuellen Friseurbesuch, was für mich ein Fremdwort ist, dachte ich nach, schob es aber beiseite. So eine Blöße wollte ich mir dann doch nicht geben.
Dann, kurz nach zwanzig Uhr, erschien„Espresso“ auf der Bildfläche. Ich wusste es doch, auf ihn ist Verlass.  Wir schwatzen lustig,  keine sensiblen und missverstandenen Worte, alles war gut.
Dann sah ich, wie sich „Liederhannes“ im Messenger anmeldet. Und ich fühlte etwas.  Es war eine wehleidige Sehnsucht. Ich vermisste ihn. Ihn, seine Stimme, seine Nähe und seine Augen, in die ich mich nie richtig zu schauen traute.
 
Dann, auf einmal,  schrieb er mich an.
Er schrieb, dass er mich vermisse.

Blödsinn. Von wegen.
 Außerdem war das gerade mein Gedanke. Er hatte ihn mir einfach gestohlen.
Zwei Minuten sammelte ich mich, dann antwortete ich ihm.

Ich handelte es wieder mal als „Gesäusel“ ab und gab ihm alles andere als vermissende Antworten. Einiges von ihm überlas ich einfach.
Das Gespräch dauerte nicht lange, da  ich zu dem Zeitpunkt wo er mich anschrieb, bereits auf dem Weg ins Bett war. Um zwanzig Uhr und dreiunddreißig Minuten.
 
Dann machte ich ihn bei MSN unsichtbar, dann mich. Wieder einmal. Denn wenn ich ihn erst gar nicht sah, dann war es weniger schlimm.
Die Unterhaltung mit „Espresso“ ging  normal weiter und um zweiundzwanzig Uhr ging er schlafen. Ich wusste, wir würden uns recht bald wiederlesen und ich freute mich drauf. Gewiss am nächsten Tag.
 
 Es wurde nächster Tag.
Ich schaute durch den Chat und hatte eine Nachricht in meinem Chat-Briefkasten.
Sie war von „Liederhannes“.
Er schrieb, er würde mich gerne sehen. Ja klar.
Super, Gefahr erkannt, Gefahr gebannt…ja denkste.
Verdammt, warum tut er mir das an?
Ich war kurz vor einer Schnappatmung und fragte mich, was ich wirklich so schlimmes verbrochen hätte. Mir fiel so gar Nichts ein, auch nach längeren Überlegungen nicht.
So war ich halt doch eben nur auf ganz normale Weise verflucht. 
Meine Gedanken, dass aus diesem Treffen einmal mehr nichts werden würde,  erwähne ich gar nicht erst. Ganz gut so, es kaum auch nicht dazu.
Es hätte ein Samstag sein sollen, es wäre dann das fünfte Treffen gewesen. Was ich an seiner Aussage mal wieder bezweifelte, dachte ich gar nicht erst zu Ende.
Ein Treffen wäre eh nahezu unmöglich gewesen, da ich seit über zwei Wochen arge Probleme mit dem Rücken, sprich Bandscheibe hatte, nicht laufen, sitzen, eigentlich gar nichts konnte.
Somit hätte sich das eigentlich erledigt, aber ich hätte es durchgezogen. Und wenn ich dank Medikamente hingeschwebt wäre.
 
Er war dann korrekte zwei Wochen (natürlich jenen Samstag eingeschlossen) nicht da, er war im Krankenhaus. Ich würde nicht ich sein, hätte ich ihm das geglaubt.
In diesen zwei Wochen habe ich ihn vermisst, sehr  sogar. Tag für Tag. Immer wieder.
Aber ich stellte fest, dass es auch so gehen musste. Entweder weil ich mit mir selbst zu tun hatte oder weil ich wusste, er ist eh nicht da und es kann von ihm nichts kommen.
Am fünfzehnten Tag kam dann eine SMS, kurz und knapp, aber ok und beruhigend, nur für den Fall, dass er mit dem was er sagte, doch die Wahrheit gesprochen hatte. Ich wollte nicht gleich wieder rumzicken.
Ich freute mich, hielt mich mit der Antwort aber ebenso bedeckt.
 
Am nächsten Tag war er am Computer, schrieb mich an und sprach von einem Treffen. Das war nun wirklich zuviel. Meine Zickengene liefen nun auf Hochtouren und waren nicht mehr zu bremsen. Dieses Gespräch musste unverzüglich abgebrochen werden. Bevor ich drüber nachdenken konnte, war er schon weg.
Na wie höflich von ihm! Wieder einmal total typisch.
 
Danach gab es dann noch ein Gespräch, was gut verlief. Es war normal, nicht hochtrabend, ich fand es gut und ich konnte damit umgehen. Einfach nur deshalb, weil er nicht mit Gefühlsduseleien anfing.
 
Ein paar Tage später war es  soweit, ich hasste alles. Meine Ärztin, die mir nach fünf Wochen Schmerzen sagte, ich habe eine völlig fertige Bandscheibe, ist halt Abnutzung und man kann da nix machen, und vor allem hasste ich mich.
 
Bei „Espresso“, konnte ich mich ausheulen und er versuchte mich aufzumuntern.
 Die Schmerzen schienen einen bislang unerahnten Höhepunkt zu erreichen, und das Heulen ging in schmerzverzerrtes Heul-Gelächter über.
Keine Tablette brachte mehr etwas gegen die Schmerzen, ungeniale Überdosierungen waren auch nicht der Bringer. So versuchte ich es mit jeglicher Sorte Alkohol, die ich im Schrank finden konnte.
Und ich wusste nicht,  ob mein Mann sich um mich sorgte oder um den immer mehr schröpfenden Alkoholvorrat im Haus.

Geholfen aber hat alles nicht.
Mir ging es richtig mies. Und woran dachte ich? An einen ins Herz und Hirn gehefteten Kerl nicknamens „Liederhannes“.
Was für eine Idiotie.
Ich musste handeln.
Einen Plan gab es wieder einmal nicht, nur die Tatsache, dass er weg musste. Er musste ausgelöscht werden.
Ob  mit fairen oder unfairen Mitteln, ganz gleich.
Dabei versprach ich ihm, solche Aktionen nicht mehr durch zu ziehen. Wollte ich auch nicht.

Aber warum hat er mir denn eigentlich nie zugehört?
Er hätte mich nur normal behandeln müssen, war das zuviel verlangt?
 
 
Meine Art und Weise war  wieder einmal nicht besonders charmant. Ich teilte ihm mit,  dass ich ihn die ganze Zeit in allen Punkten angelogen hatte. Mir bedeuteten die vorangegangenen Treffen mit ihm absolut nichts und er sich gänzlich irrte, was mich anging. (Sofern er überhaupt irgendwas dachte) Obendrein sei ich ein Miststück ohne Gleichen.

Er ließ mich darauf hin noch wissen, dass er mir das nicht glaubte, was aber nun auch keinerlei Rolle mehr spielte.
Er mochte mich, ich war ihm nicht egal, so seine Worte, aber diesmal hatte er endgültig genug.
Absolut verständlich, wie ich finde.
Eine weitere Antwort würde er von mir nicht mehr abwarten.
 
Nun war ich da wo ich hin wollte.
Es würde noch eine Weile dauern, vielleicht auch viele Weilen. Aber ich würde ihn irgendwann vergessen können.
Er wurde ein  letztes Mal schweren, aber gewollten Herzens überall wo es nur geht entfernt und ich nahm mir vor daran arbeiten, meine Prinzipien erneut zu überdenken.
 
Mal schauen wie viel Freunde mir am Ende bleiben.
Einer ganz mit Sicherheit...“Mouse Malloy“ auch wenn ich ihn hier mit nur zwei schäbigen Sätzen bedacht habe. Er wird mich weiterhin ertragen und mir zuhören. Andersrum genauso.
 
Und die Moral von der Geschicht´, ehrlich chatten bringt es nicht!
 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.09.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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