Gestern Abend saß ich nach einem ausgedehnten Spaziergang mit meinen Hunden im Park auf einer Bank. Da kamen zwei Krähen gelaufen. Sie spazierten gemütlich den Weg entlang in unsere Richtung. Plötzlich konnte ich hören, wie sie sich unterhielten und aus ihrer Unterhaltung entnehmen, dass sie wohl ein bereits seit vielen Jahren glückliches Krähenehepaar sind. Da fragte Herr Krähe seine Frau, während beide gemütlich, mit leicht schaukelndem Gang, nebeneinander liefen: "Du, Frau, was meinst du, ist es besser, eine Krähe zu sein oder ist es besser, ein Mensch zu sein? Ich für mein Teil, ich wäre schon lieber ein Mensch."
"Na du stellst mal wieder Fragen, Mann. Ich dachte, wir gingen nun, weil unsere Kinder von ihren Tanten und Onkeln gehütet werden, die Abendluft genießen, und wir hatten außerdem vor, in unserem alten Lieblingsbaum, geschützt von den Blicken und Bemerkungen der anderen, etwas zu schmusen. Da kommst du nun wieder mit deinem Philosophieren an." Ärgerlich schüttelte sie dabei ihren Kopf und ihr Schritt wurde schneller.
"Ach Frau," lispelte verführerisch Herr Krähe, der Mühe hatte, dem schnellen Gang seiner Frau zu folgen, "eine Frage zu beantworten tut doch unserem Vorhaben keinerlei Abbruch. Komm sag schon, was dir lieber wäre."
"Na gut, du lässt ja, wie üblich, nicht locker," meinte Frau Krähe, immer noch sichtlich erregt. "Wenn du's genau wissen willst, ich bin und ich bleibe eine Krähe. Nie und nimmer möchte ich ein Mensch sein."
"Und warum?" fragte Herr Krähe bohrend weiter. "Warum möchtest du kein Mensch sein? Ich fände es toll, denn dann wäre endlich ich einmal in der stärkeren Position und müsste mich nicht, weil ich nur ein Tier bin, was in den Augen vieler Menschen wohl leider gar nichts zählt, verjagen, erschießen oder gar überfahren lassen. Dann könnte ich auch mal sagen: 'husch husch'."
"Ja, sicherlich birgt das Menschsein gewisse Vorteile, das bestreite ich ja gar nicht," entgegnete ihm Frau Krähe. "Aber weißt du, mir ist es viel lieber, wenn ich durch die Lüfte fliegen kann, wann und wohin auch immer ich will. Ich kann mir überall mein Nest bauen, finde überall Nahrung. Menschen haben das längst nicht so einfach. Die brauchen eine Wohnung, müssen arbeiten gehen. Und bis die mal laufen lernen, neee, also da finde ich das bei uns schon praktischer. Unsere Kinder werden viel eher flügge und selbständig."
Herr Krähe nickte mit dem Kopf und meinte nachdenklich: "Von dieser Seite habe ich das ja noch gar nicht betrachtet. Ich sah bis jetzt immer nur die Vorteile im Menschsein. Da hast du wohl Recht, einfach haben die es auch nicht gerade. Und was unsere Freiheit betrifft, da kann ich dir nur zustimmen. Ich glaube, dann bleibe ich doch lieber eine Krähe. Ich möchte noch viele, viele Jahre mit dir zusammen sein, denn du warst mir immer eine gute Frau und unseren Krähenkindern eine sehr gute Mutter. Wie konnte ich nur so dusselig sein, keine Krähe mehr sein zu wollen? Denn dann könnte ich ja außerdem nicht mehr mit dir zusammen sein."
"Na siehst du, es ist nicht immer das besser, was man nicht ist und gerne wäre. Du musst auch hinter die Mauern schauen, auf denen du so gerne sitzt, und nicht nur darüber, denn ein Blick dahinter öffnet so manches Fenster. So, jetzt reicht's mir. Gehen wir jetzt endlich schmusen?" schloss Frau Krähe ihre Unterhaltung mit ihrem Krähengatten.
"Oh Frau", flüsterte betroffen Herr Krähe, "woher nimmst du nur all die Weisheiten? Manchmal überkommt mich so ein Gefühl, als wärest du schon einmal..."
"Lass es dabei bewenden", unterbrach ihn Frau Krähe und erweckte dabei den Eindruck, dass ihr Gatte sie wohl bei irgend etwas ertappt haben könnte. "Ich bin ich, du bist du, sie ist sie", wobei sie mit ihrem langen, kräftigen Schnabel in meine Richtung zeigte.
"Und auf geht's, unsere alte neue Freiheit und das, was wir sind, schätzen und genießen" riefen beide fast synchron, während sie mit einem kräftigen Ruck abhoben.
Ich konnte mir jedoch nicht verkneifen, dieses angeregte tierische Gespräch mit der Bemerkung "entschuldigt, dass ich euch beiden so einfach anspreche, aber ich konnte eure Unterhaltung mit anhören und fand das, was ihr da gesagt habt, sehr interessant" zu beenden. "Wisst ihr, ich als Mensch, wenn ich euch so betrachte, wäre schon viel lieber eine Krähe, wenn ihr auch kleiner seid als wir, und wenn auch viele meiner Artgenossen nicht gut zu euch sind. Zu sich selbst sind sie auch oft böse. Aber dennoch, der Gedanke, einfach auf und davon zu fliegen, hat was."
"Ei, ei," hechelte Frau Krähe, die bereits den ersten großen Bogen geflogen hatte, noch einmal landen und einen sicheren Platz außer Reichweite meiner Hunde suchen musste, die seit des Krähendialoges merkwürdig ruhig wurden, und fast schien es, als hörten sie zu... "Ihr Menschen seid wohl auch nie zufrieden mit dem, was ihr seid und wie ihr seid. Aber dennoch: Bleibe du lieber Mensch, und wir bleiben die stolzen, schwarzen Vögel. Es wird schon alles so seine Richtigkeit haben. Einen schönen Abend noch."
"Ja, einen wunderschönen Abend wünsche ich ebenfalls," plapperte ein aufgeregter Herr Krähe mir zu, während beide mit großem Schwung über die Wipfel der Bäume bis zu ihrem Lieblingsbaum flogen, um dort in schützender Höhe, umgeben von dichtem, sich leise im Wind wiegenden Blätterdach, ihr ganz persönliches Stelldichein zu genießen.
Ich rief nur noch schnell hinterher: "hey, ja, den wünsche ich euch beiden auch."
Ich weiß nicht, ob meine Hunde instinktiv den beiden Vögeln nachschauten. Aber irgendwie hatte ich den Eindruck, dass sie leise in hündisch etwas tuschelten, als sie ihre beiden weißen Köpfchen geheimnistuerisch zusammensteckten. Ich glaube, ich konnte sogar ein leichtes Nicken ihrerseits wahrnehmen...
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.09.2007.
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Das Licht umarmen: Gedichte
von Maria Pfanzelt
Die Nähe zu den Menschen und die Auseinandersetzung mit dem Mensch-Sein geben meinen Gedanken eine Stimme.
Die Hinwendung zum Ich und der innere Dialog haben meine Gefühle zum Klingen gebracht.
Der Poesie gelingen die Worte, den vielen Facetten, den Höhen und Tiefen unseres Seins Ausdruck zu verleihen.
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