Werner Gschwandtner

Paul Stonewall und die Rückkehr

„Afrika, der schwarze Kontinent.“ dachte Ich leise bei mir. Meine, von der Sonne braun gegerbte Hand, legte sich um den Elfenbeingriff meines Revolvers. Drei lange Jahre war ich nun fort gewesen. Fort aus Afrika. Fort und weit weg von meiner zweiten Heimat.

„Afrika.“ wiederholte ich mit einem breiten Lächeln. Ich blickte über die Reling des Dampfkutters an Land und genoss die letzten Sonnenstrahlen dieses Tages auf meiner Haut. Endlich war ich wieder zurückgekehrt.

 

Als geborener Österreicher, der mit sieben Jahren nach Deutschland zog und seine Jugend in Berlin verlebte, war ich ein Fremder in diesem Land. Selbst nach den zehn vergangenen Jahren die Ich zuvor hier verweilt hatte. Man hatte mich zwar Akzeptiert und ich wurde auch zuvorkommend behandelt, aber dennoch war ich tief in den Herzen der Einheimischen ein Ausländer. Ein Weißer unter der schwarzen Bevölkerung.

 

„Mein Name ist Paul Stonewall“, ich rückte mein Halstuch korrekter zurecht und betrat danach die Gangway, die von dem Schiff an das Festland führte. Ja, heute und vor allem hier auf den schwarzen Kontinent heiß ich Stonewall. Geboren wurde ich am 15. April 1890 als Paul Maria Steinmauer. 1897 wanderten meine Eltern, zusammen mit mir nach Deutschland aus und ich verbrachte zwanzig Jahre in diesem Land. Dann zog es mich in die Ferne und ich beschloss an meinen 28. Geburtstag Europa und im Anschluss Asien zu bereisen. Fünf Jahre streifte ich so durch die Lande und erreichte als letzte Station meiner Weltenbummelei am 27. Oktober 1923, also mit 33 Jahren, Afrika. Ich hatte auf meinen Reisen meinen Namen ins Englische übersetzt und nannte mich schlicht und einfach Paul Stonewall. Afrika zog mich mit jeden Tag den ich dort verbrachte mehr und mehr in seinen Bann und ich wusste, ich fühlte es und ich schwor mir es am Tage meiner Abreise nach Deutaschland, das ich eines schönen Tages hier her zurück kehren würde.

 

Ich fühlte den afrikanischen Boden unter meinen Füssen, nachdem ich die Gangway verlassen hatte. Drei Jahre war ich fort gewesen. Und in diesen drei Jahren war meine Sehnsucht nach dem schwarzen Kontinent immer stärker geworden. Mit 43 Jahren hatte ich mich damals entschlossen meine Eltern in Deutschland zu besuchen. 1934 erreichte ich meine erste Heimat, Berlin und konnte die Veränderung nicht fassen. Das Land hatte sich stark verändert und die Meinungen der neuen Regierung standen im Wiederspruch zu meiner persönlichen Auffassung. Der Reichskanzler Adolf Hitler sprach immer von einem reinen Deutschland.

Meinen Eltern ging es nicht besonderlich gut, sie standen an der Schwelle des Todes und so beschloss ich bei Ihnen zu bleiben, bis Ihr letzter Gang vollendet war. Insgesamt zwei Jahre dauerte Ihr Leidensweg noch und nachdem beide Elternteile ihre Augen für immer geschlossen hatten, erledigte ich meinen Erbweg. Ich sah den eingeschlagenen Weg Deutschlands und erkannte dass es zum Krieg kommen würde. Doch diesen Krieg wollte ich nicht miterleben, ich zog es im Vorfeld vor die Front zu räumen. Alle Immobiliengüter veräußerte ich und so verließ meine Wenigkeit im Dezember 1936 erneut Deutschland und ich war fest davon überzeugt dass es dieses mal für immer sein würde. Ein Abschied ohne Wiederkehr.

 

Ich war zurück, wieder in Afrika. Bevor ich mich entschlossen hatte nach Deutschland zurück zukehren, hatte ich Streifzüge durch die afrikanischen Savannen und Steppen unternommen. Ich durfte mich also ruhig als Abenteurer, als Globetrotter bezeichnen. Beinahe fühlte ich mich wie Rolf Torring aus dem Hans Warren Romanen. Ich war ein Mann der die Wildnis und das ungebundene liebte. Das Erlebnis stand bei mir an oberster Stelle und erlebt, ja, erlebt hatte ich so einiges. Ich verfolgte Diamantendiebe, kämpfte gegen Löwen und half den Askari gegen eine Horde gefährlicher Elfenbeinräubern. Auf den Weg zurück nach Berlin hatte ich mir schon insgeheim Gedanken gemacht, ob ich meine Abenteuer nicht auch zu Papier bringen sollte. So wie Hans Warren, Karl May und andere. Doch zum unterschied zu diesen beiden Gentlemen, Ich hatte diese Geschichten wirklich und mit eigenen Einsatz erlebt.

 

Ich kehrte über den atlantischen Ozean zurück, anders wie beim ersten mal, wo ich über den indischen Ozean in Afrika landete. Direkt am Golf von Guinea erreichte ich nach einer Reisezeit von knapp fünf Monaten die Elfenbeinküste und ich wusste das es noch in dieser Nacht mit der Karawane nach Bouaké gehen würde. 1923 erreichte ich dieses Land über die Stadt Nairobi und kam am Ende meiner ersten Odyssee bei Bangui in Zentralafrika heraus. Dort lernte ich Les Hagerstony kennen, einen Engländer der seit 1905 die Welt bereiste und ebenfalls in Afrika hängen geblieben war. Mit ihm und seiner Familie zog ich nach Kisangani, wir erlebten so manche Abenteuer und als ich ging, fühlte ich dass ein Teil von mir für immer bei ihnen bleiben würde. Doch den Kongo hatte ich damals so gut wie durchstreift und ich war mir sicher dass in dieser kurzen Zeit diese Region keine sehr große Veränderung durch gemacht hätte. Vielleicht, in ein paar Jahren würde ich meinen alten Kumpel Les aufsuchen. Doch das stand noch weit in den Sternen und war Augenblicklich kein sehr brisantes Thema. Nein, dieses Kapitel war abgeschlossen und ich hatte bereits Pläne für die Wüste Sahara gemacht. Das Massiv von Ahaggar war mein erstes Ziel und danach sollte es noch tiefer in die Wüste gehen.

 

Ich hatte so manche Gefahren überstanden und auch wenn bereits andere die Pionierarbeit in den weiten von Zentralafrika erledigt hatten, so fühlte ich mich doch hier zuhause. Stanley und David Livingstone, beide Engländer hatten im 19. Jahrhundert weiter Gebiete Afrikas bekannt gemacht. Damals war dieser Kontinent noch lange Zeit ein weißer Fleck auf der Landkarte und jene Männer waren um die Erforschung des schwarzen Erdteils bemüht. Insbesondere in Zentralafrika. Livingstone, als der achtundzwanzig Jahre ältere, hatte zuerst den Vorstoß ins Innere Afrikas unternommen. Bis er eines schönen Tages aus dem Dschungel nicht mehr zurückkehrte.

„Wie ich Livingstone fand“ schilderte Stanley seine erste Afrika-Expedition. Für mich waren diese alten Dokumente und Reiseberichte die Lektüre meiner Seele. Meine Recherchen und Erkundigungen brachten so manches vergessene Geheimnis wieder ans Tageslicht und so erfuhr ich auch von diesen beiden Pionieren der afrikanischen Erforschung. Livingstone, geboren 1813 hatte sich jeher gegen die arabischen Sklavenhändler ausgesprochen die hier ihre Geschäfte tätigten. Er kämpfte hart gegen sie und ließ sich dabei auch nicht von seinem angegriffenen Gesundheitszustand beirren. Dadurch schafften diese Sklavenhändler es ihn vollständig von der Außenwelt abzuschneiden. Livingstone musste sich in Udjidji eine Hütte bauen und dort lange Wochen ausharren.

Erst als es ihm wieder ein wenig besser ging, unternahm er einen kleinen Streifzug. Auf diesen musste er Hilflos mit ansehen wie Hunderte unschuldiger Neger und Negerinnen, hingemetzelt von den arabischen Sklavenhändlern, den Tod fanden. Zum Skelett abgemagert traf David Livingstone nach mühevoller Wanderung wieder in Udjidji ein und verfiel wieder seiner Krankheit. Erst im November 1871 erreichte Henry Morton Stanley, geboren 1841 in Denbigh, Wales, den seit Jahren verschollenen schottischen Missionar und Forscher. Livingstone sind viele Entdeckungen zu zuschreiben. Wie 1849 der Ngami-See, 1850 schaffte er es das Sambesi-Problem zu lösen und 1855 entdeckte er die Wasserfälle des Sambesi, die David nach seiner Königin „Victoria-Fälle“ nannte. 1859 der Njassa-See und er befuhr den Tanganjika. Im gelang, was noch keinen anderen vor ihm gelungen war, die erste Durchquerung Afrikas von Westen nach Osten. 1873 starb David Livingstone. Nur zwei Jahre nachdem ihn Henry Stanley gefunden hatte. In den Sumpfgebieten des Bangweolo-Sees am Fieber. Betend ging er in das bessere Jenseits, an das er so fest glaubte.

 

Ich blickte in Richtung der untergehenden Sonne. Die Nacht würde sehr kühl werden, doch das machte mir nichts aus. Der bevorstehende Ritt auf dem Kamel, dem Wüstenschiff wie es auch genannt wurde, war mir nicht neu. Zu Pferd, aber meistens zu Kamel, hatte ich meine vorangegangenen Reisen unternommen. Steppen und Landebene so durchquert und mich auch in die tiefen der Dschungeln geschlagen. Das natürlich ohne ein Reittier, dafür unterstützen mich bei diesen Wagnissen immer ein Duzend schwarzer Träger. Ich hatte einige der unterschiedlichsten Stämme der Eingeborenen studieren dürfen und auch wenn manche etwas Kriegerisch waren, solange man ihre Bräuche und Gepflogenheiten respektierte, war man als Gast und Freund gut untergebracht. So war mir die Ehre zuteil die Massai, die Pygmäen und die Ifi kennen zu lernen. Die beiden letzten Arten sind kleinwüchsige Völker von denen es eine Vielzahl von unterschiedlicher Lebensqualität gibt.

 

Schlagartig war vor Stunden die Nacht herein gebrochen. Die Karawane hatte sich in Richtung der Stadt Bouaké aufgemacht und ich ritt auf meinem Kamel als zweitletzter. Hinter mir befanden sich noch zwei arabische Seidenhändler, die ihre Waren in jener Stadt an den Mann bringen wollten und vor mir ritten, ins Gespräch vertieft, vier Amerikaner. Die vier Männer erwiesen sich aus ihrer Unterhaltung ebenfalls als Abenteurer und sie sprachen über ihr Endziel. Sie wollten quer durch das Land und Ägypten erreichen.

„Ich habe die alten Landkarten der Pharaonen genauerstens studiert“, hörte ich den einen der vier im amerikanischen Dialekt sprechen, „die Schatzstadt „Scaradoo“ werden wir als erste finden.“

Ich lauschte eigentlich mehr zufällig dem Gespräch der Amerikaner. Goldschätze waren nicht mein Ziel. Ich strebte den Nervenkitzel der Gefahr an, natürlich, bei solchen Gold Missionen gab es auch ein ordentliches Quantum an Wagnis, aber der Ausgang solcher Expeditionen endeten meisten im Streit. Im Streit um die Verteilung der Beute. Und das war nicht mein Anliegen.

 

Der Mond stand schon sehr hoch am Firmament als wir endlich die kleine Stadt Bouaké in der ferne sahen. Sie lag friedlich vor uns und nur einige vereinzelte Lichter zeigten Leben an. Es war ruhig in den Strassen als wir die Stadt betraten. Die Amerikaner schlugen sofort eine abweichende Richtung ein und auch die Araber zogen es vor unter sich zu bleiben. Alleine zurück geblieben suchte ich mir eine noch geöffnete Schenke und trabte schweigend durch Bouaké. Am anderen Ende der Stadt war mir das Glück holt und ich fand ein Übernachtungsquartier. Kein drei Sterne Hotel wie man es in Europa gewohnt war, aber für meine Zwecke reichte es. Es war nur mehr ein Einheimischer auf und er wies mir eine Kammer zu. Ich brauchte nur ein Bett für die Nacht und am Morgen ein gutes Frühstück. Ich ließ den Perlevorhang vor meiner Zimmertüre zufallen und gähnte ausgiebig. Moskitos surrten im Raum umher, doch diese war ich längst gewöhnt und sie machten mir keine Kopfzerbrechen mehr. Ich ließ mich auf die verbeulte Strohmatratze fallen. Ich war müde. Den Revolver schnallte ich ab, legte ihn aber griffbereit neben mir hin. Man konnte nie wissen und besser auf der Hut sein und Vorsicht walten lassen, als später das Nachsehen haben. Ich legte mich schlafen, beim Sonnenaufgang wollte ich wieder auf den Beinen sein und es würde ein harter Tag werden. Ich wusste noch nicht dass sich meine Pläne in den kommenden Stunden schlagartig ändern würden. Ich war mir sicher dass ich noch am kommenden Tag zum Massiv von Ahaggar aufbrechen würde um die Gebirgskette zu erklimmen. Ich fiel in einen tiefen Schlummer, dennoch auf jedes Geräusch achtend und ich träumte von meinen vergangenen Abenteuern.

 

Die Nacht verstrich rasch. Die Sonne stieg mit voller Kraft gegen den morgendlichen Himmel und sandte ihre Strahlen heiß zur afrikanischen Erde. Ich erwachte mit dem ersten Sonnenlicht und richtete mich auf. Lautes Stimmengewirr erklang aus dem Schankraum und ein ständiges kommen und gehen schien bereits so früh morgens an der Tages Ordnung zu stehen.

„Njoo hapa“, hörte ich einen Eingeborenen laut rufen, „njoo hapa.“ Nach der Aussprache, die ich gut kannte, schien es sich um einen Kongoneger zuhandeln. Er wollte das irgendjemand zu ihm kommen sollte.

„Ya nin?“ war die Gegenantwort. Ich Gurtete meine Waffe um und goss mir eine handvoll Wasser ins Gesicht. Nachdem ich mich so dürftig erfrischt hatte, strich ich mir durch das blonde, schulterlange wellige Haar und trat danach aus dem Zimmer.

„Duma inanitoka“, hörte ich den Schwarzen wieder rufen, „duma inanitoka, hili donda.” Ich vernahm dass der Rufer blutete und eine Wunde hatte. Hastig stieg ich die wenigen Stufen hinunter und betrat den Schankraum. Dort erblickte ich einen tiefschwarzen Eingeborenen. Er stammte wirklich aus dem Kongo und er hinkte am rechten Bein, dieses blutete stark.

Hinter dem Neger erschien ein Weiser. Sein Gesicht war von der Sonne gegerbt und die Züge schienen meine Erinnerung anzuregen. Nur der dichte und weiße Vollbart störte, doch ich fühlte dass ich den Mann kennen musste. Wer war er nur?

Ich war kein Mann von trauriger Gestalt und so trat ich auf den Bärtigen zu und sprach in kurzer Hand an.

„Guten Morgen Sir, kann es sein das wir uns kennen?“ fragte ich ihn auf Englisch. Der angesprochene hob den Blick. Seine Augen waren klar und bei wachem Verstand. Er musterte meine Erscheinung und wischte sich über die Augen. Mir war so als wollte er sich vergewissern das er keinen Geist sah.

„Das glaube ich jetzt aber nicht“, rief der Mann aufgebracht, „bist du es wirklich Paul?“

Ich nickte. Zwei weitere Kongoneger waren aus dem hinteren Teil des Lokals gekommen und kümmerten sich nun um ihren Gefährten. Der Weiße, nach seiner etwas steifen art ein Engländer, schritt auf mich zu und reichte mir lachend die Hand zum Gruß.

„Hallo Paul, drei lange Jahre ist es her das wir uns gesehen haben und ja“, bestätigte er meine voran gegangene Anfrage, „ja alter Kumpel. Wir kennen uns. Ich bin Chester Les Hagerstony. Weißt du noch?“

Nun fiel es mir wie schuppen von den Augen. Der gute Les Hagerstony. Er muss jetzt schon gut sechzig Jahre alt sein und er hatte eine süße kleine Tochter, die Heute knapp achtzehn sein müsste.

„Natürlich Les, ich kann mich jetzt wieder besinnen. Was treibt dich den hier her in die Nähe der Elfenbeinküste? Du wolltest den Kongo doch nie verlassen.“

Chester senkte sein ergrautes Haupt. Er konnte mich für Minuten nicht anblicken und ich bemerkte das er leise weinte. Irgendetwas musste sich ereignet haben, etwas was den alten Haudecken zu einer solchen Gefühlsregung trieb. Hagerstony war am 20. Mai 1875 in Warwick, England geboren. Sein voller Name war eigentlich Chesterfield Lester Hagerstony, Earl von Warwick. Doch sein Adeliges Blut hinderte den jungen Engländer 1905 nicht daran seine Zelte in der Heimat abzubrechen und in die Weite zu ziehen. Ich hatte Les, er nannte sich nur mehr Chester Les Hagerstony und ließ jeglichen Titel unter den Tisch fallen, 1928 in der Stadt Kisangani kennen gelernt. Er betrieb dort ebenfalls eine Gaststätte und war mit einer afrikanischen Frau Namens Sharay verheiratet. Beide hatten zur damaligen Zeit eine zehn jährige Tochter die sie Karia getauft hatten. Als ich mich von den drein Verabschiedet hatte war Karia gerate fünfzehn geworden und Les hatte mir zum Adieu noch versichert das ich ihn immer in Kisangani antreffen würde.

„Der Kongo ist mein Lebensraum“, hatte er gesprochen, „ich werde ihn niemals verlassen.“

 

„Seit deinem Weggang“, antwortete Les nun langsam. Er hatte seinen Blick noch immer gesenkt und schien noch immer mit seinen Tränen zu kämpfen. „Seit deinem Abgang aus dem Kongo ist sehr viel geschehen. Du bist für drei lange Jahre in die Heimat gefahren und hast die Tragödie in Kisangani nicht miterlebt. Alles was ich jemals Liebe, alles was mir im Leben etwas bedeutet hatte, starb in jener Nacht vor einem Jahr im Kongo. Und da dies so ist, hielt mich auch nichts mehr in dieser Region.“ Chester Les Hagerstony hob nun ruckartig seinen Kopf und der Blick war unter Tränen. Es schmerzte mich diesen kräftigen Manne so verletzt zusehen. Doch was war genau in der Nacht, vor einem Jahr, in Kisangani geschehen?

„Ich hatte mir überlegt wieder nach England, nach Warwick zugehen“, erzählte Les weiter, „doch diese Heimat ist nicht mehr meine Heimat und mein Besitz ist sicherlich längst an die Krone gefallen. Also streifte ich durch das Land in der stillen Hoffnung mich würde dasselbe Schicksal wie meine Familie ereilen. Doch zu meinen Leidwesen teilte der Gott unser Herr diesen Wunsch mit mir nicht und so überlebte ich alle Strapazen und Gefahren des Dschungels und der Steppen.“ Les schniefte. Er zog ein schmuddeliges Taschentuch aus dem Hosenumschlag und putzte sich rasch die Nase.

„Was ist mit deiner Familie geschehen?“ fragte ich. Noch hatte ich weder Sharay noch Karia entdecken können.

„Welches Schicksal ereilte dein Glück und Lebensgefühl?“ Ich fühlte mich nicht so gut bei dieser Frage. Les würde, wenn er es wollte, von selber über jene dunkle Zeit sprechen. Ein Auffordern riss die Wunde nur noch tiefer auf und man sollte alte Verletzungen heilen lassen und nicht in ihnen herum stochern.

 

„Meine geliebten Mädchen fielen zwei Löwen zum Opfer“, stockte Les erstickt. Sein Blick wurde wieder feucht und er wandte sich abermals ab.

„Erinnerst du dich an die Sage über den Geist und die Dunkelheit?“ fragte er mich hart. Ich nickte. Diese Geschichte, über zwei Menschenfresser aus dem Jahre 1896, kannte ich sehr gut. Zwei Löwen, nach der Überlieferung ein Pärchen, machten im afrikanischen Tsavo jagt auf Menschenblut. Der junge und ambitionierte irische Ingenieur John Patterson und der verwegene Abenteurer und Großwildjäger Remington versuchten gemeinsam die Bestien, nachdem bereits mehr als 100 Menschen bestialisch getötet wurden, zu erlegen. Remington fand durch einen der Löwen ebenfalls sein Ende und Patterson konnte schließlich über den verbliebenen Löwen triumphieren.

„So lange ist das Heute noch nicht mal her“, stotterte Les voller Wut, „nur 41 Jahre. Nicht einmal ein halbes Jahrhundert und vor einem Jahr waren es nur läppische vierzig. Dennoch scheint wirklich alles was schon einmal da war wieder zukommen. Auch jene Menschenfresser Löwen.“

Ich war bestürzt. Eine solche Wende im gemeinsamen Glück, hatte ich nicht erwartet. Für Sekunden blieb mir die Sprache weg und ich musste erst meine Gedanken neu ordnen.

„Wie konnte das geschehen?“ fragte ich schließlich. „Sind Sharay und Karia die ersten Opfer der Bestien gewesen?“ Chester Les Hagerstony nahm mich am Arm und zog mich ein wenig abseits. Er wischte sich energisch die Tränen aus den Augen und flüsterte mir zu.

„Nicht so mein laut mein Freund. Außer meinen Kongonegern, die mich nicht verlassen wollten, auch als ich ihnen meinen Entschluss mitteilte nicht, weiß hier niemand etwas über meine traurige Vergangenheit und ich möchte das es auch so bleibt.“ Ich nickte schweigend. Dieser Wunsch war Verständlich und ich respektierte das Anliegen meines Freundes.

„Also“, wisperte ich nun beinahe unhörbar, „wie war das nun genau? Habt ihr die Löwen im Anschluss wenigstens erwischt?“

 

„Viele Fragen“, hauchte mir Les zu. Er begann seinen dichten und auch recht ungepflegten Bart zu kräuseln.

„Und beide muss ich mit nein beantworten“, Hagerstony ballte nun seine Fäuste und zwar so fest das die Knöcheln weiß hervor traten, „es wurden langsam immer mehr Stimmen laut die Angehörige vermissten“, berichtete Les zaghaft weiter, „doch niemand von uns brachte dieses Verschwinden mit Menschenfressern in Verbindung. Es gab niemals Leichen und keine Spuren eines derartigen Angriffs. Wir waren Blind und rechts Sorglos. Zu Sorglos wie sich am Ende herausstellte. Es konnte bis zu meiner entgültigen Abreise aus Kisangani nicht erkundet werden wie es diese beiden Löwen immer wieder geschafft hatten unbemerkt zu kommen und zu gehen.“

Was war weiter“, bohrte ich. Ich wollte alles wissen und es brannte mir auf der Seele dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht anwesend gewesen war und meine Hilfe anbieten hatte können. „Wieso konntet ihr die Bestien nicht stoppen?“ Les packte mich erneut am Arm und führte mich bestimmt hinter einen Verschlag. Hier waren zwei Stühle, ein Tisch und ein notdürftiger Schrank aufgestellt. Auf dem Tisch lagen unzählige Papiere herum und Hagerstony wies mir einen Stuhl zu. Auf den anderen lies er sich selber fallen. Er schob die Dokumente ein wenig beiseite und holte aus der einen Lade des Tisches eine halbvolle Brandy Flasche heraus.

„So“, sprach er während er zwei Gläser einschenkte, „hier können wir uns besser unterhalten. Das ist mein Büro, wie man sagt“, feixte nun Les wieder. Doch ich fühlte dass seine Belustigung nur gespielt war um von seinem tiefsitzenden Schmerz abzulenken, „hier sind wir ungestört und wenn man mich braucht, dann rufen meine Burschen schon.“ Les schob mir ein Glas zu und hob das seine.

„Auf die Freundschaft“, sprach er, „lass uns auf die Freundschaft trinken. Das unsere Freundschaft noch lange anhalten möge.“

 

Ich hob nun meinerseits das Glas und nickte. Doch auf die Freundschaft alleine wollte ich nicht trinken. Das war mir zu wenig und das sagte ich auch.

„Nur lass uns nicht nur auf die Freundschaft, sondern auf alle die wir lieben oder geliebt haben trinken. Ich finde wir sollten soviel Ehre den geliebten Verblichenen zuteil werden lassen.“

Hagerstony blickte tief in sein Glas. Er schien wieder abzudriften. Nach ein paar Minuten riss Les sich zusammen und nickte. Er hob sein Glas und wir stießen an.

„Auf alle die einen ewigen Platz in unseren Herzen haben“, sprach er bestimmt, „Prost.“ endete ich und wir leerten unsere Gläser auf einen Zug. Sofort goss der alte Engländer nach. Doch dieses Glas wurde genossen. Ich blickte meinen Freund fragend an, meine Fragen waren noch nicht alle beantwortet und Hagerstony wusste das. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und nippte noch einmal an seinem Brandy.

„Ich war Tagelang unterwegs gewesen. Die Vorräte meines Lokals gingen zuende und ich musste zusammen mit meinen drei Boys, die ich auch nun noch bei mir habe, frische Waren aus einer anderen Stadt besorgen. Wir kamen an diesen Abend den Kongo hinauf, wir hatten Lebensmitteln und Arznei in der Stadt Mbandaka eingekauft und wollten noch vor Anbruch der Dunkelheit Kisangani erreichen. Das schafften wir auch“, setzte Les nach einer kleinen Pause fort, in der er sich gestärkt hatte, „doch es war dennoch zu spät. Niemand hat die Löwen kommen gehört. Niemand sah wie sie in mein Haus eindrangen. Keiner hörte die Schreie meiner Mädchen und ich selbst, genau so wenig wie meine Jungs, bemerkten das Geschehen im inneren.“ wieder hielt Hagerstony inne. Die Erinnerung an jene Stunden war auch einfach zu Schrecklich. Das Schicksal konnte unendliche Freuden bringen, aber im gleichen Atemzug zeigte die Heimsuchung auch ihr teuflisches und diabolisches Gesicht der Wut und Zerstörung.

„Ich weiß es Heute noch als wäre der Vorfall erst Gestern erfolgt“, Les fasste sich an die Brusttasche seines Kakifarbenen Hemdes und holte eine Zigarre, eine echte Havanna aus ihr. „Willst du auch eine?“ fragte er mich, doch ich musste dankend, aber bestimmt ablehnen. „Nein Danke. Du weißt ja. Ich bin Nichtraucher und in den drei vergangenen Jahren hat sich daran auch nichts geändert.“ Hagerstony lächelte. Das hatte er für einen Moment verschwitzt. Genüsslich zündetet Les sich die Zigarre an und paffte kurz an derselben.

„Ich trat in mein Haus und obgleich mir eine sonderbare Kälte entgegen wehte, bemerkte ich nicht gleich das Abnormale.“ Chester Les Hagerstony nahm seine Erzählung wieder auf. „Du weißt sicher noch dass ich in Kisangani ein einstöckiges Haus bewohnt habe?“ ich nickte. „Ich schritt im Untergeschoss umher und reif nach meiner Frau und meiner Tochter. Doch keiner von den beiden Antwortete. Erst im letzten Winkel, beim hintersten Fenster bemerkte ich das die Läden offen standen und das sich tiefe Kratzspuren am Rahmen befanden.“

 

Les schüttelte den Kopf, es war wirklich ein Mysterium welches ich da zu hören bekam. Die Löwen waren zu diesem Zeitpunkt noch im Haus und Hagerstony fand sie über den zerfetzen Körpern seiner bereits Toden Familie. Es gab weiterhin keine Spuren so dass Les ahnungslos und ohne eine ausreichende Bewaffnung in den ersten Stock hinauf stieg.

„Ich wunderte mich zwar über das beschädigte Fenster im Parterre, dachte aber nicht im Traum an das was ich dann oben ersichtete.“ Hagerstony berichtete von dem Augenblick des Kontakts. Er wusste damals dass er sich nicht hastig bewegen durfte. Er war den Bestien Wehrlos ausgeliefert und er sah keine Möglichkeit dem Tod zu entrinnen. Doch wie es schien hatten die Löwen für diesen Abend genug Blut getrunken, denn sie interessierten sich überhaupt nicht für die erschienene Nachspeise, sondern zogen es vor sich diskret zurück zuziehen. Les konnte einfach nichts dagegen tun und später fand sich nicht die geringste Spur der man folgen konnte. Die Bewohner von Kisangani hörten Fassungslos die schreckliche Neuigkeit und als man dann auch noch die kläglichen Überreste von Sharay und Karia aufbahrte, da wussten alle dass der Teufel und seine Gespielin die sonst so friedliche Stadt Heimgesucht hatte.

 

„Der Suchtrupp streifte über einen Monat ohne Rast und mit nur sehr geringer Ruhe durch die umliegende Region des Kongos“, teilte mir Hagerstony weiteres mit, „bis nach Aketi, Mungbere und Ubundu erstreckten sich unsere Bemühungen. Doch es fanden sich keine Anhaltspunkte und die Bewohner dieser Städte hatten keine derartigen Löwen gesehen. Es war als hätte sie der Erdboden verschluckt. Sie waren nirgends zufinden und tauchten auch nicht wieder auf.“

 

„Wie sahen sie aus?“ fragte ich nun. Etwas Vergleichlichtes hatte ich ebenfalls noch nie vernommen und ich wollte unbedingt wissen welche Erscheinung solche Dämonenlöwen besaßen.

„Ihr Fell war von dunkler Farbe“, äußerte sich Hagerstony besinnend, „es leuchtetet gespenstisch und das Licht wirkte wie ein lodernder Feuerkranz. Sie waren größer als alle anderen Löwen die ich je zu Gesicht bekommen hatte und ihre Augen leuchteten heller als die Sonne und die Sterne zusammen. Sie blickten wachsam und vor allem wissend in die Welt und gaben dir das Gefühl der Unzulänglichkeit. Ich hatte bei ihren Anblick wahrhaftig Angst“, gestand Les nach einer Gedenkpause, „ich kann diese Bestien nur als den spezifizierten Tod beschreiben.“

 

Ich besann mich auf das gehörte. Welches Geheimnis stand hinter diesen Monstern? Hagerstony hatte vor einem Jahr dieses Rätsel nicht lösen können. Es bestand die Möglichkeit dass jene Bestien noch immer ihr Unwesen trieben. Doch genauso konnte es sein das andere Jäger, Abenteuer oder einfach nur mutige und beherzte Bewohner einer Stadt diese Tiere längst erlegt hatten. Ich verspürte urplötzlich ein dumpfes grollen in meinen Magen. Mir wurde bewusst das ich noch nichts gefrühstückt hatte und fühlte nun deutlich meinen Appetit. „Verzeihe“, wandte ich mich an meinen alten Freund, „aber wäre es denkbar das ich eine Kleinigkeit zwischen die Zähne bekommen? Ich habe einen gehörigen Kohldampf.“

Les nickte schweigend. Er erhob sich ohne Worte und ließ mich für ein paar Minuten alleine. Ich dachte weiterhin über das gehörte nach und eine Idee bekann in mir zukeimen. Doch war mein Ansinnen auch wirklich eine Gute Idee? Sollte ich meinen Kumpel mit meinen Plan, oder vielmehr mit meiner Überlegung, konfrontieren? Oder sollte ich die Geister der Vergangenheit viel lieber ruhen lassen?

Chester Les Hagerstonys Stimme wurde laut. Er sprach mit einem seiner Kongonegern in deren Sprache und sein Tonfall war bestimmend. Über irgendetwas schien sich mein Freund ganz schön auf zuregen. Ich trank meinen Brandy aus. Hagerstony hatte während seiner Erzählung noch insgesamt zwei Gläser getrunken, doch Les vertrug auch eine ganze Menge, weit mehr als ich selber.

Les Hagerstony kehrte zurück und brachte ein Tablett mit frischen Kaffee und Brot mit. Ein wenig Dörrfleisch war auch vorhanden.

„Hau tüchtig rein“, sprach er, „du bist selbstverständlich mein Gast.“

 

Hagerstony trat an das Fenster, während ich mich stärkte blickte er auf die staubige Strasse vor ihm und hüllte sich in schweigen. Ich trank eine Tasse Kaffee und bot auch meinen Freund und Gastgeber eine Schale an. Doch Les schüttelte nur stumm den Kopf. Er schien über etwas nach zubrüten und ich wollte seinen Gedankengang auch nicht mit unnötigen Fragen irritieren.

„Wie wird es meine Nachbarn in Kisangani wohl heute ergehen?“ brach Les Hagerstony schließlich die Stille. „Lebt überhaupt von meinen Bekannten noch irgendjemand? Oder haben diese Bestien schon die gesamte Stadt ausgelöscht?“ Ich hob den Blick. Wieder keimte meine vorangegangene Idee hoch. Auch ich hatte zuvor an eine eventuelle Rückkehr nach Kisangani gedacht. Ich wollte mehr über diese beiden Löwen in Erfahrung bringen. Woher sie kamen, wieso sie so viel anders aussahen als alle andern uns bekannten Löwen und wieso sie sich ausgerechnet jene kleine und auch recht unbedeutende Stadt ausgesucht hatten.

 

„Ich weiß es nicht mein Freund“, antwortete ich leise, „womöglich sind diese Bestien längst erlegt worden. Es kann auch sein das sie wirklich nur zufällig deine Familie getötet haben. Womöglich sind sie schon lange in weit entfernte Gebiete weiter gezogen.“

„Darf ich fragen“, wechselte Les nun das Thema und ich wollte Augenblicklich auch nicht weiter in der Wunde stochern, „seit wann du wieder in Afrika bist?“

Ich hatte mir noch eine zweite Tasse Kaffee eingeschenkt und kaute soeben das letzte Stück Brot. Ich schluckte und spülte den Kaffee nach.

„Ich bin gestern Nachmittag, eigentlich schon am frühen Abend mit einem Dampfkutter direkt aus Deutschland angekommen.“ sprach ich wahrheitsgemäß. Les stand noch immer mit dem Rücken zu mir am Fenster und blickte auf die Strasse.

„Ich wollte eigentlich weiter zum Massiv von Ahaggar und anschließen tiefer in die Wüste Sahara“, gab ich weiter kund, „da ich nichts von deinem schrecklichen Verlust wusste, wollte ich erst nach diesen Erkundigungen Kisangani aufsuchen. Aber“, fügte ich nun hinzu, „ich habe mir zuvor Gedanken über ein Abenteuer gemacht, welches wir beide eigentlich bestehen könnten.“ Ich ließ meine Worte ein wenig einwirken. Dann sprach ich weiter. Hagerstony stand unverändert am Fenster.

„Wir beide, gemeinsam und wieder vereint gegen das Geheimnis von Kisangani. Gegen diese beiden Bestien und ihre Hintergründe.“

Les rührte sich anfangs nicht. Es dauerte ein paar Minuten dann wandte er langsam den Kopf zu mir und blickte mich mit seinen klaren Augen an. Die Tränen waren versiegt, der Blick war charaktervoll und willensstark. Nur der dichte Vollbart, der Hagerstony um Jahre älter erscheinen lies, störte die stattliche Erscheinung meines Kumpels. Ich war immer rasiert, sogar auf meinen Erkundungs- und Erforschungsreisen trug ist stets ein Wasch und Rasierzeug mit mir und ich wusste in meiner Erinnerung das Les früher auch so gedacht und gehandelt hatte. Klar, seinen buschigen Schnauzer hatte er schon immer getragen. Aber das war auch schon alles.

 

„Ich habe an ähnliches gedacht“, sprach nun Hagerstony flüsternd. Seine Stimme festigte sich. Les hatte nach meinem Gefühl bereits die Entscheidung für Ihn getroffen.

„Ich werde noch Heute nach Kisangani aufbrechen und es wäre mir sehr lieb alter Freund wenn du mir auf dieser Reise und auf dieser Mission beistehen würdest.“ Chester Les Hagerstony stand hoch erhoben vor mir. Seine Fäuste waren geballt und die Knochen knackten schaurig. Die Würfel waren gefallen und die Entscheidung gefällt. Nun lag es nur mehr an mir. Wie würde ich antworten? Würde ich die Bitte meines Freundes erfüllen? Oder überließ ich Les seinem Schicksal alleine?

Ich erhob mich. Ich fuhr mir rasch durch mein Blondes, schulterlanges Haar und setzte eine fest Entschlossene Miene auf.

„Ich möchte den Tod deiner Familie rächen“, sprach ich feierlich, „dazu gehört das ich mit dir zusammen nach Kisangani ziehe und versuchen werde das Geheimnis jener Bestien zu lüften.“

 

Hagerstony lächelte. Er schien seinen Lebensmut und seine alte Abenteuerlust zurück gewonnen zuhaben. Er reichte mir die Hand und beide drückten sie kräftig. Les hatte nun noch viele Vorbereitungen zu tun. Er war unbeirrbar Entschlossen noch nach dem Mittagsmahl die Reise nach Kisangani zu beginnen. Ich hielt diese Ansicht zwar für ein wenig irreal, widersprach aber meinen alten Kumpel nicht da ich wusste das ein Widerwort überhaupt keinen Sinn machte. Egal was sich Les auch einmal in den Kopf gesetzt hatte, das zog er auch unabänderlich durch. Ich war erneut in meine Kammer zurückgekehrt und holte mein dürftiges Gepäck, das ich in der Vornacht so einfach abgestellt hatte. Mein Rucksack enthielt meine Rasierutensilien. Frische Wäsche, Reserve Munition für meinen Revolver und natürlich etwas Geld. Der finanzielle Stand meines Bankkontos war erst frisch aufgestockt worden, Geldnot oder gar Sorgen hatte ich keine. Chester Les Hagerstony erging es da ähnlich. Auch wenn er seit Jahrzehnten keinen Kontakt mehr zu seiner Heimat England gehabt hatte.

 

Einer der schwarzen Boys Hagerstony rief mich zum Aufbruch. Les hatte tatsächlich alle geschäftlichen Dinge bis vor dem Mittagsmahl bereinigen können. Seine Jungs würden das Lokal für Ihn weiter führen. Ich stieg die Stufen zum Untergeschoss hinab und hörte Les bereits auf halben Weg seine letzten Weisungen geben.

„Ich werde mit ein wenig Glück schon nach etwa einem Jahr wieder zurück kehren“, Hagerstony stand mit dem Rücken zu mir als ich ihn erreichte und ich wollte auch meinen Freund bei der Abschlussansprache auch nicht unterbrechen, „verteidigt das Haus und unseren Besitz“, feuerte Hagerstony die schwarzen Burschen an, „ich weiß das ich mich auf euch verlassen kann.“

Nun wandte sich Les mir zu. Ich war erstaunt. Hatte ich doch das bärtige Gesicht noch gut in Erinnerung, so überraschte mich mein Freund nun mit einem glattrasierten Antlitz. Nur der wuchtige Schnauzer zierte die Oberlippe und ließen Hagerstony nicht wie 62 Jahre aussehen, die der alte Haudecken immerhin schon auf den Buckel hatte, sondern er sah um gute dreißig Lenze jünger aus.

„Wir können aufbrechen“, erklärte er zu mir, „es stehen bereits zwei Pferde bereit. Unsere Reise nach Kisangani wird, wenn sie ohne Zwischenfall verläuft, etwa vier Monate in Anspruch nehmen.“ Ich nickte. Auf etwa diese Zahl war auch ich gekommen.

„Lass uns aufbrechen“, sprach ich Tatendurstig, „bereits zuviel Zeit ist seit jenem Vorfall verstrichen. Wir sollten keinen Moment mehr vergeuden.“

Hagerstony pflichtete mir bei. Wir wussten nicht welche Überraschungen noch vor uns lagen und welche Gefahren wir ansteuerten. Wir wussten nur dass es in ein neues Abenteuer ging. Beinahe wie in alten Tagen, nur das der Grund ein völlig anderer war. Tief in meinen Herzen wollte ich Rache für den Tod zweier geliebter Menschen. Les erging es da sicherlich nicht anders. Und wir wollten wissen welches unheimliche Geheimnis hinter diesen beiden unbekannten Löwen stand. Wir traten gemeinsam aus dem Haus und blickten in die hoch stehende Mittagssonne. Ein Bediensteter Hagerstonys hielt zwei schwarze Rappen am Zügel und wartete gelassen auf unser Erscheinen. Les erzählte mir später, dass er noch Vorräte und Munition extra besorgt hatte und diese nach Kisangani nach geschickt werden würden.

„Diese Güter gehen über den offiziellen Postweg und erreichen um einiges früher als wir das Ziel. Wenn wir in der alte Stadt im Kongo ankommen dann werden unsere Waren bereits auf uns warten.“

Ich stieg auf eines der beiden Pferde. Hagerstony folgte mir und der Schwarze reichte uns die Zügel. Ich bemerkte nun, dass Les seinen alten Waffengurt umgeschnallt hatte. Der silberne Cold, mit dem schimmernden Elfenbeingriff, den Chester Les Hagerstony von mir zu seinem 57. Geburtstag geschenkt bekommen hatte steckte im Halfter. Der alte Knabe hatte die Waffe all die Jahre in Ehren gehalten und auch nach dem Tod seiner Familie war dieses Geschenk das einzige, welches er aus seinem früheren Leben behalten hatte. Nun würde sie ihm gute Dienste leisten. Ich lächelte. Das Alter war wie ein dunkler Schleier von dem Manne abgefallen und nun trotzte wieder die unbändige Kraft in seinem Herzen. Ich hoffte nur dass es mir an seiner Stelle auch einmal so ergehen würde. Ich wollte auch so würdevoll und ungebrochen Altern können und wenn auch Les für ein ganzes Jahr seinen Lebensmut vergessen hatte, so hatte er in aber niemals aufgegeben. Er hatte in einer unbeschienenen Ecke seiner Seele geschlummert und auf den Tag der Erweckung gewartet. Ich ließ meinen Rappen auf die Hinterbeine aufstehen. Das starke Tier schlug in der Luft mit den Forderläufern aus und blähte die Nüstern. Wiehernd schnaubte das Pferd die Luft aus und machte einen Sprung nach vor.

„Yippee”, rief ich. Ich hatte mir ebenfalls kakifarbene Kleidung angezogen und auf dem Kopf trug ich einen festen Tropenhelm. Les hatte ähnliche Bekleidung an und auch er schützte sein Haupt durch einen solchen Hut vor der brennenden Sonne.

„Gegen den Teufel und seine Gespielin“, brüllte Hagerstony erregt, „gegen die Dämonen von Kisangani.“ er schwenkte seinen Hut in der Luft und gab seinen Pferd die Sporen. Im wilden Galopp fegte Les an mir vorüber und nach wenigen Minuten war von meinem Freund nur mehr eine sich entfernende Staubwolke zu erkennen. Mir machte das keine Sorgen. Ich wusste dass er nicht all zu weit alleine Reiten würde. Wir waren nun wieder ein Team und brauchten uns gegenseitig bei diesem bevorstehenden Abenteuer.

 

 

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Teil 1 der Abenteuerserie

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