Daniel Alfred

Sein letztes Ultimatum? - Director´s Cut

“So geht’s nicht weiter”, sagte Herr Braun.
“Sie haben seit meiner letzten Inspektion nichts verbessert. Sie ignorieren alle meine Ratschläge. Dabei habe ich genug Erfahrung, das können Sie mir glauben. Ich weiß, was die Kundinnen wollen.”
Die Frau, die Herr Braun gerade angefaucht hatte, bewegte sich nicht und hielt den Mund.
“Das hier wünschen die Kundinnen sich sicher nicht!”, sagte Herr Braun.

Er ging zu einem Regal, auf dem ein paar Damenpullover lagen und strich über das Brett. Dicke Staubflocken wirbelte im fahlen Licht auf.
“Sie müssen den Putzfrauen ausrichten, dass die sich mehr Mühe geben sollen. Ich sage so was ungern, aber wenn sich das hier nicht bessert, fliegt ihr alle raus.”
Er stellte sich der Frau gegenüber, die immer noch bewegungslos blieb und schwieg.
“Sie sagen nichts, weil Sie wissen, dass ich Recht habe. Mit der Taktik versuchen Sie es immer wieder. Aber das wird Sie nicht retten.”

Herr Braun ging zu einem Drehständer mit grauen Blusen und bewegte ihn. Der Abteilungsleiter schaffte es, den Ständer einmal um seine Achse zu drehen, dann brach der obere Teil des Ständers mitsamt der Kleider ab und landete auf dem verschmutzten Boden. Mehr Staubwolken wirbelten auf.
“Sehen Sie sich das an. Wenn das einer der Kundinnen passiert. Sollten Sie nicht der Technik Bescheid sagen? Es reicht!”

Er wischte sich den Dreck vom Ärmel und ging zu der Frau zurück. Er schaute ihr in die Augen. Sie blieb starr und ignorierte Brauns Blick. Mattes Licht fiel auf ihre bleichen, roten Haare.
“Sie tun wie immer so, als ginge Sie das alles nichts an, nicht wahr?”, fragte Herr Braun.

Er lief zur Kasse herüber, nahm einen kleinen Kalender aus Karton, kehrte zurück und baute sich vor der Frau auf.
“Ich hasse dieses Theater. Ich hasse Drohungen. Was meinen Sie, wie ich mich dabei fühle?” Er hielt den Kalender vor ihr Gesicht und tippte auf den September.
“Das ist mein letztes Ultimatum. Bei meiner nächsten Inspektion will ich kein Staubkorn mehr finden. Die Putzfrau schmeißen Sie raus, wenn die nicht spurt. Die Technik hat bis dahin alle Kleiderständer zu reparieren. Die müssen so stabil sein, dass ich mich da drauf setzten könnte.”
Er kam noch näher an ihr Gesicht heran.
“Wenn Sie sich nicht bemühen, wenn Sie nicht alle meine Vorschläge hundertfünfzigprozentig befolgen, dann ...”
“Herr Braun!”, wurde er durch einen Mann im Hintergrund unterbrochen.

“War doch klar, dass wir den hier finden. Wie kommt das eigentlich, dass das Deckenlicht noch funktioniert?”, fragte ein zweiter Mann.
Sie bahnten sich einen Weg durch umgestürzte Kleiderständer und verschobene Regale. Sie hatten auf dem Weg durch die Kaufhausruine Geräusche gehört. Ihre Warnschüsse hatten die Schatten vertrieben, die ihnen gefolgt waren. Für wie lange?
Der erste Mann schulterte seine Maschinenpistole und steckte seine schlanke Taschenlampe in den Gürtel.

“Das ist die Damenabteilung, meine Herren. Die Herrenabteilung ist dort drüben. Wenn Sie bitte dort rüber gehen wollen?”, sagte Herr Braun mit gelernter Freundlichkeit.
“Wenn Sie bitte mit uns kommen wollen”, sagte der andere Mann mit sarkastischem Unterton. Er hielt seine MP im Anschlag und blickte sich um.
“Ich habe mit meiner Mutter in dem Laden eingekauft, als ich klein war. Ich erkenne das Bild wieder“, sagte er.

Er schaute auf ein etwa einen Meter breites, verblichenes Foto, das über einem zusammengefallenen Holzregal hing. Es zeigte eine Frau mit einer lächerlich altmodischen Frisur. Der Mann im ärmellosen Hemd neben ihr hatte eine Tätowierung auf der Stirn, ein ägyptisches Auge. Fast jeder Junge unter Zwanzig trug das damals. Wie viele davon mochten heute mit einem Stück Kunsthaut am Schädel herumlaufen?
“Wir waren hier, kurz, bevor die den Laden aufgegeben haben. Wegen dem commercenet.“

“Mein Alter hatte einen Knall,“ sagte der andere.
“Aber mit Einem hat er Recht behalten: Als die 2024 diese ganzen Asozialen in die ehemalige Einkaufspassage umgesiedelt haben, war es das Ende für die Altstadt.“
Die Männer hörten etwas zu Boden fallen. Sie hoben die MPs und atmetet schneller. Sie blickten zu Herrn Braun, der den heruntergefallen Kleiderbügel wieder aufhob. Der erste Mann ging zu Braun und betrachtete die rothaarige Schaufensterpuppe.
“Na, haben wir wieder Chef und Angestellte gespielt? Wie früher, in der guten alten Zeit, was?“
Er packte Herrn Braun am Arm, der ihm dafür ein professionelles Lächeln schenkte.
“Du brauchst gar nicht so zu grinsen.“
“Die Herrenabteilung. Die ist da drüben ...“
Der Mann griff fester zu.
“Weißt du eigentlich, dass ich es leid bin, jedes Mal meinen Arsch zu riskieren, um dich in deine Luxusanstalt zurückzuschaffen? Bleib doch zur Abwechslung mal zu Hause.”

Eine Tür knarrte in etwa zehn Metern Entfernung.
“Hörst du das, Braun?“, fragte der Erste.
“Verbrecher sind das, die unsere Waffen haben wollen. Und Irre wie du, die sich keine warme, goldene Gummizelle leisten können. Du kannst das, und wir bringen dich jetzt dahin zurück.“
“Wart´s ab.Wir holen den bald wieder aus diesem alten Kasten raus”, sagte der Zweite. “Seine Familie kann sich das leisten. Geld müsste man haben. Wie ich mich auf die blöden Kommentare der Checkpoint - Bullen an der Slumgrenze freue.”

Die beiden Angestellten der Nervenheilanstalt nahmen Herrn Braun in die Mitte. Sie legten ihm eine elektronische Tarnkappe um, damit er nicht von den biomustersuchenden Projektilen der MPs getroffen wurde.
“Und wenn wir die Tarnkappe einfach vergessen?“, dachte der erste Mann laut.
“Heute nicht. Ich verzichte ungern auf meine Prämie“, sagte Nummer Zwei.
“Wenn wir den Bullen erzählen, uns hat so ein Irrer die Waffe geklaut und abgedrückt? Und hat dabei sich und Braun getötet? Denen ist egal, was mit psychisch Kranken passiert.“
Er schaute in Herrn Brauns Gesicht. Der lächelte und sah wie ein neugieriges Kind aus. Der erste Mann erschrak vor seiner Mordlust.

Brauns Familie hatte ihn schon vor zehn Jahren in die Anstalt abgeschoben. Mehr als Euroüberweisungen sah dort niemand von denen. Er war seinen Angehörigen so gleichgültig geworden, dass die nicht einmal einen Platz in der Alternativen Realität für Braun schufen. Der Computer hätte dort ein AR - Kaufhaus aufgebaut und Braun für den Rest seines verrückten Lebens zum Abteilungsleiter gemacht. Nein, Braun war längst von seiner Familie getötet worden.

Die beiden Männer prüften ihre Waffen und beteten für einen sicheren Weg aus dem Altstadtslums.
Herr Braun ließ den Kalender fallen. Der Kalender flog auf den verstaubten Teppich, und etwas von dem Staub landete auf der Zahl 2021.
“Dann lass uns losgehen!”, sagte einer der Männer.
Es war Angst in seiner Stimme zu hören.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.10.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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