Werner Gschwandtner

Zwischen Gefühl und Wissen. Einführung

3 Einführung
 
In Europa, genauer in Deutschland, noch besser gesagt in Berlin, wurde Mitte November Michaela Rosentraum zu Grabe getragen. Sie war eine geborene Berger und die jüngere Schwester von Jakob Maria, der wiederum der Vater von Lisa Andrea war.
Mit dem Beginn des Jahres 1954 erhielt Michaela, die drei Jahre zuvor Ignatz Rosentraum, einen Chemiker aus der DDR, ehelichte die Erlaubnis aus dem Besetzten Wien Auszuwandern. Ignatz hatte 1951 an einer Konferenz in Wien teilgenommen und auch Michaela, die ebenfalls Chemiewissenschaftlerin war, befand sich unter den geladenen Experten.
Die Frucht der Liebe erblühte und aus den Samen des Lebens entsprang Petra, die gemeinsame Tochter von Ignatz und Michaela. Kurz vor der Abreise des Deutschen gaben beide sich das „Ja“ Wort und Michaela versprach so rasch wie nur möglich nach Berlin zu übersiedeln.
54 war es dann soweit und die Russische Besatzungsmacht von Wien, gab eine außerordentliche Sondergenehmigung für die junge Mutter aus. Michaela bat ihren älteren Bruder Jakob um die Erledigung ihrer persönlichen Güter und Liegenschaften in Wien.
Michaela nahm ihre knapp drei Jährige Tochter Petra und bestieg noch am selben Abend den nächsten Zug nach Berlin. Sie glaubte ihre Hab und Gut in den Händen ihres Bruders in bester Obhut und machte sich frohen Herzens auf die Reise in die Heimat ihres Mannes.
 
Michaela hatte mit ihrem Bruder seit über fünfzig Jahren kein Wort mehr gewechselt. Sie war der festen Überzeugung dass Jakob ihr ein Gemälde von Edvard Munch, nämlich den „Schrei“ entwendet hatte.
Ignatz hatte ein Jahr, bevor er die Österreicherin geehelicht hatte, ein Haus in München geerbt und dieses schenkte der Chemiker schließlich zur Hochzeit seiner Michaela.
Das „Zeller House“, wie es heute hieß, nannte sich zu Kriegszeiten noch „Horst des Lebens“ und wurde nach der Kapitulation Deutschlands von den Alliierten Truppen an die jüdische Familie Rosentraum zurückgegeben.
Jakob Maria Berger hatte die Aufgabe übernommen alles Hab und Gut seiner Schwester von Wien nach Berlin zu überstellen. Manche Gegenstände sollten jedoch nach München gehen und auch diesen Transfer hatte Jakob in die Wege geleitet. Der „Schrei“ hatte nach Berlin überstellt werden sollen, kam jedoch niemals dort an.
Herr Berger dementierte Michaelas Anschuldigung stets und zwei Jahre ging ein wüster Brief- und Telefonatwechsel hin und her. Jakob versuchte es zuerst mit Logik und Vernunft, dann mit gesetzlichen Ausführungen und schließlich sah er sich gezwungen und drohte Michaela in einem amtlichen Brief sogar mit rechtlichen Schritten wenn sie ihre Verleumdungen nicht beilegen würde. Jakob war zu dieser Epoche ein angesehener Advokat in Wien. Er vertrat mit Erfolg die Apologie in den größten Fällen von Österreich.
Michaela schloss in ihrem Herzen dieses traurige Kapitel ab und verwahrte alle Briefe und Aufzeichnungen in einer Truhe auf dem Speicher in der Villa in Berlin auf. Petra, Michaelas Tochter erfuhr erst mit zwanzig Jahren von dieser verfahrenen Situation. Michaela gestand unter Tränen, 1971, nach der Beisetzung von Ignaz Rosentraum, schließlich ihr Geheimnis ein und beschwor ihr Kind, welche umgehend eine Strafverfolgung gegen ihren Onkel anregte, um Stillschweigen und Petra, die zu diesem Zeitpunkt versuchte in der deutschen Filmwelt Fuß zu fassen, versprach es ihrer Mutter. Das Geheimnis sollte noch weitere fünfunddreißig Jahre verdunkelt bleiben.
Nun, Tage nach dem Verlust der Mutter schwor Petra Niedermaier, eine geborene Rosentraum, Rache. Sie war der Meinung daß nun endlich die Zeit zum Handeln gegen ihren Onkel, der längst in Pension und heute in Wien Simmering wohnte, gekommen war.
 
4
 
Der 15. Dezember, ein Freitag, begann in vielerlei Hinsicht mit glücklichen aber auch düsteren Stunden. Petra Niedermaier, die seit etwa zwanzig Jahren als freiberufliche Schriftstellerin arbeitete, rüstete sich erneut, um die deutsche Gerichtsbarkeit auf den Fall „Jakob Maria Berger“ anzusetzen. Zuvor hatte sie einen erneuten Arzt-Termin mit ihrem Großvater Franz Maria. Der alte Mann litt seit etwa einem schwachen Jahr an einer äußerst obstinaten chronischen Form des Alzheimers und wurde zuvor von seiner Tochter Michaela und nun von Petra hingebungsvoll betreut. Franz Maria war schon vor Jahren ebenfalls nach Deutschland übersiedelt und lebte bevor jene Krankheit von einem Tag auf den anderen akut losbrach in München. Dort hatte er in unmittelbarer Nähe zu dem „Zeller House“ gelebt und das Anwesen für seine Tochter Michaela auch betreut. Michaela mied dieses Haus. Sie hatte sich zwar über das Hochzeitsgeschenk ihres Mannes sehr gefreut, aber die Geschichten, die ihr Ignatz von diesem Gemäuer erzählt hatte, machten ihr unsagbar Angst. Sie konnte nicht genau erklären was es war, aber sie verspürte in der unmittelbarer Nähe des Zeller Houses immer eine außergewöhnliche Depression.
 
In Georgetown machte sich J.J. frühmorgens zur Arbeit auf. Er hatte an diesem Tag ein wenig Stress in der Firma, John Jack ging für die kommenden Tage in Urlaub und er wollte sämtliche Arbeit für diese Tage bereits im Vorfeld erledigt wissen. Immerhin war er als Abteilungsleiter und angehender Firmendirektor für die gesamten Abläufe verantwortlich.
Noch Heute würde die Familie den Flieger nach Österreich besteigen, denn die Winters’ waren bei Lisas Eltern in Wien zum Fest eingeladen. Zwei ganze Jahre war Amy Samantha nun schon Gesund. Doch vergessen waren die schweren Moment ihrer Krankheit nicht. Sie blieben in der Erinnerung aller Beteiligten und man Dankte Gott für die Heilung und Glaubte weiterhin an das Gute im Menschen und an der gegenwärtigen Zeit.
Zur Mittagszeit erhielt Lisa Andrea und ihre beiden Kinder Amy Samantha und Roman Manuel Besuch des Mekkma Chefarztes Primarius Professor Doktor Perry White. White war seit langem ein guter Freund der Familie und die Winters waren Ehrengäste, an Whites Ernennungstag zum Primarius gewesen. Diese Ernennung lag nun drei Monate zurück. Perry erschien mit seiner Lebensgefährtin Clarisa Hays.
„Hallo Lisa“, begrüßten beide die zweifache Mutter an der Tür ihres Hauses. White trug einen maßgeschneiderten hellen Flanellanzug. Auch Hays war sehr elegant gekleidet. Morgens war es in dieser Zeit immer sehr frostig, aber so um Mittag kam verstärkt noch die Sonne durch.
„Wie geht es ihnen? Wir wollten uns nur verabschieden, unser Flieger nach Chicago geht in sechs Stunden“, erklärte der Mediziner freundlich, Perry White sah unwerfend gut aus in seiner Kleidung. Das dunkelblaue Hemd und der helle Seitenkrawatte, ebenfalls im blau gehalten rundeten das Bild bis zu den teuren schwarzen Lackschuhen ab. „und ich weiß nicht, ob wir später noch Zeit finden werden uns von euch zu verabschieden und euch ein Frohes Weihnachtsfest zu wünschen.“
White trug seinen Mantel über den Arm. Erst in den späten Abendstunden würde die beißende Kälte zurückkehren.
„Chicago?“ fragte Lisa Andrea interessiert, „Was um alles in der Welt machen sie in Chicago? Ich dache sie wollen heuer etwas früher zu ihrer Mutter nach San Francisco reisen?“
Perry White nickte, Lisa hatte beide freundlich ins Haus gebeten und er stellte nun ihr Handgepäck im Vorraum ab. „Das will ich auch“, erläuterte der Akademiker erklärend, „sofort nach Beendigung der Tagung in Chicago fliegen wir nach Frisko weiter. Aber zuvor habe ich ein Fakultätsbriefing in jener Stadt.“ White erzählte worum es ging und so erfuhr Lisa Andrea, daß White zu einem Kongress im Bezug auf die bevorstehende Entlassung von Jane Forster aus der Medizinischen Ratskammer berufen worden war. Forster und auch ihr Neffe Dr. Gabriel Pohl, war nun schon gut ein Jahr suspendiert und die Inspektionskommission sollte noch vor dem Heiligen Abend in diesem Jahr ihr Urteil abgeben.
 
Stunden später, während John Jack von der Arbeit nach Haus kam, startete von Washington aus Whites Maschine nach Chicago. Es war bereits Dunkel und einige Sterne zeigten sich am klaren Abendhimmel, der Captain der Airline begrüßte über Funklautsprecher die Passagiere und wünschte allen einen guten Flug. „Ladies and Gentleman, mein Name ist Robert-Dean Braxdon – ich bin ihr Pilot auf diesem Nonstop Flug Washington/Chicago. Die Gesellschaft, meine Crew und ich wünschen ihnen einen recht angenehmen Flug und einen interessanten Aufenthalt an ihrem Ziele.“
Der Mediziner lehnte sich bequem in seinen Fensterplatz zurück. Clarisa Hays war keine Liebhaberin des Fliegens und versuchte die Zeit über zu schlafen. Perry gurtete sich ab und streckte die Beine weit von sich. Es reisten zu dieser Stunde nur wenige Mitmenschen ebenfalls nach Chicago. Die Stewardess trat an den Professor heran und fragte ihn nach seinem Begehr.
„Darf ich ihnen etwas zu trinken reichen?“
White nickte.
„Eine schöne eisgekühlte Cola Light wäre mir sehr angenehm, extra groß.“ endete der eingefleischte Antialkoholiker liebenswürdig.
„Sehr wohl der Herr“, sprach die Reisebegleitung. Sie fragte noch nach den Wünschen seiner Reisebegleitung und White nahm für Clarisa ebenfalls eine Cola.
„Kommt sofort“. Sie entfernte sich und kehrte nach nur knapp einer Minute mit den bestellten Getränken wieder zurück. Die brünette Frau, sie war höchstens zwanzig Jahre alt, schenkte dem Mediziner etwas ein und ließ Perry White anschließend alleine. White nahm das Glas, es war angenehm kühl und in ihm schwammen unzählige Eiswürfeln – er trank und zog sich folgend seinen neuesten Stephen King Roman „Christine“, den er erst vor wenigen Tagen bei einem Trödler billig erstanden hatte aus dem Handgepäck.
„Ich brauche ein kleines bisschen Entspannung“, raunte White sich selber zu, „Stephen schafft dies noch am Allerbesten.“
Es war schon seit einigen Jahren so, der amerikanische Horror König Stephen King war Perry Whites Lieblingsautor und mit einer spannenden Lektüre aus seinem schöpferischen Schaffen konnte der Chefarzt am aller besten Relaxen.
White hatte schon einmal das Vergnügen gehabt, King persönlich bei einer Buchpräsentation kennen zu lernen. Für den damaligen Jungmediziner war dieses Ereignis eines der Schönsten in seinem privaten Leben. Perry White erfuhr aus dem Munde des Bestsellerautors, dass er, Stephen, einmal sogar dem Alkohol und dem Drogen verfallen war. „Ich denke“, äußerte sich der Schriftsteller, „daß ich anno dazumal nicht ganz mit meinen Erfolgen zu Recht gekommen bin, ich verlor für geraume Zeit mein Lebensziel vor Augen.“ Stephen hatte damals keinen anderen die Schuld zu geschoben, er stand zu seinen Fehlern und war froh darüber, daß er sich aus den Klauen der Sucht befreien konnte. „Meine Ehe und meine Familie drohten durch meine Fehltritte auseinander zu brechen und so wurde ich aus Angst vor dem Verlust in die normale Realität zurückgeholt.“
 
Perry White rekelte sich zu Recht, er schlug das Buch auf, das Stephen King 1983 geschrieben hatte und überflog rasch den Prolog. Auf der Seite 11 begann das erste Kapitel unter dem Titel „Liebe auf den ersten Blick“ und White vertiefte sich in die erste Zeile der Geschichte, die wie folgt lautete.
„Oh, mein Gott!“ las Perry White, die Einleitung von Eddie Cochran war der Akademiker einfach übergangen, diese Sätze bewahrte er sich immer für die Zwischenpausen auf.
„ ...rief mein Freund Arnie Cunningham plötzlich ganz laut.
„Was ist los?“ fragte ich. Seine Augen waren stier hinter den stahlgefassten Brillengläsern, die gewölbte Hand verdeckte teilweise seinen Mund... “ bereits mit der ersten Zeile war White von der schriftstellerischen Lektüre seines Lieblingsautors gefesselt.
 
 
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Eine schwere Lungenkrankheit, als Atypische Pneunomie diagnostiziert eröffnete für die Familie Winters einen schweren und vor allem Kostspieligen Leidensweg. Über ein Jahr lang kämpfte ihr acht Jähriges Mädchen nun schon gegen diesen zähen Erreger, doch in der kommenden Weihnachtszeit drohte alles "Aus" zu sein - nur ein Engel in Amy Samanthas Träumen konnte dem kleinen Mädchen nun noch neuen Mut und Hoffnung geben.

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