19. Mai 2007
Michael kommt mit Mehldorn und seinem Fahrrad ins
Ruhrgebiet. Er wird von seinem Bruder Falko auf Gleis 3 in Empfang genommen.
Dieser war mit einem anderen Zug etwas verspätet auf Gleis 4
(gegenüberliegend) eingetroffen. Nach der herzlichen Begrüßung setzte sich
Michael auf sein Fahrrad und fuhr nach Wanne-Eickel zum Tulpenweg 60. Ich
setzte mich in die Straßenbahn 306, stieg am Einkaufszentrum um in den Bus 306
und stieg an der Haltestelle "Auf der Wenge" aus dem 8us 306 wieder
aus. Dann ging ich zum Tulpenweg 60. Dann ging ich zum Tulpenweg 60. Michael
und ich wollten uns irgendwo in Eickel treffen. Aber das hatte ich vergessen.
Michael wartete also irgendwo in Eickel auf mich und ich wartete am Tulpenweg
auf Michael. Ich wollte ihn fotografieren, wenn er angehechelt kam. Aber er kam
nicht. Und ich wartete. Und Michael wartete auch. Während der Wartezeit
visierte ich einige weiße Tauben am blauen Himmel mit meiner Kamera und einen
ärgerlichen Nachbarn von Papa und Frieda an. Die wähnte ich in der Kirche. Der
ärgerliche Nachbar verärgerte mich ebenfalls, so dass ich später vor lauter
Ärger eine Holzleiste (welche das Haus am Tulpenweg zusammenhält) am Podest
abriss. Und weil ich so ärgerlich war, schellte ich mal bei Papa und Friede an.
Frieda war doch da. Das war gediegen. Ich war schon am Tulpenweg und wusste
nicht, dass Frieda da war und Michael war noch in Eickel, wo er auf mich
wartete und wusste schon, dass Frieda dageblieben ist. Nach langer Wartezeit
trafen endlich auch Papa und Michael am Tulpenweg ein. Michael hatte so viel zu
erzählen, dass wir (Papa, Frieda und ich) einstimmig der Meinung waren, er
müsste mal einen Rederuhetag einlegen. Außerdem war ich der Ansicht, dass Papa
am 5. Mai 2008 88 Jahre alt wird, ich jedoch vorher schon am 13. Februar mein
Jubeljahr beende und Schalke Deutscher Meister wird.
20. Mai 2007
Die Nacht habe ich mal wieder auf der Couch im Wohnzimmer
verbracht - wegen der Standuhr,
weil ich diese so gern meinen Namen rufen höre. Um Punkt 24 Uhr wurde sie
angehalten. Trotzdem konnte ich zunächst nicht einschlafen. Die Couchkissen
waren nämlich durchgesessen bzw. -gelegen und so lag ich fast auf dem Holz. Das
Problem war wegen meiner 95 kg Gesamtgewicht entstanden. Michael hätte mit
seinen 75 kg garantiert darüber geschwebt. So breitete ich schließlich die
Couchkissen auf der Erde aus und hatte einen geruhsamen Schlaf. Keinen
Harnablassdrang, keine stechenden Mücken und kein nervtötendes Ding Dong der
Standuhr. Am nächsten Morgen dachte Frieda, ich sei schon abgereist. Sie fand
mich nicht auf der Couch, weil ich ja auf dem Boden lag. Für Papa und Friede
empfehle ich übrigens eine neue Couch. Auf dieser können sie gemeinsam ein Glas
Rotwein bzw. Multivitaminsaft trinken und sich dabei eine Schallplatte auf
einem Nostalgieplattenspieler mit einer neuen Nadel anhören. Ich empfehle zum
Beispiel Hänsel und Gretel Humperdinck. Vor dem Frühstück besorgte ich die
obligatorischen Brötchen in Eickel. Ein ganz besonderes war diesmal dabei. Es
trug die Initiale B. Dieses "B" stand wohl für Brötchen oder Bäcker
oder backen. Das war ein Foto wert. Nach dem Frühstück fuhr ich mit der
Privatbahn "Abellio" nach Hagen Vorhalle zurück.
24. Mai 2007
Während ich noch als Zeitungssklave schuften musste, war
Michael mit dem Fahrrad von Wanne-Eickel nach Henrichenburg gefahren, um
Christa und Rüdiger zu besuchen. Heute kam er zu mir. Er fuhr also von
Henrichenburg nach Hagen Vorhalle. Fahrtzeit knapp 2 Std,
Durchschnittsgeschwindigkeit 18 km/h, Gesamtstrecke 32 km, 5 Meter in der
Sekunde. Als er bei mir ankam, badete er im eigenen Saft. Zu diesem Zeitpunkt
hätte er sich nicht träumen lassen, dass er auf der Fahrt in die Schweiz mit
dem Fahrrad die ersten Tage den Rekord im Dauerduschen einstellen würde. Ich
hätte ihm Seife und Handtuch während der Fahrt empfohlen.
Wir fuhren mit dem Bus nach Hagen zum Hbf, um unsere
Fahrkarten bei Mehldorn zu besorgen. Vor der Haltestelle "Weststraße"
standen wir eine Stunde im Stau. Das war für uns kein Problem, weil wir beide
sehr kommunikativ sind. Nach unserer Rückkehr gab es Mettwürstchen und Pizza.
26. Mai 2007
Zwischen Dopingskandalen (Auf der Tour de France kann man
die Ungedopten sofort erkennen: Sie haben kein Fahrrad. Bei der Tour de France
befinden sich am Start 21 Teams mit 200 Radfahrern und 500 Apothekern.) mit
Lakritzschnecken und weißer Schokolade, zwischen zwei weiteren Frames und zwei
Kniffelbecherweitwurfflügen drehte Michael weiter am Rad und ich war reif für
die Insel. Am Abend gab es Spaghetti Bolognese, ein Gewitter und Nürnberg wurde
DFB-Pokalsieger.
Und nun bisch dui igladä (du bist eingeladen), die Tour de
Suisse von Michael und mir mit zu erleben, eine Tour mit vielen Höhen und
Tiefen, Bergen und Tälern, Regen und Sonnenschein. Vor der Tour wurde meine
sprechende Waage arg strapaziert. Michael wog mit Gepäck (73 kg & 20 kg)
fast genau so viel wie Rüdiger ohne Gepäck (96 kg). Ich wog mit Gepäck fast
soviel wie Rüdiger und Michael mit Gepäck zusammen. Und wieder dieser Auszug
aus Ägypten. (Rucksack = 20 kg,
rote Reisetasche = 35 kg,
Minizelt = 5 kg, Plustasche mit
Schlafsack und blauer Jacke = 5
kg, mein Bruttogesamtgewicht = 95 kg = insgesamt 160 kg. Endlich war ich kein
Uhu (unter Hundert) mehr.
28. Mai 2007 (Pfingstmontag)
Bei mir zu Hause fand the same procedure as last year statt.
Einpacken, umpacken, auspacken, wegpacken, neu packen usw. statt. Als ich meine
vier Gepäckstücke voll hatte, sah ich ganz schön mitgenommen aus.
Wahrscheinlich hatte ich zu viel mitgenommen. Und als ich am nächsten Tag mein
Gepäck zur Haustür die vielen Treppen runtergebracht hatte, sah ich ganz schön
runtergekommen aus. Und zur Abfahrt sah ich schließlich fertig aus - seit
nunmehr fast 50 Jahren. Bei einem weiteren Anruf aus der Jugendherberge in
Windeck-Rossbach wurde mir von Michael mitgeteilt, dass er heute 87 km (davon
25 km verfahren) hinter sich gebracht hatte; innerhalb einer reinen Fahrtzeit
von knapp 6 Stunden.
Auf dem Feldberg waren 6 cm Neuschnee gefallen. Diese Tour
de Suisse sollte ein reiner Überlebenskampf werden. Auf dem Fahrrad in Badehose
bei 0 Grad. Es war alles eine Sache der Einstellung.
29. Mai 2007
Heute begann für mich ebenfalls die Tour de Suisse. Auf der
Suche nach meinem Reisepass fand ich noch einige Schweizer Franken. Ich stellte
noch das Testbild für Norbert und die GEZ ein. Dann war es soweit. Drei
aufregende Wochen vom 29. Mai bis zum 20. Juni lagen vor mir und natürlich auch
vor Michael. Als positiv denkender, ehrgeiziger Perfektionist hatte es mein
Bruder wesentlich leichter als ich. Zum Glück hatte ich den Ausdauer-Lutscher
und die Gute-Laune-Drops von Nina dabei. Die GeloMyrtol-Kapseln (kaum auszusprechen)
benötigten wir beide diesmal nicht.
An der Bushaltestelle in Vorhalle traf ich meine Nachbarin
Frau Berghöfer aus Haus Nr. 1. Sie erzählte mir während der Busfahrt nach Hagen
Hbf, dass auf der gegenüberliegenden Seite unserer Häuserreihe ein
italienischer Fliesenaussteller einziehen würde. Ich war der Meinung, dass das
nicht nötig sei, weil die italienischen Fliesen eh nichts taugen würden, da sie
ja aus Pizzateig bestehen.
Im Hagener Hauptbahnhof löste ich meinen zweiten Gutschein
für die größte unabhängige und überparteiliche Zeitung Deutschlands ein. Ich
bilde mich vorbildlich durch Bild. Deshalb bin ich auch im Bilde. Und dann
begann das Drama mit Mehldorn seinen Zügen.
MEHLDORN
Mit einem Bahnhof fängt alles an!
Jede Ähnlichkeit mit einem noch lebenden Bahnchef ist rein
zufällig und nicht beabsichtigt.
Es fährt ein Zug nach Nirgendwo... Bei dem Gedanken an die
Deutsche Bahn würde selbst der Sonderzug nach Pankow stillstehen. Und die
Schwäbsche Eisenbahn wäre eine einzige große Haltestation. Wie wäre es denn da
zur Abwechslung mal mit einem weiteren Mord im Orientexpress. Nun gut, es muss
ja nicht gleich Mehldorn sein. Aber alles hat sein Gutes. Der Zug nach Köln
hatte wegen Bauarbeiten 10 Minuten Verspätung.Ok, der kam ja auch von Leipzig.
Und das mit der Wiedervereinigung hat auch einige Jahre gedauert. Zum Glück hat
in Köln der Anschlusszug nach Basel SBB gewartet. Ich baselte also auf dem
Bahnsteig hin und her, bis ich schließlich in einem falschen Wagen saß. Egal,
der Komfort im IC 2044 entschädigte für alles und irgendwann im Laufe des Tages
würde ich schon an Michael vorbeifahren. Der IC 2044 war übrigens der Zug von
Leipzig nach Köln. Jetzt saß ich im ICE 507 (noch komfortabler) von Köln nach
Basel. 14:59 Uhr erreichte der Zug Karlsruhe. In der Nähe von Karlsruhe will
Michael am Samstag unseren Cousin Jürgen besuchen. Mein schweres Gepäck hatte
übrigens einen Vorteil: Es wurde nicht so schnell gestohlen. Noch nicht einmal
von der Bahnhofspolizei. Und ich hatte schon wesentlich weniger Gepäck als im
letzten Jahr dabei. Meinen Rasierapparat habe ich nämlich zu Hause gelassen.
Ich wollte nach drei Wochen mal wie ein Steinzeitmensch aussehen.
Durchsage aus dem Lautsprecher: Wegen einer Signalstörung
ist der Zug außerplanmäßig (stand ja auch nicht im Plan) zum Halten gekommen.
Wenn jetzt Mehldorn einsteigen würde, würde ich zum Aussteiger werden. 15:O5
Uhr Karlsruhe - ich könnte
eigentlich Jürgen besuchen und auf Michael warten. Aber wie lange?
Der Schwarzwald rückte ins Blickfeld. Die dunkle Wolkendecke
über dem Schwarzwald sah ganz schön schwarz aus. Im IC nach Lugano erfolgte
eine erneute Durchsage aus dem Lautsprecher: Der IC über Luzern nach Lugano hat
wegen verspäteter Anschlusszüge ca. 5 Minuten Verspätung. Dann die Durchsage:
Der Zug fährt wegen technischer Probleme nur bis Luzern. Also gut, dafür konnte
Mehldorn nun wirklich nichts. Schließlich war ich jetzt nach knapp einem Jahr
schon wieder in der Schweiz.
Grüezi!
Ab Olten setzten sich zu mir zwei kommunikativfreudige
Damen. Sie unterhielten sich in schwitzerdeutsch. Ich verstand mal wieder kein
Wort. In Zofingen wechselten sie ihren Platz auf die gegenüberliegende Seite.
Wahrscheinlich hatten meine Ohren zu weit offen gestanden. Offengestanden war
ich froh darüber, weil ich sowieso nichts verstand. Die eine sagte freundlich
zu mir: "Merci, dass sie freigemacht!" Ich hatte verstanden, dass sie
den Zug jetzt verlassen wollten und sagte: "Auf Wiedersehen!"
Vielleicht sollte ich bis zum nächsten Jahr etwas Schweizerisch lernen.
Um 19:16 Uhr
betrat ich den Bahnsteig in Ewil Maxon. Und das ohne Sackkarre mit Achsenbruch. An dieser Stelle
möchte ich mich auch von Herrn Mehldorn verabschieden. Der soll mit
seinem Sonderzug nach Pankow, der Schwäbsche Eisenbahn, dem
Orient-Express oder dem Zug nach Nirgendwo sonst wohin fahren. Mit dem
bin ich fertig. Ein für alle Mal. Jedenfalls bis zur Rückfahrt.
Michael war in
Montabaur angekommen. Fahrtzeit 4 ½ Stunden, 71 km.
Mein erster Abend in Ewil Maxon klang so aus: Anmeldung bei
Frau Berlinger, Aufbau des Zeltes (meine Steine vom letzten Jahr waren noch
da), Alpenglühen, Schlaf im Aufenthaltsraum (wegen der schon erwähnten
Kältewelle) unter einem sternenklaren fantastischen Schweizer Nachthimmel.
30. Mai 2000
Heute fand meine erste Wanderung statt. Aber erst wurde
gefrühstückt. Ich saß vor der Reception und wurde ermuntert durch Bienen,
Meisen, Kuhglocken, Mutschlis, Wegglis und einer warmen Sonne. Dann ging es
los. Unterwegs fand ich einen grünen
halb kaputten Schirm. Ich nahm ihn mit (nein, ich sammle als Messie noch keine kaputten Schirme), weil er gut zu
meinem ganz kaputten Schirm, zu meinem grünen Rucksack und zum Wetter der
kommenden Tage passte. Während meiner Wanderung von 10:15 Uhr bis 16:15 Uhr
begegneten mir viele verschiedene Lebewesen: Weiße Schafe, schwarze Schafe,
Kaninchen, Katzen, Hunde, Ziegen, Kühe, Enten, Schwäne und zahlreiche fliegende
Maikäfer, die später auf dem Rücken lagen und mit den Beinchen in der Luft
ruderten. Dann stimmt es ja gar nicht, dass Reinhard Mey mal gesungen hat: Es
gibt keine Maikäfer mehr! Ich habe mal einen wieder auf seine Beine gesetzt.
Aber wahrscheinlich war er ein Selbstmordkäfer wie die anderen auch. Er drehte
sich wieder herum und zappelte weiter mit den Beinen in der Luft.
Der Sarner See war glatt wie ein Spiegel. Am Abend zog eine leichte Brise auf und
es gab einige kleine Wellen, welche versuchten, ein Brett auf den Strand zu
werfen, was ihnen jedoch nicht gelang.
Gehen zwei Wanderer an einem See spazieren. Auf einmal kommt
ein Brett angeschwommen. Darauf stehen die Buchstaben EB. Auf die Frage des
einen Wanderers, was die Buchstaben wohl bedeuten, entgegnet der andere:
"Ganz klar, EB bedeutet: Ein Brett!". Ein weiteres Brett kommt
angeschwommen. Darauf sind die Buchstaben zu lesen: NEB! Erneut die Frage des
ersten Wanderers. Die Antwort des zweiten: "Die Buchstaben NEB bedeuten:
Noch ein Brett!". Und wieder kommt ein drittes Brett angeschwommen. Darauf
stehen nun die Buchstaben: JKKBM! "Das ist aber komisch", meint
verlegen der erste Wanderer zu seinem Kollegen. "Was bedeuten denn nun die
Buchstaben JKKBM?" - "Ganz einfach", erklärt ihm sein Kollege
grinsend: "Jetzt kommt kein Brett mehr!"
Diese erste Wanderung beinhaltete auch einen Einkauf im
Sarnen-Center, auch Migros genannt. Und am Abend habe ich endlich Papa
telefonisch erreicht - nach
ungefähr 87 Versuchen.
Michael erreichte Bingen nach 111 gefahrenen Kilometern bei
einer Fahrtzeit von 8 Stunden und einer Panne mit 3 Schrauben, welche 20 Euro
kosteten.
31. Mai 2007
Meine 2. Wanderung von 9:30 Uhr bis 17 Uhr (Hohe Brücke -
Flueli - Ranftschlucht). Während meiner Wanderungen rauschten die Bächlein, murmelten
die Wellen (nicht nur die Murmeltiere), plätscherten die Springbrunnen, flossen
die Ströme und donnerten die Wasserfälle. Ich stand mit den Füßen in der
eiskalten Melcha. Später legte ich auf einer Höhe von ca. 400 Meter mit Blick
auf den Sarner See eine Mittagspause ein. Während dieser Pause zog eine ältere
Wandergruppe bestehend aus 32 Personen einschließlich zwei Nonnen (ich sammle
ja nicht nur sondern ich zähle auch alles) an mir vorbei. Ich hatte schon
Angst, dass jeder mal von meinem Schinkenbrot abbeißen wollte. Und was die alle
für Sprüche drauf hatten: Grüezi, Grüß' Gott, Gutn'usw. Dann war wieder diese
grenzenlose Stille um mich herum. Nur irgendwo grillten einige Zirpen, glockten
einige Kuhläuten, güllten einige Trecker und die Menschen sahen wieder aus wie
Grashüpfer. Auf dem Weg zum Campingplatz zurück entdeckte ich sogar eine
Blindschleiche. Am Abend zog ich
eine Abdeckfolie über mein Minizelt. Nur zur Sicherheit. Es sollte Regen geben.
Michael war heute im Naturfreundehaus Worms angekommen, 111
km, 6,5 Std.
1. Juni 2007
Ich habe für Frau Berlinger die Mausefalle unter der
Reception neu gespannt. Sie hatte darin statt einer Maus einen Sperling
gefangen. Was ist ein Sperling? Das ist jemand, der die Straße absperrt
(Kindermund). Da es heute Bindfäden regnete, malte ich ein Kreidebild auf die
Tafel im Aufenthaltsraum. Thema: Das unvollendete Paradies. Dann hielt ich es
nicht mehr länger aus. Im Dauerregen unternahm ich meine 3. Wanderung von 11:45
Uhr bis 15:45 Uhr. Wozu besaß ich schließlich eine Regenjacke und zwei kaputte
Schirme. Auf meiner Wanderung - erneut zur Hohe Brücke - kamen mir zwei
Fahrradfahrer entgegen. Der eine trug ein orangenes Regencape genau wie
Michael. Sollte mein Bruder schon angekommen sein? Schade, er war es nicht. Ich
ließ Kerns links liegen und machte mich auf den Weg zum
Katastrophen-Campingplatz Lido in Sarnen, welcher 2005 weggeschwemmt wurde. Das
Regentief war relativ (tief). Ich fühlte mich krank, einsam und
niedergeschlagen. Und morgen sollte mir die Füllung aus einem Zahn rausfallen.
War klar, wir hatten ja Vollmond.
Und Michael? Der war
noch weit entfernt. Er befand sich zur Zeit in der Jugendherberge in
Speyer im Bundesland Rheinland Pfalz nach 54 gefahrenen Kilometern bei einer
reinen Fahrtzeit von vier Stunden und zwei abgebrochenen Speichen. Die
Reparatur kostete ihn 58 Euro.
2. Juni 2007
Nach der unangenehmen Fahrt mit Mehldorn, der sibirischen
Kälte, den lästigen Hautkrankheiten und dem gerade schon erwähnten Rausbruch
der Füllung aus einem oberen linken Backenzahn war sie nun wieder da: Meine
langersehnte negative Grundeinstellung. Das hielt mich nicht von meiner 4.
Wanderung ab, welche von 11:15 Uhr bis 18:15 Uhr dauerte. Nachfolgend die
einzelnen Stationen: Sachseln - Sarnen
- Lourdes Grotte (Im zweiten
Tempel der Natur, siehst du des großen Gottes Spur) - Hohe Brücke (aller guten Dinge sind drei) - St. Niklausen (im Nebel) - Mösli
Kapelle - Ranft - Flueli. Auf dem Rückweg traf ich auf eine
Hochzeitsgesellschaft. Sie ließen viele bunte Luftballons in den nun blauen
Nachmittagshimmel steigen, stiegen dann selber in ein altes gelbes Postauto.
Der Fahrer ließ das Signalhorn ertönen (oder das Posthorn) und alle
Hochzeitsgäste winkten mir zu als wollten sie sagen: "Du bist der
nächste!"
Nein, vielen Dank! Ich möchte nicht, ich war schon
zweimal... Ich kenne die Geschichte... Erst treffen sich ihre Blicke, dann ihre
Herzen. Und dann treffen sich ihre Anwälte. Die Trauung dauert in manchen
Fällen oft länger als die ganze Ehe.
Ich kam noch an einem riesigen Flohmarktgeschäft vorbei und
sog den Geruch von verbrannter Holzkohle in die Nase. In diesem Geschäft war
alles uralt. Hier ließe es sich leben. Fast wie bei mir zu Hause. Hier konnte
ein Messie wieder ein echter Messie sein. Am Abend auf dem Campingplatz
angekommen, fand ich in der Papiertonne einige Zeitschriften. Endlich! Nur für
Regentage...
Michael war nach gefahrenen 77,7 km und einer Fahrtzeit von
4 1/2 Std. bei Jürgen und Margit in Rheinstetten bei Karlsruhe angekommen.
3. Juni 2007
Das Highlight an diesem ersten Junisonntag war garantiert
das kostenlose, ausgedehnte und abwechslungsreiche Frühstück für alle
Campingbewohner und Gäste, auch Brunch genannt. Es war wirklich das erste
seiner Art auf diesem Campingplatz. Gastgeber: Marianne Berlinger & Co.
Zehn große Klapptische für die Gäste wurden aufgestellt, 20 Klappbänke zum
Sitzen für ungefähr 100 Personen, drei Klapptische waren aufgestellt worden für
die Kostbarkeiten des Frühstücks. Es würde mir die Zeit und der Platz fehlen,
um die ganzen Köstlichkeiten aufzuzählen. Nur um mal ein Beispiel zu nennen: So
einen ausgezeichneten Milchkaffee hat meine Schwester Rosi in ihrem ganzen
Leben noch nicht getrunken. Und sie ist eine Kaffeespezialistin. Müsli,
verschiedene Wurst- und Käsesorten, Marmelade, Brötchen, Brot und Hörnchen. Es
war alles dabei, was das Herz bzw. der Magen begehrte. Selbst Orangensaft und Obst fehlten nicht.
Nachdem ich geholfen hatte, einen Tisch aus dem Aufenthaltsraum
mit herauszutragen, rannte ich mit meinem Fotoapparat herum, um während des
Aufbaus einige Erinnerungsfotos zu schießen. Ich schämte mich ein wenig und
sagte zu einer Helferin: "Das sind mal wieder typisch die Touristen. Haben
nichts besseres zu tun, als mit dem Fotoapparat herumzulaufen und andere zu
stören". Darauf ihr Kommentar: "Nun, das ist die Arbeit eines
Touristen!" Zu Frau Berlinger sagte ich: "Das sind ja so viele
Lebensmittel, da könnte ich zwei Wochen von satt werden". Daraufhin ihre
Antwort: "Das ist ja auch nicht alles für sie, da kommen ja noch mehr
Leute!" Und die kamen. Sie kamen aus ihren Löchern. Ich hatte gar nicht
gewusst, dass sich so viele Campingbewohner auf dem Platz befanden. Übrigens
war ich im Moment der einzige Minizeltbewohner. Nachdem meine Backenzahnruine das ausgiebige Frühstück
überstanden hatte, unternahm ich meine 5. Wanderung, welche mich nach Sarnen
führte. Dort fand heute nämlich ein Gewerbedorffest statt. Dort angekommen, gab
es zunächst ein Stück Apfelkuchen und eine Banane. Dann sah ich Heidi auf einem
Nostalgie Karussell, beobachtete einige Leute beim Perlentauchen in einem
Swimmingpool, ließ mir Kohlrabi, Möhren und geschmolzenen Käse (alles umsonst)
schmecken, betrat ein Gesundheitszelt, unterzog meine Nase einer Riechprobe
durch ätherische Öle (Anis, Zitrone,
Orange, Zimt, Lavendel und Pfefferminze, unterhielt mich mit einem Schweizer,
welcher im letzten Jahr zur Fußball-WM in Dortmund gewesen war und sich im
Signal Iduna Park das Spiel Schweiz gegen Togo angesehen hatte (Logo, jetzt
schlagen wir Togo). Ich sagte ihm, dass ich im nächsten Jahr zur Euro 2008 in
der Schweiz und in Österreich voraussichtlich wiederkommen würde, um mir das
Endspiel Deutschland gegen die Schweiz anzusehen. Und abschließend gab es noch
Bratkäse und eine Frühlingsrolle.
Die Krönung dieses Nachmittags fand jedoch für eine halbe
Stunde auf einem Zahnarztstuhl statt. Ich wollte nur mal nachfragen, ob ich die
restliche Zeit meines Urlaubs noch mit dieser Backenzahnruine herumlaufen
könnte ohne dass größerer Schaden entstehen würde. Ich wurde sofort als Notfall
eingestuft und zu diesem netten, gastfreundlichen und geschäftsfreudigen
Zahnarzt geführt und auf dessen Praxisstuhl platziert. Ich konnte dem Zahnarzt
noch erklären, dass ich kaum Schweizer Fränkli am Mann hatte und dass mein
momentanes Zuhause (der Campingplatz in Ewil Maxon) weit entfernt lag. Trotzdem
wurde mir eine provisorische Füllung eingesetzt. Ich brauchte dafür keinen
einzigen Franken zu berappen, obwohl eine richtige Behandlung ungefähr 300
Franken gekostet hätte. Das sah ich mal wieder als eine höhere Fügung von ganz
oben. Jetzt musste ich nur noch darum beten, dass die provisorische Füllung
wenigstens bis zum Ende des Urlaubs bzw. bis zum Beginn des neuen Quartals
(wegen der 10 Euro Begrüßungsgebühr) halten würde. Sie hielt. Auch wenn ich die
nächsten Wochen hauptsächlich rechtsseitig kaute.
Ich habe meiner Zahnärztin in Deutschland selbstverständlich
von diesem selbstlosen Zahnarzt und seiner Behandlung erzählt. Daraufhin bohrte
sie mir zwei Backenzähne auf, in denen sich nun ein riesiger Krater befindet,
setzte eine größere provisorische Füllung ein, füllte anschließend einen
Härtefallantrag aus, der auch schon bewilligt wurde und fuhr dann in den
Urlaub. Und wenn meine Frau Doktor wieder in ihrer Praxis ist, bekomme ich zwei
schöne neue Krönchen im Werte von ca. 900 Euro. Ich frage mich, ob sie wohl
auch Urlaub in der Schweiz macht. Dieses Erlebnis war doch wohl wirklich die
Krönung. Aus Erleichterung über die kostenlose Füllung trank ich nach meiner
Rückkehr (11 Uhr bis 18:30 Uhr) eine ganze Flasche Eichhoff Bier. Ich trank,
weil es mir schmeckte und nicht, weil ich meine Sorgen schwimmen lassen wollte.
Und Michael? Der war immer noch bei Jürgen. Bei Jürgen und
Margit Gast. Und die beiden Gäste übten Michael als Gast gegenüber große
Gastfreundschaft. Er wurde wirklich gut beköstigt und konnte sich mal wieder
richtig satt essen. Das konnte sich Michael auch leisten, denn der zweite Gast
(ich) war ja nicht da.
Nachdem ich gestern abend noch mit Michael bei Jürgen
telefoniert hatte und sich in meinem Zahnloch eine neue Füllung befand, konnte
ich heute meine 6. Wanderung wagen. Übrigens war meine Armbanduhr stehen
geblieben. Ich hätte doch die Standuhr von Papa mitnehmen sollen. Meine
Wegstrecke führte auf einem historischen Wanderweg Richtung Mörlialp.
Eigentlich wollte ich zunächst den Sarner See umrunden. Doch es sollte nicht
sein. Ein Mountainbikefahrer überholte mich. Er hatte fast das gleiche Fahrrad wie
Michael. Er sollte doch wohl nicht... Sein Ziel war der Sattelpass auf 1100
Meter Höhe. Und ich war schließlich 900 Meter hoch. Unterwegs hatte ich ein
Gespräch mit zwei Frauen. Die ältere hatte als Kind mal einen schweren
Fahrradunfall. Seitdem saß sie nicht mehr auf dem Drahtesel. Vorsicht ist die Mutter der
Porzellankiste. Konnte ich gut verstehen. Mein letzter Fahrradunfall liegt fast
drei Jahre zurück. Ich überquerte den Rufibach, den Rosenbach und war gegen 17
Uhr wieder zurück.
Und Michael? Er hatte mit der Rheinfähre übergesetzt und war
in Frankreich gelandet, nach 101 km und 5 1/2 Stunden Fahrtzeit. Er
übernachtete in einer Jugendherberge in Straßburg. Später teilte er mir mit,
dass er von dem Frühstück am nächsten Morgen nicht satt geworden war.
Verständlich bei diesen blätterigen Hörnchen und etwas Marmelade. Gut, dass er
vorher bei Jürgen und Margit meine Portionen mitessen konnte.
5. Juni 2007
Dadurch, dass nun über mein Minizelt eine Folie gespannt
war, welche mit den Steinen vom Vorjahr auf der Wiese befestigt wurde, und
dadurch, dass die Temperaturen nun von Tag zu Tag anstiegen, war es in dem Zelt
stickig und heiß geworden. Dadurch wiederum hatte sich die Luftmatratze
dermaßen aufgebläht, dass der Stoff am Rand wegplatzte. Es war doch gut, dass
ich im Aufenthaltsraum übernachten durfte. Die Matratze brachte ich tagsüber
gar nicht mehr ins Zelt zurück. Ich hatte mich wohnlich schon langsam im
Aufenthaltsraum eingerichtet. Ab und zu musste ich zwar einige Fliegen
erschlagen und hin und wieder einen Ohrenkneifer bzw. Ohrwurm entsorgen, aber
sonst fühlte ich mich wohl. Und heute fand meine 7. Tour statt, und zwar um den
Sarner See. Nach Frau Berlingers Aussage reine Wanderzeit von 5 Stunden. Ich
benötigte mit zwei Stunden Pause jedoch 7 Stunden. Die Tour führte mich am
Campingplatz Wilen vorbei, dann hinauf zur Mattacher Kapelle und schließlich
hinunter zum Ort Wilen. Hier entdeckte ich eine riesige Sammelstelle für
Altpapier, Glas usw. Und dann sah ich, dass an fast jeder Straße und jedem Haus
riesige Mengen gebündeltes Altpapier zum Abholen bereit lagen (hauptsächlich
Zeitungen und Zeitschriften). Ein kleines Mädchen zog eine Holzkarre ebenfalls
gefüllt mit Altpapier zu einem riesigen Sammelcontainer. Der war so groß, da passten zehn von unseren Containern
hinein. Man konnte buchstäblich reingehen. Mein Messiesammlerherz blutete. Ich
nahm eine Schweizer Illustrierte sowie einen Schweizer Jahresrückblick von 2006
mit, mehr nicht! In meinem Gepäck musste ich ja noch Platz lassen für spätere
Begegnungen mit Papiercontainern. Auf dem Rückweg sah ich in einem Garten einem
Solarrasenmäher zu, welcher ohne fremde Hilfe den Rasen mähte. Den hätte ich
gut für unsere Wildwiese am Vossacker 5 gebrauchen können. Dann wäre das Määähh
überflüssig geworden. Und Kapitän Franz Weiss, welcher mich vor 21 Jahren (und
meine erste Frau Susanne) über den Sarner See geschippert hatte, legte mit
seiner "Seestern" gerade am Ufer an. Von 9 Uhr bis 16 Uhr war ich
unterwegs gewesen.
Abends fand noch ein längeres Gespräch mit einem ehemaligen
Golflehrer aus Australien (80 Jahre) und seiner Schweizer
Lebensabschnittsgefährtin (70 Jahre) statt.
Nebenbei bemerkt noch herzliche Grüße von Michael aus dem
Gästehaus in Wyhl nach 72,5 km und 4 1/2 Stunden Fahrtzeit. Er näherte sich unaufhaltsam
seinem Endziel - Kerns, dem Familienferienort in der Schweiz.
7. Juni 2007
Sonnig und warm, 26 Grad. Meine 9. Wanderung führte mich
nach Lungern. Das ist kein Ort, wo man rumlungern kann. Um 9 Uhr ging es los.
Um 10 Uhr erreichte ich Giswil. Ich kam an Palmen vorbei, entdeckte einen
belgischen Reisebus der Firma "Qou vadis" (Wohin gehst du?) und fand
eine Schokostange. Dann tauchte die Burgruine Rudenz in meinem Blickfeld auf.
Ich stieg die ungefähr 100 Treppenstufen bis zur Ruine hinauf (dabei kam ich
mir fast vor wie auf meiner Zeitungstour) und hatte von hier oben einen
herrlichen Ausblick. Es ging weiter Richtung Kaiserstuhl. Diesen kleinen Ort
erreichte ich um 11:30 Uhr. Von hier aus führte ein Wanderweg bzw. Bergweg zum
Älggi, dem geografischen Mittelpunkt der Schweiz. Lungern erreichte ich gegen
13 Uhr. Und da es bis zum Bahnhof Kaiserstuhl stetig bergauf gegangen war, war
meine Lunge ganz schön am pfeifen. Auf dem Weg nach Lungern hatte mich ein Paar
auf einem Tandem überholt. Kurze Zeit später traf ich sie wieder. Sie hatten
Probleme mit der Gangschaltung, und ich musste wieder an Michael denken. Auf
dem Rundweg um den Lungerer See gab es einen Gewitterschauer und ich war froh,
dass ich mein Plastikregenzeug am Mann hatte. Ich muss zugeben, dass ich
während der 8stündigen Wanderung mitunter ganz schön geschafft war. Und einige
Male bezweifelte ich, dass es mir gelingen würde, den türkisblauen Bergsee ganz
zu umrunden. 15:30 Uhr Ankunft in Kaiserstuhl, 16:15 Uhr Ankunft in Giswil.
Zwischen Giswil und Ewil Maxon entdeckte
ich "Rohrers Hofladen". Ich betrat das kleine Lädchen und entdeckte
keinen Menschen. Hier durfte man sich selbst bedienen. Ich zapfte aus einem
Fässchen für 2 Franken 8 dl. Süßmost ab, legte das Geld dafür in eine Glasschale und ließ mir zwei Becher
schmecken. Frohen Mutes legte ich anschließend den Rest des Weges nach Ewil
Maxon zurück.
Der Abend wurde noch
richtig romantisch. Ich saß mit Schandra (den Namen der Holländerin
konnte ich nie richtig aussprechen) auf einer roten Bank vor den Toiletten des
Campingplatzes. Sie erzählte von sich. Beruflich ist sie Krankenschwester, hat
drei Töchter, von denen zwei studieren, trägt keine Uhr (so wie ich), wandert
gerne in den Bergen (so wie ich), ist 47 Jahre alt (fast so wie ich) und möchte
mal nach Neuseeland (ich nicht).
Es war wieder trocken. Die Berge lagen klar vor uns, die
Luft roch würzig, auf der anderen Seite des Sarner Sees waren einige Lichter zu
erkennen, am Himmel leuchtete der hell blinkende Abendstern auf, am
Campingplatz fuhr in der Dunkelheit die erleuchtete Zentralbahn vorbei. Ich
fühlte mich wohl und wäre gern mal wieder verheiratet
9. Juni 2007
Samstag - Abschied
und Wiedersehen. In der Nacht von Freitag auf Samstag war ich einige Male wach
gewesen. Die Schmerzen des Sonnenbrands und eine Übelkeit ließen mich nicht richtig
schlafen. Ein eventueller Sonnenstich hätte meine Persönlichkeit wahrscheinlich
nicht groß verändert. Ich packte meine letzten Sachen zusammen, bezahlte meine
Rechnung und verabschiedete mich von Frau Berlinger. Für mich war die 1. Etappe der Tour de Suisse beendet. Schandra
war so lieb, mich mit dem Auto von Ewil Maxon nach Kerns hochzufahren. Meiner
Ansicht nach war das eine Fügung. Denn eigentlich hätte ich mit dem Zug von
Ewil nach Sarnen und dann mit dem Postauto von Sarnen Bahnhof nach Kerns fahren
müssen. Doch wohin mit dem Rucksack? Übrigens erinnerte mich dieser Akt der
Nächstenliebe von Schandra an ein ähnliches Ereignis in der Schweiz aus dem
Jahr 1998. Da machte ich im Juli eine Woche Urlaub auf dem damals noch
vorhandenen Campingplatz Lido in Sarnen. Ich hatte eine holländische Familie
kennengelernt. Sehr nett. Am Rückreisetag plagte ich mich mit einem grippalen
Infekt herum. Ohne ihn darauf anzusprechen, bot sich der holländische Vater
(Rom) an, mich mit seinem Wagen zum Bahnhof nach Sarnen zu fahren. Die
Holländer sind gar nicht so, wie sie von den Deutschen immer dargestellt
werden. Außer wenn es um Fußball geht. Aber das ist ein anderes Thema.
Als wir in Kerns ankamen, war Michael schon da. Nach heute
20 gefahrenen Kilometern von Horw nach Kerns war er 1/2 Stunde vor mir
eingetroffen. Ist das nicht gediegen? Ich habe für die Anfahrt nach Kerns 20
Minuten benötigt und Michael 13 Tage. Es gab eine herzliche Begrüßung und einen
wehmütigen Abschied von Schandra. Ich habe sie nie wiedergesehen. Es folgte die
Begrüßung von Frau Britschgi, unserer Gastgeberin und eine Besichtigung der
Ferienwohnung, welche etwas müffelte (irgendwie werde ich immer an zu hause
erinnert). Dann lud mich Michael zu einer Flasche Most im Gasthaus "Zum
Turm" ein. Es entwickelte sich eine fast einseitige Konversation, wobei
man berücksichtigen muss, dass Michael während seiner Tour de Suisse wirklich
eine Menge erlebt hatte. Und da mir immer noch übel war und ich mich unwohl
fühlte, war es mir ganz recht. Zwei Österreicher saßen am Nebentisch. Sie
wollten uns zu einem Glas Bier einladen, doch wir lehnten dankend ab. Es
erfolgte der erste gemeinsame Einkauf bei Spar. Papa würde wahrscheinlich der
Ansicht sein, das sei der teuerste Laden in Kerns. Ich spreche jetzt von Spar
Reinhard an der Dorfstrasse 12. Die Kommunikation wurde nach der Einteilung der
Schlafräume, sowie nach Cappu, Kamilletee und französischem Gebäck (keine
Croissants - richtig geschrieben) fortgesetzt. Es gab eine heiße Suppe mit
Brötchen, von der Kirche in Kerns tönten die Glocken, aus dem Radio auch, und
dann holte jemand den ersten Kernskniffel. Noch hatte ich gut lachen. Doch das
sollte sich bald ändern. Vielleicht darf ich nochmals erwähnen, dass Michael
während seiner Tour de Suisse bei einer ungefähren Gesamtfahrzeit von 62
Stunden ca. 990 Kilometer hinter sich gebracht hat. Er war im Trockenen in Hagen Vorhalle vor 13 Tagen
losgefahren und im Trockenen in
Kerns angekommen. Und zwischendurch gab es auch ein "bisschen" Regen.
Es war aber auch etwas Wasser dabei
10. Juni 2007
Sonntag, Michaels Fahrradtour ins Melchtal. Bei der
Vorbereitung des Frühstücks war es jeden Morgen eine Kunst, den richtigen
Härtegrad für die Eier herauszufinden. Schließlich wollten wir keine Weicheier
sein. Das Gelbe vom Ei musste noch weich sein und das Weiße hart. Erst am
letzten Tag gelang es dem Küchendienst, die optimalen Härtegradeier auf den
Tisch zu bringen. Eier waren in der Schweiz auch nicht gerade kostengünstig.
Aber kein Wunder: Hühner im Heidiland arbeiten ebenfalls einen ganzen Tag an
einem Ei genau wie in Old Germany. Während Michael sein Fahrrad für die
Melchtaltour packte, ging Küchendienst Falko seiner Lieblingsbeschäftigung
nach. Er spülte. (Das war der bisher kürzeste Satz). Nachfolgend Michaels erste Fahrradtour
in der Schweiz in Zahlen: Von Kerns bis zur Stöckalp 29 km. Es ging stetig bergauf. Fahrtzeit gut zwei Stunden,
Durchschnittsgeschwindigkeit 15 km/h, Höchstgeschwindigkeit (Berg runter) 55 km/h.
Und womit beschäftigte
sich sein Bruder in der Zwischenzeit: Er baute Michaels Bett um. Der hatte
nämlich in der ersten Nacht "durchgelegen". Wir kennen ja die weichen
Betten in den Ferienwohnungen. Der Lattenrost wurde hochkant gestellt. Und dann
kam noch eine weitere härtere Matratze aus dem zweiten Bett in meinem Zimmer
auf Michaels weiche Matratze. Michael war nach seiner Rückkehr und der ersten
Liegeprobe begeistert. Deshalb rasierte er sich nach dem Duschen wohl auch
seine (Fusel)matratze im Gesicht. Meine Matratze im Gesicht dagegen blieb
hängen, um sich die nächsten Tage weiterhin auszudehnen. Ich wollte ja mal so
aussehen wie ein Steinzeitmensch. Am Nachmittag fand ein weiterer Kniffelframe
und Michaels erster Kniffelbecherweitwurfflug statt. Danach begab sich der
Küchendienst an den Herd und kochte Spaghetti. Nicht nur einfach so, sondern
mit allen nur erdenklichen und vorhandenen Zutaten wie Zwiebeln (welche ich in
meinem Gepäck in den
Wanderstiefeln mitgeschleppt hatte, wodurch sich in der Sausse ein besonderes
Aroma entwickelte), Knoblauch und das berühmte Mirador. Knoblauch soll ja
angeblich so stark machen wie Herkules, so gescheit wie Sokrates und so schön
wie Helena. Ich frage mich nur, warum das bei uns nicht gewirkt hat. Spaghetti
gab es bei uns übrigens öfter. Unser Motto bezüglich der richtigen Ernährung
war: Wir woll'n noch nicht ins Altersheim, bei Magerquark und Haferschleim!
Nach der stärkenden Zwischenmahlzeit mit der köstlichen
FleischwurstZwiebelKnofiMiradorSausse, durchzogen mit Teigwaren und überstreut
mit echtem italienischen Hartkäse ging es nach draußen in den Vorgarten, der
direkt an der vielbefahrenen Hauptstrasse liegt, welche wiederum durch Kerns
nach Sand und Stans führt. Wir saßen erst einmal die Gartenstühle trocken,
Michael verdreckte mit seiner Zigarettenkippe den Gully, ich laberte Frau Britschgi
einen Knopf an die Backe, und wir beiden fühlten uns nach dem schon ausführlich
beschriebenen Mittagsmahl so stark, dass wir das Haus hätten abreißen können.
Es war nämlich schon 100 Jahre alt und wird seit 50 Jahren vermietet. In der
Ferienwohnung fand am Abend noch eine Fliegenjagd statt, welche nicht die
einzige bleiben sollte. Deshalb nachfolgend eine kleine Kurzgeschichte über das
richtige Einfangen von Fliegen. Der Klassiker beim Fliegenfangen ist mit
Sicherheit die gute alte Patsche. Haut man die Fliege mit der Patsche, ist der
Brummer sofort Matsche. Vorteile der Fliegenklatsche: Günstig in der
Anschaffung, effektiv bei optimaler Treffsicherheit und liegt gut in der Hand.
Nachteile: Hinterlässt unschöne Muster an der weißen Decke, hoher Verbrauch an
Küchenrollen. Klebestreifen: Nichts für schwache Nerven. Ideal allerdings für
fanatische Fliegenhasser, die sich an der körperlichen Niederlage des Feindes gern lange weiden. Wer den
Anblick des Insektenfriedhofs nicht so toll findet, sollte eine diskretere
Methode wählen. Nämlich der "Swatter": Das Insekt wird
elektrisch betäubt. Man kann es vorsichtig aufheben und nach draußen setzen.
Dort kann es erneut von einem Hundehaufen naschen und sich anschließend wieder
auf die Frühstücksmarmelade von Falko setzen. Nachteil: Zu hoher
Stromverbrauch. Pistole: Ein harmloses Gerät, dessen Unterhaltungswert den
praktischen Nutzen weit übersteigt. Eine Art Armbrust (Wilhelm Tell hätte sich
totgelacht - manche Fliege
ebenfalls), bei deren Abschuss eine kleine rote Plastikhand auf die Fliege
klatscht. Wie schon gesagt, wenn man das durchtriebene Insekt damit nicht
trifft, stirbt es garantiert durch einen Heiterkeitsanfall.
Beste Möglichkeit, eine Fliege zu erschlagen, ist die
Benutzung einer Tageszeitung von gestern. Keulenförmig
zusammengelegt, effektiv, sehr handlich und außerdem umweltfreundlich.
Besondere Schlagkraft: Die Samstagsausgabe. Und wem das alles immer noch zu
kompliziert ist, der sollte es lernen, Fliegen mit den Händen zu fangen - das lernt man jedoch nur in einem
Kuhstall in der Schweiz.
11. Juni 2007
Sarnen. Dieser Tag hatte eine Menge mit Wasser zu tun.
Herzliche Regengrüße aus der Schweiz. Michael konnte singen: "I’m smoking
in the rain!" Ich hatte das Gefühl, der ehemalige US-Präsident Ronald
Reagan wollte uns besuchen. Wir ließen bei Frau Britschgi in der Wohnung eine
Waschmaschine mit unserer Wäsche laufen. Eigentlich benötigten wir keine, weil
Michael ja einen Waschbrettbauch hatte. Frau Britschgi fragte uns: "Sie
brauchen wohl keine Frauen?" Wozu denn? Schließlich sind wir zwei
alteingesessene Junggesellen und haben als Hausmänner noch lange nicht
ausgedient. Uns als Junggesellen erkennt man übrigens nicht am Ringabdruck am
Finger sondern an den Ringen unter den Augen nach endlos langen Kniffelnächten.
Um 10:30 Uhr liefen wir bei strömenden Regen nach Sarnen. Da blieb kein Auge
trocken. Nach einem intensiven Einkauf im Sarnen-Center war der Einkaufswagen
voll. Ich wollte mich in den Wagen auch noch rein setzen und Michael sollte
mich dann nach Kerns hochschieben. "Junge, gib' Eisen!" hätte ich ihm
zugerufen. Aber mein Bruder bevorzugte das Postauto. Auf dem Balkon hatten wir
schon am Vormittag eine zusätzliche Leine gespannt (gib' Leine - wie beim Zeltaufbau). Wir hängten die
noch sehr feuchte Wäsche auf, welche mindestens drei Tage zum Trocknen
brauchte. Die Maschine war wohl doch zu voll gewesen. Danach folgte ein Cappu
mit Zitronenrolle, ein Frame mit weißer Schokolade, mein 2.
Kniffelbecherweitwurf, Nachrichten aus zwei Radios, Rissotto gekocht von
Michael, ein weiterer Frame, und vor dem Schlafengehen noch einige Zeilen von
Kishon: Kein Weg führt nach Oslogrolls -
wo bitte liegt die Helsingforsstraße? Und Sonnenuntergang auf finnisch
heißt Hell/sinki...
12. Juni 2007
Verkehrshaus Luzern. Nun hatte ich meinen Rucksackträger.
Also konnte ich mal das Verkehrshaus in Luzern ohne größere Rückenschmerzen
genießen. Heute habe ich aber auch eine gute Tat vollbracht. Ich habe nämlich
einer jungen Frau geholfen, den Kinderwagen am Bahnhof in Luzern aus dem Zug
zuheben. Das hätte ich bei einer älteren Frau vielleicht nicht getan. Nun, die
haben ja auch keinen Kinderwagen, oder? Ich möchte noch erwähnen, dass Michael
sein Trinkwasser immer aus einem Brunnen in Kerns holte. Wahrscheinlich wollte
er noch nicht verkalken. Ja, wenn man älter wird... Dann hat man schon mal Kalk
im Gehirn, Silber in den Haaren, Gold auf den Zähnen (manche haben auch Haare
auf den Zähnen), Wasser in den Beinen, Blei in den Knochen. Da genügt keine
Überweisung mehr zum Hausarzt, da muss man sich eine für den Geologen holen.
Sowohl auf der Kapellbrücke als auch auf dem Zebrastreifen
bremsten wir beim Fotografieren so manchen Fußgänger bzw. Autofahrer aus. Das machte Spaß.
Und im Verkehrshaus
stellten wir uns ma janz dumm und fragten uns:
Wat isse 'ne
Dampftram? Wir rollten uns ab vor Lachen. Es folgte ein Besuch auf Michaels
Homepage Fuchsbau, danach ein Besuch im Planetarium. Die Vorführung lief unter
dem Thema: LIMIT - Am Rande des Universums. Es war faszinierend und ich
wurde mal wieder ganz klein.
Mitunter fällt mir beim Betrachten des
Sternenhimmels ein humorvoller Spruch von Heinz Erhard ein:
"Ich hol' vom Himmel dir die Sterne", das schwören
wir den Frauen gerne. Doch nur am Anfang, später holen wir nicht mal aus dem
Keller Kohlen! Nachfolgend noch eine kleine Planetenkunde. Wie merkt man sich
zum Beispiel die Planeten unseres Sonnensystems, Pluto ausgeschlossen?
Beispiel Nr. 1: Mein
Vater erklärt mir jeden Stern und Namen
(Merkur, Venus, Erde, Mars,
Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun).
Oder Beispiel Nr. 2:
Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere
Nachbarplaneten.
Oder das politisch
angehauchte 3. Beispiel: Müde Volksvertreter erhöhen mit
jeder Steuer unsere Not.
Und nun ein ganz
altes Beispiel von meinem Opa mit Pluto einbegriffen:
Mein Vater Egon macht jeden
Sonntag um neun Uhr Pause!
Nach dem Besuch des
Planetariums fand zwischen Michael und mir eine Ruderregatta über 250 Meter
statt. Ich gewann mit 2 Sekunden Vorsprung. Und bei dem Autobremstest waren
meine Reflexe ebenfalls 2 Sekunden besser. Nun gut, ich werde in einem
halben Jahr auch erst 50 und Michael geht langsam auf die 60 zu. Bei der
Baggersimulation war er mir jedoch haushoch überlegen. Ich habe meinen
Baggerfahrer gleich zu Beginn der Aushubarbeiten beerdigt. Dabei muss man
allerdings berücksichtigen, dass Michael schon durch seine tausende von
Flugstunden im Flugsimulator genügend Erfahrungen gesammelt hatte. Und dann
erfüllte sich kurz vor Schließung des Museums noch ein großer Traum meines
Bruders. Er stieg in einen echten Flugsimulator ein und brachte einem
"Copiloten" aus dem Osten bei waghalsigen Flugmanövern das Fliegen
bzw. Fürchten bei. Dieser Tag war tatsächlich gespickt mit vielen Highlights.
Wir erreichten den Bahnhof in Luzern kurz vor einem Gewitterschauer und waren
gegen 19 Uhr wieder in unserer Ferienwohnung. Den Abend beendeten wir mit einem
- na was schon? - natürlich
einem Frame. Gut's Nächtle...
13. Juni 2007
Wanderung nach
Lungern (für Falko zum 2. Mal).
Es gibt etwas, was ich in diesem Urlaub nie begriffen habe.
14. Juni 2007
Der heutige Tag in
Stichworten:
Sehr heiß, bis 28
Grad, nach dem Frühstück im Vorgarten, gekniffelt, Apfelkuchen, Mittagsschlaf,
danach der 2. Frame im Vorgarten. Michael fuhr mit dem Fahrrad nach Sand. Ich
ging zu Fuß ins Dorf, traf ein Mainzelmännchen, einen Papiercontainer und ließ
unsere Kniffelliste kopieren. Abends Spaghetti gekocht. Auf Balkon gesessen,
eine herrliche Luft, Blick auf Stanserhorn.
15. Juni 2007
Regentag. Da es
heute kräftigen Dauerregen gab, hatten wir Zeit ohne Ende. Wir waren ja nicht
auf der Flucht. Ich glaube, ich hatte schon einmal erwähnt, dass mein lieber
Bruder die Neigung zum Perfektionisten hat. Das mag mitunter ja sogar einige
Vorteile bieten. Wenn man beim Frühstück jedoch nicht weiß, wie man den Käse
auf das Brötchen legen soll, weil er etwas länger geschnitten ist als das
Brötchen lang ist, dann bekommt man ein echtes Problem. In diesem Bereich war
ich Michael gegenüber also im Vorteil. Ich bekomme nur Perfektionsprobleme,
wenn die Buchstaben und Wörter bei der Beschäftigung mit Gabriele nicht so auf
dem Papier erscheinen, wie ich es mir vorstelle.
Mein Bruder fuhr bei
dem kräftigen Regen mit seinem Fahrrad nach Sarnen. Nur die Harten kommen in
den Garten. Am Nachmittag gab es nach einer kurzen Freude für mich wieder einen
Grund zum ärgern: Michael würfelte einen Kniffel, nachdem er diesen gestrichen
hatte. Ich freute mich. In der nächsten Reihe würfelte er zum Ausgleich einen
Kniffel mit sechs Vierern aus der Hand. Ich ärgerte mich. Doch dann würfelte
ich ebenfalls einen Kniffel. Ich freute mich. Doch das war es dann auch schon
wieder mit den guten Würfen aus meinem Loser-Becher. Aus lauter Frust kochte ich
am Abend eine Reis-Tomatensuppe
und unternahm von 21 Uhr bis 22 Uhr eine Wanderung Richtung Arvi-Stanserhorn.
Es hatte sich gelohnt. Nach dem
kräftigen Regen war die Luft wieder klar und die Berge glühten. Vor dem
Zubettgehen las ich in einem Roman "Geliebte Mami". Eine Mutter rettete einen kleinen Jungen vor
dem Ertrinken. Ich möchte auch ein selbstloser Mensch werden und nicht nur an
mich selber denken.
16. Juni 2007
Arvi - Ächerli
– Stanserhorn. Die heutige Wanderung dauerte für mich von 10
Uhr bis 17:30 Uhr. Michael kam um 20 Uhr zurück. Wir gingen also um 10 Uhr
gemeinsam los. Um 11:30 Uhr trennten sich auf einer Höhe von 1050 Metern bei
Schwandi unsere Wege. Michael war der Weg zum Arvigrat zu gefährlich. Das
Wetter sah auch nicht gerade gut aus. Ich nahm meine beiden Leinenbeutel in die
Hand, mein Bruder schulterte den Rucksack, und jeder wanderte in seine Richtung
weiter. Michael in Richtung Ächerli - Stanserhorn, ich in Richtung Arvigrat. In der kommenden Stunde begegnete mir keine
Menschenseele. Der Wanderweg wurde immer schwieriger und gefährlicher. Ich
keuchte durch nasses hohes Gras, trat in so manchen rutschigen Kuhfladen
(eine Ameise wird auf einer Wiese von einem Kuhfladen getroffen und schimpft: "Mist, genau aufs Auge!")
und musste 1angsam aber sicher das Scheitern meiner Arvigrat-Tour einräumen
Aber es war auch ein
großer Schritt in meiner Persönlichkeit. Ich gab auf, weil ich nicht mein Leben
riskieren wollte. Das wäre es nicht Wert gewesen. Ich kehrte also ein Stück
zurück und machte mich ebenfalls auf den Weg zum Ächerli. Während der Wanderung
erfreute ich mich an dem Kuhglockengeläut, den saftigen Alpwiesen, den grünen
Tannenwäldern, der großartigen Aussicht auf das Tal und der himmlischen Ruhe.
Den Ächerli, welcher 1398 Meter über NN (Normalnull) liegt, erreichte
ich gegen 2:30 Uhr. Michael war selbstverständlich schon längst auf dem Weg zum Stanserhorn. Nach
einem kurzen Regenschauer, einer längeren Brötchenpause und einem kräftigen
Durchatmen nach meinen auf dem Arvi einsetzenden
Herzrhythmusstörungen machte ich mich auf
den Rückweg. Heidis und Zenzis
liegen nicht hinter mir her, wohl aber drei weibliche Kühe, welche wahrscheinlich einige
Streicheleinheiten von mir erwarteten.
Angst hatte ich nur davor, von einer Kuh überrannt zu werden. Ich bekam
auch andere Wanderer, Paragleiter, Mountainbike- und Motorcrossfahrer zu Gesicht. An einer Holzhütte in einem Wald
legte ich eine Pause ein. Hier las ich einen guten Spruch:
Halte Ordnung, sei
ein Mensch und kein Schwein, das an nichts denkt.
Und später fand ich
an einer uns bekannten Tanne das Gebet des Waldes: "Mensch, ich bin die
Wärme deines Heims, der Wald in den Winternächten. Der schirmende
Schatten, was in des Sommers Sonne brennt.
Ich bin der
Dachstuhl deines Hauses, das Brett deines Tisches.
Ich bin das Bett, in dem du schläfst, und das Holz, aus
dem du deine Schiffe baust.
Ich bin der Stiel
deiner Haue, die Tür deiner Hütte.
Ich bin das
Holz deiner Wiege und deines Sarges.
Ich bin das Brot der
Güte, die Blume der Schönheit.
Erhöret mein Gebet.
Zerstöre mich nicht.
Wenn sich mal alle
Menschen daran halten würden.
Ich hatte den
Arvigrat nicht besiegt, er mich aber auch nicht. Wenn Michael mich gefragt
hätte, ob ich auf dem Arvigrat war, hätte ich einfach lügen können. Es waren ja
keine Zeugen vorhanden. Aber Einer hat mich ja beobachtet (und mich auch mit
Sicherheit vor großem Schaden bewahrt). Warum hätte ich also lügen sollen? Ich
habe unzählige Male vor diesem Urlaub darüber gesprochen und geschrieben: In soundsovielen Tagen geht es auf den Arvi! Muss ich
mich deswegen schämen, dass ich den Arvigrat nicht geschafft habe? Nein! Ich
bin aus Vernunftgründen rechtzeitig umgekehrt. Viele andere Menschen haben in
extrem gefährlichen Situationen nicht auf diese innere Stimme gehört. Sie mussten
sich etwas beweisen, sie mussten etwas schaffen, so wollten in falscher Form
etwas für ihr minderwertiges Selbstwertgefühl tun. Sie haben es zum Teil mit
ihrer Gesundheit und ihrem Leben bezahlt. Das Kostbarste überhaupt. Damit darf
man nicht so leichtfertig umgehen.
Michael war auf dem
Stanserhorn. Er hatte es geschafft. Auch seine Entzündung am Gaumen war besser
geworden, vielleicht durch die Höhenluft. Und abends gab es Ravioli mit italienischem
Hartkäse. Der Frieden war wieder
hergestellt. Und für Falko gab es eine Flasche Eichhof-Bier.
19. Juni 2007
In Sarnen und Packtag. Heute sollte es den heißesten Tag
geben - Temperaturen bis 32 Grad. Diese Hitze war gut dafür geeignet, sich im
Schwitzer-Deutsch auszudrücken. Es war so heiß, dass das getrocknete Gras auf
den Wiesen nach Heu duftete. Und Michael fand nach vier Wochen endlich sein
Stirnband wieder. Dafür vermisste er nun die Schutzhülle für seinen Schirm.
Aber wofür benötigte man bei diesem hochsommerlichen Wetter auch einen Schirm.
Das erinnerte uns an den Hit von Rudi Carrell, als dieser einst singend
trällerte: "Wann wird's mal wieder richtig Sommer, ein Sommer, wie er
früher einmal war?" Sind wir denn als Blagen vor vielen Jahrzehnten
wirklich sechs Wochen lang ununterbrochen in barfuß über den schwitzenden
Asphalt gehopst und haben uns mehr oder weniger pausenlos das Wassereis über
den Nackebauch laufen lassen? Ich glaube, ja...
Wie dem auch sei,
heute fand unsere letzte Wanderung nach Sarnen statt. Im Dorf besorgte ich
einige Geschenke und Michael fotografierte mit seiner Kamera den Dorfkern.
Übrigens, immer wenn der Zeigefinger nach oben ging, war das Foto geschossen.
Nach diesen Aktionen gab es ein gespendetes Eis, ein Magnum. Wir gingen zum
Sarner See, statteten dem Seebad Lido einen Besuch ab und schwelgten in
Kindheitserinnerungen. Dann nahmen wir Abschied von See und Bergen. Es folgte
nochmals ein kleiner Einkauf im Sarnen-Center. An dieser Stelle möchte ich eine
kurze Episode erzählen, welche sich vor einigen Tagen bei einem Einkauf
ereignet hatte: Eine Frau mit nervigen Kindern an der Kasse... Im Wagen türmten
sich die üblichen Berge an Lebensmitteln und Haushaltswaren. Obenauf thronte
Klein-Maxe, krähte, strampelte mit den Beinchen. Er hatte schon vorher
versucht. die Regalbretter leer zu fegen. Der fünfjährige Lukas versuchte
derweil, piratenmäßig den voll beladenen Einkaufswagen zu entern. Dabei benutzte
er ein Tiefkühlbaguette als Degen und gab mächtige Kampfgeräusche wie Ächzen
und Stöhnen sowie ersterbende Schreie van sich. Ich möchte mich darüber nicht
weiter auslassen, aber so eine ähnliche Situation haben wir fast erlebt.
Wie waren von
unserer Wanderung gegen 14:45 Uhr zurück. Das große Packen und Putzen konnte
beginnen. Statistisch gesehen benötigen Frauen ja viel mehr Zeit zum
Kofferpacken als Männer. Mein Bruder Michael bildet allerdings in gewisser
Hinsicht eine große Ausnahme: Wenn es um die knitterfreie Packtechnik geht, ist
er die Nr. 1. Da können die Frauen einpacken. Ok, er war immerhin Berufssoldat.
Das darf man nicht vergessen
Dann wurde gesaugt, die große Rechnung bezahlt, der
restliche Abfall entsorgt, ich fiel nochmals in den Altpapiercontainer
(Altpapier ist nun einmal das schönste Archiv), Michael tätigte zwei Anrufe in
die Heimat, und es gab zum letzten Mal Spaghetti a la Falko. Draußen wurde das
Heu eingefahren und in der Luft lag ein angenehmer Holzkohlegeruch. Bis 23 Uhr
saßen wir draußen und unterhielten uns mit unserer Gastgeberin Frau Britschgi.
Vor dem Schlafengehen las ich einen Roman zu Ende: Aus Liebe zu diesem Kind!
20.Juni 2007
Abschied und eine
Homepage an Herrn Mehldorn. Heute
war der längste Tag dieses Jahres. Zum Glück, denn wenn man mit Herrn Mehldorn
fährt, benötigt man viel Zeit. Ich verabschiedete mich von Frau Britschgi. Sie
staunte über meine vielen Gepäckstücke. Und da es so viel Gepäck war, brachte
Michael mich zur Postautostation in Kerns, ein Fußweg von ungefähr 10 Minuten. Er ging zurück, weil er mit dem Fahrrad zum Bahnhof nach Sarnen fahren
wollte. Ich wartete also auf das Postauto. Aber irgendetwas hatte ich
vergessen... richtig, meine Brille. Mit Brille wäre das nicht passiert.
Schreck, Panik, Entsetzen. Ohne meine Brille war ich nur ein halber Mensch. Ich
ging in das Eisenwarengeschäft Hyler, welches sich an der Postbusstation
befand, gab in dem Laden einer Frau kurz Nachricht, durfte mein Gepäck für
einen Moment deponieren und rannte
zurück zur Ferienwohnung. Frau Britschgi und Michael waren sehr erstaunt, dass ich schon wieder da war. Das Jahr
bis zum nächsten Urlaub war doch
noch gar nicht vorbei. Ich setzte meine heißgeliebte Brille auf das schweißnasse Gesicht und raste zurück zur
Station. Mein Gepäck war noch da (dank nicht vorhandener Bahnhofspolizei), das
Postauto auch schon, und eine Minute später um 9:09 Uhr fuhren wir nach Sarnen.
Ich ächzte mit meinem Gepäck vom Postauto zum Gleis, dann kam Michael mit
seinem Fahrrad und alles klappte wunderbar. Wir waren ja noch in der Schweiz.
In Luzern angekommen, besorgte ich drei Tischuntersetzer mit Motiven von Heidi,
Pilatus und den Passstrassen (mit fünf s). Von 10:45 Uhr bis 11:55 Uhr fuhren
wir mit der SBB nach Basel. Michael hatte beim Einsteigen in den Gepäckwagen
auch geschwitzt. In Basel war der Personen- und Gepäckaufzug defekt. Also kam
das Fahrrad und sämtliches Gepäck auf die Rolltreppe. Ein freundlicher
Bahnbeamter half uns dabei. Da ihm meine Tasche sehr schwer vorkam, fragt er
mich, ob Schmuggelware darin wäre. Ich antwortete ihm: "Ja, Steine!"
Aus den Steinen, die mir in den Weg gelegt worden sind, kann ich mir ein
schönes Haus bauen.
Wir hatten bis zu
unserer nächsten Zugverbindung in Basel einen Aufenthalt von zwei Stunden.
Diese Zeit nutzen wir nicht zum rumlungern sondern zum rumbaseln. Einer von uns
beiden blieb immer bei dem Gepäck und der andere erkundete in der Zwischenzeit
den Bahnhof. Als ich mit rumbaseln dran war, besorgte ich mir eine Bildzeitung,
einige Postkarten und zwei Eis. Die Schlagzeile auf der Titelseite lautete:
Ganz Deutschland trauert um Wussow. Damit war ich nicht einverstanden. Bei dem
nächsten prominenten Toten möchte ich in der Bildzeitung einen Zusatz lesen: Ganz Deutschland trauert um... außer FF.
In der Schweiz habe
ich an liebe Verwandte, Brüder und Schwestern insgesamt 29 Postkarten
geschrieben. Und wer den verhinderten Schriftsteller FF gut kennt, weiß, dass
dieser auf einer Postkarte nicht nur einen kurzen lieben Gruß schreibt, sondern
in den meisten Fällen eine kartenfüllende Kurzgeschichte oder auch mal ein
kleines Gedicht wie zum Beispiel folgendes:
"Hallo, Ihr
lieben vier, ganz liebe Grüße kommen von hier.
Nachts ist es kalt,
tagsüber heiß, ja alles hat hier seinen Preis.
Von einem Ort zu
einem andern, bin ich hier jeden Tag am wandern.
Bei gutem Wetter
gute Sicht, mehr Infos gibt’s im Urlaubsbericht."
Ich liebe Postkarten
auch deswegen, weil auf manchen sehr schöne Sprüche zu finden sind. Zum
Beispiel dieser hier:
"Das
Glück kommt oft durch die Tür, von der man nicht wusste, dass man sie offen gelassen hat!" Auch zum Nachdenken anregend:
"Ein neues leben kann man nicht
anfangen (nicht ganz zutreffend), aber täglich einen neuen Tag!" Oder: "Nicht da
ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz
hat, sonder wo man v e r s t a n d e n wird!"
Michael brachte Unordnung in
meine Bildzeitung. Sie würde wahrscheinlich nicht mehr zu Hause in meinen
geordneten MIB (nicht Man in black) passen. Unsere Zugreise wurde fortgesetzt.
Wenn man die Augen und Ohren während einer solchen Reise offen hält, kann man
eine Menge erleben. Freudentränen beim Wiedersehen und Tränen des Abschieds
liegen an jedem Bahnhof oft dicht beieinander. Verspätungen bei Mehldorn waren
einkalkuliert. Wir saßen schließlich nicht das erste Mal in seinen Zügen. Die
Streiks der Lokführer sollten zum Glück erst später kommen. In Köln müssten wir
umsteigen, keine Probleme. Hagen erreichten wir um 20:19 Uhr. Ich erklärte
Michael nochmals kurz die Strecke vom Hbf bis zum Vossacker 5, weil er mit dem
Fahrrad fahren wollte. Ich nahm den Bus. Michael war eher da als ich, weil mein
Bus später fuhr. Er half mir beim Ausladen des Gepäcks. Meine Nachbarin Frau
Machelett stand mal wieder auf dem Balkon und begrüßte uns. Aber nicht mir ihr
begann und endet dieser Urlaub, sondern mit der Zeit. Deshalb nachfolgend eine
kleine Geschichte über dieses Thema: Mit der Zeit fängt alles an - und hört auch alles auf. Übrigens: Michael fuhr einen
Tag später mit seinem Fahrrad nach Castrop-Rauxel/Henrichenburg zu unserer
Schwester Christa und ihrem Lebensgefährten Rüdiger. Er fuhr geradezu so los
wie er auch gekommen war: Bei kräftigem Dauerregen. Und als ich in der
folgenden Nacht gegen 4 Uhr mal wach wurde (der Mond wurde zum zweiten Mal in
diesem Monat voll), kam ich mir fast so vor wie in der Ferienwohnung in der
Schweiz.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Falko Reineke).
Der Beitrag wurde von Falko Reineke auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.10.2007.
- Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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