Evelyn Goßmann
Die alte Spieluhr
Das kleine abgegriffene Holzkästchen hatte schon immer eine unheimliche Anziehungskraft auf mich. Dieses Schmuckkästchen in dem ich als Kind Ringlein und Kettchen verwahrte war für mich wie eine kleine Schatztruhe.
Eigentlich war es nicht das unscheinbare Kästchen das für mich so interessant war und mich immer wieder magisch anzog, eher war es der Moment wenn ich den Deckel öffnete. Jedesmal wenn sich der Deckel öffnete erklang leise eine zarte Melodie, und ich schaute wie gebannt auf die kleine zierliche weiße Figur, die sich auf einem kleinen eingebauten Sockel dort drehte - eine kleine Ballerina.
Seit ich bei einer Theateraufführung mitwirken durfte in der eine Schulkameradin eine kleine Nachtigall auf Spitzen tanzte, war ich fasziniert von solchen zarten elfengleichen Wesen, ihren geschmeidigen leichen Bewegungen, ihrer schlangenähnlichen Beweglichkeit, das mir immer wie der Wandel in eine besondere Zauberwelt vorkam. Fast war es als öffne ich in solchen Momenten eine Zaubertür, hinter der geheimnisvolle Schätze verborgen waren, die mein Auge dann erblickte.
Für mich war es eine neue, ganz andere Welt voller Glanz und Geheimnissen in die ich dann eintauchte und so bettelte ich zu Hause so lange, bis man mir dann erlaubte ebenfalls diese Ballettschule zu besuchen die von den Eltern der besagten kleinen Tänzerin geleitet und auch unterrichtet wurde.
Es war wunderschön, mal ein Blümchen darzustellen, mal eine böse Hexe zu mimen, oder eine kleine zarte Elfe. So wurde man auf spielerische Weise an den Ausdruckstanz herangeführt und lernte mit viel Freude und Feuereifer die ersten leichten Schritte, dazu als Begleitung immer die wundervolle Musik, die allein schon in eine besondere Welt führte denn die Musik spielte seit Ewigkeiten eine große Rolle bei mir und in unserer Familie und hat von der Faszinaton nichts verloren.
Sobald Musik erklang vibrierte ich innerlich und war wie verzaubert - die Welt und alles ringsum war nicht mehr da für mich. Entweder sang ich gleich, griff zu einem Instrument, und nun gepaart mit der Faszination der Bewegung, schien es perfekt sich der Musik auf die verschiedensten Arten hingeben zu können und sie umzusetzen in all die Gefühle die durch sie freigesetzt wurden, ja die Seele in Schwingung versetzten.
Das alles war wie Spiel, aber die volle Härte des Trainings kam viel später und zeigte, dass es knochenharteArbeit ist, als lächelnde Ballerina federleicht auf der Bühne zu wirken, aber oft mit blutenden wunden Füßen in den so bewunderten Schuhen zu stecken. Unbarmherzig gegen sich selbst muss man dazu oft sein, für oft nur wenige berauschende Momente auf der Bühne, in denen man ein anderes Wesen zu sein schien.
Auch heute noch, nach so vielen Jahren werde ich immer wieder magisch angezogen von kleinen Spieldosen, die man öffnet und eine kleine Ballerina mich in eine ganz spezielle Zauberwelt entführt. Eine wundervolle Ballettaufführung läßt mich immer noch abtauchen in diese besonders faszinierendeWelt, alles andere verblasst dagegen - auf der beleuchteten Bühne scheine ich selbst wieder zu schweben, schwerelos, allein oder gehalten vom Partner - alles scheint wie ein Märchen..
Um in besonderen Momenten mich wieder hineinzuversetzen in diese bunte, geheimnisvolle und mich immer wieder faszinierende Welt oder einfach mal abzutauchen, reicht es den Deckel dieses kleinen Kästchen zu öffnen, und der Zauber beginnt von vorn. Nichts geht von dieser Faszination jemals verloren.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.10.2007.
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