Annabel Illian

Im Wald

Der Wasserfall floss rauschend die grauen Felsen hinunter und glitzerte in
der warmen Morgensonne. Die Blümchen reckten ihre Köpfe zur Sonne hin und
der Himmel war hellblau. Ein wunderschöner Tag!
 
"Röhr!" ertönte es. "Röhr!" Der Hirsch senkte seinen hübschen Kopf und begann
zu fressen. Der König des Waldes stand auf dem riesen großen Felsen und das
Gras war besudelt mit Morgentau.
Da kam die Bache mit ihren 6 Frischlingen.
"Kinder, Kinder! Seid doch mal ruhig!", rief sie immer wieder, vergebens.
Die kleinen Schweinchen grunzten und lachten und wollten nicht auf ihre Mutter
hören. Hilfesuchen blickte die Bache zum Hirsch der noch immer auf dem hohen
Felsen stand.
Als es der Hirsch bemerkte, kletterte er die steilen, glatten Felsen hinunter und sprintete
zu ihnen.
Schon ein mahnender Blick genügte und die Schweinchens stellten sich in einer
ordentlichen Reihe auf und verbeugten sich.
Plötzlich ertönte ein Schuss. Der Hirsch hob den Kopf und atmete tief aus.
Sein Atem erzeugte kleine Wölkchen in der Morgenfrische.
Nervös spielte er mit den Ohren. Ein zweiter Schuss ertönte und war nicht weit
entfernt. Ohne zu überlegen flüsterte er den Wildschweinen zu:" Los! Weg mit euch!
Sucht euch einen Schlupfwinkel!"
"Aber...", begann die Bache zögernd. Doch der Hirsch schaute sie mit dem Keine-Widerrede-Blick
an und die Schweinemutter stolperte davon.
Die kleinen Frischlinge hatten Mühe, ihr zu folgen und stolperten hilflos hinterher.
Da krachte der nächste Schuss und die Kugel streifte die Bache hart, sie fiel zu Boden
und rappelte sich mutig wieder auf. Ein langer blutiger Striemen zierte ihre borstige Haut.
Mutig sprang sie auf den großen Stein in der mitte des Teiches, dessen Wasser aus dem
Wasserfall von einer Quelle kam, und sprang im allerletzten Moment in die Höhle hinter
dem Wasserfall. Die Schweinchens konnten sich mit all ihrer Kraft auch in die Grotte retten
und nun saßen sie da und zitterten.
Die Bache zählte ihre Kinder. Ohje! Es waren nur noch 5! Wo war das 6. geblieben?
Hastig wies sie ihre Kinder zurück und streckte ihren Kopf durch das Wasser, sah sich um
und sprang dann wieder zurück. Da draußen stand eim Mann mit einer schwarzen Flinte,
im grünen Anzug und einem hell grauen Vollbart und grinste zufrieden.
Die Bache schaute noch einmal raus. Nein!
Der Frischling quikte laut und zappelte. "Zappel du ruhig!", sagte der Mann und gab den
Frischling einen Klapps. 10 Minuten später gab der Frischling den Kampf auf.
Er war tot!
Das ließ sich die Schweinemutter nicht bieten. Sie sprang heraus und biss den Jäger
ins Bein.Der schrie auf und lud sein Gewehr. "Na warte!", dachte er und das
Gewehr klickte metallisch.
Ein paar Minuten später lud der Jäger seine Beute in den Kofferraum.
Die Bache quikte noch ein wenig und lag in einer Blutlache.
Verzweifelt versuchte sie gegen  den Tot anzukommen.
Doch sie hatte einen Dickkopf.
 
Der Jäger ging nochmals in den Wald und packte den Frischling bei den Hinterläufen
und wollte gehen, als er ein Zwicken im Bein spürte. Mehrere! Eins! Nein! Viel, viel mehr!
Es waren die anderen kleinen Schweine die ihn bissen.
Blitzschnell ließ er das tote Schweinchen fallen und zückte seine Flinte.
Hämisch grinsend schoss er eins nach dem anderen tot und verfrachtete sie alle zu seinem
Geländewagen.
Doch eines war mit dem Leben davongekommen...
 
Die Bache hatte den Kampf noch nicht aufgegeben und verspürte trotzdem starke Schmerzen.
Als der Jäger den Kofferraum öffnete, stellte sie sich tot.
Und als die Klappe zu war, ringte sie weiter...
 
Der freie Frischling wanderte umher, bis er den Hirsch traf.
"Ja, was machst du denn hier?", fragte der. " Wo sind denn deine Mutter und deine Geschwister?
Ich dachte, ihr seid noch in der sicheren Höhle?"
Stockend berichtete das Schweinchen und schaute den Hirsch dabei an.
"Ja dass ist da schrecklich! Wie heißt du denn? Und wo ist jetzt der Jäger?"
Der Hirsch war traurig und ärgerlich zugleich.
"Ich...ich weiß es nicht!", antwortete das Schweinchen. "Und einen Namen hab' ich auch nicht.
Aber ich such' mir einen aus...mhm...Alf!", quikte es schließlich.
So, aber an dem verlust der Geschwister war nichts mehr zu machen. Leider.
 
Die Bache gab den Kampf nicht auf. Immer wieder fühlte sie sich zwar zu
schwach zum Kämpfen, aber sie kam durch.
Angekommen am Hof des Jägers lud er die Schweine ab und legte sie in den Schuppen.
Dort ging der Kampf weiter...
 
Der Frischling wurde gut untergebracht und wurde immer älter.
Aber er trauerte noch.
 
Inzwischen hatte die Bache den Kampf aufgegeben. Halb.
Sie konnte gar nichts mehr. Auch nicht die Augen offen lassen.
Immer wieder sackte sie weg.
Dann wurde sie in den Schlachtraum verfrachtet und spürte nur noch einen
stechenden Schmerz am Hals, der von dem Schlachtemesser erzeugt wurde,
das ihr gerade die Kehle durchschnitt und sie dachte nur noch: Wäre ich nicht
herausgesprungen, dann...
Weiter kam sie nicht. Sie hatte den Kampf mit dem Tod aufgegeben.
 
Der Frischling war zu einem dicken prallen Keiler herangewachsen.
Es waren wieder 3 Jahre vergangen und doch hatte er seine Trauer nicht überwunden...
 
Der Wasserfall floss rauschen die Felsen hinunter und die Blumen
reckten ihren Kopf zur Sonne hin.
Das Gras war besudelt mit Morgentau. Und auf dem mächtigen Felsen
stand der Hirsch anmutig hoch erhobenen Hauptes.
Und unten am Teich trank eine Bache mit ihren 6 Frischlingen.
Es war die Familie des früheren Frischlings Alf, der jetzt ein Keiler von 30 Kilo's
war.
Aber Alf redete nie über das, was einst mal war.
Es war gewesen.
Es war.
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Annabel Illian).
Der Beitrag wurde von Annabel Illian auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.10.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Annabel Illian als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Was bleibt - Die Reise des Jusup W. von Heiger Ostertag



Die Welt und der Inhalt des vorliegenden Buches orientieren sich am Leben des Titelhelden und Protagonisten Jusup W. Doch zum Roman gehören auch literarische Fiktionen und der spielerische Umgang mit der so genannten Realität. Unter Umständen bestehen zwischen dieser und in dem, wie Personen und Ereignisse im Buch gezeigt werden, gewisse Differenzen. Manche Übereinstimmungen mit dem realen Leben sind dagegen reiner Zufall und natürlich völlig ungewollt, anderes könnte sich hingegen wirklich so ereignet haben. Wichtig in diesem Spiel mit der Fiktion ist das, was wirklich bleibt!

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Tiergeschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Annabel Illian

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

"Die Tierquälerbande Teil 2- Rahiti's Hamster" von Annabel Illian (Tiergeschichten)
Tatsachenbericht (gerettet) von Margit Kvarda (Tiergeschichten)
Pilgertour X V. von Rüdiger Nazar (Reiseberichte)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen