Johannes Seipel

Auch ein Gaukelspiel macht Sinn

 Auch ein Gaukelspiel macht Sinn

Geduldig setzte sich Fred auf den noch einzigen freien Stuhl im Wartezimmers.


Du liebe Zeit ..., der erste Patient ist schon eine halbe Stunde bei der Doktorin. Was machen die beiden bloß so lange? Schließlich bin ich der zehnte hier.

Einige Besucher sehen seit geraumer Zeit zu mir herüber. Wahrscheinlich macht es sie nervös, dass ich immer auf die Uhr schaue. Meinen wohl ich hätte einen Tick - gehörte deshalb zu einer anderen Doktorin. Von wegen. Ist eben ein schönes Stück, meine Solarfunkuhr. Nur deshalb schaue ich immer drauf. Ganz aus Titan. Auch das Armband. Stand im Katalog. Ist unverwüstlich und auch allergiefrei. Kostete ein kleines Vermögen. Sich was leisten, macht eben fröhlich.

Das Geld muss immer im Kreis laufen, sagen die Politiker. Wir sollen mehr konsumieren. Viel mehr. Das mache noch fröhlicher. Auch die Branchen. Und wenn die glücklich sind, produzieren sie noch viel mehr Begehrlichkeiten, deren Inhalte dann von uns erneut zu konsumieren sind.

Doch weil ich im Augenblick nicht weiter konsumieren kann, deshalb unzufrieden bin, sitze ich jetzt hier bei der Doktorin. Meine rechte Hand tut weh. Bin Freiberufler. Brauche zum Arbeiten zwei Hände. Keine Aquarelle, keine Honorare. Und wenn ich kein Geld habe, müsste die Doktorin für mich bald einen Totenschein ausstellen.

Aber meine Doktorin wird die Hand schon richten. Und dann kann ich wieder zarte Farben mischen und ätherische Bilder malen - damit Geld verdienen. Dann viel verbrauchen, wie die anderen auch. Und erneut zufrieden sein. Vielleicht sogar vermischt mit einigen Unzen Glück. Weil mich dann kein Schmerz der rechten Hand daran hinderte, meine Doktorin zu streicheln. Wenn es dann dazu käme.

Wie komme ich denn jetzt plötzlich auf meinen Zahnarzt? Ach so! Meine Lebensabschnittsgefährtin, Hannelore, war neulich in seinem Wartezimmer gesessen. Doch nur fünf Minuten. Denn plötzlich war der Schmerz wie weggeblasen. Kein Grund für sie, noch länger zu bleiben.

Aber was hat das mit mir zu tun ...? Seit geraumer Zeit bewege ich ständig meine rechte Hand. Sie schmerzt nicht mehr. Nicht ums Verrecken tut die mehr weh. Gibt es das bei einem Allgemeinarzt auch, dass im Wartezimmer mit einem Male der Schmerz verschwunden ist? Prüfend drehe ich meine Rechte weiter hin und her. Die ältere Dame neben mir seufzt schon ganz gestresst. Wenn's nicht meine Hand wäre, tät ich's auch.

Damit wieder Ruhe ins Wartezimmer einkehrt, lege ich mal meine Linke auf meine Rechte und halte diese ganz fest. Nun können die anderen Patienten, ohne sich den Hals zu verrenken, meine teuere Solarfunkuhr noch genauer bewundern.

Meine Nachbarin schielt noch mal kurz zu mir hin und scheint dann sichtlich erleichtert, dass sich an mir nichts mehr bewegt.

Nur was sage ich der Doktorin, wenn ich jetzt dran komme? Dass meine Hand nicht mehr schmerzt ...? Um Gottes Willen ...! Vielleicht hält sie mich dann für toll. Und lässt sich von mir nie ins Kaffeehaus einladen, wenn ich's mich doch mal trauen sollte. Denn wer geht schon in eine Arztpraxis, um dort zu sagen, dass ihm nichts weh tut. Also - muss was anderes her.

Natürlich - das ginge. Ich lass einfach meinen Blutdruck messen. Und sollte der zu hoch sein, dann muss sie eben ihren weißen Kittel ausziehen und in Jeans und T-Shirt noch mal messen. So könnten wir das Weißkittel-Syndrom ausschalten.


Nach drei ewigen Stunden konnte Fred die Praxis seiner heimlich angebeteten Doktorin endlich verlassen. Der Blutdruck war gemessen, und Fred, dank dem sinnvollen Gaukelspiel seiner rechten Hand, der Doktorin wieder einmal ganz nahe gewesen.




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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.10.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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