Roman van Genabith

Der Botschafter |Ich sah nur ein Gesicht

Wird’s besser wird’s schlimmer fragt man alljährlich
Seien wir mal ehrlich
Das Leben ist immer lebensgefährlich
Erich Kästner

 

 
Prolog

 
Einige Dinge ändern sich nie – die ständig steigenden Preise für Bus, Bahn und Taxis, das immer schlechte Wetter, und der Umstand, dass man nicht mehr abends ausgehen kann, ohne vor den Clubs die Rettungswagen der städtischen Kliniken auf Kundschaft warten zu sehen. Sie hatten dort genauso ihren berechtigten Stammparkplatz wie die überteuerten Taxis, die die nicht mehr fahrfähigen Discogänger nach hause oder in die nächste Location brachten – jedenfalls solche, die noch in der Lage waren zu erkennen, dass sie nicht mehr fahren konnten. Die Anderen würden vielleicht auf ihrem Heimweg zu Kunden anderer Rettungswagen werden. Wer aber kein Geld mehr für ein Taxi hat, der hat sein ganzes Geld vorher vermutlich für all die süßen, bunten Dinge ausgegeben, die man problemlos dort bekommen kann, und die der Garant dafür sind, dass die Krankenwagen immer fahren – Jede Nacht.
Es gibt Dinge, über die man nicht nachdenkt, wenn man sich nicht selbst um die letzten Nerven bringen will. Deshalb weiß ich nicht ob stimmt was Manche sagen, nämlich dass es immer schlimmer wird mit Allem... und es hatte mich nie interessiert – bis heute!

 

 
Nachtflug

 
Eine Großstadt bei Nacht ist völlig anders als am Tage – als wir um kurz nach 1 vor die Tür traten hatten schon wir über eine Stunde damit verloren zu entscheiden, ob es sich lohnte noch in den Zug zu steigen, um in die Gegend zu fahren, wo einstimmig der höchste Spaßfaktor überhaupt in dieser Nacht zu holen war. Als wir uns dann doch einigten war der letzte Zug schon lange weg und die Lust durch die zwar nicht tief verschneite, aber doch genauso ungemütliche Nacht zu marschieren unter 0 gesunken.
Unser Glück, dass ich faktisch in der innersten Innenstadt wohnte.
An diesem Abend wandten wir uns nicht der Lichtern der Bars und Discos zu, die sich um den Bahnhof gruppierten, sondern gingen den Pattweg hinunter. Mir schien es, als hätte sich der Weg seit letztem Monat noch weiter verschlechtert. Aber der kleine, von Gothicfreaks und Elektrofritzen bevölkerte Club würde wohl selbst selbst dann noch voll sein, wenn man nur noch mit dem Hubschrauber auf dem Parkplatz davor landen konnte, der schon jetzt mehr einer Schutthalde glich. Früher hatte ich daran gerätselt, warum das Forum nichts dagegen unternahm, heute wusste ich, es war Prinzip. Je wüster es hier aussah, desto mehr Leute schienen zu kommen. So gesehen würde es sich sicher lohnen den Parkplatz jeden Freitag umzupflügen. Zum ersten Mal an diesem Abend musste ich grinsen. Und mit diesem Grinsen im Gesicht gingen wir hinein.
Die Musik war schlecht, das Bier war wie immer und die Preise wie immer klein, der Grund warum wir so oft herkamen. Als ich das erste Mal hier war hatte ich tatsächlich noch gehofft, bei der „Electronic Lounge“ würde es sich um ansatzweise die Musik handeln, die ich so gern mochte, schnell wusste ich, dass das nicht so war. Dieser monotone Lärm war vielleicht elektronisch erzeugt, sonst hatte er in meinen Augen nichts anziehendes an sich außer, dass man nach drei oder vier Stunden kontinuierlicher Beschallung alle Sorgen, allen Frohsinn, alle Gedanken und überhaupt alles weit, weit hinter sich gelassen hatte.
Diesen Abend war’s irgendwie besonders übel. Ich trug mich bald mit dem Gedanken entweder mein ganzes Geld mit einem Schlag in flüssiges Gold umzusetzen, oder jetzt sofort aufzubrechen, um es noch woanders zu versuchen. Meine Kollegen waren inzwischen irgendwo in der lärmenden, undurchdringlichen Elektrohölle verschwunden. Ich wollte mich gerade erheben und energisch gen Ausgang streben, da tauchte eine kleine Asiatin mit riesigen Dingern direkt vor mir auf. „Sie war einfach da – ich wollt ja noch zur Seite, aber ich konnte nichts machen...“ so hätte eine spätere Rechtfertigung aussehen können, aber ganz ehrlich... Nun – ich ging an diesem Abend nicht, nicht nachhause und auch sonst nirgends hin.  Stattdessen blieb ich bis zum Morgengrauen.
Ich weiß noch, dass wir über Vieles sprachen. Sie fragte mich Fragen – so viele Fragen – so viele wie noch niemand vorher an diesem Ort. Ich fragte mich noch, warum sie so viele Fragen fragte, je später es aber wurde, desto weniger weiß ich heute noch davon. Es war noch jemand da, er hatte etwas damit zu tun – es war mir gleich.
Als wir schließlich gingen war es bereits Tag. Die düstere Pseudowelt verblasste schnell. So viel wir auch geredet hatten, plötzlich konnte ich keins der Worte mehr fassen. Alles schien von der eisigen Morgenluft am Forum aufgesaugt zu werden. Als wir über die Brücke richtung Bahnhof gingen sprachen wir kein Wort mehr. Meine Überlegung kehrte zurück. Das stundenlange Gespräch erschien mir jetzt wie ein Traum, die Fragen, es schienen mir unendlich viele zu sein, wer in der Welt konnte so viel wissen wollen. Jetzt kam mir auch noch mehr in dieser Nacht recht seltsam vor. Was war mit dem Typ los, der die ganze Zeit dort war, meist irgendwo in der Nähe saß und so wirkte, als wäre er in tiefen Schlaf versunken. Auch fiel mir auf, dass ich noch fast überhaupt nichts wusste. Über all ihren Fragen hatte ich vergessen selbst Welche zu stellen. Ich kannte ihren Namen und ihr Gesicht, aber als wir uns vor McDonalds verabschiedeten wusste ich, dass ich die Nacht mit einem Phantom verbracht hatte.

 

 
Nein – ich hatte nicht daran gedacht mir rechtzeitig Nummer oder sonst was von der kleinen Schnecke zu besorgen. So hatte ich nicht die geringste Chance sie zu finden und nachdem ich sie die nächsten Wochen nicht mehr traf, vergas ich bald die unwirkliche Nacht.

 
Es blubberte von allen Seiten auf mich ein, schon seit Stunden. Dann und wann hob ich den Kopf, schaute eine Weile in die Runde und warf vereinzelte Bemerkungen in den Raum, um mich bei den verehrten Lehrenden noch in Erinnerung zu halten. Ich fragte mich ständig verzweifelt wer nur auf den Schwachsinn gekommen war, den wir uns die ganze Zeit reinziehen mussten. Wer konnte denn nur annehmen, im Entferntesten annehmen, irgendetwas davon würde uns zumeist eher oberflächliche Spardenker irgendwie tangieren.
„Dann schleppten sie mich in dieses Gebäude – ich habe mich gewehrt, aber ich konnte nichts machen. :( und dann haben sie mir den Schädel  mit Unsinn gefüllt...“
So würde ich sagen, wenn man mich fragte, womit ich 9 Jahre meines Lebens verschleudert hatte.
„Man o Man“ blubberte es in mein Ohr. Ich schreckte hoch. „Man man Many“, wild blickte ich zur Seite. „Was willst?“ „Wowwowwow, sie flirtet wieder mit dir...“ (...) „dongdong, jemand zuhause?“ ich hatte nicht geantwortet, während ich überlegte, ob sich sich jetzt rechnete ihm mit der soliden Flasche seine Zähne in den Schlund zu treiben; Schließlich kam ich zur Erkenntnis, dass ich nicht genug Freunde hatte, um mich mit ihnen zu schlagen.
„Hör bloß mit dem Quatsch auf-sag mir lieber, ob wir.s jetzt versuchen.“ „Deine AsiaSchnecke wie?“ (...) „Ja man... die Tage könn…“ „Nein!! Arrg-heute Abend noch...“ „Stimmt was nicht? Hast wieder dieses irre funkeln in den Augen.“ „hürr...“ (…) „Also – SpeedCenter, Nordseite...“

 
„I’m gonna gonna kill ya you won’t go on no more, not even one more day...” Wenn man nicht schon ordentlich das Licht an hatte war diese Fickfuckmusik kaum zu ertragen. Gerade angekommen und schon fast völlig bedient überlegte ich, ob es nicht besser wäre das Asiagirl Asiagirl sein zu lassen und nicht lieber dahin zu gehen, wo man das Gras wachsen lies, da schob sich Jim wie ein Panzer durch die Menge auf mich zu.
„Man man man...“ „genauso ist es!“ Was sollte man angesichts dieser Übermacht nächtlicher Beknacktheit auch sagen. „Wenn wir nicht so gute Freunde wären...... Ach nee – also, wonach suchen wir?“ „Nach der Offenbarung ohne Grenzen“, antwortete ich, während ich das unscharfe und verschwommene Bild meiner Schnecke aus jener Nacht wieder auf das Display meines Handys brachte. „Na dann...“ planlos und auch zunehmend ziellos kreuzten wir über die Funmeile, umkreisten den Bahnhof wie Satelliten ihre Sonne... oder wie zwei kaputte Roboter, die irgendwo zwischen Erde und Mond den Kontakt zu ihrem Herrn verloren hatten. Etwa nach zwei Stunden, oder drei oder... hatten wir den Grund unseres hier seins weitgehend verdrängt; das flüssige Gold sprudelte uns von allen Seiten willig entgegen und rann unsere Kehlen stetig hinunter. Nach unserer ich weiß nicht wievielte Runde zurück am Center hatten wir so ziemlich Jeden, den wir in dieser Gegend kannten mindestens ein Mal gesehen und einen „Schluck“ mit ihnen getrunken... „Hey ganz ehrlich... ich glaub... glaube wir wollen... ja also wir sollen... haben doch keine...“ „Waaaas?“
 
„I’m gonna kill ya you are already dead…“
 
„Man!!! SO GEHT DAS NICHT... wir... MÜSSEN“ Noch einmal nahmen wir unsere Wanderungen auf, zündeten die Satelliten ein letztes Mal ihre Düsen und quälten sich aus ihrer Umlaufbahn... Als wir über die Brücke gingen und die Meile zurückblieb schwebte ich fast, wie wir den elenden Pattpfad hinunterkamen ohne von ins Unterholz abzudriften, um dort den Rest der Nacht zuzubringen weiß ich nicht. Jedenfalls waren wir beide mehr schlafend als wach... bis wir den Parkplatz erreichten... und sehen mussten, wie zwei kräftige Männer, durch die hellen Lichter eines Notarztwagens aus dem Dunkel der Nacht gerissen, sich über ein am Boden liegendes Etwas beugten. Wie weggeblasen waren die Müdigkeit und der Alkoholnebel. Wir beide dachten in diesem Moment wohl dasselbe. Was von weitem nur eine Ahnung gewesen war wurde beim Näher kommen schreckliche Gewissheit. Das Bild auf meinem Handy war dunkel und unscharf, doch es war kein Irrtum möglich.
Dies war Yoshi, die Asiatin, die ich genau hier vor 9 Wochen getroffen hatte. „Tun sie was man... nun helfen sie ihr schon... Helfen sie!“ Ich musste geschrieen haben, denn der Rettungswagenmann sah mich mit einer Mischung aus Erschrecken und tiefer Traurigkeit an. „Da kann ich nichts mehr tun mein Junge. Sie ist tot.“ Was immer man auf so etwas in Filmen oder Büchern sagte, mir kamen alle Worte sinnlos und leer vor in diesem Moment. Schließlich fragte ich mit spröder Stimme „was... war es?“ „Zu viel nehme ich an...“ „Zu... viel... wo...von?“ fragte ich, obwohl ich die Antwort bereits wusste.
Plötzlich war mir alles klar...´die Ungereimtheiten, all die vielen Fragen, die ich versäumt hatte zu stellen und jetzt nie mehr stellen konnte... sie beantworteten sich von selbst, so wie es nur ganz selten geschieht. Daher war die unheimliche Energie gekommen, die sie tief innerlich sengend die ganze Nacht vorwärts trieb, die sie sich mit kompromissloser Verausgabung in einem geballten Hinausschleudern aller geistigen und körperlichen Kräfte jede Nacht als ein neues Leben erleben lies... Oh Kleine... hättest du mich nur mehr reden lassen, hätte ich … ich hätte es sehen, die Gefahr erkennen müssen... Warum musste ich alles verdrängen, womit wir doch jeden Tag und jede Nacht hier immer konfrontiert werden... Was war es, das dich so kaputt machte, dass du nur noch diesen Weg sahst – welcher Wahnsinn verzehrt all die vielen Menschen hier…?
Jetzt kannst du es mir nicht mehr sagen...
Der Rettungswagenmann war ebenfalls eine Weile in stilles Brüten verfallen, jetzt wandte er sich noch ein Mal an mich. „Von Allem mein Junge... von Allem – „ Er zögerte. „Hast du sie gekannt?“ „Nein“, antwortete ich. „Ich kannte sie nicht.“

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.10.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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