Korbinian Rupp

obdach

 

 

Ein grauer Bart durchzogen mit Dreck - kleine Reste von dessen was satt machen sollte. Eine Krempe mit Loch als Hut herausschauend das Fettfilz Haarbüschel, schulterlang. Nicht Zähne mit Lücken, sondern eine Lücke mit Zähnen, jeder herausgebrochene erzählt eine eigene Geschichte: vom ersten Schlaf im Freien bis hin zu unübersehbarer Einsamkeit und Trauer. War damals noch ein Heim das man Zuhause nennen konnte, so ziert jetzt eine Kerze den Karton der die Tischfunktion übernommen hat, das letzte Bild, das mit dem letzten Augenschlag verschwindet wenn er sich jeden Abend mit seinem modrigen, verschimmelten Ledermantel zudeckt. Das selbe Bild jeden Morgen gleich, ein Unterschied der nur am Schriftzug zu erkennen, wenn der Tisch nass, durchgeweicht und ausgewechselt. Nichts für die Ewigkeit!

Das Einzige für ihn was für die Ewigkeit zählt - sich bis zum Knie hinziehende schwere Stiefel. Seit dem ersten Tag oder dem Tag, der sich als erster in seinem Kopf eingebrannt hat. Schwarz mit schweren glänzenden Schnallen ein rhythmischer Klang metallisch bei jedem zerrenden Schritt. Beeindruckend für mich, die Augen, das Letzte das von gesellschaftlicher Dazugehörigkeit zeugt - eingefallen, einzigartig, traurig im Glanz der Scheinwerfer, zugleich freundlich und warm. Zu erkennen die Härte und die Schwierigkeiten, die das Leben mit sich bringt. Dennoch zu schaffen. Der Blick auf Unsereins. Der Name „wandelnder Literat“ die Adresse „unter den Sternen“. Sein Ausdruck verwandelt sich. Der Bart wird breiter. Man vermutet Lachen - ein breites Grinsen, das verraten lässt: nie wolle er tauschen, wofür ich kein Verständnis aufbringen kann.

„Ja, wandelnder Literat, ja ja so haben sie mich genannt oder nein so nennen sie mich immer noch, wenn sich jemand dazu herablässt mit mir zu sprechen“. Ich sah bloß in die Augen des Mannes, der vor mir stand, gebückt - irgendwie eingefallen und doch so schien es gleich groß wie ich.

„Wandelnder Literat?“, fragte ich.

„Ja so nennen sie mich!“

„Wer die?“

„Na die von oben“, kam mit kräftigen Worten durch den Bart hervor. „Einen Einkaufswagen, nur einen murmelte er.“

Ich verstand nur Bahnhof, doch nachzufragen traute ich mich nicht, da ich ihn nicht verärgern wollte. Eine Sekunde lang dachte ich daran ihn zu fragen, ob wir uns nicht setzen sollten, aber ich verwarf den Gedanken. Wohin auch? Auf den Steinboden? Die Stühle waren ja alle besetzt!

„Ich meine“, begann er, „wie soll ich bloß? Ich, ich habe genau eine Hose, einen Pullover, eine Jacke, wenn’s kalt wird unter der Zeitung und meinen Mantel. Ja genau den Mantel - fast so alt wie meine Stiefel, ein paar Tüten mit allem was man so findet. Kleinkram eben, aber man kann ja nichts wegwerfen vielleicht, und so denkt jeder Bauer genau wie jeder König, braucht mans noch mal. Denn, ist es erst weg dann braucht mans ganz bestimmt. Naja und so füllten sich die Tüten im Laufe der Jahre. Normalerweise suche ich ja bloß etwas zum Essen, aber man findet bei dieser Beschäftigung die tollsten Sachen. Letztes Jahr zum Beispiel fand ich einen Tag vor Weihnachten ein Paar Socken und nur einer davon hatte ein Loch. Das nenne ich Glück! Ich hab sie immer noch hier in meiner H & M-Tüte. Bald“, so sagte er, „bald werde ich sie wieder brauchen, Winter“, murmelte er in seinen Bart. Und nochmals, „Winter, brr seit, ach kanns schon gar nicht mehr zählen. Nur den Ersten ,den weiß ich noch so wie alles, das für mich das erste Mal war. Aber“, so ging es weiter, „aber der Tag als es das erste. Mal unter Null hatte, bleibt wahrscheinlich ewig in mir. Zwei verdammte Zehen habe ich mir abgefroren. Nicht einen, nein Zwei! Komisch gell?

 

Aber damals hatte ich ja schon nichts mehr.“

Lange hatte ich geschwiegen; aber jetzt wollte ich es wissen. Es lag mir auf der Zunge, aber plötzlich: „Zwei Kinder das Größte und Wundervollste für mich, mit meiner Frau. Natürlich ich habe sie geliebt, aber dann ging alles zu Ende - ganz schnell!“ Ein kurzes Schweigen in einer außergewöhnlichen Situation. Dann kam ich zu Wort, wenn auch mehr für mich: „Ja ja verlassen“, murmelte ich und dachte, er würde es gar nicht wahrnehmen. Aber ein paar Schallwellen durchdrangen anscheinend doch den Filz, der sich wie ein Wandteppich über seine Lauscher gelegt hat.

„Äh nein nein“, kam es: „Dieser verdammte Zug“, den Blick gen Boden, „so schnell kann es gehen. Drei auf einen Streich! Fast 25 Jahre ist`s her.Aah jetzt jetzt weiß ich’s wieder. Seit 23 Jahren lebe ich so. Das war es, was mir gefehlt hatte.“

Ich schluckte! Tränen konnte ich nicht erkennen. Aber ein leises „Alles weg“.

Ich hatte etwas in ihm aufgewühlt, das er unter Bergen anderer Sorgen begraben hatte.

„Tut mir leid“, sagte ich genauso leise!

„Ach schon gut!Wie gesagt 25 Jahre her. Wäre ja nicht das erste Mal, dass ich die Geschichte erzähle.“

„Ja aber“, so begann ich diesmal!

„Ich weiß... der Einkaufswagen. Genau und die von oben. Wegen diesem verdammten Einkaufswagen zahle ich jeden Monat. ‚Unterschlagung eines Solchen‘ wie man mir sagte. Womit soll ich denn die Tüten transportieren, weil nie was wegwerfen.“

Ich lachte und sein Bart wurde auch wieder breiter.

„Wenn ich einmal in der Woche zur Mangfall zum Baden gehe, muss ich doch mein Hab und Gut mitnehmen, oder? Nicht dass mir irgendein Penner alles wegnimmt,“ flüsterte er mir ins Ohr. Das erste Mal, dass ich seinen modrigen Atem roch.

„Erwischt ham sie mich und verhaftet! Na ja, Hauptsache es war warm eine Nacht!“

Und ich, ja ich lachte wieder, mir gefiel die Art wie er erzählte!

„Und da ich ja kein Konto habe, schicke ich das Geld - die Strafe, wie ein wahrscheinlich unausgelernter Richter mir sagte, mit einem Boten „Freundschaftsdienst!“ zur Staatsanwaltschaft. Immer mit einem netten Brief und deshalb „wandelnder Literat“.

„Ach so, jetzt, jetzt kapier ich’s.“

Ich drehte mich kurz um, weil ich etwas hinter mir hörte. Nichts, komisch.

 „Deshalb“, begann ich, aber im Umdrehen sah ich ihn von hinten weggehend metallisch „klink klink“. „25 Jahre ist´s her, 25 und der Winter das erste Mal, der erste Tag, eine Jacke, eine Hose, einen Pullover und so weiter. ein Paar Socken mit einem Loch, ein Zug ,drei auf einen Streich...“ und so verhalte die Stimme des wandelnden Literaten, den ich bloß um Feuer bitten wollte.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.11.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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