Andrea Koßmann

Tom - Isabell-Schwärzenbach-Kolumne

 
Kurzinfo: Die Geschichten der Isabell-Schwärzenbach-Kolumne gibt es auch als Hörspiel hier bei e-stories!!
 
 
Der Nachbar unter mir heißt Tom. Tom ist mein bester Freund. Tom ist schwul. Und das ist auch gut so.

Ich bin der Meinung, dass heutzutage jede Frau einen schwulen Freund haben sollte. Es ist chic, es ist praktisch und vor allem so herzergreifend ehrlich. Denn, wenn Tom sagt, dass meine Augen heute besonders schön leuchten, dann sagt er das nicht, um nach dem Essen beim Lieblings-Italiener mit mir ins Bett zu hüpfen, sondern, weil er eben wirklich findet, dass meine Augen heute besonders schön leuchten.

Und wenn Tom sagt, dass meine Haare heute kacke liegen, dann ist das Grund genug, nochmal schnell unter die Dusche zu hüpfen und danach die Haare neu zu stylen.

Das Leben mit Tom ist aufregend. Letzte Woche war ich beim Friseur. Der Gang dorthin ist für eine Frau so, wie für andere vielleicht ne Gruppen-Therapie-Stunde beim Psychiater. Es wird getratscht, es wird gelacht und es wird gelogen, dass sich die Balken biegen.

„Isaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa-Schätzchen, das ist ja schön, dass Du auch mal wieder vorbeischaust!!“ ruft mir Uschi, meine Stamm-Friseurin zu. Sie sieht schrecklich aus! Uschi ist eine Party-Löwin und anhand ihrer Augenringe kann ich die durchzechten Nächte zählen.

„Uschiiiii, Du schaust bleeendend aus!! Wie machst Du das nur????“

„Ach Schätzchen, ich hab nen neuen Typen kennen gelernt und der ist so was von zuckersüß, das glaubst Du gar nicht!“

Ich schlucke. Uschi ist genauso alt wie ich. Also so etwa Mitte 30. Sie ist völlig unterernährt, hat weder Busen noch Po, neigt zu starker Erwachsenen-Akne und hat schiefe Zähne. Sie trinkt viel zu viel Bier, schläft viel zu wenig und leidet unter ständigem Geldmangel. Ihr Hobby ist Doc-Hopping. Wenn sie nicht mindestens einmal die Woche bei irgendeinem Arzt vorstellig werden kann, ist sie krank.

Sie redet wie ein Wasserfall und merkt nicht mal, dass man gar nicht mehr zuhört. Einmal war ich mit ihr in einer Kneipe und hörte mir gerade ihre letzte Doc-Story über Mikro-Organismen ihrer Darmgegend an, als sich gerade die bei mir bemerkbar machte. Ich versuchte ein paar mal, ihr genau das zu sagen, aber sie merkte nicht, dass ich sie unterbrechen wollte.

Irgendwann stand ich einfach auf, ging aufs Klo, ließ mir verdammt viel Zeit damit, kam wieder und… was soll ich sagen? Uschi saß immer noch da und erzählte. Sie hat nicht mal gemerkt, dass ich zwischendurch weg war!

Und genau diese Uschi offenbart mir gerade, dass sie einen Typen kennen gelernt hat? Ist er blind? Taub? Stumm? Arzt?

„Oh, das freut mich Uschi!“ versuche ich möglichst glaubhaft rüber zu bringen. „Wo hast Du ihn denn kennen gelernt?“

„Er war hier zum Haare schneiden! Männerkurzhaar für 5,70 Euro. Ohne Fönen. Weil ja Sommer ist und die Haare von alleine an der Luft trocknen. Er sieht uuuumwerfend aus Isa. Son ganz chicer Typ mit dunklem Anzug und Krawatte und diesem ganzen Pipapo.“

„Und Du meinst, dass er sich auch für Dich interessiert? Also ich meine, vielleicht ist er verheiratet oder so.“ Ich mach einen auf unschuldig. Sonst könnte Uschi womöglich denken, dass ich ihr den Kerl ausreden will.

„Neeee, das glaub ich nicht. Er trug keinen Ring! Außerdem hat er mir ne Visitenkarte gegeben auf der seine Handy-Nummer steht! Ganz freiwillig! Frau Schuster, hat er gesagt, wenn Sie mal was brauchen, dann rufen Sie mich doch einfach mal an! Ich bin allzeit bereit! Das glaubst Du gar nicht! Wenn ich mal was brauche!! Allzeit bereit!! Das hat er sicher sexuell gemeint! Der Typ ist der Hammer oder?“

Ich begutachte meine Fingernägel und frage ganz beiläufig „Und?? Haste schon angerufen?“

„Neee, man soll einen Mann doch ein wenig zappeln lassen! Er war doch erst gestern Nachmittag hier. Aber ich habe schon die ganze Nacht von ihm geträumt. Hach, diese Haare, diese Hände, dieser Körper. Einfach bezaubernd. Ich glaube, ich bin verliebt. Das glaubst Du gar nicht!“

„Was hat er denn sonst noch so erzählt?“ So schmackhaft wie Uschi mir diesen Kerl macht, widerstehe ich der Versuchung, nach seiner Visitenkarte zu suchen, nur sehr widerwillig.

„Er sagte, dass er kinderlieb sei. Und dass die Jugend von heute viel mehr an ihre Zukunft denken sollte. Auch wegen der Rente und so. Und dass er mir helfen könnte, einige meiner Wünsche in Erfüllung gehen zu lassen. Er fragte auch, ob ich selber Kinder hätte und als ich verneinte, sagte er, er könne mir sogar bei der Planung behilflich sein und dabei hat er mich ganz irre angeschaut mit seinen strahlendblauen Augen. Ich glaube, er wär am liebsten direkt über mich hergefallen.

Alles hab ich nicht verstanden von dem, was er erzählte, denn ich war wie hypnotisiert, wenn ich ihn anschaute. Erwähnte ich bereits, dass ich verliebt bin? Vielleicht ist er ein Gigolo. Aber das würde ich nicht schlimm finden. Dann kann er mir vielleicht noch ein paar tolle Dinge beibringen. Weißt Du, er ist so der Typ Mann, von dem man sich wünscht: Nimm mich, benutz mich und wirf mich dann weg! Das glaubst Du einfach nicht!“

Uschi schaut an die Ladendecke, während sie von ihrem Traummann erzählt. Ich blicke auch nach oben, kann aber nicht erkennen, dass sich dort der Text befindet, den sie gerade abspult.

Ob diese Frau wohl auch nachts redet? Vorstellen kann ich mir nämlich nicht, dass Uschi abends an ihrer Schlafzimmertür ihre Zunge abgibt und schweigt. Ich sehe sie förmlich vor mir, wie sie unter einem knackigen Astralkörper liegt. „…. Und dann war ich heute noch beim Arzt. Ich hab doch manchmal so leichte Schmerzen in den Fingern. Das ist sicher Rheuma und ich wollte der Sache auf den Grund gehen. Und sag mal, wie findest Du eigentlich meinen neuen Nagellack? Schau mal, mit Glitzer!“ Ich mein, HALLO???? Welcher Typ fährt auf so was ab??

„Mensch, das ist ja toll. Und ich freu mich sehr für Dich! Vielleicht hast Du ja Glück und er ist endlich mal Mr. Right!“ Aua, ich hab mir gerade eben selber auf die Zunge gebissen.

Nein, ich klinge nicht eifersüchtig! Bestimmt nicht! Lachen Isa, LACHEN!

Warum haben solche Frauen es so verdammt leicht, mal eben einen tollen Typen kennen zu lernen? Warum passiert mir so etwas nie? Was mach ich falsch? Ich putze mir zwei mal am Tag die Zähne, dusche jeden Tag, habe einen Bausparvertrag, bohre nicht in der Öffentlichkeit in der Nase, bin eine sehr erfolgreiche Videotheken-Aushilfs-Kraft mit gewaltigen Aufstiegschancen, lüge nur in Notfällen, wenn es gar nicht mehr anders geht und lasse mir unheimlich gerne den Rücken kraulen. Aber Visitenkarten von fremden, supertollen Männern? Die bekomm ICH nie!

„Strähnchen und schneiden wie immer Isa-Schätzchen?“ Ich bin versucht, Uschi zu zeigen, was passiert, wenn das Schätzchen zur Furie wird, aber ich möchte im Laden nicht auffallen. Sonst könnten die anderen noch denken, ich sei tatsächlich eifersüchtig. Und wenn es einen großen Fehler gibt, den Frauen machen können, dann ist es, eifersüchtig oder neidisch auf andere Frauen zu wirken. Denn damit zeigen sie Schwäche! Und welche Frau möchte das schon?

Also Pokerface aufsetzen, lächeln, nicken und einfach die Klappe halten. Und zwischendurch immer mal wieder unauffällig den Blick schweifen lassen, ob die ominöse Visitenkarte nicht doch irgendwo zu entdecken ist. Also nicht, dass Sie denken, ich würde den Typen dann anrufen oder so! Dazu wäre ich viel zu schüchtern…. Aber ne SMS… ich könnte ihm tatsächlich eine schreiben! Irgendwas mit „Hab sie gestern beim Friseur gesehen und fand Sie toll! Möchten Sie mit mir einen Kaffee trinken gehen“ oder so was in der Art.

Er würde sich natürlich darauf einlassen und zum Date direkt zwei Flugtickets für Hawaii mitbringen. Mit schmachtendem Blick würde er mir in die Augen schauen und säuseln „Herzchen, wir machen uns zwei wunderschöne Wochen auf Hawaii und auf dem Rückflug heiraten wir hoch oben über den Wolken! Ich habe alles schon vorbereitet! Du musst einfach nur JA sagen.“

Natürlich bekomme ich kein einziges Wort mehr raus, denn bevor ich etwas sagen kann, hat er mir den Diamantring an den Finger steckt, so dass ich nur noch „Oh“ raus bekomme. Wir heiraten dann tatsächlich und 9 Monate später kommen unsere Zwillinge Joanna und Kim auf die Welt.

„So Isa, Du bist fertig! Du schaust toll aus!“ unterbricht mich Uschi aus meinen Tagträumen.

Ein Blick in den Spiegel zeigt mir, dass sie verdammt Recht hat! Ich muss diese bescheuerte Visitenkarte finden, die der Typ ihr zugesteckt hat. Er hat doch wohl was besseres verdient, als Uschi!

„Hat er eigentlich D1 oder D2?“ frage ich, während ich mit meinen Fingern versuche, ein imaginäres Haar aus meinem Mund zu fummeln. Ich bin erstaunt über mich selber, dass ich es geschafft habe, auf eine so brillante Idee zu kommen. Und vor allem, dass ich diese Frage sowas von cool und lässig rübergebracht habe, als hätte ich nach der Uhrzeit gefragt.

Uschi zuckt mit den Schultern. „Du, keine Ahnung. Aber das ist doch letztendlich auch völlig wurscht!“

„Ist es nicht“ entgegne ich flott… ich darf den Faden nicht verlieren, ich muss dran bleiben. „Stell Dir mal vor, er hat D1 und Du hast D2. Du weißt doch selber, wie das bei frisch verliebten Pärchen ist! Ständig wird gesimst, ständig wird telefoniert. Du kennst doch diese Verliebten-Telefonate, bei denen der eine immer sagt „Leg auf“, damit der andere kontern kann „Nein, leg DU auf“. Und wenn man dann nicht das gleiche Handy-Netz besitzt, dann geht die Rechnung schon mal in Millionenhöhe.

„Meinst Du?“ Uschi guckt mich naivblöd mit ihren braunen Rehaugen an.

„Na klar!“

Sie dreht sich um und geht ins Hinterzimmer. Ja, sie holt die Karte! Gleich hab ich sie und kann mir ganz schnell die Handy-Nummer merken.

„Hier, wir haben ne neue Spülung reinbekommen. Die Probe schenk ich Dir.“ plaudert Uschi und überreicht mir ein Mini-Fläschchen. Mist. Ich muss die Spur zur Visitenkarte wieder aufnehmen.

„Bist Du eigentlich immer noch so schlecht bei Kasse?“

„Joa… schon. Warum fragst Du?“

„Na, wegen des Handy-Netzes Uschi! Denk doch mal nach! Du weißt doch sicher, dass der Provider die Karte sofort sperrt, wenn Du die Rechnung nicht bezahlen kannst oder? Und stell Dir mal vor, der Typ fragt Dich dann gerade nach einem Date und Du kannst den Termin nicht zusagen, weil Deine Karte gesperrt ist.“

Entsetzen in Uschis Gesicht. Große Augen. Es klappt! Ich bin so nah dran.

„Du hast Recht, das wär´ blöd. Vielleicht sollte ich doch mal schauen….“

Sie geht zur Kasse und zieht eine Schublade aus der Theke. Als wenn sie Angst hätte, die Karte würde sich in Luft auflösen, nimmt sie sie zaghaft in die Hand.

„D2. Wie ich.“ strahlt sie glücklich und steckt die Karte wieder zurück.

„Lass mal sehen, vielleicht hast Du nicht richtig geschaut!“

„Meinst Du, ich bin blöd oder was?“

Ganz ruhig Isa. Entspann Dich. Einatmen. Ausatmen.

„Ach was, nur mir passiert es auch manchmal, dass ich was lese, was da gar nicht steht, nur weil ich mir wünsche, dass es da steht.“

Sie zieht die Karte wieder aus der Schublade. Ich beuge mich über die Theke, kann aber leider nichts erkennen.

„Doch, is D2.“

Sie will die Karte schon wieder in die Schublade stecken, als ich sie unterbreche.

„Ist die Nummer 6 oder 7-stellig? Das hat nämlich auch noch was mit den Kosten zu tun! Je länger die Nummer, desto höher die Kosten.“ Mann, bin ich gut! Und wie gut, dass Uschi nicht gerade die Hellste ist.

Sie blickt auf die Karte und fängt an zu zählen. Ich beuge mich weiter über die Theke…. Dabei quetsche ich mir meine linke Tittelatur ein, aber das ist egal. Frau muss auch Opfer bringen können.

„7-stellig“ murmelt Uschi. „Ich glaub, das kann ich mir dann diesen Monat gar nicht mehr leisten“.

Jetzt fragt sie bestimmt gleich, ob sie mein Handy haben könnte, um dem Typen ne SMS zu schicken.

„Würdest Du mir vielleicht mal kurz Dein Handy leihen, damit ich ihm ne SMS schreiben kann?“

Ja, ich bin am Ziel!! Ich reiche ihr mein Handy und sie tippt eine Nachricht ein.

In Gedanken suche ich mir gerade ein langes, weißes Hochzeitskleid aus. So eins, was oben ganz eng anliegt und unten dann weit auseinander geht. Mit Millionen von aufgenähten Swarovski-Kristallen, die in der Sonne glitzern wie Diamanten. Und einem Schleier, der länger ist, als der Kölner Dom hoch ist.

Noch ein Stückchen weiter nach vorne und schon habe ich freien Blick auf die Karte. Und glaube meinen Augen kaum. Das, was ich da lese, haut mich vom Hocker.

„Tom Meyerink. Versicherungen aller Art. Allzeit bereit.“

Tom.
Mein Nachbar.
Schwul.
Chic.
Ehrlich.
Und seit gerade Besitzer einer SMS, die von meinem Handy aus geschickt wurde, mit dem Inhalt: „Hi Tom, Lust auf Schweinereien?“

Bis bald,

Eure Isa…. wie Pisa, nur ohne P

© Andrea Koßmann

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.11.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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