"Das geht bestimmt vorbei!", trösteten sich Mutti und Vati. "Kinder knabbern alle gern."
Notgedrungen nahm Mutti mich, fürsorglich im Buggy verstaut, immer mit zum Einkaufen. Andernfalls wäre ich ja allein zu hause gewesen und das ging selbstverständlich nicht. In der betreffenden Abteilung des Supermarktes wurde es dann spannend. Die Köstlichkeiten in den Regalen zogen mich magisch an.
"Daah, haben!", forderte ich.
"Nein, du hast schon genug geschluckert!", versuchte meine Mutter ihr Überzeugungsglück.
So nicht mit mir! Ich hätte den dickeren Dickkopf.
"Will aaber!!"
"Du kriegst zu hause was, jetzt nicht!"
In meinen Ohren eine Lieblosigkeit ohnegleichen. Dementsprechend heftig reagierte ich:
"Bääh!!"
Prompt kriegte ich einen meiner berüchtigten Wutanfälle, bäumte mich auf und biss sogar auf meinen Sicherheitsgurt.
Meine Mutter schämte sich sichtlich, lächelte mit rotem Kopf um Entschuldigung heischend nach allen Seiten und gab hilflos klein bei:
"Aber nur eine Tüte!"
Damit war ich denn einverstanden. Ich beherrschte zwar noch nicht die Kunst des Rechnens, wusste aber, dass so eine Tüte nicht nur ein einziges Fischchen, sondern ganz viele davon enthielt. So war ich dann eine Weile beschäftigt und der Frieden wieder hergestellt.
Ich wurde Schulkind.
Mittlerweile war meinen Eltern klar geworden, dass sie ´Das geht wieder vorüber` leider endgültig zu vergessen hatten. Nichts ging vorüber. Stattdessen wurde es schlimmer.
Mein Frühstücksbrot brachte ich von der Schule wieder mit heim, war aber trotzdem alles andere als hungrig, sondern stattdessen verdächtig satt. Ich verzichtete aufs Kino und tötete dagegen am laufenden Band Goldfischli & Co.. Aus den zwei Tüte von einst waren bis zu vier Tüten geworden. Mein Magen nahm es wie ehedem gelassen hin.
"Kind, muss das denn sein? Iss lieber etwas Vernünftiges!"
"Seid froh, dass ich trotz meiner elf Jahre noch nicht rauche oder Alkohol trinke!"
Da schwiegen sie.
Später besuchte ich den Tanzkursus, drehte mich nach Walzerklängen und war selig. Doch noch seliger war ich des Abends, wenn ich heimlich, bewaffnet mit einer Taschenlampe, unter der Bettdecke einen Krimi nach dem anderen verschlang, aber nicht nur den ... Wie sollte ich denn die Aufregung wegen der Mördersuche verkraften, wenn nicht mit Hilfe von Goldfischli, Salmiakpastillen & Schokolade?
Meine Eltern sollten nichts merken, taten sie auch nicht, denn ich hatte im Laufe der Jahre dazu gelernt. Damit ich nicht krümelte, klemmte ich die Tüte mit den Fischlis aufrecht zwischen Matratze und Bettrahmen. Die Schokolade lag in einem Schälchen und meine Finger putzte ich mir wieder und wieder am Tempo ab. Niemals löschte ich das Licht, bevor ich nicht Fischlis als auch Schokolade aufgegessen und Krümel plus Tüte in den Papierkorb befördert hatte.
Ich heiratete und das, obwohl mein Zukünftiger von meiner Knabbersucht wusste. Jaja, eine rosarote Brille ist wirklich nützlich ... !
Wir tätigten regelmäßig am Wochenende unsere Großeinkäufe und die Knabbertüten füllten mindestens den halben Einkaufswagen. Zum Glück tat es mir mein Mann mittlerweile fast gleich. Streit deswegen gab es also nicht. Auch mein Magen murrte immer noch nicht.
"Hm, lecker!!", betonten wir beide.
Harmonischer ging`s nicht mehr.
Dann kam unser Nachwuchs und zeigte mit zunehmendem Alter deutliches, dann überdeutliches und schließlich fanatisches Interesse an all dem Schluckerzeug. Überall fand ich es verstreut, Sogar unter den Betten tummelten sich Fischlis.
"Komisch", sagte ich mir. "Die fühlen sich da anscheinend auch ohne Wasser fischwohl!"
Ich dagegen begann, diese knisternden Behältnisse zu hassen. Bald wünschte ich sämtliches Knabberzeug der ganzen Welt auf den Mond. Ich kaufte ausschließlich in Geschäften ein, die nicht jene besagte Abteilung anboten. Wie man sich denken kann, war ich denn nur noch sehr selten auf Einkaufstour. Nachts begegneten mir im Traum riesige Hai-Fischlis und Monsterkrümel.
Schließlich schwor ich den Süßig- und Salzigkeiten endgültig ab. Stattdessen aß ich gesund, stieg um auf erfrischende Joghurt und genoss erst nur eine pro Tag, danach bald vier und schließlich ...
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.11.2007.
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