Andreas Rüdig
Besuch in Herne
Kalt und bewölkt, dafür aber trocken ist der Samstag Mitte November 2007, als ich mich auf den Weg nach Herne mache. "Wanne - Eickel Hauptbahnhof" heißt meine erste Station. Eine hübsche Visitenkarte ist dieses Gebäude nun wirklich nicht. Sieht der Gleisbereich noch gewöhnlich und durchschnittlich aus, ist der Eingangsbereich eher eine Zumutung. Das Reisezentrum der Bahn ist geschlossen, da nur werktags geöffnet. Eine Bahnhofsgaststätte namens "Adler 1835", McDonalds und ein Bahnhofsbuchhandel sind sichtbar vorhanden; die restliche Eingangshallte ist sichtbar renovierungsbedürftig. Unangenehm auch: Rolltreppen oder Aufzüge sollten an Bahnhöfen zwar eine Selbstverständlichkeit sein, fehlen hier aber völlig.
"Heinz - Rühmann - Platz" heißt der Bahnhofsvorplatz. Er dient gleichzeitig auch als Busbahnhof. Von hier aus ist irgendeine Form von attraktiver Innenstadt weder zu sehen noch ausgeschildert; die weitere und nähere Umgebung des Bahnhofs schein tatsächlich nur aus Wohnbebauung zu bestehen. Also besteige ich den nächsten Bus in Richtung Herner Innenstadt.
Meine erste Station in Herne: die evangelische Kreuzkirche am Europaplatz an dem einen Platz der Fußgängerzone. Leider ist sie verschlossen. Also mache ich mich auf den Weg zum gegenüberliegenden "Westfälischen Museum für Archäologie Landesmuseum".
"Die Dauerausstellung ist nach dem Vorbild einer archäologischen Ausgrabung gestaltet. Sie erzählt die Geschichte der Menschen in der Region so, wie sie sich den Archäologen unmittelbar im Boden offenbart: das 250.000 Jahre als Steinwerkzeug im Geröll der Eiszeit, der Bronzeschmuck aus dem Grab einer Frau aus der Zeit um 550 v. Chr., der Puppenkopf im Bombenschutt des Zweiten Weltkrieges - zusammen erzählen sie die Geschichte der Menschen in Westfalen von den ersten Spuren bis heute.
Im Forscherlabor haben alle Besucher die Möglichkeit, den Blickwinkel eines Wissenschaftlers einzunehmen und Geschichte selbst zu erforschen. Im Forscherlabor ist Ausprobieren ausdrücklich erwünscht: Mammuthaare unter dem Mikroskop untersuchen, das Alter von Holz bestimmen, am Computer Neandertaler rekonstruieren...
Zusammen mit dem Institut für Ur- und Frühgeschichte der Ruhr - Universität Bochum richtet das Museum eine Studiensammlung ein. Sie zeigt die chronologische und typologische Gliederung und Entwicklung von Häusern, Gefäßen, Waffen, Werkzeugen, Geräten und Schmuck aus allen Zeiten. Die Studiensammlung richtet sich an Studenten, ehrenamtliche Mitarbeiter, Hobbyarchäologen und Wissenschaftler - und an alle, die mehr wissen wollen.
Der Wald aus jahrtausendealten Bäumen im Vorraum führt in die Grabungslandschaft und stimmt auf die Vergangenheit ein. Auf dem Rückweg regen die Zitate zum Nachdenken über das Gesehene ein.
Die Ausstellung ist nach dem Vorbild einer archäologischen Ausgrabung gestaltet und zeigt 250.000 Jahre Menschheitsgeschichte in Westfalen.
Ein 210 Meter langer Steg ist der rote Faden durch die Grabungslandschaft. Er ist ein Zeitstrahl und er führt zu den Geschichten aus der Vergangenheit, die es rechts und links zu entdecken gibt. Die wichtigsten Informationen und Funde liegen direkt am Weg.
Möchten Sie mehr über ein Thema wissen? Zum Beispiel was ein Erdwerk ist? Wie die Menschen vor 3.000 Jahren in Westfalen lebten und starben? Wie unterschiedlich die mittelalterlichen Burgen in Westfalen waren? Dann blättern Sie in einem der fünf Klappbücher, stöbern Sie in einer der multimedialen Infostationen oder hören Sie eine der vielen Geschichten.
Grabungszelten nachempfunden sind die sechs bläulich beleuchteten Kuben am Steg. Treten Sie ein und lassen Sie sich sinnlich einstimmen. Wie haben die ersten Baurn vor 7.500 Jahren ihren Acker erlebt? Stimmt der Spruch `Stadtluft mach frei´ eigentlich?
VIer türkisfarbene Kuben sind aus der Grabungslandschaft losgelöst und nur von der Mitte aus zugänglich. Sie befassen sich mit grundsätzlichen Aspekten menschlicher Existenz durch alle Zeiten bin in die Zukunft hinein: Klima, Zeit, Schrift, Sexualität.
In die Außenwände sind Bilder und Objekte eingelassen. Wenn Sie nähertreten, öffnen sich die Fenster zum `Blick in die Welt`, auf eine jeweils zeitgleiche Geschichte jenseits von Westfalen: Vulkanausbruch in der Eifel, die ägyptischen Pyramdiden, Mohammed, die Entdeckung Amerikas. 78mal laden wir Sie ein, die eigene Geschichte im größeren Zusammenhang zu sehen.
Neun Ferngläser erlauben einen Blick in vergangene Landschaften: von der eiszeitlichen Flußlandschaft über ein Feld von Hügelgräbern bis zu den sogenannten Landwehren.
In der Mitte erhebt sich eine Stahlkonstruktion in die Lichthalle. Mit echten Pflanzen, einer begehbaren Plattform und einem rot - weißen Vermessungsnetz auf Höhe der Erdoberfläche markiert die `grüne Mitte´ die heutige Oberfläche. Sie ermöglicht den Blick sowohl hinunter in die Vergangenheit als auch nach draußen in die Gegenwart. Mit einer Bücherecke lädt sie zum Lesen und Entspannen ein," beschreibt sich das Museum in einem Begleitheft selbst.
Eine Besonderheit des Museums: Entsprechend seiner Ausstellung liegt es nicht oberirdisch, sondern quasi im Kellergeschoß. 3,50 Euro kostet mich der Eintritt. Es sind 3,50 Euro, die sich lohnen. Sehr modern, sehr anschaulich und sehr die Sinne ansprechend ist die Präsentation. Wände und Boden, Licht und Akustik, Vitrinen und neue Medien werden auf der Reise durch Zeit und Menschheitsgeschichte eingesetzt, um dem Besucher die Arbeit des Archäologen näherzubringen. Wanderer, kommst du nach Herne, besuche durchaus dieses Museum.
Die Fußgängerzone ist zwar eher großzügig gestaltet, ansonsten aber langweilig. Es gibt die üblichen Verdächtigen (O2, Hertie, dm usw.); erwähnenswert ist lediglich das Schuhgeschäft Schlathoff. Sein Ladengeschäft integriert in sich einen Kirchturm. UNd dies, liebe Leser, ist kein Scherz, sondern durchaus sehenswert.
"Schloß Strünkede ist ein barockes Wasserschloß. Das heutige Museum beherbergt bäuerliche und handwerkliche Arbeitsgeräte. Archäologische Funde vermitteln einen Einblick in die hiesige Vor- und Frühgeschichte. Vielfältige Objekte versetzen Sie in das kulturgeschichtliche Leben im Emscherraum vom 8. bis zum 19. Jahrhundert. Die Stadtwerdung Hernes wird durch die Darstellung des Bergbaus präsentiert. Im Kaminzimmer finden Sie Schloßdokumente und unter dem Dach als Glanzpunkt die Glas- und Keramiksammlung.
Das Heimat- und Naturkunde - Museum Wanne - Eickel ist in der ehemaligen Schule Unser Fritz untergebracht. Sehenswert sind die Schienenfahrzeuge im Außenbereich. Besonderheiten bilden die komplett eingerichtete Backstube und eine Drogerie im Jugendstil. Die weiteren Objekte geben Zeugnis der Wirtschaftsgeschichte und der Naturkunde unsere Region.
Die Städtische Galerie, erbaut 1897 im englischen Landhausstil, war ursprünglich Wohnsitz der Familie von Forell. Sie beherbergt Zeichungen und Papierarbeiten von der klassischen Moderne bis hin zur aktuellen Kunstszene. Ihre Räume bilden den Rahmen für zahlreiche Wechselausstellungen zeitgenössischer Kunst und Kulturgeschichte," beschreibt sich das Emschertal - Museum Herne in einem Faltblatt selbst. Das Heimat- und Naturkunde - Museum Wanne - Eickel schaffe ich an diesem Tag nicht mehr, also fahre ich hinaus zu Schloß Strünkede. Und selbst hier habe ich ein wenig Pech. Anschauen kann ich mir an diesem Tag nur das Schloß, das in einem wunderschönen kleinen Park liegt. Die Städtische Galerie ist geschlossen, da die dortige Mitarbeiterin erkrankt ist. Das Schloß präsentiert sich so, wie man sich ein Museum in einem Schloß vorstellt. Historische Bilder und historische Exponate aus verschiedenen Epochen der Stadtgeschichte bekommt der Besucher zu sehen; gleichzeitig weht der Hauch der Geschichte doch spürbar durch die Ausstellung. Viele Vitrinen sind hier zu sehen; moderne Präsentationsformen (Audioguide, Hörstationen, Videopräsentationen) fehlen dafür völlig. Ist der Freundeskreis des Museums wirklich nicht in der Lage, eine moderne Einrichtung zu finanzieren?
"Was nichts kostet, taugt nichts," sagt der Volksmund in seiner gehässigen Form. Auf dieses Museum übertragen stimmt das nur bedingt. Wer sich für (Herner- / Ruhrgebiets-) Lokalgeschichte interessiert, kommt hier schon auf seine Kosten. Wer allerdings Gläser und Keramiken schätzt, wird sich in dieser Sammlung im 2. Obergeschoß wie im 7. Himmel fühlen.
Klein und geschichtsträchtig sieht die gotische Kirchen gegenüber aus. Ist sie evangelich oder katholisch? Keine Ahnung. 8 farbige Fenster hat sie; Taufbecken, Lesepult und Altartisch sind gemauert. 8 Kerzen und Blumenschmuck stehen auf dem Altar. Sehenswert ist das Altarbild. Es zeigt eine Kreuzigungsszene.
Mein Fazit: Wer Herne als Tourist besuchen möchte, sollte schon genau überleben, was er sehen möchte.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.11.2007.
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