Klaus-D. Heid

PEGAMOK

‚PENGAMOK’ – aus dem Malaiischen mit der Bedeutung eines wütenden Kriegers, der ohne Rücksicht auf jede Gefahr den Feind attackiert. In der westlichen Welt später abgewandelt übernommen als Synonym für einen mordlüsternen, blindwütigen und hochgradig aggressiven Täter, der den eigenen Tod in Kauf nehmend, mordet und/oder brandschatzt.
 
 
Unsere westliche Welt liebt Gesellschaftsspiele. Sie liebt Gesellschaftsspiele so sehr, dass sie diese Spiele dahin gehend perfektioniert hat, auch ohne aktiv beteiligte Gesellschaft spielen zu können.
 
So ist’s normal, dass ein Kind/ein Jugendlicher stundenlang vor seiner Spielkonsole kauert, wie irre auf die Tasten hämmert oder mit dem Joystick agiert, bis ein paar hundert oder auch tausend ‚Feinde’ gekillt und massakriert sind.
 
Massenmord ohne Risiko. Killen ohne Strafe. Umherspritzende Hirne, herausgerissene Eingeweide und abgetrennte Gliedmaßen. ‚Kill Bill’ zum mitmachen. Jeder darf mal töten. Ab einhundert abgeknallte Feinde gibt’s den silbernen Bonusorden und ab fünfhundert geschlachteten Gegnern steigt man sogar zum ‚Master of Desaster’ auf.
 
Das Kinderzimmer als Schlachtfeld. Blut und Spiele, wie im alten Rom. Johlen und Beifall der Zuschauer kommt aus den verdammt teuren 7.1 Boxen im absoluten Erlebnissound. Leichen pflastern den Weg – und Mama muss nichts wegwischen. Alles bleibt sauber. Gedärme nur auf dem Monitor ohne dieses typische Stinken verfaulter Innereien. Stattdessen ein bisschen Lavendel aus Mamas Sprühflasche.
 
PERSIL im Hirn. Nicht nur sauber, sondern rein. Reinen Herzens? Herzlos? Global vernetzte Multischlachten mit atomarer Zerstörungskraft, während Malte, Manni und Mina Mamas Kirschmarmeladenbrot verspachteln?
 
Die Malaien brauchten zumindest ein ‚reales Ziel’, wie auch immer dieses zu bewerten ist, um im Krieg den Feind an Grausamkeit zu übertreffen.
Selbst die Mutter der Moral, die USA, brauchten Ziele, deren Wertigkeit an Verlogenheit kaum zu überbieten ist, um Atombomben zu werfen, Genozide zu begehen, Länder zu überfallen und Millionen Menschen umzubringen. Und ja, selbst Hitler und Stalin, Dschingis Khan und Freddy Krüger hatten Ziele, mit denen sie ihre Gräueltaten zu rechtfertigen suchten.
 
Aber Malte, Manni und Mina, oder wie auch immer diese Kids heißen, die bis zur Extase und Ohnmacht bei Nutellabrot und Cola morden und brandschatzen, haben noch nicht einmal die Ziele der größten Massenmörder. Sie haben stattdessen einfach nur Bock auf Action.
 
Bock auf Action und sonst Null Bock auf den Rest der Welt.
 
Orientierungslosigkeit in Reinkultur.
 
Woran bitte, sollen sich die Tastengenies und Kinderzimmer-Killereliten auch orientieren? Was gibt’s denn in unserer Zeit, das eine echte Orientierung für Kids darstellt?
 
Politik?
 
Die Frage ist jetzt nicht ernst gemeint, Oder?
 
Musik?
 
Klar, zum Beispiel die Killertexte der so geliebten Freaks, in denen es ähnlich zugeht, wie in indizierten Killerspielen? Oder ‚ein bisschen Frieden’, das keine Sau unter 40 mehr hören will?
 
Moral?
 
Hey, was ist das? Gibt’s das bei McDonalds?
 
Familie?
 
Mama und Papa sind geschieden, weil Papa arbeitslos ist und Mama immer stockbesoffen verprügelt hat. Und Mama ist tablettensüchtig, weil sie ihre ersten drei Abtreibungen psychisch nicht verkraftet hat…!
 
Religion?
 
Welches Schweinderl hätten’s denn gern? A bisserl asiatisch, katholisch, muslimisch, atheistisch oder doch lieber teuflisch? Von Allem ein wenig? Gut gemixt als Orientierung für die ganz Kaputten? Allah, Buddha und/oder Kali mit Dumpfbackigkeit gewürzt und mit dem Puderzucker der Hilflosigkeit bestreut?
 
Medien?
 
Genau, das ist’s! „Ich bin ein Star – pisst mich an!“ Oder irgendeine der immer beliebten Nachmittagssendungen der moralisch aufbauenden Privatsender mit dem kaum zu bemerkenden kommerziellen Touch und diesen gelegentlich von informativer Werbung durchzogenen Spielfilmen wie ‚Dicke Titten, kleines Hirn’ oder ‚Django tötet erst dein Kind und dann den Rest der Familie’?
 
Das Angebot an Orientierungshilfen ist wirklich mannigfaltig, nicht wahr? Man weiß kaum noch, von wem man sich orientieren lassen soll.
 
Verwechsele ich vielleicht ‚orientieren’ mit ‚operieren’? Nein? Da gibt’s keinen Unterschied? Die heutige Orientierung operiert und auch das Hirn aus dem Schädel?
 
Dann ist also der ‚Amoklauf’ etwas ‚normales’? Dann ist die Bedeutung des Wortes AMOK in umgedrehter Lesweise KOMA zu verstehen, denn heute ist ein komatöser Zustand so normal, wie eine Frau, die ihre Neugeborenen im Blumenbeet verbuddelt?
 
ICH SOLL MAL NICHT SO MASSLOS ÜBERTREIBEN?
 
Die böse Welt ist keine Erfindung der Neuzeit? Mord und Totschlag hat’s schon immer gegeben?
 
Stimmt, aber damals hieß Mord Mord und Totschlag hieß Totschlag. Heute heißt Mord ‚psychisch bedingte Stresssituation mit vergangenheitsbezogener Kindheitserfahrung und exzessivem Trauma in Konsequenz eines Amoklaufes durch familiäre Disharmonie’.
 
Heute ist normal, was noch vor ein paar Jahrzehnten strafbar war. Die Maßstäbe haben sich verschoben. Den Zeitgeist bestimmen RTL und Pro7, die Moral gibt’s bei ‚DasVierte’ und bei DSF ab Mitternacht.
 
Mama und Papa haben keine Zeit. Schaffe schaffe, Häusle baue oder zumindest irgendwie überleben. Überlebenskampf. HARTZ IV. Opa im Heim, der stört nur. Oma anonym bestattet, wegen der Kosten.
 
Jens, der kleine unauffällige Irre in der 11. Klasse, chattet mit Sven, dem anderen Irren, irgendwo in Deutschland. Man ist sich einig darüber, dass die Menschen es nicht verdienen, zu leben. Besonders die Mitschüler und Lehrer nicht. Und auch die Eltern nicht. Und überhaupt…
 
Sieben Tote. Achtzig Schwerverletzte. Unter den Toten auch Jens und Sven. Ein Abschiedsbrief.
 
„…uns kotzt diese Welt an. Wir wollen ein Zeichen setzen.“
 
Ein Zeichen? Wofür? Wogegen?
 
Wir, die interessiert zuschauenden Zaungäste, sitzen entspannt auf dem Sofa. Wieder ein Amoklauf. Kurzes Erschüttern, dann wieder Aufregung über Streik und die lesbische Anne Will. Das Kochduell. Deutschland wandert aus. Ich bin ein Heimwerker. Raus aus der Schuldenfalle.
 
KOTZ.
 
Wie hießen die beiden noch? Sven? Jens?
 
Oder Malte und Michael?
 
Ist doch egal. Umschalten.
 
Eine Dokumentation über Malaysia. Will keiner sehen.
 
Deutschland sucht den Supergau.
 
Sucht?
 
Deutschland hat ihn gefunden.
 
Glückwunsch.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.11.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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