Norbert Wittke

WIR-Gefühl

 
Ich dachte bisher, dass das WIR -Gefühl bei uns in Deutschland schon
lange ausgestorben ist. Doch bei einem Kurzurlaub im schönen Ost-
friesland und dem angrenzenden Emsland wurde ich eines besseren
belehrt. Unmittelbar an der Ems liegt dort bei Papenburg die Meyer-
werft. Bekannt ist diese Werft durch die riesigen Kreuzfahrtschiffe,
die dort seit vielen Jahren gebaut werden. Als ich dort in Weener
in Urlaub war, sollte eines dieser Schiffe namens Mercury in fast
fertigem Zustand seine Probefahrt nach Eemshaven in die Nieder-
lande antreten, wo dann die restlichen Arbeiten bis zum endgültigen
Auslaufen erledigt werden sollten.
 
Schon Wochen vorher kommen während der Bauzeit die Menschen
aus der Region, aber auch sehr viele von weit und breit, um die Schiffe
in der Bauphase anzusehen. In den Augen der Menschen der Region
liegt der besondere Stolz. Das Haben WIR geleistet. Hier ist es be-
sonders stark dieses Wir-Gefühl in einer Region, die von der Wirt-
schaft fast vergessen wird. Alleine sind rund 1.800 kleine und mittlere
Firmen am Bau der Schiffe beteiligt. Hinzu kommen weit über 1.000
eigene Beschäftigte der Werft.
 
Am Sonntag sollte dann die Mercury endlich auslaufen. Die Eisenbahn-
brücke in Weener war wie immer schon Tage vorher entfernt worden.
Alles war bereit das Superschiff mit 77.000 BRT, 935 Kabinen für
1.870 Passagiere und 909 Mann Besatzung sollte durch die Ems
geschleppt werden, begleitet von einer Escorte von kleinen Begleit-
booten. Alle Deiche und Hügel waren voller Menschen. Eine richtige
Volksfeststimmung, Bratwurtsbuden, Getränkehändler. Dann die Nach-
richt im Radio zu wenig Wasser in der Ems. Verschiebung der Aktion
auf einen neuen Tag. Kein Murren. Sie fuhren nach Haus trotzdem mit
ihrem guten WIR-Gefühl.
 
Aufgeschoben war ja nicht aufgehoben. An einem der nächsten Tage
dann der neue Start, und es klappte. Meterweise schob sich die Mercury
durch die sehr schmale Ems bis hinaus in die Nordsee, begleitet von
dem Jubel der Menschen. So ein Erlebnis ist doch schon ein wunder-
bares Gefühl.
 
In einem anderen Urlaub hatte ich dann die Möglichkeit in Eemshaven
ein anderes Kreuzfahrtschiff vor der Auslieferung an die Reederei zu
besichtigen. Ein Traum von einem Schiff. "Superstar Virgo" ein Name,
der schon sehr viel aussagt. Dieses Schiff wurde für Kreuzfahrten im
Asien gebaut und nach dem dortigen Geschmack eingerichtet.
 
Ein Schiff mit 76.000 BRT, 278 m Länge, gebaut für 2.000 Passagiere
und 1.000 Besatzungsmitgliedern mit allen Einrichtungen, die man sich
nur denken kann. Ein Theatersaal für rd. 1.000 Besucher, eine Kinder-
tagesstätte mit allen Einrichtungen für die Betreuung vom Kleinstkind an,
mehrere Schwimmbäder mit Whirlpools. zwei Saunen, einige Restaurants,
Diskothek, Bibliothek, Schreib- und Spielräume, ein Spielkasino von
riesigem Ausmaß mit über 40 Spieltischen (die Reederei verspricht sich
alleine hieraus tägliche Einnahmen von über 1.000.000 €). Überall dicke
Teppiche, Seidentapeten, Aufzüge zu allen Decks, einfach Luxus pur,
den man nur bestaunen kann. Alllerdings lässt dann der Luxus schlag-
artig nach, wenn man zu den Arbeitsräumen und den Schlafräumen
der Mannschaft kommt, dann gibt es dort noch nicht einmal Klimaan-
lagen.
 
Mich würde so eine Kreuzfahrt in der besten Abendgarderobe schon
reizen, aber es bleibt einfach utopisch und nicht finanzierbar. So kann
ich diese Pötte weiterhin nur bestaunen, wenn ich zufällig gerade dort
einige Urlaubtstage verbringe, in einer Region die diese Arbeitsplätze
unbedingt braucht. Und vom Luxus kann man dort genauso wie ich
nur träumen.
 
21.11.2007               Norbert Wittke

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