Info:
Diese Story ist aus der Sicht eines anderen (in diesem Falle Musiker, aber das spielt keine Rolle) geschrieben, und frei erfunden. Was nicht heisst, dass nicht auch Teile der Realität verarbeitet worden sind…
Da saß ich nun, zusammengesackt auf dem Fußboden des Flures, den Telefonhörer immer noch in der Hand. Ich war absolut nicht fähig mich zu bewegen. Wahrscheinlich stand ich sogar unter Schock. Was man mir eben mitgeteilt hatte, war einfach zu viel für mich am frühen Morgen. Das schrille Schellen hatte mich aus dem Schlaf gerissen. Gestern war es nach einem Auftritt wieder mal spät geworden, und ich fühlte mich noch wie benebelt. 'Vielleicht träumte ich das alles nur?' Doch die kalte Wand an meinem Rücken, und der, noch von meinem Schweißausbruch feuchte Telefonhörer, belehrten mich eines besseren.
'Scheiße, Scheiße, Scheiße! Das durfte doch alles nicht wahr sein!' Ich war der Verzweiflung nahe und presste meine zur Faust gekrümmte Hand gegen die Zähne. Ich hätte schreien können, doch ich tat es nicht. Stattdessen fing ich schließlich an wie ein Schlosshund zu heulen. Mit der Zeit wurde ich ruhiger, und irgendwann versiegten auch die letzten Tränen. Regelrecht leer und ausgebrannt fühlte ich mich. Ich zwang mich dazu tief ein- und auszuatmen und stand langsam auf. Die Ausmaße dieser Nachricht konnte ich immer noch nicht richtig fassen.
Mein Opa lag im Sterben, hatten sie mir mitgeteilt. 'Scheiße, hatte es wirklich so schlecht um ihn gestanden? War ihm wirklich nicht mehr zu helfen?' Wut stieg in mir auf. 'Warum hatten sie mir das nicht gesagt? Warum hatten sie nicht mit mir darüber geredet? Warum?' Ich schlug mit der Faust auf mein Bett ein, und setzte mich schließlich an den Rand. 'Klar, ich hatte gewusst, dass er krank ist, und lange Zeit im Krankenhaus gewesen war, aber warum hatten sie mir nicht mitgeteilt, dass es so hoffnungslos war, und dass es seine letzten Wochen sein könnten?'
Entschlossen sprang ich auf. 'Ich musste zu ihm! Jetzt, auf der Stelle!' Hastig begann ich mich anzuziehen, während meine Gedanken die letzten Monate durchgingen. 'Ich hatte ihn vernachlässigt, das ist richtig, aber wie hätte ich anders können? Ich hatte in letzter Zeit so viel um die Ohren gehabt, war andauernd beschäftigt gewesen. Lernen für die Schule - das Abi stand bevor... Dann die Auftritte mit der Band, von den Proben ganz abgesehen. Ich hatte ja selbst kaum Freizeit gehabt! Wie hätte ich da noch Zeit finden sollen, um ihn regelmäßig zu besuchen??'
'Wenigstens die letzten Stunden wollte ich bei ihm sein!' Das hatte ich mir in den Kopf gesetzt. Ich scherte mich einen Dreck um die Termine, die ich für den Tag hatte, und verließ zügig die Wohnung. Während der Busfahrt wanderte eine Erinnerung nach der nächsten wie ein Filmstreifen an meinen Augen vorbei. Ich musste die Zähne zusammenbeißen, um wenigstens nach Außen hin stark zu bleiben.
Ich sah mich als kleinen Jungen im Garten meiner Großeltern. Mein Opa hatte extra für mich ein Baumhaus gezimmert, und als er mir stolz das Ergebnis präsentiert hatte, war ich überwältigt gewesen, und außer mir vor Freude in die Luft gesprungen. Natürlich hatte er es mit mir einweihen müssen, und so waren wir gemeinsam hochgeklettert, und hatten uns an frisch gebackenem Kuchen voll gefuttert.
Eine andere Erinnerung versetzte mich zurück in unseren Badeurlaub am Meer. Ich hatte unbedingt so weit hinaus schwimmen wollen, und mein Dickkopf hatte mich begleitet, wie immer. Doch irgendwann war mir die Puste ausgegangen. Ich war plötzlich schlicht und einfach platt gewesen. Arme und Beine waren schwer wie Blei geworden, und ich hatte Panik bekommen. Doch er war zur Stelle gewesen, noch bevor ich um Hilfe hatte rufen können. Er war mir unauffällig gefolgt, um auf mich aufzupassen. Ich mag gar nicht daran denken, was mir hätte passieren können.
'Er war immer für mich da gewesen, wenn ich ihn gebraucht habe! Und was war mit mir? Wo war ich die letzten paar Wochen und Monate gewesen?? Ich hatte ihn ab und zu besucht, war aber nie wirklich lange geblieben...', erneut wollte sich schlechtes Gewissen in mir breit machen. 'Aber es waren schon genug Leute um ihn herumgeturnt in der letzten Zeit. Familie, Freunde, Ärzte... Warum machte ich mir eigentlich solche Gedanken? Ich hatte ihm schließlich oft genug erzählt, was ich so mache, und mich entschuldigt, dass ich so wenig Zeit hätte. Er hat jedes Mal Verständnis gezeigt, und mir immer wieder versichert, dass es doch überhaupt nicht tragisch wäre, und er sich freue, allein schon, wenn ich an ihn denke, oder nur kurz vorbei schauen würde...'
Der Bus schlängelte sich durch die kleinen Straßen von Dorf zu Dorf. 'Nur noch ein paar Haltestellen, und dann würde ich da sein. Ich wusste nicht, wie die anderen reagieren würden, wenn ich da so plötzlich auftauchen würde. Sie hatten mir am Telefon nur mitteilen wollen, dass er – mein Opa - im Sterben lag, aber davon abgeraten zu kommen. Ich sei zu jung, und würde es sicherlich nicht verkraften... Doch irgendwie würde ich versuchen sie umzustimmen! Es würde schwer für mich sein, meinen Opa sterben zu sehen, keine Frage, aber ich wollte dabei sein. Und einmal war immer das erste Mal...'
Und richtig, sie schauten mich aus großen Augen als, als ich plötzlich vor der Tür stand. Mein Opa war nämlich bei sich zu Hause. Nach seinem letzten Krankenhausaufenthalt, hatte er den Wunsch geäußert, nach Hause zu wollen, und dort gepflegt zu werden. Er hatte in seiner gewohnten Umgebung sein wollen, und nicht in stickigen Krankenhauszimmern, mit Personal, was eh keine Zeit für ihn hatte. Und so hatte man seine Wohnung darauf vorbereitet, um ihn dort zu versorgen. Es war immer jemand bei ihm geblieben, da er zuletzt so schwach, und quasi ans Bett gefesselt war.
Das kurze Gespräch an der Tür verlief problemlos. Sie gaben mir meinen Willen, schließlich war ich kein kleines Kind mehr, und konnte letztendlich selbst entscheiden. Mein Opa freute sich sehr mich zu sehen. Ein Lächeln erhellte für kurze Zeit sein Gesicht, und er strich mir mit einer Hand über's Haar, wie er es früher immer gemacht hatte, als ich noch jünger war. Ich setzte mich auf einen Stuhl neben seinem Bett und wir redeten miteinander, auch wenn es ihm schwer fiel. Er hatte das starke Bedürfnis, noch so viel loszuwerden. Er spürte wohl, dass es mit ihm zu Ende ging.
Ich hielt seine Hand und hörte ihm zu. Es war ein komisches Gefühl, bei ihm zu sitzen, und zu wissen, dass er bald sterben würde, dass er bald nicht mehr da sein würde. Doch ich war stark. Von irgendwoher wurde mir Seelenstärke eingeflößt, und ich war innerlich ganz ruhig.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Simone Alby).
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.10.2002.
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