Margarete Hennicke

Ein Blatt träumt

Es sah spielende Kinder, fröhliche Menschen. Es sah den Vögeln nach, wie sie durch die Lüfte segelten, schwerelos. Es hing fest am Ast eines Baumes, voller Sehnsucht, das Blatt. –
Wenn  Wind aufkam hoffte es. Jetzt, jetzt würde er es wegtragen, weit weg und ganz hoch. Aber nein, es zappelte nur hin und her.

Allmählich wurde es gelb. War es der Neid der das Blatt verfärbte oder lag es daran, dass es Herbst wurde. Es wirbelten immer mehr Blätter an ihm vorbei und es begann wieder zu hoffen.

Doch es wurde langweilig. Die Menschen die es zu sehen bekam hatten zu tun. Sie schnitten Hecken, gruben empfindliche Pflanzen aus und Zwiebeln. Kinder kamen kaum noch, die hatten jetzt andere Möglichkeiten sich zu vergnügen.

Wo waren die Vögel, die sich so leicht im Wind bewegten?
Es hörte das heisere Krächzen der Krähen. Doch sie flogen längst nicht so wie die Vögel die nun fort waren.  Der Flug der Spatzen, auch der war nicht zu vergleichen mit dem eleganten Flug der Vögel, die in den Süden geflogen waren, der Sonne entgegen.
Überhaupt war alles so ganz anders.

Das Blatt sah sich ängstlich um. Es waren nur noch wenige Blätter an den Bäumen. Bevor es aber in Trübsal verfallen konnte spürte es einen leichten Hauch. Es war frei. Frei!
Selig spürte es wie es durch die Luft nach oben getragen wurde. Endlich! Wann würde es bei den Vögeln ankommen und mit ihnen tanzen können? Ein kräftiger Windstoß gab ihm neuen Auftrieb und es jubelte, hoffte, dass es immer so weiter ginge.

Doch es merkte, dass es vorbei war mit dem Höhenflug. Es schaukelte nur noch und fiel immer tiefer, bis es schließlich liegen blieb Wo blieb der Wind? Es war aber schon zu spät. Ein Mensch kam mit einer Gehhilfe und drückte es fest auf die anderen am Boden liegenden Blätter.
Es würde nun viel lieber am Ast des Baumes hängen. Dieses Ende hatte es nicht gewollt.
Woher sollte das Blatt auch wissen, dass jeder Anfang ein Ende hat. 

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