Daniel Puhan

Liebe und Trauer

Ein heller Schein fiel vom Mond in die große Schulsporthalle. Alles war wieder still und ruhig, nachdem Sie sich Sprungbereit auf den Kasten stellte, sich ein Kletterseil um den Hals knotete und mit dem letzten Gedanken an ihn springen wollte. Er war noch ganz jung und trotzdem verließ er sie schon so früh. Ihm ging es seit einer Reise im Ausland nichtmehr gut und er starb schließlich an Malaria. Sie war mehr als nur traurig über seinen Tod. Er war ihr Leben und sie war sein Leben. Sie liebten sich mehr als alles andere. Sie trauerte einige Tage um ihn, als sie den Entschluss traf ihm zu folgen. Nun stand sie da, auf dem Kasten mit dem Seil um den Hals gebunden und dachte wieder an ihn. An die schöne Zeit, die sie verbracht haben, an die schönen Momente, die sie hatten. Doch plötzlich hörte sie etwas. Es kam aus einer dunklen Ecke. Sie sah mit offenen Augen dahin. Langsam erschien etwas aus dem Schatten. Sie konnte es kaum glaub, ihr liefen die Tränen aus den Augen. Sie wollte es nicht glauben, denn sie wusste, es konnte nicht wahr sein. Sie dachte sie fängt an verrückt zu werden, doch er kam aus dem Schatten. Fieberrot von der Malaria ging er langsam auf sie zu. Sie wollte weggucken, doch sie konnte nicht. Sie wollte so gern zu ihm laufen und ihn umarmen und glauben, dass er wieder da war. Aber das konnte sie nicht, denn es war nicht so. Sie glaubte ihn sich nur vorzustellen. Trotzdem zögerte sie zu springen. Jetzt war er bei ihr angekommen. Er stand vor dem Kasten. Schaute aber nur starr gerade aus und nicht zu ihr hoch. Er stieg langsam zu hier hinauf. Sie schritt ein wenig zurück bis an den Rand des Kastens. Und sah erschrocken zu ihm hinunter, wie er zu ihr kam. Nun standen sie sich gegenüber. Er sah mit leeren Augen in ihre. Sie sah mit Tränen in den Augen in seine leeren. Sie wollte ihn in den Arm nehmen, doch konnte sie es nicht. Sie war starr vor Glück und Trauer zugleich. Er begann leicht zu lächeln und löste das Seil von ihrem Hals. Nahm ihre Hand und führte sie von dem Kasten herunter. Jetzt ließ er sie wieder los, drehte sich um und ging zurück in den Schatten, wo er wieder verschwand. Sie stand einige Sekunden starr da und brach dann unter einem lauten Schrei und weinen auf dem Boden zusammen. Sie weinte dort Stundenlang bis sie irgendwann in der Nacht wieder nach Hause ging und weiter um ihn trauerte. Sie glaubte nicht, dass er sie wirklich davon abgehalten hat. Sie dachte sie hätte sich das nur Vorgestellt, weil sie doch noch Angst hatte ihm in den Tod zu folgen.
Doch nur wenige Tage später versuchte sie es wieder. Aber diesmal mit einer Rasierklinge. Sie war an diesem Abend allein zu Hause. Sie ging ins Bad, ließ Wasser in die Badewanne ein, holte die Rasierklinge aus dem Schrank und setzte sich neben die Wanne. Sie dachte wieder an ihn. An die schöne Zeit, die sie verbracht haben, an die schönen Momente, die sie hatten. Jetzt war die Wanne voll. Sie drehte den Hahn zu, schob ihren Ärmel etwas hoch, nahm die Rasierklinge und legte sie an ihre Pulsschlagader. Sie atmete noch einmal tief ein und mit dem letzten Gedanken an ihn schnitt sie sich die Ader auf. Ihr Blut spritze ihr ins Gesicht. Ihr Arm rutschte in die Wanne. Ihr wurde mit einem Male schwindlig, als sie ihr Blut aus dem Arm schießen sah. Ihr wurde Schwarz vor Augen und sie wurde ohnmächtig. Jetzt lag sie da bewusstlos auf dem Boden. Ihr Arm hing noch in der Wanne und ihr Blut breitete sich im Wasser aus. Es färbte sich langsam in ein tiefes Rot. Plötzlich öffnet sie ihre Augen und sah ihn wieder neben ihr stehen.  Sie sah wieder sein Fieberrotes Gesicht, das mit traurigen Augen zu ihr runter sah. Ihr liefen wieder die Tränen aus den Augen bis sie ein weiteres Mal in Ohnmacht fiel.
Am nächsten Morgen wachte sie in ihrem Bett auf. Sie fühlte sich etwas Schwach und erschrak. Sie hatte sich doch am Abend zuvor umgebracht. Jetzt sah sie den Verband an ihrem Arm. Sie sprang aus ihrem Bett und taumelte ins Badezimmer. Sie lehnte sich an den Türrahmen. Ihr wurde wieder schwindlig und übel. Das Badezimmer war sauber. Kein Blut in der Badewanne, keine Rasierklinge auf dem Boden. Sie fragte sich was nur los war und brach abermals unter Tränen auf dem Boden zusammen. Sie konnte nicht glauben, dass er sie davon abhielt zu ihm zu kommen. Sie konnte es nicht mal glauben, dass er es überhaupt ist, der sie davon abhielt. Er war Tod. Sie hat gesehen wie er im Krankenbett neben ihr starb. Sie hat gesehen wie er im Sarg begraben wurde. Er konnte es also nicht sein. Sie redete sich wieder ein, sich das nur vorgestellt zu haben. Doch wer hat sie dann gerettet? Wer hat ihr die Wunde verbunden und sie aus dem Bad ins Bett gelegt und das blutrote Wasser aus der Wanne gelassen? Sie hatte keine Antwort auf diese Fragen. Sie war verzweifelt und trauerte weiter um ihn. Jede Nacht weinte sie. Jeden Tag unterdrückte sie die Tränen. Sie war immer traurig. Keine Sekunde verging in der sie nicht an ihn dachte und in der sie nicht zu ihm wollte.
 
Eines Nachts lag sie in ihrem Bett und weinte wie jede Nacht auch. Sie konnte nicht aufhören um ihn zu trauern. Sie wollte sich umbringen damit das aufhört und sie wollte wieder zu ihm. Sie wollte wieder bei ihm sein, wie damals. Sie wollte wieder Zeit mit ihm verbringen. Sie wollte ihn wieder lieben können. Sie schloss ihre Augen und versuchte einzuschlafen, als sie etwas fühlte. Sie spürte, dass jemand in ihrem Zimmer war. Sie bekam Angst und öffnete langsam ihre Augen und sah neben sich ins Zimmer. Er stand da mit seinem Fieberroten Gesicht. Als sie ihm in seine leeren Augen sah lächelte er wieder. Sie fing wieder an zu weinen vor Glück, vor Trauer und vor allem vor Angst. Sie glaubt jetzt wirklich verrückt geworden zu sein. Sie glaubte wirklich, dass sich das alles nur in ihrem Kopf abspielen würde. Sie konnte sich wieder nicht bewegen. Sie konnte ihn nur Ansehen und weinen. Er ging langsam auf sie zu. Vertraulich wie damals. Er beugte sich über sie, lächelte sie weiter an. Er strich ihr langsam übers Gesicht bis zu ihrem Hals, griff dann behutsam um ihn. Jetzt legte er seine andere Hand auch um ihren Hals. Sein lächeln im Gesicht wurde zu einem traurigen Blick. Er sah ihr in die Augen. Sie sah ihm in seine leeren Augen. Sie wusste was nun geschieht und sie war glücklich darüber. Endlich konnte sie zu ihm. Endlich konnte sie wieder bei ihm sein. Sie hörte auf zu weinen. Sie begann zu lächeln. Sie lächelte ihn an, als er sie erwürgte. Seine leeren Augen wurden feucht und eine schwarze Träne floss ihm die Wange hinab auf ihren Mund. Sie hörte auf zu atmen und lag regungslos in ihrem Bett. Er ließ ihren Hals los und verschwand mit einem traurigen letzten Blick auf ihre Leiche.
Am nächsten Morgen traten ihre Eltern in ihr Zimmer ein um sie zu wecken. Doch als sie die Tür geöffnet hatten und ihre Tochter sahen, fiel die Mutter vor entsetzen zu Boden und der Vater biss die Lippen zusammen um nicht zu weinen.  Ihre Tochter lag Tod in ihrem Bett. Sie hatte ihre Hände um ihren Hals gelegt und lächelte zur Seite, als ob sie ihren Eltern, die erschrocken und entsetzt in ihrem Zimmer standen, anlächeln würde. Ihre lächelnden Lippen trugen ein tiefes Schwarz. Jetzt war sie endlich bei ihm. 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Daniel Puhan).
Der Beitrag wurde von Daniel Puhan auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Daniel Puhan als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Blinzle mit den Augen ... und alles kann anders sein von Martin Huber-Siegl



Blinzle mit den Augen … und alles kann anders sein

Seine Lebenssituation zu verändern von jetzt auf gleich,
das wäre manchmal ganz praktisch.
Auch für Gunther Marsch.

Burn-out, Probleme mit Frauen, die Frage nach dem Sinn …

Spielt Gott eine Rolle?

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Trauriges / Verzweiflung" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Daniel Puhan

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Morte von Daniel Puhan (Parabeln)
Die Erlösung von Michael Reißig (Trauriges / Verzweiflung)
Das Prekariat... von Paul Rudolf Uhl (Wahre Geschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen