Peter Kropidlowski

Was geschah am Bahnübergang

Ein markerschütternder Schrei löste sich aus der Kehle der älteren Dame, die gerade ihren Hund spazieren führte. Es war früher Morgen, etwa gegen sieben Uhr. Ihr Purzel hatte ein dringendes Bedürfnis gehabt, und so streifte sich die Dame trotz heftigen Novembersturmes, der draußen tobte, ihren dicken Mantel über und stülpte eine Pudelmütze auf den Kopf. Dann legte sie Purzel, der schon winselnd vor der Haustür stand, die Leine an und begab sich mit ihm in das tosende Inferno und die unwetterschwangere Dunkelheit.

Als sie dann am Ortsausgang von Lontzen den Bahnübergang erreichte, erblickte sie ganz plötzlich vor sich die Leiche der Frau, die dort regungslos am Wegesrand lag. Aus der Ferne sah sie 2 Lichtkegel auf sich zukommen. Ein Auto bewegte sich auf sie zu. Aus lauter Verzweiflung und weil sie nicht wusste, was sie sonst machen sollte, ließ sie die Leine los, stellte sich mitten auf die Straße und ruderte wild mit beiden Armen durch die Luft.

Schnell war das Auto auf ihrer Höhe angelangt und als dieses stoppte, lief die alte Dame ihm entgegen. Als sie die Fahrertür erreichte, kurbelte jemand von innen das Fenster herunter. „Was ist denn passiert gute Frau?“ fragte der Fahrer und sah die Dame verdutzt an. „Bitte rufen sie schnell die Polizei, da vorn liegt eine Frau, ich glaube, die ist tot.“ Der Fahrer des Wagens bat die Dame, auf der Beifahrerseite einzusteigen und auch der kleine Hund, der die ganze Zeit neben ihr gestanden hatte, hüpfte in den Fußraum des Fahrzeugs. Nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, griff der Mann in die Ablage, die sich zwischen den Sitzen befand, und holte daraus sein Handy hervor. 15 Minuten später war die Polizei vorort, unter ihnen auch Hauptkommissar Berger und sein Assistent De Ruijter von der Kripo Eupen. Während die Stelle, an der die Frau gefunden worden war, gesichert wurde, stieg Berger in den Fond des Wagens ein und nahm die Aussage der Dame auf. Da die Kommissare danach nichts weiter ausrichten konnten, verließen sie wenig später den Tatort, denn mittlerweile stand fest, dass die Frau im Straßengraben erschossen wurde.

Schnell stand auch die Identität der Getöteten fest. Es handelte sich bei ihr um eine reiche Geschäftsfrau aus Aachen. Sie betrieb unter anderem 3 Nobelboutiquen in der Innenstadt. So machten sich die Beamten gegen 9.15 Uhr auf den Weg, um die Angehörigen zu verständigen und auch den Geschäften einen Besuch abzustatten. Bei Frau Kohlhaas, so hieß die Ermordete, zu Hause trafen sie den wesentlich jüngeren Freund der Toten an.

Der war nicht sehr traurig über das abrupte Ableben seiner Lebensgefährtin und gab folgendes zu Protokoll. „Verzeihen sie, dass ich nicht augenblicklich in Tränen ausbreche, aber wir verstanden uns nicht mehr sehr gut. Christa war sehr exzentrisch und herrschsüchtig. Sobald etwas nicht nach ihrer Nase ging, drohte sie mir mit dem Rauswurf. Bei einer Trennung wäre ich mittellos gewesen, denn von ihr hätte ich nichts bekommen. Also blieb ich und schaffte mir eine heimliche Freundin an, denn auf den Lebensstil, den ich führe, wollte ich nicht verzichten.“

Die Beamten gaben sich damit vorerst zufrieden und fuhren in die Innenstadt. Es war ein Kreuz, hier in der City einen Parkplatz zu finden. So stellten sie ihren Dienstwagen im Parkhaus in der Stiftstraße ab und gingen dann durch den Woolworth in die Adalbertstraße. Rechts herum, in Richtung Elisenbrunnen, lag die 1. Boutique der Toten. Dort verlangten sie an der Information nach dem Geschäftsführer. Als sie kurze Zeit später in seinem Büro saßen und die Nachricht vom Ableben seiner Chefin überbrachten, staunten sie nicht schlecht, als auch dessen Bestürzung sich in Grenzen hielt.

„Sie war eine Hexe. Die Läden lief nicht mehr sonderlich gut. Deshalb wollte sie alles schließen. Ich habe ihr vorgeschlagen, die Geschäfte zu verkaufen, aber die Angebote waren ihr zu niedrig. Dann hat ihre Tochter sich angeboten, zu übernehmen und das Ganze in modernerem Stil fortzuführen. Das lehnte Frau Kohlhaas ab, mit der Begründung, ihre Tochter habe keine Ahnung von Mode und von Geschäftsführung schon gar nicht. Wenn es bei der Schließung geblieben wäre, hätte ich nirgendwo mehr eine Anstellung gefunden.

Ich bin 54 Jahre alt, wer nimmt so jemanden noch. Jetzt besteht wenigstens die Chance, dass die Geschäfte durch ihre Tochter weitergeführt werden und unsere Arbeitsplätze erhalten bleiben.“ Nach weiteren 10 Minuten verließen sie das Büro des Geschäftsführers. In den beiden anderen Läden ergab sich nicht viel Neues. Gegen Mittag waren die Kommissare wieder in der Dienststelle und wurden bereits erwartet. Vor ihrem Büro saß die Tochter von Frau Kohlhaas, die vom Lebensgefährten unterrichtet worden war. „Ich möchte Ihnen mein aufrichtiges Beileid aussprechen zum Verlust Ihrer Mutter“, begann Berger das Gespräch. „Danke“, antwortete Patrizia Kohlhaas, „ich habe vor 2 Stunden vom Tod meiner Mutter erfahren und bin gleich zu Ihnen hergekommen. Wir standen uns nicht sonderlich nahe, aber so muss es bei Gott nicht enden.“ Berger zündete sich eine Zigarette an und fragte dann: „Warum verstanden sie sich nicht mit ihrer Mutter?“

Patrizia fuchtelte nervös an ihrer Handtasche herum. „Sie hielt mich für unfähig, egal was ich anfangen wollte. Immer wieder wurde mir vorgeworfen, ich hätte nichts als Ausgehen und Feiern im Kopf. Deshalb wollte sie mir auch ihre Geschäfte nicht überschreiben, sondern sie einfach schließen und sich mit dem Geld, das sie besaß, auf Fuerteventura zur Ruhe setzen. Dabei interessierte es sie nicht, was aus mir werden sollte. Sie sagte, ich sei alt genug, ich solle lernen, mich auf eigene Füße zu stellen.

Weshalb ich aber eigentlich hier bin, ich kenne den Mörder meiner Mutter. Das wollte ich Ihnen mitteilen.“ Berger sah De Ruijter verheißungsvoll an, erhob sich und schenkte 3 Tassen Kaffee ein. Er reichte jedem der beiden anderen eine an und setzte sich mit seiner in der Hand wieder auf seinen Platz. Dann begann Patrizia zu erzählen. „Es war vor ca. 10 Monaten. Als ich früher als erwartet nach Hause kam, hörte ich Bernd telefonieren. Aus dem Gespräch ergab sich, dass er wohl mit einem Versicherungsvertreter verhandelte. Ich hielt mich im Hintergrund und belauschte das Gespräch weiter. Bernd wollte wohl eine hohe Lebensversicherung abschließen, denn irgendwann im Laufe der Unterhaltung fiel die Summe, 2 Millionen Euro. Dann gab er die Personalien meiner Mutter durch. Da wusste ich bescheid, wobei ich damals noch davon ausging, dass das nach Absprache mit meiner Mutter geschah. Ich erwähnte das Thema einmal beiläufig, aber meine Mutter wusste nichts von einer Lebensversicherung.

Da ahnte ich schon, was er vorhatte. Ich konnte ihn noch nie ausstehen, denn er benahm sich mir gegenüber wie ein Despot. Bernd hat sie auch desöfteren geschlagen und stand kurz vor dem Rauswurf. Außerdem weiß ich, dass er eine andere hatte. Ich habe es meiner Mutter nur nicht erzählt, um sie nicht noch mehr zu verletzen. Er hat meine Mutter ermordet, um die Versicherung zu kassieren.“ Berger griff zum Telefon und schickte einen Wagen los, um den Verdächtigen verhaften zu lassen.

„Eine Frage habe ich noch, können sie sich vorstellen, was ihre Mutter am frühen Morgen in Lontzen gemacht hat und, rein aus Routine, wo waren sie zum Tatzeitpunkt?“ Auf ersteres wusste sie keine Antwort zu geben, aber was die Tatzeit betraf, sagte sie: „Als meine Mutter erschossen wurde, lag ich im Bett und schlief. Ich hatte eine Schlaftablette genommen, weil ich die Nacht davor schlecht geschlafen hatte und schachmatt war.“ Während die Aussage der Tochter schriftlich festgehalten wurde, verhörte man in einem anderen Raum den Freund der Toten, der mittlerweile ins Kommissariat verbracht worden war. Der bestritt vehement die Tat und gab an, zum Zeitpunkt des Todes seiner Lebensgefährtin im Bett gewesen zu sein. Er wusste, dass sie gegen acht Uhr am Morgen einen Termin mit einem Makler in Welkenraedt hatte, der auch Villen auf Fuerteventura verkaufte. Nach langem Drängen der Kriminalbeamten gab er endlich den Namen seiner Freundin preis, denn zu diesem Thema hatte er sich bisher auch ausgeschwiegen. Für Kommissar Berger stand fest, dass der Freund der Täter war und das Motiv war auch klar.

Er wollte die Lebensversicherung kassieren, um seinen Lebensstandard zu halten und sich gleichzeitig von der verhassten Partnerin befreien zu können. Plötzlich neigte der Kommissar den Kopf, es schien, als ob er angestrengt nachdenke. Dann verließ er den Verhörraum und ging zurück zu seinem Büro. Dort war die Tochter von Frau Kohlhaas gerade dabei, ihre Aussage zu unterzeichnen. Als sie sich erheben und das Büro verlassen wollte, stellte sich Berger ihr in den Weg und bat sie, wieder Platz zu nehmen.

Dann eröffnete er ihr, dass sie wegen Mordes an ihrer Mutter festgenommen sei. Berger war im anderen Verhörraum etwas eingefallen. Sie hatten, während sie ermittelten, zu keiner Zeit erwähnt, auf welche Art und Weise Frau Kohlhaas zu Tode gekommen war. Das schien auch niemanden der Betroffenen sonderlich zu interessieren. Nur der Mörder konnte wissen, dass Sie erschossen worden war. Dadurch hatte sich Patrizia verraten. Nach mehr als 2 Stunden war ihr Widerstand gebrochen und sie legte ein Geständnis ab. Sie hatte auf dem Schreibtisch der Mutter eine Benachrichtigung des Maklers gefunden, dass er ein geeignetes Objekt für sie gefunden habe. In dem Schreiben war auch der Termin vermerkt. Sie versteckte sich gegen 5 Uhr morgens im Heck des mütterlichen Kombis unter einer Decke und wartete dort, dass ihre Mutter den Weg zum Makler antrat. Unterwegs lugte sie im Schutz der hinteren Kopfstützen immer wieder aus dem Seitenfenster.

Als sie den Ort für angemessen hielt, kletterte sie mit der Pistole in der Hand auf den Rücksitz und zwang ihre Mutter, dass Auto anzuhalten und auszusteigen. Sie erschoss sie und fuhr mit dem Wagen zurück nach Hause. Die Pistole warf sie unterwegs aus dem Fenster in ein Feld hinein. Dann entschloss sie sich, Bernd zu beschuldigen, um ihre Rache an ihm zu üben, denn der hatte sie wegen einer anderen vor 2 Monaten verlassen. Damit hätte sie 2 Fliegen mit einer Klappe geschlagen, denn ihr würde alles gehören, was ihre Mutter je besaß und Bernd säße die nächsten 25 Jahre im Zuchthaus, aber leider ging ihr Plan, dank Kommissar Berger, nicht auf.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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