Mario Hedemann

Der große Michel

Da stand er nun der große Michel. Von dem Steinhauer gemeißelt  und sehr schön. Auch die Dorfbewohner waren beeindruckt.

Stolz war auch der Bürgermeister, der nun auf dem Marktplatz stand und verkündete: „So liebe Leute, nun seht es euch an, das Meisterwerk von unserem Steinmeister. Ist es nicht Fantastisch?“

Die Dorfbewohner brüllten wie aus einem Munde: „Ja, ein hoch auf unser Steinmetz.“

„Leute; dieses Denkmal, soll an unser Schmied erinnern, der sich leider von einem großen Hufeisen erschlagen lies. Das war unser einziger Schmied im Dorf und einen besseren werden wir wohl auch nicht mehr finden, der unsere Pferde die Hufe beschlägt, der uns Waffen zum Jagen schmiedet und der uns unsere Messer schärft und vieles mehr.“

Es gab eine kurze Pause und die Dorfbewohner warfen ihre Blicke auf dem Bürgermeister, der vorm Rathaus auf seiner Kanzel stand und den Kopf hängen lies.

Nach einer Zeit hob er den Kopf und sagte: „Leute, geht jetzt nach Hause, es ist schon sehr spät und dunkel.“

Genau in diesem Augenblick kam der Nachtwächter um die Ecke hinter dem Bäcker Balduin und verkündete: „Hört ihr Leut und lasst euch sagen, die Uhr hat gerade neun geschlagen.“

Die Dorfbewohner verließen den Anger und gingen heim. Der Bürgermeister schloss das Rathaus ab, während der Nachtwächter Nagel bei den Straßenlaternen das Petroleumlicht löschte.

Die Laterne die er in der Hand hielt, spendete nur wenig Licht, weil sich ein Nebelschleier über das Dorf legte. Nagel erblickte den Steinmetz noch bei dem großen Michel und rief:

„Hey Steinmetz, geht auch nach Hause. Gleich gibt es hier kein Licht mehr.“

„Ja gleich,“ antwortete er und fügte nach ein paar Sekunden hinzu: „Und Außerdem fürchte ich mich nicht im Dunkeln.“

Nagel kam auf ihn zu und sagte: „Na, dann nehmt wenigstens die Laterne hier, damit ihr euch nicht in den Nebel verlauft, denn gleich wird die Brühe so dicht sein, dass man die eigen Hand nicht mehr vor Augen sieht.“

„Habt Dank, aber was macht ihr ohne Laterne, Nachtwächter?“

„Ich geh gleich nach Hause und hol mir eine Neue. Ich hab noch zwei Stück dort stehen. Behaltet sie nur, Steinmetz.“

Damit machte sich Nagel auf den Weg, während der Steinmetz ihn nachsah und bald war er im Nebel verschwunden.

Nun stand er ganz allein vor seinem Werk und betrachtete es. Viele Monate hatte es gedauert, bis es fertig war. Damals hätte er selbst nie geglaubt, dass er einmal einen solchen großen Stein bearbeiten würde. Drei Meter war der Stein groß und er sollte im Auftrag des Bürgermeisters dem Schmied ein Dorfdenkmal setzen und nun stand sein Werk fix und fertig da. Fast Lebendig wirkte es, so, als ob Michel ihn ansehen würde.

Nun wurde auch hier der Nebel immer dichter und kalt wurde es auch. Dann holte der Steinmetz eine Flasche Ruhm aus seiner Manteltasche, schraubte den Verschluss auf und nahm einen ordentlichen Schluck aus der Flasche. Der Ruhm lief ihm brennend durch Mark und Bein, aber nach ein paar Schluck mehr, war ihm nicht mehr kalt.

„Michel,“ sagte er nach einer Weile, „ich trink auf dich. Zum Wohl.“

So setzte er wieder an und sang und tanzte um den Michel herum, bis die Flasche leer und der Steinmetz voll war. Erschöpft sank er vor dem Denkmal zusammen und schlief ein.

 

 

Bald wurde er wach und alles schien so merkwürdig zu sein, so als ob alles aus Stein wäre.

Die Bäume, Die Pferde mit ihren Kutschen, die Menschen, einfach alles. Der große Michel hinter ihm starrte auf ihn hinab. Aber als der Steinmetz genauer hinsah, bemerkte er, dass Michel ihn wirklich anblickte.

„Hallo mein Herr,“ hörte er Michel sagen.

„Habt ihr jetzt wirklich zu mir gesprochen oder fantasiere ich?“  erkundigte sich der Steinmetz.

„Ich hab zu euch gesprochen. Hier seid ihr in meiner Welt und hier seid ihr eine Besonderheit. Ihr habt ein ganzes Dorf geschaffen und alles gehört euch.“

„Alles gehört mir?“ ermittelte der Steinmetz ungläubig. „Das glaub ich nicht, denn das wäre ja Jahrelange Arbeit.“

„Ihr habt ja auch Jahre lang an uns gemeißelt. Nur eines habt ihr nicht getan. Ihr habt meine verstorbene Frau nicht neben mir gestellt. Sie soll auch wieder leben und sie soll neben mir stehen. Wenn ihr das innerhalb von drei Tagen schafft, dann habt ihr drei Wünsche frei.“

„Drei Wünsche?“ fragte der Steinhauer. „Aber das schaff ich nicht in drei Tagen. Das ist unmöglich.“

„Du sollst es schaffen. Ich werde dafür sorgen, dass dich niemand stört.“

„Zuerst muss ich mal etwas essen, denn ich habe einen Bärenhunger. Ich werde mal dort beim Bäckermeister um ein Stück Brot betteln.“

Als der Steinmetz den Bäcker nach einem Stück Brot fragte, sagte dieser: „Ich habe heute Steinbrot, frisch aus dem Ofen. Habt ihr Hammer und Meißel dabei?“

„Warum Hammer und Meißel?“ stutze der Steinmetz.

„Na, weil das Steinbrot aus Stein gebacken ist und jeder muss mit Hammer und Meißel essen.“

Der Steinmetz sah sich um. Zuerst sah er einige große Steine, die wie Menschen aussahen, die im Dorf auf der Straße saßen und mit Hammer und Meißel an einer Steinscheibe herumpickten. Erst als die Scheibe zu Staub gehauen war, nahmen die Leute den Staub in den Mund. Pferde bekamen Heu aus Stein zu fressen, worauf sie lange zu kauen hatten. Doch die Pferde waren ja auch aus Stein.       

So zog sich der Steinhauer in seiner Werkstat zurück und ging zu einem zwei Meter hohen Stein, den er sich dort mit Pferden hinschleppen lies und fing an, ihn zu bearbeiten. Zuerst fiel es ihm schwer, den Anfang zu finden, aber dann war es ganz einfach und die Arbeit ging ihm schnell von der Hand.

Tag und Nacht meißelte er an den Stein, ohne, dass er einmal Hunger, Durst oder Erschöpfung verspürte. Drei Tage vergingen, als er endlich dem Ende seiner Arbeit ins Auge sehen konnte.

Als er am Mittag fertig war, lief er zum Michel und verkündete Stolz: „Ich hab deine Frau fertig. Sie muss nur noch hier her geschafft werden.“

„Gut,“ sagte Michel. „Ich werde erst mein Teil der Abmachung einhalten, wenn ich sie neben mir stehen habe.“

So holte der Steinmetz ein paar Pferde zusammen und spannte sie vor der in Stein gehauenen Frau und transportierte sie zum Dorfplatz. Dort stellte er sie neben Michel ab, damit er sie sehen konnte.

Viele andere Menschen aus Stein hatten sich ebenfalls darum versammelt.

„Nun, sie ist eine Schönheit geworden,“ sagte Michel. „Ich danke euch viel mals, aber ich kann mein Versprechen nicht einlösen.“

Verärgert fragte der Steinmetz: „Warum nicht?“

„Weil alles was ihr euch wünschen würdet aus Stein werden würde.“

„Dann wünschte ich mir, dass endlich Menschen aus Fleisch und Blut hier herumlaufen würden.“

Im nächsten Augenblick, befand sich der Steinmetz auf einer Anhöhe im Dorfplatz, wo er auf die Menschen schauen konnte. Alle sahen zu ihm hinauf, aber eines erschien ihm merkwürdig. Er konnte ihre stimmen nicht hören. Plötzlich erblickte er Michel, wie er mit seiner Frau dort stand und mit dem Finger auf ihn zeigte. Der Bürgermeister schien eine Predigt von seinem Podest im Dorf zu halten, aber was war nur geschehen?

War der Steinmetz plötzlich taub geworden?

Er wollte an sich hinunterblicken, aber es gelang ihm nicht. Er konnte sich auch nicht bewegen, so sehr er es auch versuchte.

Da war ihm klar, was aus ihm geworden war. Er hatte sich selbst an Michels Stelle verwandelt, in dem Augenblick, als er den Wunsch aussprach.

Schnell musste er den Wunsch wieder rückgängig machen, aber es gelang ihm nicht, weil er nämlich nicht laut sprechen konnte. Nie wieder würde er sprechen können und nie wieder würde er von dieser Stelle sich bewegen können.

Innerlich schrie er laut auf und wie er so schrie, da merkte er, dass ihm jemand auf die Wange klatschte.

Dieser jemand war der Nachtwächter, der ihm sagte: „Wacht auf, wacht auf. Ihr habt einen schlechten Traum gehabt.“ 

Zerstreut sah sich der Steinmetz um. „Was? Nur ein Traum?“

Der Nebel war so dicht, dass er den Nachtwächter kaum erkannte.

„Ja, kommt, ich begleite euch nach Hause und ihr erzählt mir, was ihr für ein Traum hattet.“

„Ist in Ordnung.“ Der Steinmetz erhob sich, ohne noch mal zu Michel auf zu blicken und lies sich von dem Nachtwächter nach Hause begleiten. Bevor sie den Dorfplatz verließen, sah sich der Steinmetz noch einmal um.

Vor schreck fuhr er zusammen. Das Denkmal stand da und blickte ihn finster an. Der Steinmetz erkannte sich selbst in dem Denkmal und in diesem Augenblick bemerkte er, dass der Nachtwächter der neben ihm ging, auch aus Stein war.

„Wo führt ihr mich hin?“

„Zum Friedhof zu ihrem Grab. Sie haben uns doch alle erschaffen und irgendwann ist es auch für den Schöpfer mal vorbei.“

Der Steinmetz wollte sich wehren, aber es gelang ihm nicht, denn etwas hielt ihn fest.

Als er sah, was es war, war er beruhigt. Nicht Etwas hielt ihn fest, sondern er hielt etwas fest, nämlich die Flasche Ruhm, die ihn vor ein paar Stunden aufgewärmt hatte.

Er stand auf und sah zum Denkmal hinauf. Michel stand noch genauso da, wie er zum ersten mal hingesetzt wurde und so steht er auch noch heute.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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