Benjamin Hesse

Versuch des Voyeurs

Es regnete leicht, ich zog mir die Kapuze meiner weinroten Weste über den Kopf, machte die dünne Jacke, die mich nur vor dem Regen beschützen sollte, zu und eilte den Weg zwischen der Baustelle und der alten, gelben Kirche, die ich schon so lange nicht mehr besucht habe, weil es mir die Schule nicht erlaubte, hinab. An der Hauptstraße, an welcher zu beiden Seiten Schüler warteten, lehnte ich mich an die Kirche und blickte um mich: Es waren noch sehr wenige Menschen da, ich fürchtete sogar für einen Moment, der Einzige zu sein, doch als ich mich vorsichtig, um nicht aufzufallen, nach vor beugte, sah ich, dass sie unter dem Wartehäuschen auf der anderen Straßenseite Schutz vor dem Regen gesucht haben. Trotzdem erschienen auch noch auf meiner Seite Schüler, zuerst ein blondes Mädchen, in dickem Pullover und darüber eine schwarze, ärmellose Weste und zündete sich, nachdem sie sich einen Schal um den Hals gebunden hat, eine Zigarette an. Obwohl sie unter einem Regenschirm stand, gelang es ihr vorerst nicht die Zigarette anzuzünden. Nun kam ein langer, dürrer Junge, in dunkelgrauen Kleidern, durch eine ebenfalls dunkelgraue Kappe vor dem Regen geschützt, und stellte sich zwischen das blonde Mädchen und mich. Er zündete sich eine Zigarette an, woraufhin es auch der Blondine gelang, und tänzelte auf der Stelle, sodass die Asche seiner Zigarette auf meine Schuhe fiel. Es kamen zwei Busse, die in die entgegengesetzte Richtung fuhren. Während ich das Mädchen verstohlen musterte, da sie mich, obwohl ich mir ihren furchtbaren, beschränkten Charakter ins Bewusstsein zu rufen versuchte, faszinierte, hörte ich eine männliche Stimme und bemerkte, dass der dunkelgraue Lange mit einem kleinen, beinahe rechteckigen Kerl sprach, der durch das Rauchen eine hohe aber raue Stimme hatte. Mein Blick wanderte wieder zu dem blonden Mädchen und ich sog ihren Anblick in mich auf, wollte ihn besitzen. Ich weiß nicht, weshalb ich es tat, denn ihr Gesicht erschien kränklich gelb, wie auch ihre Zähne, die bei ihrem keuchenden, manchmal fast schreienden Lachen zwischen den blassen Lippen hervorschienen, ihre Augen trüb, ihre Statur breit und klein, zugleich kindlich, als auch weiblich, jedoch nicht abstoßend.

Besonders ihre Haare, die sie zu einem kurzen Pferdeschwanz streng zusammengebunden hat, bewunderte ich still.

Es kamen Freundinnen des blonden Mädchens, welche sich, nach kurzer aber liebevoller Begrüßung, ebenfalls eine Zigarette anzündeten. Zum einen kam eine kleine, schwarzhaarige Abart, welche die Größe einer Zehnjährigen,  doch den Körper einer verbrauchten Frau hatte. Ihre Augen blickten blöd hervor, ihre Backen schienen angeschwollen, wodurch ihr Gesicht an Darstellungen des berühmten Glöckners erinnerte, dessen Namen ich nicht zu nennen brauche und auch nicht will. Eine andere hatte rötlich- blondes Haar, das sie bis zu den Schultern trug. Ihre Statur, wie ihr Gesicht ähnelten einem Jungen, ihre Stimme und ihr Verhalten ebenso. Die dritte trug kurze, schwarze Haare, hatte eine schlanke Statur und ein freundliches und schlankes Gesicht; ihr Charakter glich jedoch, wie ich schon bald bemerken konnte, dem ihrer Freundinnen.

Nun hielt endlich mein Bus und man stieg ein. Ich bekam einen hinteren Platz und teilte die Bank mit einem mir bekannten Mädchen. Sie war ein oder zwei Jahre älter als ich, hatte kurzes dunkles Haar, trug eine weiße Winterjacke und eine, für sie zu enge Hose, ihr Gesicht wurde von ihrem leicht vorstehenden Kinn und der spitzen Nase bestimmt, die ihrem hochnäsigen Charakter entsprachen. Die Mädchen, die ich zuvor beobachtet habe, verlor ich aus den Augen.

Wir fuhren ohne besondere Vorkommnisse und, zu ihrer Erleichterung, und für mich selbstverständlich, schweigend.

An meinem Ziel angekommen stieg ich als letzter aus,  was mich sonst zwar nicht stört, nein, ich genieße es meist auch zu den letzten zu zählen, die aussteigen, doch in Anbetracht der bevorstehenden Prüfung beunruhigte es mich. Ich stolperte die Stufen hinunter, blickte kurz um mich, entdeckte einige bekannte Gesichter, wenn ich auch nur wenigen bekannt war,  und ging, die Kapuze wieder übergezogen, los.

Das blonde Mädchen sah ich nicht mehr, auch nicht eine ihrer Freundinnen.

Ich ging die Haltestelle entlang, überquerte eine Straße, an welcher ich mich durch die, vor der Kreuzung bremsenden Autos schlängelte, und eilte über den Gehweg, damit ich zu einer größeren Gruppe aufschließen konnte um mich so nicht mit dem Verkehr beschäftigen zu müssen.

Ich kam zur Schule und, die Kapuze wegnehmend und Jacke sowie Weste öffnend, betrat ich das Gebäude.

Ich habe diesen Text vor einiger Zeit geschrieben und wollte wieder etwas veröffentlichen. Ich habe mir den Text seit dem nicht mehr durchgelesen, das ist aber unwichtig.

Eigentlich wollte ich einen bedeutend längeren Titel verwenden, habe aus verschiedenen Gründen davon abgesehen.

Dieser Text hat keine Lehre, ich habe ihn geschrieben, weil ich schreiben wollte (der Mensch aus dem Glas mag dieses wieder beklagen), habe es veröffentlicht, weil ich etwas veröfftentlichen wollte und schreibe nun einen so umfangreichen Kommentar, weil ich wieder etwas schreiben will.

Der Versuch bildet einen starken Kontrast zu den anderen Texten, wo die Lehre in kurzer, angemessener Form hinzuschreiben war (weshalb mich diese Frau - ich habe ihren Namen vergessen- auch missverstanden hat, tatsächlich mich und nicht meinen Text).
Benjamin Hesse, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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