June F. Duncan

Ein Wäscheständer voll Dessous

Irgendwo aus weiter Ferne schiebt sich langsam ein Klingelton in mein Bewusstsein, den ich nicht länger ignorieren kann. Als ich meinen Kopf drehe, um das Geräusch zu orten, fährt mir ein stechender Schmerz in den Nacken. Mit nunmehr steifem Hals richte ich mich aus den Kissen auf und taste nach meinem Wecker. 10:32 Uhr. Für diese Uhrzeit ist es verdächtig dunkel in meiner Wohnung. Außerdem nervt mich ein monotones Rauschen. Ein Blick aus dem Fenster überzeugt mich davon, dass es nicht vom abendlichen Glas Wein herrührt, sondern Dauerregen ist. Und als wäre das nicht alles schon genug, stelle ich – mit kalten Füßen endlich in der Küche angekommen – fest, dass ich gestern vergessen habe, neuen Kaffee zu besorgen.
Aber davon lasse ich mich nicht unterkriegen, nicht zu einer so frühen Stunde. Aus dem Restlöffel Kaffee bekomme ich mit etwas Glück noch eine Tasse. Wenn sich Leute Phobien einbilden können, dann kann ich mir doch wohl einbilden, dass mein Milchkaffee, der eher nach verdünnter Milch als nach Kaffee aussieht, nach Kaffee schmeckt. Oder etwa nicht?
Etwa ... nicht ... ?
Ich kippe die Brühe in den Ausguss. Was soll’s, Tee ist sowieso gesünder.

Mit einer Tasse Jasmintee setze ich mich schließlich an den Schreibtisch und starre auf den grauen Vorhang jenseits meiner Fensterscheibe.
Heute ist Samstag. Ich könnte mich mit einem Buch faul auf das Sofa legen.
Ich will mich aber nicht mit einem Buch auf das Sofa legen. Ich will mit Oliver Rad fahren!
Na ja, ich würde mich auch zusammen mit Oliver auf das Sofa legen. Aber er will nur mit mir Rad fahren. Was bedeutet, dass unser Treffen bei diesem Wetter buchstäblich ins Wasser fällt.
Ich bin noch ganz in Gedanken versunken, als das Telephon klingelt. Fluchtartig das Zimmer verlassen? Tot stellen?
Ich bin nicht da ... Wenn ich nicht da bin, kann Oliver unser Treffen auch nicht absagen ...
„Hi, hier ist Caro!“, träller ich stattdessen betont fröhlich in den Hörer.
„Hi.“ Es ist Oliver. „Das Wetter ist ja nicht so gut heute. Ich denke, wir lassen...“
„Nicht so gut?“ Was sag’ ich bloß, was sag’ ich bloß ... ? „Äh, also hier scheint die ganze Zeit die Sonne.“ Es ist das Erstbeste, das mir einfällt. „Na ja, ein paar kleine Wolken sind da noch...“ Das ist das Zweitbeste, das mir einfällt. So schlecht finde ich meine Notlüge auch gar nicht. Schließlich habe ich ja nicht gesagt, wie eng die Wolken zusammengerückt sind. Ich bin mir sogar ganz sicher, dass dieses Dunkelgrau, das den Himmel vor meinem Fenster lückenlos ausfüllt, in Wirklichkeit aus vielen kleinen Wolken besteht.
Oliver verhält sich wider Erwarten skeptisch. „Tatsächlich? Also hier regnet es ununterbrochen...“
„Da ist bestimmt eine Wetterschneise zwischen uns! Lass uns einfach bei mir raus aufs Land fahren und nicht bei dir“, versuche ich dem entgegen zu steuern, ehe er etwas erwidern kann. „Um vier?“ Ich muss ihm noch versprechen anzurufen, falls sich das Wetter ändert (verschlechtert, genauer gesagt. Ich verspreche ihm, anzurufen, falls sich das Wetter verschlechtert), dann gibt er sein okay.
Zufrieden mit mir gehe ich ins Badezimmer, nehme ein rosa Tank Top vom Wäscheständer und falte es zusammen. Die Straßenkreuzung, an der wir uns treffen werden, liegt fünf Minuten von meiner Wohnung entfernt. Natürlich werde ich ihn nicht anrufen. Ich werde ihm erzählen, dass es sich hier so schnell zugezogen hat, dass das einfach nur ein Schauer sein kann. Wir könnten ja so lange in meiner Wohnung warten, statt im Regen...
Und dort, ich rolle einige Socken auf, dort muss ich ihn dann irgendwie davon überzeugen, dass ich mehr für ihn sein sollte, als nur eine Freundin zum Rad fahren. Bloß wie?
Mein Blick bleibt an einer Unterhose hängen. Das ist es! Männer funktionieren doch alle nach dem gleichen Schema, oder nicht? Zufälliger Weise wird frisch gewaschene Wäsche, frisch gewaschene Spitzenunterwäsche, im Badezimmer hängen und die Tür offen stehen. Ihm werden die Dessous natürlich auffallen, und dann wird seine Phantasie schon in die Richtung gehen, in die sie soll. Und falls nicht...?
Falls nicht...
Die Engelstrompete!
Ich hole die Engelstrompete vom Balkon – uff, ganz schön schwer das Pflänzchen - und stelle sie neben meine Kommode. Oliver wird vielleicht ihren angenehmen Duft bemerken, aber sicher nicht wissen, dass dieser eine aphrodisierende Wirkung hat. Was für ein Glück, dass es regnet! Wer will denn heute noch Rad fahren, wenn er stattdessen ein kuscheliges Sit-In mit seinem Liebsten haben kann. Einen heißen Becher Kaffee in den Händen, ein paar Kerzen, im Hintergrund leise Musik und dann ihn ganz nah... Es gibt allerdings noch zwei Probleme: Erstens, ich habe gerade frisch gewaschene Kleidung in den Schrank gelegt, ich habe also genau genommen heute nichts mehr zu waschen. Und zweitens: Ich habe gar keine Spitzenunterwäsche.

Einige Überlegungen und Einkäufe später komme ich mit zwei vollen Tüten wieder nach Hause. Ich trenne die Einkaufsschilder von den neuen Dessous ab, ziehe die Wäsche durchs Wasser und hänge sie auf die Leine. Damit es nicht zu sehr nach Wäscheabteilung im Kaufhaus aussieht, arrangiere ich noch zwei besonders schöne Oberteile aus dem Kleiderschrank dazu. Zuletzt verteile ich ein paar Kerzen in der Wohnung und fülle die Kaffeedose auf. Der zart sinnliche Duft der Engelstrompete hat sich inzwischen über die Räume verteilt. Perfekt. Zufrieden betrachte ich mein Werk. Ich habe noch dreißig Minuten Zeit. In dreißig Minuten treffen wir uns und – WAS IST DAS ?

Mein Blick erstarrt, und ich stürze auf den Balkon, um mir das Unfassbare anzusehen:
Der graue Vorhang ist weg, einfach weg. Stattdessen: strahlend blauer Himmel, nur noch ein paar kleine Schäfchenwolken am Horizont – Die Sonne scheint!
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (June F. Duncan).
Der Beitrag wurde von June F. Duncan auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  June F. Duncan als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Auch Kühe brauchen mal Urlaub - Gute Nacht Geschichten von Susanne Schulmann



Kleine Kindergeschichten, in die man sich hineinversetzen kann. Kühe, die dringend Urlaub brauchen, Borkenkäferkinder, die ohne ihre Nussschale nicht Schlitten fahren können und sich erst einmal auf die spannende Suche begeben, ein Mistkäfermann Namens Hugo Müffelklotz, der eine Freundin sucht und ein Restaurant führt indem man Butterblumensuppe essen kann, ein Mückenmädchen, das verloren gegangen ist, ein Kakadu, der zum Südpol will, eine kleine Fledermaus, die eine Guten Tag Geschichten zum Einschlafen braucht und noch andere Abenteuer. Kindergeschichten zum Vorlesen und mit Bildern zum Ausmalen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Humor" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von June F. Duncan

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Oberschwester von der Schwarzwaldklinik von Margit Kvarda (Humor)
Geh ins Licht......Geh von Engelbert Blabsreiter (Lebensgeschichten & Schicksale)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen