Hermann Weigl

Die Mondgöttin - Cassandras Entführung

Ich erwachte auf einem endlosen Sandstrand. Ich setzte mich auf und blickte mich um. Wo bin ich, fragte ich mich? Soeben war ich noch... Ich stutzte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wo ich mich zuletzt befunden hatte. Ich versuchte mein Gedächtnis zu durchforschen und musste feststellen, dass ich mich an überhaupt nichts mehr erinnern konnte.  Meine Erinnerungen reichten bis zu dem Zeitpunkt zurück, als ich soeben aufgewacht war. Ich hatte mein Gedächtnis verloren! Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Wer bin ich? Ich stand auf und blickte mich um. Vor mir sah ich die trägen Fluten eines Flusses vorbeiziehen, der so breit war, dass ich das gegenüberliegende Ufer nicht erkennen konnte. Hinter mir begann dichter Wald. Nach links und rechts breitete sich endlos der Sandstrand aus. Den Wald wollte ich vermeiden, da ich nicht wusste, welche Tiere dort lebten. Was konnte ich nun tun? Sollte ich warten bis ein Schiff vorbeikam? Ich beschloss, flussabwärts den Strand entlang zugehen.  
 
So wanderte ich stundenlang den Fluss entlang. Die Sonne stieg immer höher und brannte erbarmungslos auf mich herab. Durst plagte mich immer mehr. Ich kniete am Flussufer nieder und schöpfte eine Handvoll von dem Flusswasser. Aber der eigenartige, leicht faulige Geruch hielt mich davon ab, das Flusswasser zu trinken. Also ging ich weiter flussabwärts in der Hoffnung, endlich auf Menschen zu stoßen, die mir helfen konnten.
 
Irgendwann begann es zu dämmern. Die kühle Feuchtigkeit der kommenden Nacht hing in der Luft. Ich setzte mich nieder und überlegte. Was sollte ich tun? Sollte ich weitergehen oder sollte ich eine Pause einlegen? Da meine Füße immer mehr schmerzten, beschloss ich einen Platz für die Nacht zu suchen. Ich wollte nicht ungeschützt auf dem Strand schlafen. Also kroch ich unter die tief herabhängenden Zweige eines Baumes, legte mich nieder und rollte mich zusammen. Was wird wohl morgen passieren? Werde ich eine Antwort darauf finden, wie ich hierher gekommen bin? Werde ich endlich Menschen finden? Bin ich womöglich ganz alleine auf dieser Welt? Irgendwann übermannte mich die Müdigkeit und ich fiel in einen bleiernen traumlosen Schlaf.  
 
Mitten in der Nacht wachte ich auf. Mir war eiskalt und ich zitterte vor Kälte. Ich tastete den Boden um mich herum ab, auf der Suche nach etwas, mit dem ich mich zudecken konnte. Aber ich fand nur altes Laub. Ich trug das Laub zu einem Haufen zusammen, teilte den Haufen in der Mitte und legte mich in die Kuhle. Dann deckte ich mich mit den Blättern zu. Hungrig, durstig, frierend und erschöpft schlief ich wieder ein.  
 
Als ich am Morgen aufwachte, war ich ganz steif vor Kälte. Ich kroch unter den Ästen des Baumes hervor und richtete mich mühsam auf. Nebelschwaden hingen über dem Fluss. Die feuchte Kälte drang durch meine einfache Kleidung. Ich schlang meine Arme um mich und blickte mich um. Kein Wölkchen zeigte sich am Himmel. Der neue Tag würde wohl genauso heiß werden wie der gestrige. Auf den großflächigen Blättern einiger niedriger Pflanzen entdeckte ich Tautropfen. Gierig leckte ich die Tropfen auf, um meinen Durst zu stillen. Ich suchte den Waldrand nach weiteren Exemplaren dieser Pflanze ab. Aber schon stieg die Sonne über die Bäume des Waldes empor und trocknete die Blätter der Pflanzen. Ich spürte die wärmenden Strahlen der Sonne auf meinem Gesicht, aber die Kälte der Nacht wich nur langsam aus meinen Gliedern. Ich warf noch einmal einen kurzen Blick auf meinen Schlafplatz, dann setzte ich meinen Weg fort und wandte mich wieder flussabwärts.
 
Die Sonne stieg immer höher am Himmel und die Hitze machte mir wieder zu schaffen. Wo konnte ich sonst noch Wasser finden? Sollte ich vielleicht im Wald nach einer Quelle suchen? Plötzlich stutzte ich. Was war das? Weiter vorne am Waldrand konnte ich etwas erkennen. Ich beschleunigte meine Schritte. Als ich näher kam, sah ich dass es eine primitive Hütte war, die schon halb von hohen Büschen überwachsen war. Also gab es doch Menschen auf dieser Welt. Ich lief auf die Hütte zu und begann zu rufen. Aber ich wurde enttäuscht. Die Hütte war leer und verlassen.  
 
Die Hütte schien schon viele Jahre leer stehen. Das Dach war eingestürzt und eine Seitenwand war eingebrochen. Enttäuscht setzte ich mich in den Sand. Meine Füße hatten wieder zu schmerzen angefangen. Aber wie sollte ich sonst weiterkommen? Sollte ich vielleicht doch auf ein Schiff warten? Nachdenklich betrachtete ich die Hütte. Ein Floß! Ein Teil der Seitenwand war mit Balken verstärkt und konnte sicherlich als Floß verwendet werden. Eigentlich müsste es mein Gewicht tragen können. Ich wollte die Seitenwand von der Hütte wegziehen. Aber ein Brett war noch mit einem Balken der restlichen Hütte verbunden. Ich suchte ein Stück Holz, das ich als Hebel verwenden konnte. Ich setzte das Brett zwischen Seitenwand und Balken an und drückte es in Richtung der Hütte. Plötzlich gab das Seitenteil nach und brach von dem Balken ab, aber ich klemmte mir dabei zwei Finger der rechten Hand zwischen Brett und Hüttenwand ein. Ich schrie vor Schmerz auf und ließ das Brett fallen. Ich konnte die Finger noch bewegen. Also schienen sie nicht gebrochen zu sein. Aber ein dumpfer Schmerz ging von ihnen aus. Dann zog ich den Teil der Seitenwand mühsam zum Wasser und holte mir ein loses Brett, das ich als Paddel verwenden konnte. Ich schob das Floß ins Wasser und testete vorsichtig die Tragfähigkeit. Als ich sicher war, dass es mich tragen würde, stieg ich ganz aufs Floß und stieß mich mit dem Brett vom Ufer ab. Langsam glitt das Floß mit der Strömung den Fluss hinunter. Aber ich kam nur unmerklich schneller vorwärts als zu Fuß. Vielleicht ist die Strömung zur Flussmitte hin stärker, so dass ich schneller vorankomme, überlegte ich und paddelte vom Ufer weg. Tatsächlich kam ich nun schneller vorwärts. Wie lange konnte ich wohl ohne Essen und Trinken auskommen? Ich legte mich hin und schloss die Augen. Meine Lage war aussichtslos.
 
Als ich wieder aufwachte, war es noch immer hell. Vielleicht habe ich auch die ganze Nacht durchgeschlafen, überlegte ich. Ich hatte keine Ahnung. Von meiner rechten Hand ging ein dumpfer, pulsierender Schmerz aus. Ich betrachtete sie und musste feststellen, dass die beiden Finger geschwollen waren und sich nicht mehr bewegen ließen. Das Durstgefühl war schier unerträglich. Ob ich doch von dem Flusswasser trinken sollte? Vielleicht war es nur in der Nähe des Ufers ungenießbar gewesen. Vorsichtig kostete ich davon. Diesmal fehlte der faulige Geruch und ich begann vorsichtig zu trinken. Ich hielt die rechte Hand noch einige Zeit ins kalte Wasser, um den Schmerz zu lindern. Plötzlich spürte ich etwas Scharfes, Spitzes an meiner Hand und riss sie erschreckt aus dem Wasser. Ein dunkler Schatten schwamm knapp unter der Wasseroberfläche vom Floß weg. Hoffentlich geht das Floss nicht unter, dachte ich. Sonst werde ich womöglich von den Tieren die in diesem Fluss leben, aufgefressen.  
 
Es verging keine Stunde und mir wurde so übel, dass ich mich übergeben musste. Nun stellte ich auch noch fest, dass das Flussufer außer Sicht gekommen war. Wer weiß, wohin dieser Fluss führte. Womöglich war ich schon aufs offene Meer hinausgetrieben. Mir wurde schwindlig und ich legte mich hin und schloss die Augen. Einsam, hungrig und von Durst gequält, trieb ich einem ungewissen Ziel entgegen.  
 
Es war Nacht, als ich wieder zu mir kam. Wieder wurde mir übel und ich musste mich übergeben. Mein Magen war schon leer, aber der Brechreiz wollte nicht nachlassen. Das Flusswasser würde ich auf keinen Fall mehr trinken. Es war wieder eiskalt geworden. Es fiel mir schwer, mich aufzurichten. Ich wollte mich umsehen, aber alles begann sich um mich zu drehen und ich legte mich wieder hin. Wenn nur nicht dieser Durst wäre, dieser quälende Durst. Meine Zunge war angeschwollen und mein Mund so ausgetrocknet, dass ich nicht mehr schlucken konnte. Ich lag auf meinem Rücken und betrachtete die Sterne über mir, bis sie durch meine Tränen verschwammen. Irgendwo dort draußen ist... Ich hatte den Namen vergessen. Was war nur mit mir geschehen?   Am nächsten Tag geriet ich mit dem Floß in einen Strudel. Das Floß begann sich immer schneller zu drehen. Die Sonne schien noch kräftiger zu sein, als an den vorherigen Tagen. Ich versuchte mich aufzurichten, war aber schon so schwach, dass meine Arme einknickten und ich wieder niedersank. Das ist Ende, dachte ich und mein Bewusstsein schwand.  
 

Es handelt sich um einen Ausschnitt aus dem Roman 'Die Rache der Seth-Anat'.
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Hermann Weigl, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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