Kim von Bargen

Broken Heart

Der Himmel war von dunklen Wolken verhangen, die Lichter der fahrenden Autos erhellten für kurze Zeit das Zimmer im dritten Stock des Mehrfamilienhauses. Am Fenster saß eine junge Person, deren Gesicht ebenfalls kurz ins Licht trat, die glänzenden Perlen hervorhob, die unaufhaltsam wie flüssiges Silber über die geröteten Wangen liefen.
 
Die moosgrünen Augen wurden geschlossen, die Tränen unsanft weggewischt. Sie warf den Kopf in den Nacken und starrte die dunkle Decke an. Sie hatte keine Ahnung wo er jetzt war, keine Ahnung wo er hingehen würde. Aber sie spürte tief in sich, dass er dort war, wo sie ihn nicht haben wollte. Nicht bei ihr. Sie lächelte traurig und sah in das dunkle Zimmer. Ein Scheinwerferlicht erleuchtete das Bild auf dem Nachttisch. Verspielt, verloren, versagt. Diese drei Worte erschienen in ihren Gedanken, spielten vor ihren Augen. War er damals auch glücklich gewesen? Sie wusste nicht, warum er gegangen war und sie wusste, dass sie es niemals erfahren würde.
 
Sie hatte es gemerkt, als er nach einer Tour wieder nach Hause kam. Eine Tour durch sein Heimatland, in das sie gezogen war. Für ihn. Konnte man sich als Frau mehr aufgeben? Hatte sie sich soviel von dieser Beziehung versprochen? Sie hatte auf ihr Herz gehört, es hatte nach ihr gerufen, dieses wunderschöne Land mit seinen hellen Sommern und dunklen Wintern.
 
Er hatte gelächelt. Er hatte früher oft gelächelt, doch mit der Zeit wurde es weniger, wenn er Heim kam. Dabei tat sie alles in ihrer Macht stehende, um ihn aufzumuntern, sein herrliches Lachen zu sehen. Doch er hatte aufgehört es ihr zu schenken. Sie wusste, er hatte es ihr geschenkt. Sie hatte die beiden gesehen. Damals war sie nicht betroffen gewesen. Sie hatte es schon so lange gewusst. Sie hörte weiter auf ihr Herz, was konnte sie anderes machen? Ihr Herz sagte ihr, sie müsse sich in Geduld üben. Wie lange tat sie das nun? Sie sah nur einen positiven Lichtblick: er hatte sie noch nicht offiziell verlassen. Aber… musste man so etwas offiziell machen? War seine Art nicht genug? Wieder liefen die silbernen Perlen über ihre Wangen, tropften auf ihre Knie und zersprangen in tausend kleine Perlen. Sie hatte aufgehört ihrem Herz zuzuhören, wie es langsam in Stücke zersplitterte. Und selbst als Scherbenhaufen, sagte es ihr, sie müsse warten und geduldig sein. Konnte ein Scherbenhaufen noch soviel Vertrauen und Zuversicht haben?
 
Die komplette Wohnung war dunkel und sie sah aus dem Fenster in die dunkle Nacht. Ein Auto parkte, es war seines. Aber nicht er allein stieg aus. Auch sie. Tränen stiegen auf. Jetzt ging er also noch einen Schritt weiter? Brachte er sie nun hier her, damit diese Frau ihren Platz einnehmen konnte? Wurde sie nun vollständig verdrängt?  Die moosgrünen Augen sahen traurig auf das lachende Pärchen, dass Arm in Arm zum Hauseingang schlenderte. Ein trauriges Lächeln schlich sich in das weiche Gesicht. Wieso tat es denn so weh? Wieso spürte sie auf einmal wie die Scherben in ihrem Brustkorb zu stachen? Und wieso konnte sie die Tränen überhaupt nicht mehr zurückhalten? Sie schluchzte. Warum jetzt? Sie sollte doch stark sein. Wieso tat er ihr so etwas an? Konnte er nicht einfach sagen, dass es vorbei war? Konnte er es ihr nicht einfach ins Gesicht schmettern? Konnte er diese fünf Jahre nicht einfach wegwerfen? Es ihr leichter machen? Sie bewegte sich nicht von der Stelle, blieb auf der breiten Fensterbank sitzen. In der Wohnung war es eiskalt, denn er war zwei Wochen nicht da gewesen und sie hatte nicht geheizt. Sie hörte das Türschloss und ein verwunderten Ausruf, dass nicht abgeschlossen war. Das Licht im Flur ging an. Also war sie für ihn schon nicht mehr existent? Etwas in ihr zerplatzt wie eine Seifenblase. Ein berstendes Geräusch, das alles in ihr brechen ließ. Ihr Scherbenhaufen verstummte. Hatte er es auch verstanden? Hatte er die Hoffnung nun auch aufgegeben? Sie hörte keuchende Geräusche auf dem Flur und ein murmeln, einer weiblichen Stimme. Sie fragte nach dem Schlafzimmer. Die Schritte kamen näher. Wann würde er sie bemerken?  In diesem Zimmer war es am kältesten, das Fenster war offen. Sie verharrte in ihrer Position und sah aus dem Fenster. Sie wollte diese Frau nicht bei Licht sehen. Wollte nicht sehen, wer ihr Herz dazu gebracht hatte zu brechen. Das Licht im Schlafzimmer ging an, als die weibliche Stimme sich über die Kälte beschwerte. Sie selber spürte diese Kälte nicht mehr. Ein erschrockener Ausruf kam über die Lippen der Frau. Hatte sie sie entdeckt? Die junge Frau rührte sich nicht und sah weiter aus dem Fenster. Schnee. Weiß, unschuldig. Sie suchte immer noch nach ihrem Fehler, den sie gemacht hatte. War sie ihm zu langweilig geworden? Zu Alt? Dabei war sie erst dreiundzwanzig. Ihr schwarzes Haar wehte in einem Windstoß, der durch das offene Fenster hineingetragen wurde und gab ihr eine mysteriöse Ausstrahlung. Auf die Frage, was sie hier mache, antwortete sie nicht. Er müsste es sich selber zusammenreimen. Sie sah ihn nicht an. Wollte nicht in diese hellgrünen Augen sehen, nicht dieses Augenbrauenpiercing betrachten, sondern einfach nicht sehen wollen. Einfach rausgucken und nichts sehen. Nur das Dunkel.  Sie hatte Jahrelang auf ihr Herz gehört, ihr Herz hatte bis zuletzt gehofft und jetzt war es in Millionen kleiner Splitter zersprungen. Irreparabel. Sie stand auf und nahm eine große Reisetasche. Sie hatte nicht viel, alles hier gehörte ihm. Sie blieb still, ihre Bewegungen waren vom vielen Sitzen steif. Dort wo Wärme und Freude war, war jetzt Trauer und Kälte. Ihre wunderschönen moosgrünen Augen waren blass und glanzlos. Nichts mehr übrig von der schönen Achtzehnjährigen die gestrahlt hatte wie ein Stern. Sie war abgestumpft, obwohl sie doch so wandlungsfähig gewesen war. Sie hatte sich auf jede Situation eingestellt, hatte immer gelächelt. Doch das letzte halbe Jahr hatte sie gebrochen. Sie sah ihn nicht an, packte motorisch ihre Sachen und lief zum Bett hinüber. Alles war so kalt und der Blick der neuen Frau heftete an ihrem Rücken.
 
Das Bild… zwei Personen. Lachend mit Zuckerwatte. Ihr Blick wurde für wenige Sekunden weich und dann wieder hart, Sie löste das Bild aus dem Rahmen und steckte den rahmen in ihre Tasche. Das Bild legte sie zurück auf den Tisch. Sie hatte vieles schon hineingepackt in ihre Tasche. Vieles, was sie nicht mehr holen müsste.
 
Der Reisverschluss wurde zugezogen, ein Mantel über das dünne Shirt geworfen. Sah es so aus, als hätte sie nur darauf gewartet, dass diese Frau kam. Sie schulterte die Tasche und ging an ihm vorbei, die Tränen liefen weiter, unaufhaltsam. Die Frau machte ihr mit einem überlegenen Grinsen platz, das war so demütigend.
 
Sie schwor sich, nie wieder auf ihr Herz zu hören. Nie wieder auf diesen Scherbenhaufen ein Wort zugeben oder ihm zu vertrauen. Es tat so furchtbar weh. Sie sah vor ihren Augen alles nur noch wie durch einen Tränenschleier, doch dann straffte sie ihre Schultern, warf ihre lange Mähne zurück und blickte diese Frau das erste Mal in die Augen. Braun. Die Augen der Frau waren so schlicht. So kalt und berechnend. Sie erkannte den Charakter dieser Person sofort. Sie musste gut sein. Gut in allem was sie tat, sonst hätte er es bemerkt.
 
Ihre moosgrünen Augen lächelten plötzlich. Ja, er würde sich wundern. Sie war nicht das, was sie vorgab. Ein überlegenes Lächeln schlich sich auf ihre Züge. Ein Lächeln, das dieser Frau zeigte, dass sie sie erkannt hatte. Dann trat sie aus der Tür und verschwand aus seinem Leben um sich wieder ein eigenes aufzubauen. Ein langwieriger Prozess, den es zu schaffen galt. Aber sie war jung und konnte die Sprache des Landes. Sie war intelligent. Sie gewann Hoffnung und trat aus dem Haus in den Schnee.
 
~*~
 
Drei Monate später hatte sie sich gefangen, arbeitete in einer Diskothek und verdiente sehr gut. Überdurchschnittlich gut. Der Besitzer war ein älterer Herr, der sich ihrer angenommen hatte und sie wieder aufgepäppelt hatte. Sie war eine herausragende Tänzerin und ihr Job war es, neben dem werben für den Club auch zu tanzen. Einfach auf die Tanzfläche zu gehen und zu tanzen, die anderen zu ermutigen selber den Körper zu bewegen. Und sie machte es hervorragend. Der Club wurde seit drei Monaten sehr gut besucht, man sprach bei ihr vom ‚Dance’-Wunder. Sie hatte keinen Kummerspeck mehr, kein glanzloses Haar, keine stumpfen Augen. Sie strahlte wie vor fünf Jahren und bewegte sich jede Nacht immer höher. Sie konnte sich sogar eine geräumige Wohnung leisten, lebte mit einer alten Freundin zusammen, die aus ihrer alten Heimat gekommen war. Sie hatte den gleichen Job. Manchmal tat es gut, sich in der Muttersprache zu unterhalten. Es gab ein wenig Heimatgefühl. Sie ließ ihre Hüften kreisen, bewegte das Becken immer fester und wiegte den Oberkörper zur Musik. Sie tanzte so gerne.
 
Sie hatte jemand neuen gefunden. Auch Musiker. Aber diesmal war sie sich sicher, denn sie hatte etwas mehr auf ihren Kopf, als auf ihr geflicktes Herz gehört. Er tanzte neben ihr und sie musste sich jedes Mal aufs neue Fragen, wie dieser Mann Musik machen konnte, aber nicht dazu tanzen konnte. Er konnte nicht Freestyle tanzen. Sie wusste, Standart würde ihm wohl besser stehen.
 
Da stand er, sah sie auf der Tanzfläche und wollte sich einmal mehr verfluchen, dass er sie so mies behandelt hatte. So hinterhältig und gemein. Sie hatte auf ihn gewartet, gehofft er würde wieder zur Vernunft kommen. Er hatte zu spät gesehen, dass seine neue Flamme nur hinter seinem Geld her war. Nun war er pleite und sie? Sie tanzte wie damals vor fünf Jahren. Er hatte sie verloren, sah er doch den Typen neben ihr. Ein grausamer Tänzer aber sie lachte herzhaft. Er hatte verloren.
 
Sie hatte auf ihr Herz gehört, hatte gewartet bevor sie ihm Auf Wiedersehen gesagt hatte. Und er? Er hatte es nur mit Füßen getreten.
 
ENDE

hm, ich hatte eine ziemliche Tiefphase, als ich diese KG geschrieben habe.. hatte sicher viele Faktoren die zu so einer sentimentalen Story geführt haben. Ich habe mich mal an einer "lustigen" Story versucht - es ist nicht wirklich gelungen.

Während des Schreibens lief Roxette - Listen to your heart auf Dauerrotation.. daher finden sich sicher viele Einflüsse in dem Text (Vielleicht ist er auch deswegen so kitschig?).. aber ich mag ihn. nein, ich liebe ihn. Er gefällt mir. Ich weiß nicht, er is.. gut.. ich könnte ihn stundenlang lesen.

Über Kommentrae und konstruktive Kritik freue ich mich
Kim von Bargen, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.12.2007. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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